Islam mit Fokus auf Koran – Besuch des Vereins „Al-Rahman“

Der Verein Al-Rahman pflegt eine Ausübung des Islams, die sich auf die Religion fokussiert und – veraltete – Traditionen ablegt. So wird auch nur der Koran als heilige Schrift angesehen und die Weisungen und Pflichten aus Hadithen werden nicht berücksichtigt – was jedoch nicht als Gegenpositionen verstanden werden soll. Im Dezember 2020 habe ich die Gemeinschaftsstunde besucht und für Relinfo meine Eindrücke zusammengefasst.

Eintreffen

Für die Teilnahme an der Gemeinschaftsstunde muss man sich über die Internetseite von Al-Rahman registrieren. Ich habe mich auch gleich über möglichen Dresscode-Vorschriften und benötigte Mitbringsel erkundigt. Meine Fragen wurden mir über WhatsApp beantwortet und es hiess, dass ich so kommen soll, wie ich bin. 

Der Anlass fand in einem Raum im „Inner Space“ – ein Zentrum für Yogasport und Homöopathie – statt. Das Gebäude befindet sich wenige Gehminuten vom Bahnhof Schlieren entfernt und liegt in einer industriellen Zone. Im Stockwerk unter dem Inner Space liegt übrigens zufälligerweise das AGAPE Christian Centre. Zuoberst angekommen, war ich mir nicht sicher wann und wo die «Moschee» beginnt und so zog sicherheitshalber meine Schuhe aus. Ich begab mich zum hintersten Raum aus dem ich ein paar Gespräche hörte und wurde sogleich freundlich begrüsst. Die Anwesenden stellten sich vor und mir wurde ein Platz angeboten. Mache führten gerade ihre Waschung für das bevorstehende Gebet durch und andere nahmen ein paar Snacks zu sich. Die anwesenden Mitglieder schienen zwischen 20-35 Jahre alt zu sein und die Stimmung war folglich sehr gelassen. Es folgten Fragen zu meinem persönlichen Hintergrund und wie ich zu Al-Rahman gefunden hätte. Ich erklärte, dass ich, wie eine von vielen, mit einer vom Islam geprägten Kultur aufgewachsen bin, die zwar den Konsum von Schweinfleisch verbietet, aber andere Ansichten im Leben locker sieht beziehungsweise nicht beeinflusst. Zu Al-Rahman bin ich nach einer Recherche zu «liberaleren» Moscheen oder islamischen Vereinen gestossen. 

Gebet

Nachdem die Mitglieder eintrafen, kündigte Vereinspräsident Kerem Adıgüzel an, dass das Gebet pünktlich beginnen würde. Da mir die benötigte Waschung fehlte, entschied ich mich gemeinsam mit einer anderen Frau, der es gleich erging, im Vorraum zu bleiben und zuzuschauen. Ich war gespannt auf die Anordnung im Raum, da ich gelesen hatte, dass diese keine Rolle spielen würde. Umso erstaunter war ich, als ich die übliche Anordnung eingenommen wurde und sich die Frau, in diesem Beispiel nur eine, hinter den Männern einreihte. Nach einer Rückfrage wurde mir vergewissert, dass dies reiner Zufall wäre. Weiter erklärte mir die Kollegin im Vorraum, dass auch sie die Rolle der Vorbeterin übernehme und bei der Abwesenheit von K. Adıgüzel die anschliessende Koranlesung leiten würde. Nachdem wir die Türe zum Gebetsraum schlossen, um die anderen nicht durch unser Gespräch zu stören, erzählte sie mir, wie sie zu Al-Rahman gefunden hatte und wir sprachen über die vielen islamischen – vor allem sunnitischen – Traditionen. Das Tragen eines Kopftuches wird beispielsweise bei Al-Rahman nicht als Pflicht gesehen, natürlich seien aber auch Frauen, die sich für die Verschleierung entschieden haben, herzlich willkommen. Weiteres Gesprächsthema war die durch den Koran gegebene Emanzipation für Frauen, die durch viele Hadithe wieder zunichte gemacht wurde. 

Koranlesung

Das Gebet war zu Ende und die Türe zum Raum wurde wieder geöffnet. Wir sollten mit unseren jeweiligen deutschen Koranübersetzungen zusammenkommen. Nach einer Vorstellungsrunde, auch mit online zugeschalteten Mitgliedern, wurde zur Entspannung und Ruhegewinnung Musik eingeschaltet. Ich sah mich etwas im Raum um, der entsprechend seiner Zweitnutzung als Yoga-Raum ausgestattet war. Die Mitglieder, an diesem Tag sechs Personen, und ich sassen in einem Kreis auf Gebetsteppichen und warteten auf das Ausklingen der orientalisch klingenden Musik. Zu Beginn lasen wir die 59. Sure aus dem Koran. Jede und jeder solle je einen Vers vorlesen, da auf Grund der unterschiedlichen Übersetzungen diese auch anders formuliert wären. Zu Beginn wurde in der Vorstellungsrunde erwähnt, dass Fragen, Diskussionen und andere Interpretationen sehr willkommen sind. Dies wird auch schnell gemacht und es wird unter anderem die Interpretation des Begriffs «Haus/Häuser» im Koran als Seele diskutiert. Die angeregte Diskussion zwischen den Mitgliedern geht auch in der nächsten behandelten Sure, 60, weiter. Unter anderem wurde über die Schwierigkeit Pflichtgebete gerecht auszuführen diskutiert. So sehen dies einige als Geschenk an, um Gott näher zu kommen, während andere es nicht schaffen würden, die spirituelle Beziehung im Gebet aufzubauen. Ich persönlich erinnerte mich an die vielen Diskussionen mit meinem Cousin, der mir immer wieder eintrichtern will, was für eine grosse Sünde es wäre nicht zu beten. 

Nach den Diskussionen und Gesprächen fragte K. Adıgüzel im Raum nach dem Interesse zur bevorstehenden Meditation. Ich machte es anderen Mitgliedern gleich und lehnte dankend ab. Während sich andere dem Vereinspräsidenten anschlossen, begab ich mich wieder nach draussen in den Vorraum.

Abschluss

Im Vorraum wurden mir unterschiedliche Snacks und Tee angeboten. Ich sass nochmals mit den anderen Mitgliedern zusammen und wir unterhielten uns. Die Gesprächsthemen waren alltäglich und ich fühlte mich schnell geborgen. Ich erkundigte mich noch über die Meditation, die gerade im Gebetsraum stattfand, ob diese nach buddhistischen Bräuchen oder dem Prinzip von Mindfulness ausgeübt wird. Mir wurde gesagt, dass keinem speziellen Muster nachgegangen wird und es auch keine Leitung gäbe. Dies wäre auch völlig freiwillig und auf eigenen spirituellen Wunsch. Nach ein paar netten Gesprächen verabschiedete ich mich von allen und machte mich auf den Heimweg.  

Mir kam Al-Rahman als sehr offener und motivierter Verein entgegen. Ich würde die Veranstaltungen und den Verein gläubigen Musliminnen und Muslimen empfehlen, die ihr spirituelles Verständnis ohne Vorurteile von religiösen Leitungen und Institutionen erweitern möchten. Jedoch kann ich auch nichtgläubigen Menschen, die vielleicht auch mit einer islamisch geprägten Kultur aufgewachsen sind, anraten Al-Rahman zu besuchen und den Islam anders zu erleben.  

Dezember 2020, Dafina Gash