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  Auroville International und Mirapuri
Die Transformation des Menschen durch die Einwirkung des Supramentalen - von Aurobindo und der Mutter erschaut und erlebt - durfte und konnte nicht einsame Meistererfahrung bleiben. Auch der engste Schülerkreis um Aurobindo und die Mutter war für diesen letztlich der ganzen Menschheit geltenden Umwandlungsprozess und Evolutionsschritt ein viel zu enger Rahmen. Ein weit eher geeigneter und würdiger Rahmen für den Anbruch des Neuen in der Geschichte der Menschheit war die Vision einer Stadt für den Zukunftsmenschen, ein Projekt, dass unter der Leitung der Mutter nach vielen vorgeschlagenen und wieder verworfenen Skizzen und Projekten 1968 mit der Gründung von Auroville im Nordosten von Pondicherry konkrete Gestalt annahm. Faszinierende architektonische Entwürfe für das Gesamtbild der Stadt und für einzelne Quartiere und Bauten zeugten von einem Geist des Aufbruchs nach neuen Ufern, von einem Willen, Grenzen zu durchbrechen, die der bisherigen Menschheit gesetzt waren. Nur ein kleiner Teil dieser Skizzen kam dann aber in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zur Ausführung. "Von 100 Meilen, die zu gehen wären", meinen selbstkritische Stimmen in Auroville, "haben wir nur ein paar Hundert Meter zurückgelegt". Verschiedene Gründe erschwerten und erschweren die Verwirklichung der weitgesteckten Ziele.

Nach dem Tod der "Mutter" kam es einerseits zu Konflikten zwischen den Aurovillianern und der Leitung des Aurobindo-Ashrams in Pondicherry. Sie führten zur Gründung von Auroville International als selbständiger Organisation.

Auroville als Zukunftsstadt von allem Anfang an von jugendlicher Weltverbesserungsdynamik getragen, verwickelte sich andrerseits auch bald in politische und juristische Debatten mit einheimischen Dorfbewohnern und Bodenbesitzern, die auf dem Territorium der geplanten Stadt leben und die sich nicht oder nur zum Teil in die Pläne der jungen Ausländer integrieren liessen. (Drei Dörfer mit insgesamt mehr Einwohnern als die bisherige Gemeinschaft von Auroville liegen auf dem Territorium der geplanten Stadt.) Auch der Versuch, in der neuen Stadt auf die bisher üblichen Machtinstrumente wie Polizei zu verzichten, gelang nur halbwegs. Wer Auroville in der heissen Jahreszeit besucht, erahnt auch, warum die Dynamik einer idealistischen Gemeinschaft sich zeitweilig mit Lethargie vermischt. Auch die Verwaltung von Auroville stellte manche Probleme, sodass sich der indische Staat veranlasst sah, die Verantwortung für das Projekt zu übernehmen. Erfolgreicher realisierten Aurovillianer Ideen zur neuen Erziehung. Die Kinder der Aurovillianer fühlten sich lange Zeit als Mitte der Gemeinschaft und erleben noch heute alternative, kreative Gemeinschaft und Internationalismus in einem ungewöhnlichen Mass.

Vielleicht lag und liegt die Hauptschwierigkeit einer Zukunftsstadt im postulierten idealen Menschen oder gar im Übermenschen, der letztlich als einziger eine kollektive Utopie verwirklichen könnte. Aurobindo hat immer wieder nach den Bedingungen für eine ideale Gemeinschaft gefragt und einmal zu einer verblüffend schlichten Antwort gefunden: "Wann wird sich die Welt in das Modell des Himmels verwandeln? Wenn die ganze Menschheit zu Knaben und Mädchen wird, gemeinsam mit Gott, offenbart als Krishna und Kali, der fröhliche Junge und das stärkste Mädchen der Gruppe, die alle zusammen im Garten des Paradieses spielen. Das semitische Eden war recht gut, aber Adam und Eva waren zu erwachsen und ihr Gott selbst zu alt und streng und wehevoll, dass man dem Angebot der Schlange hätte widerstehen können." Wenn das verspielte Kindsein die Bedingung der Möglichkeit für reale Utopie ist, dann muss unter Erwachsenen Menschen Utopie Utopie und Vision Vision bleiben. Denn nichts in der Welt kann sich dem Erwachsenwerden entgegenstellen, es sei denn die letztlich hilflose Flucht in die Illusion einer ewigen Kindheit.

Dass trotz dieser allen realen Utopien inhärenten "Unmöglichkeit" positive Kräfte die Gemeinschaft mitgestalten, erahnt der Besucher, wenn er auf die vielen Zeugnisse humorvoller Selbstkritik trifft. Auch wenn Auroville das Tor zum Zukunftsmenschen weit aufreissen will, kann Auroville noch über sich selber lachen. Solange dies möglich ist, entgleitet die Gemeinschaft nicht in wahnhaftes Übermenschentum.

In letzter Zeit entwickelte sich Auroville langsam, aber kontinuierlich. Heute zählt die Gemeinschaft ca. 2000 Einwohner (ursprünglich geplant waren 50 000). Vorbei sind die Zeiten, als Franzosen das grösste nationale Kontingent stellten. Nun ist ein beträchtlicher Teil der Aurovillianer Inder. Von der ursprünglich geplanten grossen "Stadt des Zukunftsmenschen" erkennt der Besucher im weiten Gelände bisher immer noch nur einzelne architektonisch faszinierend gestaltete kleine Quartiere und das eindrückliche Zentrum mit dem riesigen Matrimandir ("Muttertempel"). Dieser einmalige Kugel-Bau gleicht einer sich demnächst öffnenden Lotusblume und symbolisiert mit seiner langen Aufstiegsrampe den Aufstieg des Menschen zum göttlichen Licht. Von einem Spiegel gelenkt fällt das Sonnenlicht aus der Spitze der zentralen Kuppel direkt hinunter in eine geheimnisvolle Kristallglaskugel. Der Aufstieg des Menschen verbindet sich mit der Herabkunft Gottes, mit seiner Zuwendung und Gnade. Wo menschliches Bemühen und göttliche Gnade sich mystisch treffen, findet der menschliche Geist ins Ganze, angedeutet durch die wiederholte Kugelsymbolik.

Nach 1978 wurde von Auroville inspiriert in Italien der Versuch unternommen, "Mirapuri", eine europäische Stadt des Friedens und des Zukunftmenschen aufzubauen. Mirapuri war wie Auroville als ein Ort gedacht, an dem sich ein neues Bewusstsein manifestiert, und blieb bisher noch deutlicher als Auroville weiter hinter seinen auch architektonisch weitgesteckten Zielen zurück.

Georg Schmid, 2006
Letzte Aenderung 2006, © gs 2006, Infostelle 2000
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