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Avatar des Harry Palmer

 

Einleitung

Avatara oder avatar als Begriff entstammt dem Hinduismus und benennt göttliche Inkarnationen wie diejenigen des Gottes Vishnu in Krishna oder Rama. In der weitverbreitetsten Überlieferung ist eine avatara, ein Herabstieg Vishnus noch ausstehend. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in vielen sektenhaften Gruppierungen der jeweilige Meister als der erwartete zehnte avatar angebetet wird. Der Begriff Avatar wird durch seine vielfache Verwendung zunehmend abgegriffener, so werden beispielsweise auch die digitalen Inkarnationen der menschlichen Computerbenutzer der Internet-World Chats avatars genannt.

An die hinduistische Tradition knüpft auch der 1944 geborene Harry Palmer an, wenn er sein 1987 begründetes Kurssystem Avatar nennt. Ziel seiner ca. neuntägigen Kurse ist eine Selbstentwicklung, die auf den von ihm postulierten Bewusstseinsprinzipien beruht und ermöglichen soll, das Leben im Einklang mit dem persönlichen, selbstgeschaffenen Lebensplan zu gestalten. 'Avatar' soll im Sinne einer Inkarnation dafür stehen, in reiner Aufmerksamkeit 'auf den Boden' zu kommen, die Stürme des Geistes zu beruhigen und sich mit der Welt akzeptierend zu vereinen und als schöpferische Wesen sich selbst in Facetten eigener Kreationen verkörpern zu können (Palmer, 1991, S. 41).

Es gibt unterdessen mehr als 2500 autorisierte avatar-Lehrer (Master) und in beinahe 60 Ländern ca. 50'000 Kursabsolventen. Die Avatar-Unterlagen wurden in 14 Sprachen übersetzt, u.a. in Spanisch, Japanisch, Russisch und Chinesisch. Viel Zulauf gibt es insbesondere in Nord- und Südamerika und Asien, kaum in Afrika. Zur Organisation der Avatarkurse wurde die internationale Gesellschaft 'Star's Edge International' gegründet, deren Präsident Harry Palmer ist. 'Star's Edge' (= Sternenrand, als kosmischer Grenzbereich aufgefasst) deshalb, weil bei Avatar Kosmos und Bewusstsein zusammenkommen, sich berühren würden. So stehen dem Übungshandbuch 'Resurfacing' die Worte Harry Palmers (1996) vor: "Das Wunder ist nicht, dass es Leben im Universum gibt; das Wunder ist, dass es ein Universum im Leben gibt. Das Wunder ist nicht, dass das Bewusstsein sich aus dem Universum entwickelte; das Wunder ist, dass das Universum sich aus dem Bewusstsein entwickelte ...". So spricht Harry Palmer in seinen 'Translarischen Aufzeichnungen' "... über die Ausbreitung fühlenden Lebens überall in der Milchstrasse..." (Palmer, 1996). Star's Edge publiziert zudem je in mehreren Sprachen vierteljährlich die Zeitschrift 'Avatar Journal' und die Zeitung 'Inside Avatar' und einen monatlichen News-Brief 'Expansion'. Star's Edge ist ein gewinnorientiertes Unternehmen. Die Gewinnorientierung wird damit begründet, dass das gesellschaftliche Überleben von Avatar nur so zu garantieren sei (Palmer, 1996, S. 127).

 

Entstehung

Ein für Harry Palmer bedeutendes Ereignis war seine Begegnung als junger, unzufriedener Ingenieurstudent anfangs der 60er Jahre mit einem indischen Guru ('Swami Ananda'= sanskr. 'Herr der Seligkeit'), der Palmer wortlos einen Kreis zeichnen lässt, den er selbst mit einem inneren und einem äusseren Kreis ergänzt. Nach dieser Begegnung hört Harry Palmer innerlich die geheimnisvollen Worte: "Ich bin so alt, wie Du glaubst, dass ich bin. Mögest Du in das Universum hineinwachsen, Mr. Harry" (Palmer, 1995, S. 19). Das Kreissymbol durchzieht Palmers autobiographische Schilderung (Palmer, 1995), obwohl es von ihm erst Jahre später mit Bedeutung gefüllt wird. Im Nachhall dieser Begegnung bricht Palmer sein Ingenieurstudium ab, beginnt sich für Philosophie, Psychologie und Sprachen zu interessieren und führt ein Leben als Hippie und Gelegenheitsjobber. Die Erlebnisse unter Drogeneinfluss (LSD) und das damalige Misstrauen gegenüber den überlieferten Autoritäten hinterlassen einen prägenden Eindruck. 1969 erreicht Palmer seine studentischen Magisterexamen in Englisch, Geschichte, Philosophie und Erziehungspsychologie. Er hat allerdings praktisch nur autodidaktisch studiert, er kann von der damaligen Toleranz der Universitäten angesichts der revoltierenden Studierenden profitieren. Dennoch gibt er anschliessend Vorlesungen über amerikanische Literatur

In den frühen 70er Jahren ereilt ihn spontan ein aussergewöhnliches Erlebnis, das er als unendlich gelassenes Ausser-sich-selbst-sein, sich gütiges Beobachten und umfassendes 'Okay' beschreibt. Eine Art depersonalisierende 'out of body'-Erfahrung bei klarem Wachbewusstsein. Es kann vermutet werden, dass diese Erfahrung in den früheren LSD-induzierten Erlebnissen angebahnt worden ist. Zu dieser Zeit ist Harry Palmer bereits ein fortgeschrittener Scientologe. Es ist die oben geschilderte Depersonalisationserfahrung, die es ihm nun ermöglicht, sich in der dem OT III-Level vorangehenden scientologischen Firewall-Imagination souverän vom geforderten Verhalten zu distanzieren: In der imaginativen Rückführung zum jahrmillionenalten, menschheitsgeschichtlichen Urtrauma, wie R. Hubbard es konzipiert hatte, sollte auch der zugehörige Urschmerz entsprechend empfunden werden. Palmer liess sich eine Zeit lang darauf ein, um dann zu merken, dass sich der ganze Spuk in nichts auflöst, als er die geforderten Erinnerungen fallen lässt. Dieses vom zuständigen Scientologen missbilligte Erlebnis lehrt Palmer, dass es nur einer Entscheidung bedürfe, um seine Meinung zu ändern und dass er keinen Beifall für seine Erkenntnisse brauche. Er nimmt daraus aber auch eine Skepsis gegenüber vergangenheitsorientierten Erklärungen mit. Er kommt in der Folge zur Meinung, Vergangenheit und Zukunft beeinflussten einem nur so lange, wie man es zulasse. Entscheidend sei die Erfahrung und Verantwortung im hier und jetzt, die Gegenwart sei - im Sinne einer Entscheidung - die Quelle von Vergangenheit und Zukunft.

Zunehmend beginnt Harry Palmer, ihn aufsuchende Fragende zu beraten und entwickelt dabei Techniken, die seine Erfahrungen und Erkenntnisse illustrieren. Ein Hauptteil seiner Lehren hat aber vermutlich seinen Ursprung erlebnismässig in den Erfahrungen im Samadhi-Tank, den Harry Palmer sich für Eigenexperimente anschuf. Der Samadhi-Tank, jene mit hautwarmem Salzwasser gefüllte, schallisolierte Badwanne mit Deckel, führt zu einer völligen Reizdeprivation, was eine tiefe meditative Konzentriertheit (sanskr. = samadhi) bewirkt.

Ende 1986 beginnt er schliesslich, seine Avatar-Techniken anzubieten. 1987 leiten Palmer und seine Frau die erste Avatar-Klasse. Es entsteht ein Kurswesen, das er aber relativ schnell abgibt, um weiter zu forschen. Über die Art seiner Forschungstätigkeit ist nichts Genaueres bekannt.

 

Lehre

Der Samadhi-Tank führt Harry Palmer zur Erkenntnis, dass alle Wahrheit relativ zum eigenen Standpunkt ist. Damit erhalten auch die ineinandergeschachtelten Kreise des Swami für ihn eine Bedeutung: Voraussetzungen ruhen in Voraussetzungen, alles ist relativ. Sein im Samadhi-Tank-Sein beschreibt Harry Palmer als eine Auflösung der Trennung in Erkennendes und Erkanntes, als ein unbeschreibliches Gewahrsein in einem zeitlosen Jetzt, in das sich das Bewusstsein auflöst, beziehungsweise aus dem es entstehe. Dieses Entstehen des Bewusstseins aus dem Nichts fasst er als eine revolutionär neue Idee auf und treibt sie weiter zur Idee: auch die Welt entsteht aus demselben Gewahrsein. Harry Palmer vernimmt sich damit nicht nur als Geschöpf (ein Stück Welt), sondern indem aus Vermutung Überzeugung und aus Überzeugung Erfahrung wird auch als Schöpfer. Ein weiterer Sinn der ominösen Kreise tut sich ihm damit auf: Harry Palmer als Schöpfer (mittlerer Kreis) zwischen zeitlosem Gewahrsein und Schöpfung. Auf diesem Hintergrund ist die Avatar-Aufforderung zu verstehen: "Begebe Dich in den Hintergrund, lebe bewusst." Der Hintergrund als umgebendes Medium, die Distanznahme zum Konkreten gewährt Überblick.

Die Annahme, sein eigener Schöpfer zu sein, mündet in eine Haltung, die an das Positive Denken erinnert: Wer Euphorie erleben möchte, braucht sich nach Harry Palmer nur dafür zu entscheiden. Der Schöpfergedanke ist zentral, weswegen Palmer seine Philosophie denn auch 'Kreativismus' (Schöpfertum) nennt. Auch der menschliche Körper wird, wie die ganze physische Welt, als ein Produkt von Überzeugung angesehen. Die Kunst, bewusst zu leben, bestehe dann darin, an jenen Ursprung zu gelangen, von dem aus die eigenen Überzeugungen veränderbar seien und damit Realität erschaffen werden könne. Dies gelinge mit den Werkzeugen des Avatar. Verantwortung bedeutet dementsprechend, sich nicht von der Vergangenheit steuern zu lassen, sondern in jedem Augenblick 'Ursprung zu sein'. Auf diesem Hintergrund ist der Göttlichkeitsbegriff 'avatar' zu sehen: "Schöpferischer Ursprung ist ein müheloser Zustand des Seins. ... In diesem Zustand des Seins können Sie alles erfahren und innerhalb sehr weit gesteckter Grenzen (vielleicht grenzenlos) alles so verändern, wie Sie es beschliessen" (Palmer, 1995, S. 130).

Der genauere Vorgang der Schöpfung wird in guter indischer und esoterischer Tradition gedacht. Das Ziel einer frei schwebenden Aufmerksamkeit gerät da ins Stocken, wo die auf Objekte gerichtete Aufmerksamkeit mit Bedeutung und Gefühlen aufgeladen wird. Die als nicht-physische Schwingung vorgestellte Aufmerksamkeit wandele sich in dem Moment in physische Teilchen mit Schwerkraft um, was zu Anziehung und Haften führe. So entstünden Identitäten, so sei auch das Universum entstanden. Die umgekehrte Vorstellung, sich an eine (harte) Wirklichkeit anpassen zu müssen, wird als eine Ausgeburt von Angst diskreditiert.

So ist es auch nicht nur die amerikanische Direktheit Palmers, sondern auch seine Lehre, die die Ich-Du-Grenze verwässert, denn die individuellen Unterschiede sind ja Schöpfungen und darin letztlich Selbsttäuschungen. So kann er jeden ihm unbekannten Leser seiner Literatur und noch viel mehr seine Kursbesucher als Geliebte ansprechen.

Dem Schöpfungsgedanken entsprechend beschreibt Harry Palmer Glaubenssysteme als 'fressende Tiger', die für unmenschliche Kriege verantwortlich seien. In erster Linie denkt er dabei an missionierende Religionen. Seine Ordnung der Glaubenssysteme enthält folgende Kategorien (Palmer, 1995, s. 81ff):

Obwohl in seinem Glaubenssystem die Relativität im Zentrum steht, hat Palmer die Vision, mit Avatar eine erleuchtete planetarische Zivilisation zu ermöglichen. Die Mission von Avatar bestehe darin, "...zum Katalysator für die Integration der Glaubenssysteme zu werden" (Palmer, 1995, S. 125). Denn da es zu lernen gilt, Glaubenssysteme als Überzeugungen ebenso leicht zu schaffen, wie zu 'entschaffen', verlieren ihre Unterschiede an Bedeutung. Die Avatars werden als die "...fähigsten Wesen auf diesem Planeten " (Palmer, 1995, S. 141) und als "... die Erlöser dieser Welt" (Palmer, 1995, S. 142) aufgefasst. Zwar werden die Avatar-Missionare für die Begegnung mit Zweiflern ermuntert, nochmals nach eigenen Blockaden zu suchen, dennoch ist aber für Palmer klar: "Es gibt nicht die geringsten Zweifel mehr; Sie können die Mörgenröte einer erleuchteten Zivilisation vorwegnehmen und zu feiern beginnen" (1995, S. 143). Solche Parolen sind dazu angelegt, ein ungeheures Elite- und Sendungsbewusstsein zu erzeugen, was aber sehr von der jeweiligen Masterpersönlichkeit abzuhängen scheint, denn es gibt Masters, die gerade vor überzogenen Erwartungen warnen und auch keinen missionarischen Eifer ausstrahlen.

Die Glaubenslehren der letzten Jahrtausende werden als Misserfolg abgetan. Avatar fasst sich aber auch als Neuauflage der Veden auf und die Glaubenssysteme dazwischen als Spielarten davon (Palmer, 1991, S. 40). Auf welche der Veden dabei Bezug genommen wird, wird nicht angegeben.

 

Das Kurswesen

Das Kurswesen von Avatar gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil wird der Verstand angesprochen. Dazu existiert ein Handbuch namens 'Resurfacing', das allein oder in Gruppen, mit oder ohne Anleitung benutzt werden kann. 'Resurfacing' (engl. = wiederauftauchen) meint, "... ans Licht der reinen Wahrnehmung zu gelangen" (Palmer, 1996), eine 'Transzendieren nach Hause'. Viele, sehr offen gestellte Fragen erlauben, je nach individueller Bereitschaft, eine Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen Beziehungen und Eigenheiten. Eine gut ausgebildete Selbstreflexivität ist dazu hilfreich, wenn nicht gar notwendig. Wahrnehmungsübungen sollen einen spielerisch leichten Umgang mit der Aufmerksamkeit erlernen lassen. Gewohnheitshandeln soll sich in bewusstes Handeln wandeln. Auch allgemein bekannte Übungen wie die Produktion von Freude durch Lächeln oder die Gedanken 'Ich bin glücklich' finden sich. Erstaunlicherweise wird auch eine einfache Übung beschrieben, die vom Drogenkonsum befreien soll. Projektionen eigener Schwächen sollen zurückgenommen werden, wodurch Mitgefühl und eine bessere Welt entstehe. Eigene Überzeugungen und Ziele sollen überprüft werden.

Das Übungsmaterial der Teile 2 und 3 wird nicht veröffentlicht Es muss von einem Master angeleitet werden und bleibt bei diesem, um eine seriöse Durchführung gewährleisten zu können. Teil 2 umfasst Kreationsübungen und erkundet unerforschte Bewusstseinsgebiete. Eigene Urteile würden erkannt und veränderbar, was den Umgang mit emotionalisierten Bereichen ermögliche und zu Wendepunkt-Erfahrungen und Lösung von Blockierungen führe. Dabei würde viel gelacht.

Teil 3 vermittle die Fähigkeit, Körperempfindungen, Beziehungskonflikte und Abhängigkeiten zu transformieren und Verantwortung zu übernehmen. In einer eigentlichen Initiationsreise werden die Überzeugungsstrukturen des Bewusstseins durchschritten. Der Verstand werde dadurch beruhigt und das Lebensgefühl verstärkt. Regelmässig stelle sich Euphorie ein. Das Ganze gelinge zudem innerhalb einiger weniger Tage in spielerischer Art und Weise. An die Initiation anschliessend könnten die Avatar-Rundowns in Begleitung oder alleine durchgeführt werden. Unter dem verdächtig an die Scientology-Sprache erinnernden Begriff Rundown wird eine fokussierte Analyse bestimmter Bereiche verstanden (Palmer, 1995, S. 134ff.):

Der dreiteilige Avatarkurs dauert durchschnittlich 9 Tage und kostet 3'300.- SFr. Bis zur Beendigung von Teil II besteht ein Rücktrittsrecht, das aber scheinbar kaum in Anspruch genommen wird. Der Kurs kann nach Abschluss jederzeit und an jedem Ort gratis wiederholt werden.

Eine anschliessende Ausbildung zum Master dauert 9 Tage und kostet 3'000 US$, der darauf mögliche Masterkurs zur professionellen Lizenz dauert 7 Tage und kostet 2'500 US$. Sie wird von Star's Edge Leiter-Teams angeboten und muss jährlich wiederholt werden, denn eine Lizenz für das selbständige Kursangebot wird auf ein Jahr provisorisch erteilt. Der Masterkurs vermittle in einem ersten Teil die Fähigkeit, mit hartnäckigen Konditionierungen umzugehen, und in einem zweiten Teil den Lebenszweck und eine entspannte Präsenz auch unter schwierigen Bedingungen.

Ein zusätzlicher Wizard-Ausbildungskurs (Wizard engl.=Zauberer, Genie, Name patentiert) dauert 13 Tage und kostet 7500 US$. Er vermittle die Fähigkeit, von der Ebene des Höheren Selbst aus zu handeln und die Gesellschaft zu transformieren.

Die Avatarkurse können auch in Kleingruppen oder sogar in Einzelbetreuung durchgeführt werden. Das Kurssystem soll nicht als Stufensystem aufgefasst werden, weil sich bereits die ersten Avatarübungen nicht grundlegend von Wizardübungen unterscheiden würden. Eine systematische Eignungstestung vorab besteht nicht. Für die ersten 10 Klienten muss eine Lizenzgebühr von 25%, für die nächsten 10 Klienten eine von 20% und anschliessend eine von 15% abgeliefert werden. Bei der genannten Anzahl von 50'000 AvatarabsolventInnen entspricht dies einem Betrag von mindestens 25 Millionen SFr an Lizenzgebühren, die Star's Edge/Harry Palmer seit 1987 zugekommen sein dürften. Umgekehrt erhält jeder Master für die Gewinnung eines neuen Masters von Stars' Edge 300 US$ und Kommissionen vom neuen Master (5% der ersten 20 Studierenden).

 

Die Sprache

Es mag daran liegen, dass H.Palmer Sprachen studiert hat, dass in seine Schriften immer wieder Wortdefinitionen eingefügt sind. Das Bemühen um begriffliche Klarheit ist begrüssenswert, es finden sich aber auch da und dort Alltagsbegriffe in ihrer allgemein bekannten Verwendung definiert. Einige für Avatar zentrale Begriffe sollen erläutert werden.

Ursprung: der nicht in Worten beschreibbare archimedische Punkt, aus dem alles entsteht, Gewahrsein ohne Definition

Gewahrsamkeit: Achtsamkeit, Aufmerksamkeit. Damit ist auch klar, womit dieser Zentralbegriff assoziiert ist, denn die Achtsamkeit ist vor allem in der buddhistischen Lebenshaltung zentral.

Schöpfung: das von mir willkürlich Gemachte, auch im Sinne einer psychischen Störung als selbstverschuldete Blockierung

Höheres oder wesentliches Selbst: ="ich bin", Gewahrsein + Urschöpfung

Selbsttäuschung: sie wird darin gesehen, dass sich das Individuum nicht darüber im klaren ist, dass 'die Welt' nur seine durch seine eigenen Überzeugungen geschaffene ist.

Identität: eine den Aufmerksamkeitsfluss unterbrechende, einengende Definition des 'ich bin...'

Integration: Seinszustand eines grösseren Ganzen annehmen

FDR-Ziel: ein 'Für-dich-richtiges-Ziel', mit Verstand und Intuition gewählt, seine Verfolgung macht Freude

Thoughtstorm: ein angeblich von Avatar enwickeltes und patentiertes Verfahren zur Ideenproduktion in der Gruppe.

Wortlektionen versus Lebenslektionen: Wortlektionen beziehen sich auf intellektuelle Lektüre, Lebenslektionen meinen ein Erleben. Eine Nachwirkung wird nur diesen zugetraut.

 

 

Die Teilnehmer

Avatar kennt keine Mitgliedschaftsverpflichtung. Die Trainer treffen sich aufgrund offizieller Initiative nur an den jährlichen Masterkursen. Dies wird aber scheinbar von einigen AbsolventInnen als Mangel wahrgenommen, weswegen eine internationale Vereinigung für Avatar-Absolventen, die 'Worldwide Family of Avatar' WFA für Austausch und Zusammenarbeit begründet wurde. Der Jahresbeitrag kostet jährlich US$ 65. Ein Zugehörigkeitsgefühl ist jedenfalls vorhanden, nennt man sich doch bei Gelegenheit 'Avatars'. Es nehmen alle Alters- und Berufskategorien an Avatarkursen teil, auch Mitglieder verschiedenster religiöser Prägung. Eine Assoziation besteht allerdings zu Angehörigen indischer Religiösität, zu Rajneesh-Sannyasins und Angehörigen therapeutischer Berufe. Die Kurse werden mehrheitlich von Frauen besucht, auf Trainerebene ist das Geschlechtsverhältnis aber wieder ausgeglichen.

 

Versuch einer Bewertung

Avatar zielt auf ein verändertes Bewusstseinserleben ab, auf eine Vereinigung mit der Welt. Selbstreflexivität und distanzierende Betrachtung stehen dabei nicht im Zentrum, das Denken soll im Gegenteil zur Ruhe kommen und einfach werden, was von vielen AbsolventInnen als willkommene Entlastung und Entspannung empfunden wird. Ein natürlich trotzdem möglicher denkerischer Verstehensversuch von Avatar wird damit an den Aussenbetrachter delegiert.

Das in der Begegnung mit der scientologischen Traumatheorie entstandene Begründungsmoment von Avatar wird von Harry Palmer als Zeugnis für die Steuerungsfähigkeit der eigenen Gedanken und Gefühle aufgefasst. Ron Hubbards Urtrauma-Vision behauptet aber, gelinde gesagt, Phantastisches: Das Leiden der Welt wird an einem königlichen Sturz festgemacht, der sich vor 75 Millionen Jahren ereignet haben soll. Die lebendige Heraufbeschwörung dieser Vorstellung kann den sich darauf Einlassenden den Angstschweiss hervorbrechen lassen. Die heraufbeschwörten Emotionen sind allerdings so künstlich, dass sich ein korrigierendes Gegensteuer als natürliche Reaktion geradezu aufdrängt. Über die mentale und emotionale Steuerungsfähigkeit angesichts von realen Belastungen und Traumen wird durch Palmers Erlebnis jedenfalls noch nichts ausgesagt. Ein aufgeblasener Ballon sackt bei der Begegnung mit einer Nadel in sich zusammen, ein Fels würde dies nicht tun. Im Gegensatz zu den 'aufgeblasenen' Scientologymythen lassen sich beispielsweise handfeste Beziehungs- oder Geschäftsprobleme (Schuldenberge) nicht so einfach aus der Welt zaubern.

Palmer distanziert sich implizit von der scientologischen 'Engramm'-Theorie und der darauf aufbauenden 'Auditing'-Technik, indem er den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart für nichtig erachtet. Er distanziert sich aber nicht prinzipiell von Scientology, sondern äussert sich manchmal sogar mit einem gewissen Wohlwollen, wenn er zum Beispiel den scientologischen Ethik-Aufseher mit den Worten umschreibt: "...zu jener Zeit waren spirituelle Praktiken eine ernsthafte Angelegenheit..." (1995, S. 29). Für die psychologische Community doch sehr befremdlich und eher ärgerlich unterscheidet Palmer auch nicht zwischen Scientology und Psychotherapie. Die Idee der Lenkbarkeit durch den Geist findet sich bereits bei Scientology (s. dort analytic mind), ebenfalls das Ideal der entspannten Konzentration (reverie). Auch Hubbard hat ja einen guten Teil seiner Konzepte vermutlich in eigenen Trance- und Hypnoseerlebnissen gewonnen. Das von der Materie losgelöste geistige Selbst heisst bei Scientology Thetan, bereits Hubbard hat viel von dessen Zusammenhang mit dem Universum gesprochen. Wie Hubbard nennt Palmer seine Bewusstseinstechniken 'Rundowns'. Es lassen sich also neben Unterschieden auch eine ganze Reihe von Parallelen zwischen Avatar und Scientology ziehen. Durch seine diesbezüglich vagen Stellungnahmen kann Palmer die häufig geäusserte Vermutung, Avatar sei eine Folgeorganisation von Scientology, nicht entkräften, was dem Avatarmarketing sicher schadet.

Die von Harry Palmer publizierten Gedanken finden sich in der Geistesgeschichte schon vor ihm und auch differenzierter, weniger einseitig. Auch wenn er die vielen Bücher seiner Jugend- und Studentenzeit weggegeben hat, dürfte er doch insbesondere von indischer Philosophie, moderner Psychologie und Theoremen und dem Zeitgeist der 60er-Jahre beeinflusst worden sein. Überzeugend ist immerhin, mit welcher Konsequenz und Offenheit er seinen Erkenntnisweg in eigener Erfahrung geht. Eigene Erfahrungen dann auch als originäre Erkenntnis auszugeben und als Avatar-eigene Erfindung patentieren zu lassen, ist eine naheliegende Versuchung, die durch Marktüberlegungen noch verstärkt wird. Sie zeugt aber entweder von Unehrlichkeit oder von Ignoranz. Im Folgenden seien einige Wurzeln und Parallelen zu Harry Palmers Äusserungen genannt.

- Im Nachhall der Scientology-Erfahrung wurde Harry Palmer eine Dynamik bewusst, die man in der Sozialpsychologie eine 'sich selbst erfüllende Prophezeiung' genannt hat: Eine Überzeugung bringt einen Prozess in Gang, der zu einer Erfahrung führt, die die Überzeugung wiederum bestätigt. In der Sozialpsychologie wurde dieser Mechanismus beschrieben, um zu erklären, wie zäh gewisse Überzeugungen sein können. Sozialpsychologen haben darüber hinaus auch beschrieben, wie ungern Menschen ihre Überzeugungen trotz darin enthaltenen Widersprüchen aufgeben, denn Überzeugungen braucht der Mensch zur Handlungs- und Lebensorientierung. Auch hinter dem Ideal der Überzeugungslosigkeit lässt sich eine Überzeugung ausmachen.

- Die Perspektivität allen Für-wahr-haltens wurde im 20.Jh. von vielen Geistes- und Sozialwissenschaftern postuliert und kann beinahe schon als Allgemeinplatz gelten.

- Die Thoughtstorm-Technik scheint laut ihren Beschreibungen nichts anderes zu meinen als die allgemein bekannte Technik des Brainstormings.

- Der zentrale Avatar-Begriff 'gewahrsam' spiegelt das buddhistische Ideal der nicht-haftenden Achtsamkeit wieder. Dies ist nicht verwunderlich, denn der Samadhi-Tank scheint in der Tat Erfahrungen vermitteln zu können, die für den westlichen Menschen aussergewöhnlich sind, in Indien aber seit alters her bedacht wurden. Es wird m.E. allerdings nicht klar, ob das Ziel des Avatar mehr darin besteht, wie im Buddhismus den Zustand einer nicht-haftenden Aufmerksamkeit zu erreichen und damit auch nicht mehr Schöpfer zu sein, oder eher darin, in Anlehnung an die Humanistische Psychologie und Therapie die Fähigkeit zu erreichen, authentischere Lebenswürfe zu leben und damit ein bewusster Schöpfer zu sein.

- Hinter der Betonung der Eigenverantwortung kann unschwer das im Westen stark popularisierte, individualisierte und verbuchhalterte Karma-Denken ausgemacht werden: Jede Handlung kommt auf mich zurück. Im Hinduismus diente das Karma-Konzept eher der Legitimation des Kastenwesens.

- Die Auflösung der Ich-Du-Differenz, die Vereinigung mit der Welt findet sich in der im Westen sehr populär gewordenen indischen Advaita-Philosophie (Nicht-Zweiheit): der monistischen Lehre Shankaras, dass alle Wirklichkeit eins und göttlich sei.

- Die Betonung des 'hier und jetzt' als Korrektiv zur historischen und psychoanalytischen Vergangenheitsorientierung ist ein allgemein bekanntes Credo der humanistischen Psychologie.

- Seit der 'kognitiven Wende' ist es in der Psychologie und Psychotherapie eine geläufige Annahme, dass das Verhalten und Empfinden von unbewusst oder bewusst machtvoll wirkenden Überzeugungen und Erwartungen gesteuert wird. Banalisiert und popularisiert wurden solche Zusammenhänge im 'Positiven Denken'.

- Harry Palmer scheint in seinen Äusserungen Anleihen an einer Erkenntnistheorie zu machen, die man radikalen Konstruktivismus nennt: Der Mensch baut ("kreiert") sich seine Welt selbst zusammen, ist Schöpfer seiner eigenen Welt. Der Konstruktivismus ist momentan denkerisch sehr en vogue, konsequenterweise endet er aber im Solipsismus, dem totalen Rückzug auf das Subjekt.

Die Selbsteinschätzung, Avatar sei "... das kraftvollste und klarste Programm für persönliche Selbstentwicklung, das gegenwärtig zu irgendeinem Preis zu haben ist" (Palmer, 1996, S. 128), tönt angesichts dieser Parallelen erstaunlich und reichlich vermessen. Man darf sich fragen, ob dafür nur Marketingüberlegungen verantwortlich sind oder ob die Gemeinsamkeiten bewusst verschwiegen werden. Indische Philosophie und westliche Psychologie hat Palmer jedenfalls laut eigenem Zeugnis gelesen. Harry Palmers Erlebnisse und Erkenntnisse sind nicht nur nicht neu, sie lassen sich auch problemlos in typische zeitgeistige Strömungen einreihen.

Auch die eigene Verwurzelung im Veda müsste exakter geschehen, ansonsten entsteht der Eindruck, das Eigene lediglich durch Rückgriff auf das Uralte zu legitimieren. Immerhin gibt es unter den vedischen Schriften neben sehr lebensfrohen, die sich hauptsächlich um die Feuerzeremonie drehen und Avatar kaum nahe stehen, auch sehr weltmüde Textteile (Upanishaden) - auf welche bezieht sich Avatar?

Harry Palmer verschweigt aber nicht nur Vor- und Mitläufer, sein Denken weist m.E. auch Einseitigkeiten auf. Eine seiner Kernerkenntnisse lautet, dass Menschen entgegen landläufiger Meinung nicht ihre Überzeugungen aus ihren Erfahrungen, sondern umgekehrt ihre Erfahrungen aus ihren Überzeugungen erhalten. In der Tat sind beide Prozesse möglich. Wenn Harry Palmer aber einseitig das Schwergewicht bei den Überzeugungen fest macht, dann wird er nicht zuletzt seiner eigenen Biographie nicht gerecht, denn die wäre vermutlich ziemlich anders verlaufen, wenn er anfangs der 60er nicht jenem Guru begegnet wäre oder wenn er, um den Bogen noch weiter zu spannen, nicht als Amerikaner in der Mitte dieses Jahrhunderts, sondern 2000 Kilometer südlicher und 100 Jahre früher geboren worden wäre. Im Handbuch 'Resurfacing' und in den Kursannoncen wird zudem ein Schwergewicht auf Erfahrung gelegt, was im Widerspruch zu den theoretischen Ausführungen Palmers zu stehen scheint. Das wechselseitige Ineinander von Überzeugungen und Erfahrungen wird von Avatar jedenfalls zu wenig ausgeführt.

Unhinterfragten Gewohnheitsüberzeugungen begegnet er mit enormer Skepsis. Da mag sich der alte Hippie zu Wort melden, bei dem alles Institutionalisierte einen Einreissreflex provoziert, was natürlich wiederum eine Gewohnheit wäre. Jedenfalls wird die enorme und notwendige Entlastungsfunktion von Gewohnheiten übersehen oder missachtet. Psychologen rechnen damit, dass ca. drei von vier menschlichen Handlungen automatisiert ablaufen. Es ist sicher reizvoll, den Anteil an bewusstern Handlungen zu vergrössern, aber Illusion, Gewohnheiten ausradieren zu wollen. Zudem: sind die von Avatar seit 10 Jahren verkündeten und seither kaum veränderten Erkenntnisse nicht auch bereits zu einer Gewohnheit geworden?

Eine weitere Einseitigkeit liegt m.E. in der Abwertung der Vergangenheit. Sicher darf Palmer recht gegeben werden, dass die biographische Vergangenheit einen nicht bis in alle Ewigkeiten festzulegen braucht. Die aller therapeutischen Erfahrung widersprechenden Saloppheit, mit der er die Vergangenheit meint hinter sich lassen zu können, erstaunt aber nicht zuletzt bei einem Mann, dessen Lehren eine eindeutige biographische Prägung aufweisen. Es wird so getan, als könnte man die Vergangenheit spielend hinter sich lassen und sich selbst tatsächlich 'aus dem Nichts' erschaffen. Es ist anzunehmen, dass Vergangenheitseinflüsse sich gerade auf diese, zur Verdrängung neigende Weise durch Hintertüren wieder hereinschleichen.

Der Avatar-Begriff 'Schöpfung' ist insofern missverständlich, als er eine göttliche Tat assoziiert, die aus Chaos Kosmos schafft. Statt 'Kreativismus' wäre aber 'Kreativität' passender, denn im Avatar werden vorhandene Menschen verändert, aber nicht im ursprünglichen Sinne (wie Adam und Eva) 'geschaffen'. In diesem Zusammenhang offenbart Avatar den konstruktivistischen Solipsismus am deutlichsten: als Schöpfer bin die ganze Welt nur ich. Der totale Rückzug auf das Subjekt bedeutet vielleicht nicht praktisch, aber weltanschaulich konsequenterweise eine Ausschaltung von Umwelteinflüssen und insbesondere eines autonomen mitmenschlichen Gegenübers. Dahinter scheint sich ein eigentlich von Avatar verpöntes Kontrollbedürfnis zu verstecken. 'Schöpfung' wie Harry Palmer sie beschreibt erhält zudem trotz des kreativen Elements einen abwertenden Beigeschmack, entsteht sie doch aus einem Ab-fallen von der reinen Gewahrsamkeit.

Begrüssenswerterweise umfasst Palmers Ordnung der Glaubenssysteme auch Avatar selbst, denn natürlich entwirft auch er ein Glaubenssystem, wenn auch eines der Relativität und Selbstverantwortung. Es ist gewiss nicht anzunehmen, dass Avatar wie frühere 'fressende Tiger' Kriege anzuzetteln gedenkt, auch die Avatars sind aber von einem Missionsdrang beseelt und können einen kämpferischen Geist aufweisen, wenn sie ihr Ziel in einer neuen planetarischen Zivilisation sehen. In welcher Art und Weise, das scheint vom jeweiligen Master abzuhängen. Ob Avatar die beanspruchte integrative Potenz der Weltreligionen hat, darf jedenfalls mit Fug bezweifelt werden. Die Integrationsmöglichkeit von Avatar fusst darauf, dass alle (andern) Glaubenssysteme willkürlich seien. Die darin enthaltene Missachtung der eigenen kulturellen Bedingtheit ähnelt zum Verwechseln der religiösen Intoleranz früherer Tage. Avatar ist praktisch orientiert und dem Dogma abgeneigt. Daraus lässt sich aber noch nicht schliessen, dass weltanschaulich-theoretische Differenzen übergangen werden können. Zwar hat die Avatar ein gutes Stück zugrunde liegende indische Philosophie ein enormes integratives Vermögen an den Tag gelegt, der Islam und das Christentum haben sich einer Einverleibung aber immer widersetzt. Diese Versöhnung wird auch Avatar nicht vergönnt sein. Spätere Glaubenssysteme als Facetten der Veden aufzufassen kommt einem intellektuellen salto mortale gleich. Die angestrebte neue Zivilisation entspricht zudem nicht dem Veda, sondern einem ungebrochenen westlichen Fortschrittsoptimismus.

H.Palmer möchte sich selbst nicht als Lehrer von Schülern betrachten, sondern als Weggefährte unter Seinesgleichen. Dem Demokratieanspruch steht allerdings entgegen, dass auch nach mehr als 10 Jahren Avatar m.W. immer noch ausschliesslich Buchpublikationen von Harry Palmer vorliegen, seinen Worten kommt immer noch ein besonderes Gewicht zu. Die Meister und Wizards geben Kurse und veröffentlichen Erfahrungsberichte, an Harry Palmer scheinen sie aber doch nicht ganz heranzukommen. Eher machen sie den Eindruck, ihn repetitiv zu wiederholen.

Als eine Hauptschwierigkeit von Avatar wird berichtet, die Einfachheit dieses Systems annehmen zu können. In der Tat dauert der Hauptkurs ja nicht einmal 10 Tage und soll auf spielerische Weise statt finden. Das gesamte Kurssystem bis zum Wizard lässt sich in 2 Monaten problemlos durchlaufen. Das spielerisch-einfache Element von Avatar macht sicher einen guten Teil seiner Attraktivität aus. Therapeutische Erfahrung lehrt allerdings, dass echte Veränderung mühevoll ist und weh tut, manchmal sogar mehr gefürchtet wird als der Tod. Dies kann bedauert, aber kaum umgangen werden. Avatar ist zudem auch als Wizard noch eine lebenslange Schule, Kurswiederholungen werden nur schon durch die finanzielle Entlastung nahe gelegt, der 'ultimate process' bleibt nicht der letzte. Die propagierte Einfachheit könnte sich also als eine nur scheinbare entlarven.

Die Kurse sind relativ teuer, das wird auch selbst so gesehen, man kann sie allerdings gratis wiederholen. Zum Geld herrscht aber auch ein unkompliziertes Verhältnis, denn: " Wohlstand und gute Werke gehören zusammen" (Palmer, 1996, S. 128). Die Legitimierung der Profitorientierung mit gesellschaftlichem Überleben überzeugt aber gerade bei Harry Palmer nicht, der ansonsten 'evolutionären' Argumentationen im Sinne eines Anpassungsdruckes nichts abgewinnen kann.

Es ist zu vermuten, dass Harry Palmer zu den Glücklichen gehört, die im Samadhi-Tank noch glücklicher werden. Seine psychische Stabilität erlaubt es ihm, hinter aller Erkenntnisrelativität eine Liebe zum Leben zu empfinden. Die Reizdeprivation ist aber kein automatischer Pfad zur Glückseligkeit und dasselbe dürfte auch für die Avatar-Techniken gelten. Dittrich & Scharfette (1987) haben beschrieben, dass Reizentzug wie auch Reizüberflutung nicht nur zu 'Himmels'erfahrungen (All-Einheit), sondern auch zu desintegrierenden 'Höllentrips' führen können. Aussergewöhnliche Bewusstseinszustände können in ihrer Valenz (angenehm - unangenehm) als eine mikroskopartige Verstärkung der Grundstimmung eines Menschen aufgefasst werden. Eine Person mit einer bedrückten Gemütslage wird im Samadhi-Tank eher die Hölle als den Himmel erfahren und dementsprechend auf ganz andere Erkenntnisse stossen.

Auch in dieser Beziehung würde Avatar gut daran tun, den eigenen Grundsatz der Relativität aller Wahrheit ernster zu nehmen. Denn das Avatar-Experiment kann einen emotional labilen Menschen vollkommen aus der Bahn werfen. Die Depression beispielsweise ist nicht nur eine Störung, die sich in einem Euphoriemangel kundtut, sondern ihr ist noch mehr eine eigentliche Entscheidungsblockade eigen. Da nützt Harry Palmers Aufforderung, sich für das eigene Glück zu entscheiden, herzlich wenig und verstärkt eher das Empfinden eigenen Ungenügens. Eine manische Person kann umgekehrt von Avatar darin unterstützt werden, allem und allen überlegen zu sein und die Lösung für alle Probleme gefunden zu haben. Die Versprechen, Abhängigkeiten und Zwänge zu lösen, dürften umso schwerere Enttäuschungen vorprogrammieren. Eine Vorabklärung hinsichtlich psychischer Probleme gibt es bei Avatar nicht.

Avatar verspricht dem unter Individualismus leidenden modernen Menschen eine Vereinigung mit der Welt. Was damit auch schon für eine echte, Konfliktbewältigung miteinschliessende mitmenschliche Begegnung getan ist, darf kritisch hinterfragt werden.

Avatar verspricht dem unter einer unübersichtlichen Welt leidenden modernen Menschen beruhigende Innerlichkeitserfahrungen. Wie die Welt dadurch anders wird, darf kritisch nachgefragt werden.

Avatar bietet dem unter Zeitmangel und Ungeduld leidenden modernen Menschen ein schnelles und intellektuell einfaches Kurssystem an. Was damit gewonnen und was verloren ist, darf kritisch in Frage gestellt werden.

 

Literatur

Palmer, H. (1995). Avatar - Die Kunst befreit zu leben. Bielefeld: Context Verlag.

Palmer, H.(2.Aufl.) (1996). Resurfacing. Techniken zur Erforschung des Bewusstseins. Bielefeld: Context Verlag.

Palmer, H. (1991). Kreativismus Die Kunst bewusst zu leben. Gräfelfing: AIM - Verlag.

Dittrich, A. & Scharfetter, C. (1987). Phänomenologie aussergewöhnlicher Bewusstseins-zustände. In A. Dittrich & C. Scharfetter (Hrsg.), Ethnopsychotherapie, S. 35-44. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag.

 

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Franz Schlenk, 1999


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