Geschrumpfte Messe «Lebenskraft» im renovierten Kongresshaus Zürich

Vom 16. – 19. September 2021 fand die 32. Esoterik-Messe «Lebenskraft» statt, die wegen der Corona-Pandemie zweimal verschoben werden musste. Infolge dieser Unterbrechung sind seit der letzten «Lebenskraft» im Frühling 2019 mittlerweile zweieinhalb Jahre vergangen, andererseits ermöglichte es der Aufschub, dass die 32. «Lebenskraft» nach Zwischenspielen in den Räumen der «Messe Zürich» in Oerlikon wieder an ihrem ursprünglichen Ort im frisch renovierten Kongresshaus in Zürich stattfinden konnte.

Es ist allerdings eine stark geschrumpfte Messe, die ihren Weg zurück ins Kongresshaus fand. Die Zahl der Anbietenden hat sich gegenüber den 2010er-Jahren deutlich reduziert: Waren im Jahr 2016 noch 141 Stände vertreten, umfasste die Lebenskraft 2021 noch 83 Anbietende. Das Publikum erschien zur Eröffnung am Donnerstag, 16. September, um 17.00 Uhr ebenfalls nicht in Strömen. War es die Zertifikatspflicht, welche diejenigen esoterischen Menschen, die sowohl Impfung als auch Test ablehnen, abgeschreckt hat?

Manche langjährigen Anbietenden waren nicht mehr vertreten, so die theosophische Organisation Share International, die an der «Lebenskraft» über Jahrzehnte hin ihre Hoffnung verbreitete, dass der kommende Weltenheiland bereits unter uns weile und alsbald sein Friedensreich aufrichte, oder die deutsche Wahrsagerin Hildegard Matheis-Karls, die unter ihrem Kurznamen Hildegard Matheika zum Urgestein der «Lebenskraft» gehörte und in den Neunzigerjahren dem Schreibenden aus dessen Hand las, dass er zum Heiler berufen sei.

Wieder dabei waren die umstrittene Attilio Ferrara AG mit ihren Produkten, Anbietende des Psycho-Kurses Avatar, das «Bilgi Kitabi» oder «Kenntnis-Buch» des türkischen Channeling-Mediums Vedia Bülent Corak, die sikhistisch-esoterische Organisation Eckankar, die Schweizer Esoterik-Firma Fostac AG, der Schamane Timoteo und die Firma Soyana, die ins Umfeld der Sri-Chinmoy-Bewegung gehört und uns ein veganes Raclette offerierte, das geschmacklich o.k. war, aber in seiner Konsistenz nicht wirklich überzeugen konnte. Mit einem eigenen Fernsehstudio zugegen war die Esoterik-Sendung «Time to do» von Norbert Brakenwagen.

Bücher und Orakel-Karten

Wie in den Vorjahren vertreten war auch die Berner Esoterik-Buchhandlung Weyermann, die an ihrem Stand Klassiker der Esoterik ebenso anbot wie Neuerscheinungen, so das neue Buch des ehemaligen Trend-Esoterikers Bruno Würtenberger, welches unter dem Titel «Bewusstsein erschafft Realität» im Schweizer Giger-Verlag erschienen ist. Würtenberger kritisiert darin wie bei ihm seit Jahren üblich andere Anbietende, so finden sich kernige Worte wie: «Dieses Namaste- und Es-ist-alles-gut-Gehabe entbehrt jeglicher spirituellen Vernunft» (s. 95), oder die Bemerkung, es sei «kontraproduktiv», wenn Esoteriker «in den lächerlichsten Talk-Shows auftreten und ihre ganz persönlichen Erkenntnisse als universelle Wahrheit darstellen.» (s. 91) «Die Funktionsweise und Mechanismen des Universums, anhand derer sich jeder genau jene Realität erschaffen kann, die er sich für sein Leben wünscht» seien dagegen bei Bruno Würtenberger zu erfahren, meint der Klappentext.

Nicht nur spirituelle Bücher, auch Orakel-Karten erscheinen jedes Jahr in grosser Zahl, so ergänzen erfolgreiche Schreibende ihre Werke gerne um entsprechende Kartensätze, allen voran Pascal Voggenhuber, der gleich mit zwei Sets präsent ist, mit «Love Yourself» und «Heal Yourself», beide ebenfalls im Schweizer Giger-Verlag erschienen. Ähnliche Überlegungen scheinen auch im Umfeld der Toggenburger Jung-Esoterikerin Christina Meier alias Christina von Dreien gemacht worden sein, so präsentiert der Levin-Verlag ein Kartenset mit dem Titel «Tools für die Neue Zeit». Die 46 darin enthaltenen Karten tragen je ein Zitat von Christina von Dreien und eine Illustration, die offenkundig mit einem 3D-Programm generiert worden ist. Dargestellt wird oft eine junge Frau, manchmal auch eine Kreuzung aus Pegasus und Einhorn, und gelegentlich eine Erdkugel. Christina von Dreien vertritt diverse Verschwörungstheorien, auch diejenige der Hohlen Erde. Konsequenterweise kann sie bei der Flat-Earth-Verschwörungstheorie nicht mitmachen.

Die Karte mit dem Titel «Du bist einfach genial» zeigt eine Erdkugel vor einem Lichtkranz, umfasst von zwei Händen, und bringt als Zitat von Christina von Dreien die Aussage: «Genialität ist unser Erbe, der Freie Wille unsere Macht und Unüberwindbares das Spielzeug für unsere Seele.» Weniger kryptisch, aber für Christinas von Dreien Zukunftserwartungen typisch ist die Aussage auf dem Blatt «Richte dich auf wahre Werte aus»: «Am Schluss wird alles gut. Das ist auch der Plan für die Menschheit, aber du musst dich dahin ausrichten, was du willst. Wenn du eine friedliche Welt willst, erschaffst du Frieden.»

Auftritt von ABBA

Einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten war auch immer schon das Ziel der «Lebenskraft». Dies hat sich bei der 32. Austragung nicht geändert. So meint die Organisatorin Angelika Meier in ihrem Vorwort zum Katalog der 32. «Lebenskraft», dass es keine einfache Entscheidung gewesen sei, die «Lebenskraft» zu dieser besonderen Zeit durchzuführen. Doch gerade in herausfordernden Zeiten seien solche Veranstaltungen sehr wertvoll. Viele schamanische Rituale würden in diesen Tagen durchgeführt werden «für ein kraftvolles friedliches Lichtfeld, welches uns trägt und als ein Lichtportal anzusehen ist». Verantwortlich für diese Rituale ist die sibirische Schamanin Aayla, die seit einer neuen Einweihung im Jahr 2021 nun unter dem Namen ABBA auftritt. Wie lange diese Benennung Bestand haben wird, scheint fraglich. Wie dem auch sei, ABBA kam die Aufgabe zu, die Lebenskraft 2021 mit einem schamanischen Ritual zu eröffnen.

Live-Channeling mit solistischem Medium

Traditionell am ersten Abend findet an der «Lebenskraft» das «Live-Channeling» statt, an welchem Geistweisen über derzeit trendige Channeling-Medien die Fragen der Anwesenden beantworten. Diesmal waren zwei Medien angesagt: Die ehemalige Musikerin Sophia Evelina aus Spanien, die ihren Beruf bei LinkedIn mit «Hellseherin, Medium und Hexe» angibt, und die mit ihrer Familie in Hochwald bei Basel lebende, aus Deutschland stammende ehemalige Notfall-Krankenschwester Silke «Chamuel» Schauffert.

Zu Beginn der Veranstaltung war Chamuel Schauffert da, Sophia Evelina nicht. Die «Lebenskraft»-Leiterin Angelika Meier trat hinzu mit der Mitteilung, dass Sophia Evelinas Zug erst am Abend in Zürich eintreffen werde, und fragte Chamuel Schauffert, ob stattdessen Margit Ilmberger einspringen solle, die auf der «Lebenskraft» schon seit Jahrzehnten als mediale Beraterin aktiv ist. Schauffert winkte ab, und auch als Margit Ilmberger kurz darauf in den Raum trat, wurde sie mit Dank entlassen. So bestritt Chamuel Schauffert das Live-Channeling solistisch, was möglicherweise eine «Lebenskraft»-Premiere darstellte.

Engel-Channeling

So waren zu Beginn der Veranstaltung anwesend Chamuel Schauffert, eine Mitarbeiterin von Chamuel Schauffert, drei interessierte Kongressbesuchende sowie der Schreibende, seine Frau und unsere Praktikantin, die zum ersten Mal eine «Lebenskraft» besuchte und noch nie ein Channeling gesehen hat. Dies bekundete sie auch durch Handerheben, als sich Chamuel Schauffert nach allfällig anwesenden Channeling-Neulingen erkundigte.

Chamuel Schauffert nahm unsere Praktikantin zum Anlass, eine kurze Erklärung zum Channeling voranzustellen. Bei ihr würden sich jeweils Engel melden, die ihren Körper bis zum Brustbereich übernehmen würden. Die Engel würden aus ihr heraus sprechen, was sich in veränderter Stimme zeigen würde.

Michael – Erzengel und «Seraphim»

Heute würde sich, so meinte Chamuel Schauffert weiter, durch sie der Erzengel Michael mitteilen, «der wo so am bekanntesten ist». Erzengel Michael gehöre, so meinte Chamuel Schauffert, zu den Seraphim. Damit bringt Chamuel Schauffert die traditionelle christliche Engellehre, die auch von der Theosophie und Anthroposophie übernommen wurde und von esoterischen Menschen ansonsten allgemein beachtet wird, gehörig durcheinander. In dieser traditionellen Engellehre sind die Erzengel die zweitunterste, die Seraphim die höchste der neun Engelsstufen. Dass die Erzengel eigentlich Seraphim seien, meint Chamuel Schauffert, habe erst in unserer Zeit offenbart werden können, vorher hätten die Erzengel ihr wahres Wesen gegenüber den Menschen verbergen müssen. Den hebräischen Plural «Seraphim» braucht Chamuel Schauffert auch für den Singular anstelle des korrekten «Seraph». Chamuel Schauffert formuliert also – wer des Hebräischen kundig ist, muss nun ganz stark sein – dass Michael «ein Seraphim» ist.

Sympathisches Medium – wohlwollender, aber ausweichender Erzengel

Michael würde, so warnte Chamuel Schauffert die Anwesenden, mit tieferer Stimme sprechen als sie selbst, und gelegentlich laut werden. Dies bestätigte sich dann auch. Während Chamuel Schauffert selbst eine ausgesprochen sympathische Person ist, kann dies von Erzengel Michael nicht gesagt werden. Er sprach durch Chamuel Schauffert in gequält wirkender, tiefer Stimme, in deklamatorischem, teilweise abgehacktem Stil, der mich an die Offenbarungen Uriellas erinnerte, wenn sie jeweils Jesus Christus channelte.

Im Gegensatz zu Uriellas Jesus, der das Publikum regelmässig schärfstens ermahnte und auch nicht davor zurückschreckte, einzelne Fiat-Lux-Mitglieder vor versammeltem Orden abzukanzeln, äusserte sich Chamuel Schaufferts Erzengel Michael sehr wohlwollend. Er liess gegenüber dem Publikum, das inzwischen durch später Dazugekommene auf 15 Personen angewachsen war, kein negatives Wort vernehmen. Allerdings schien er konkreten Fragen eher auszuweichen.

Als eine Frau aus dem Publikum nachfragte, ob sie mit ihrem Flötenspiel auch Klangheilung beruflich ausüben könne, meinte Michael, das Wichtige sei, dass die Herzenergie der Frau durch ihr Flötenspiel hindurchfliesse. Damit würde sie das ganze irdische Matrixfeld berühren. Konkrete Berufstipps liess sich der Erzengel nicht entlocken.

Verantwortung an Patientin delegiert

Eine Frau, deren Symptome trotz allerlei Behandlungen anhielten, wurde von Erzengel Michael gefragt, ob sie wirklich geheilt werden wolle. Aus kosmischer Sicht würde nichts dagegensprechen. Michael liess die Frau vortreten, und Chamuel Schauffert legte die Hand auf. Dazu sprach der Erzengel in einer unverständlichen Sprache, die mich sehr ans Elbische aus J.R.R. Tolkiens «Der Herr der Ringe» erinnerte. Wieder verständlich war die Anweisung: «Du musst fest glauben, und es wird geschehen».

Kristallkind mit unklarer geographischer Zukunft

Eine blonde junge Frau mit osteuropäischem Akzent fragte nach, ob sie in der Schweiz bleiben oder in ein anderes Land umziehen würde. Michael meinte, sie sei ein Kristallkind, welches die neue Energie auf Erden manifestiere: «Du darfst wählen, was du willst, und wenn du gewählt hast, dann handle», war die Auskunft zur Wohnortsfrage. Auf Nachhaken hin konkretisierte der Erzengel: «Du kannst bleiben, wenn du willst». Die junge Frau sei ein überdimensionales Kristallwesen, welches jedes Wesen auf der Erde berühre.

Schutz bei Hochsensibilität

Eine Frau bat um Schutz wegen ihrer Hochsensibilität. Michael liess sie vortreten, bot dem Publikum an, einen Schutz um alle zu legen, und fragte, ob die Anwesenden damit einverstanden seien. Allerdings wurde eine Reaktion nicht abgewartet, sondern proklamiert: «Nehmt wahr, wie sich die Energie um euch legt. Sie lässt frei und manipuliert in keinster Weise. Sie schützt vor all dem, was euch belastet».

Solo oder im Orchester?

Die blonde junge Frau fragte nun nach, ob sie als Instrumentalistin eher eine Solo- oder eine Orchesterkarriere anstreben solle. Erzengel Michael meinte: «Dein Weg wird solo sein, doch beginne ihn im Orchester». Im Orchester werde sie Menschen begegnen, die sie fördern würden.

Freiheit von Bindungen

Zudem meinte die junge Frau, sie habe im Lebensspiel «Lila», das unter esoterischen Menschen beliebt ist, eine Aussage über ihre Zukunft erhalten. Erzengel Michael sagte dazu, dass dies nicht bindend sei: «Lasst immer nur geschehen, was aus euren Herzen stammt. Kein Wesen, kein Spiel kann euch aufzeigen, was in euren Herzen ist. Ihr seid so wunderbare, grossartige Seelen, und alles was ihr braucht, liegt in eurem Herz. Und das ist die Liebe.»

Eine weitere Frau berichtete nun, dass sie ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer verstorbenen Mutter habe, weil sie das Versprechen, das Haus zu übernehmen, nicht einhalten konnte. Auch hier votierte Erzengel Michael für Freiheit und sprach die Frau von ihren Verpflichtungen aus dem Versprechen gegenüber der Mutter frei. Die Mutter habe das irdische Feld verlassen und sei auf dem Weg zu ihrer Seelenfamilie. Sie sei frei. «Das gilt für alle Anwesenden. Fühlt euch frei, nichts sollte euch belasten, ihr sollt eurem Herzen folgen, und nur eurem Herzen.»

Träume werden wahr

Nach diesen für die Ratsuchenden sehr freundlichen Worten ging Michael noch einen Schritt weiter und meinte zum Publikum: «Was in ihr euren Visionen und Träumen erfahrt, wird Realität» – allerdings nicht immer so, wie wir es uns vorstellen.

Nachdem keine weiteren Fragen geäussert wurden, verabschiedete sich Erzengel Michael, Chamuel Schauffert rieb sich die Augen und sprach wieder mit ihrer normalen, viel sympathischeren Stimme. Sie fragte nach, wie die Anwesenden Erzengel Michael wahrgenommen hätten. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Medien behauptete Chamuel Schauffert nicht, sich ans Geschehen während des Channelings nicht erinnern zu können, sondern räumte ein, dass sie mitbekam, was geschah.

Insgesamt zeigte Chamuel Schaufferts Channeling die typischen Merkmale aktueller Channeling-Botschaften: den Ratsuchenden wird ausschliesslich Positives berichtet, mitunter werden ungeahnte Möglichkeiten oder Berufungen verheissen, bei konkreten Fragen bleiben die Auskünfte aber vorsichtig bis vage. Strafpredigten wie noch bei Uriella üblich kommen nicht mehr vor.

Spirituelles Konzert

Anschliessend ans Live-Channeling folgte ein zweiter traditioneller Programmpunkt der «Lebenskraft»: das spirituelle Konzert am ersten Abend. Für dieses Jahr war ein gemeinsamer Auftritt der spirituellen Band «Onitani» und des Sängers «Saint von Lux» angesagt.

Onitani – Spirituelles Gesangsduo

Onitani sind Bettina und Tino Mosca-Schütz. Tino Mosca war Jugendmusiker, Militärmusiker und Dirigent eines Kirchenchors sowie eines Frauenchors. Als Chordirigent lernte er auch seine Frau Bettina Schütz kennen, die in einem seiner Chöre mitsang. Im Jahr 2001 erschien ihr erstes gemeinsames Werk. Inzwischen treten sie an diversen spirituellen Veranstaltungen und Festivals auf. Der Name Onitani setzt sich zusammen aus den Umkehrungen der Namen Tino und Ina für Bettina. Wohnhaft sind die beiden in Burgäschi. An der Lebenskraft wirkte Bettina Mosca als Sängerin, während Tino Mosca das Keyboard spielte und gelegentlich mitsang.

Remo Stücheli – Gitarrist und Klangtherapeut

Unterstützt wurden Onitani von Remo Stücheli an der Gitarre. Remo Stücheli wurde 1981 geboren, war beruflich als Gitarrist tätig, absolvierte ab 2014 verschiedene esoterische Ausbildungen und arbeitet seit Ende 2018 hauptberuflich als spiritueller Musiker und Klangtherapeut, u.a. in seinem Institut Alevida in Baden.

Saint von Lux – der Nachfolge-Paradiesvogel von Mike Shiva?

Als Sänger wirkte neben Bettina und Tino Mosca-Schütz auch Saint von Lux. Über Saint von Lux ist nur wenig bekannt. Er soll 35 Jahre alt sein, sein Vater soll aus einer Schamanen-Familie in Mosambik stammen, seine Mutter aus Deutschland sein. Seit 2009 ist er als Astrologe und Channeling-Medium tätig. Sein Pseudonym «Saint von Lux» soll eine Referenz an den umstrittenen Okkultisten aus dem 18. Jahrhundert sein, der u.a. unter dem Namen «Graf Saint Germain» auftrat, und an die Adelsfamilie von Luxemburg, mit welcher Saint von Lux «familienmässig verbandelt» gewesen sein will. Seit 2009 stets in Weiss und Gold gekleidet, gilt Saint von Lux unter den Wahrsagenden gewissermassen als Nachfolge-Paradiesvogel von Mike Shiva. Im Januar 2016 trat Saint von Lux in der Casting-Show «Deutschland sucht den Superstar» auf, wo er von der Jury um Dieter Bohlen beissenden Spott erntete (Bohlen: «Ich glaube, dass du nicht eine Beurteilung, sondern vom Arzt ‘ne Diagnose brauchst»).

An der «Lebenskraft» war Saint von Lux mit gezwirbeltem Schnurrbart, weissem Rüschenhemd, goldenem Pailletten-Gilet, weissen Röhrenjeans und goldlackierten Schuhen mit hohen Absätzen zu sehen. Vor Beginn des Konzerts probte Saint von Lux intensiv die richtige Position auf der Bühne, um von den aufgestellten Kameras auch korrekt erfasst zu werden.

Die Dame mit der Maske

Im Publikum, das rund 25 Personen umfasste, trug eine Frau eine Maske, obwohl dies nach der neuen Regelung mit Kontrolle des Covid-Zertifikats am Eingang nicht mehr nötig war. Bettina Mosca sprach die «Dame mit Maske» an. Tino Mosca meinte darauf: «Das geht auch». Bettina widersprach ihm: «Nein, das ist nicht schön», und führte aus: «Sobald etwas ablenkt, fällt es aus der Energie raus». Die Frau fügte sich und legte ihre Maske ab.

Transformation, Energieübertragung und Aufstiegscodes

Auf der Energie lag ein Schwerpunkt des Konzerts: Es solle, so wurde von Bettina Mosca verkündet, der Transformation dienen, Energie übertragen und Aufstiegscodes vermitteln.

Die Texte des Gesangs seien, so wurde angekündigt, nicht vorbereitet, sondern kämen aus den Seelen der Singenden. Sprachlich seien sie in Sanskrit, Chinesisch, Tibetisch, Altägyptisch und Hebräisch gehalten. Mir kam es eher vor, als ob spontan unwillkürliche Silben gesungen worden seien. Sätze in Sanskrit, Altägyptisch oder Hebräisch habe ich keine gehört. Möglicherweise war alles Chinesisch und/oder Tibetisch, das kann ich nicht beurteilen.

Der Klang gehörte ins Genre der Meditationsmusik. Tino Mosca spielte auf dem Keyboard Akkorde in langsamer und harmonisch einfacher Folge, zu denen Bettina Mosca und Saint von Lux ihre gesungenen Silben improvisierten. Remo Stücheli zupfte gelegentlich einzelne Saiten auf seiner Gitarre. Die Hoffnung, dass er die insgesamt doch eher eintönige musikalische Gestaltung durch rockigere Gitarrenklänge aufmischen würde, erfüllte sich nicht.

Narzisstische Spiritualität?

Ab und an sprachen Bettina Mosca und Saint von Lux Channelings ins Mikrophon. Saint von Lux, der sich im Januar 2016 vor den Kameras von RTL als «auf ‘ne gesunde Art und Weise narzisstisch veranlagt» beschrieb, channelte das Geistwesen Solarus. Dieses sprach von den Altären der neuen Spiritualität, auf denen keine Engelwesen, Meisterinnen und Meister oder Göttinnen und Götter stehen würden, sondern ein Spiegel, der die Menschen selbst spiegeln würde. Göttliche Wesen seien nur Spiegelungen des Menschen selbst. Ist dies der Glaube eines bekennenden Narzissten, der sich selbst als göttlich auf den Altar hebt?

Ob Saint von Lux die Beliebtheit von Mike Shiva erreicht, scheint mir sehr fraglich. Mike Shiva hatte seine sehr sympathische und volkstümliche Seite, die etwa von Chamuel Schauffert in reichem Mass geteilt wird, weniger hingegen von Saint von Lux, der für mich ziemlich gekünstelt und auch leicht überheblich rüberkam. Wie weit ihm damit ausserhalb der von ihm beschworenen angeblichen Kundschaftskreise in St. Moritz und an der Goldküste Erfolg beschieden sein wird, bleibt für mich sehr offen.

Georg O. Schmid, 18. September 2021