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  Evangelikalismus
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  Protestantischer Fundamentalismus
1. Fundamentalismus und Evangelikalismus
Der Fundamentalismus ist eine Methode des Umgangs mit der Tradition und der Welt. Insofern kann sich Fundamentalismus mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen verbinden.

Der Evangelikalismus ist eine bestimmte Theologie, ein Entwurf des christlichen Glaubens. Er kann sich mit Fundamentalismus verschiedenen Grades verbinden, muss aber nicht.

2. Fundamentalismus und Fundamentals
Der Begriff des Fundamentalismus geht zurück auf die 1909-1915 erschienene amerikanische Schriftenreihe "The Fundamentals. A Testimony of the Truth". "Fundamentals" sind hierbei die Grundwahrheiten, auf welchen die Christen aufzubauen hätten, etwa die Jungfrauengeburt und die Irrtumslosigkeit der Schrift. Heute gilt als das Fundament des christlichen Fundamentalismus nicht mehr die "Fundamentals", sondern die Bibel. 
3. Fundamentalismus und die Bibel
Der fundamentalistische Umgang mit der Bibel stellt, positiv gesehen, zum einen den Versuch dar, das immer schwierige Verhältnis von Gotteswort und Menschenwort in der Schrift deutlich zu lösen. Zum andern gewinnt das fundamentalistische Bibelverständnis eine klar umrissene Grundlage des Glaubens, ein Brevier zur Lösung aller anstehenden Fragen.

Der fundamentalistische Umgang mit der Bibel glaubt an deren Irrtumslosigkeit, auch in historischen und biologischen Angaben. Entgegen landläufiger Auffassung heisst ein fundamentalistisches Bibelverständnis aber nicht, dass die Bibel immer wörtlich verstanden würde. Oft verlangt das Anliegen der Irrtumslosigkeit ein nichtwörtliches Verständnis.

4. Fundamentalismus und Gesetzlichkeit
Die fundamentalistische Lebenspraxis versucht, klare Regeln für den Alltag zu liefern. Deutliche Richtlinien fürs Sein als ChristIn ermöglichen, vor Gott zu bestehen und des Heils gewiss zu sein.

Dieses Verständnis versucht aus der Bibel, insbesondere aus dem Neuen Testament, Gesetze und Regelungen für den Alltag zu gewinnen. Faktisch wird so Christus nicht zum Ende des Gesetzes, sondern zum Stifter eines neuen. Diese Glaubenshaltung wird mit dem Begriff der Gesetzlichkeit bezeichnet.

Die Folge dieses Zugangs im Alltag ist oft eine erhebliche Kasuistik, ein Zusammensetzen von Regeln und Regelchen aus Bibelstellen, die eigentlich etwas ganz anderes meinen (nichtwörtliches Bibelverständnis!).

5. Fundamentalismus und Wertkonservatismus
Dem ewig gültigen Fundament der Wahrheit entspricht ein sich nicht ändernder Moralkodex. Der Fundamentalismus versucht, hergebrachte, bewährte Werte zu erhalten.

Die Wertetafel des christlichen Fundamentalismus bezieht sich vor allem auf Familie, Partnerschaft und den Bereich alltäglicher Begegnungen. Wirtschaftsethik und politische Ethik sind kaum entwickelt, fundamentalistischer Wertkonservatismus und Manchester-

Kapitalismus lassen sich deshalb durchaus verbinden.

6. Fundamentalismus und Wissenschaft
Positiv gedeutet versucht der Fundamentalismus, die Wissenschaft in ihre Schranken zu weisen. Jeder weltanschaulichen Verabsolutierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist er abhold (so wird der Sozialdarwinismus klar abgelehnt).

Infolge seiner Lehre der Irrtumslosigkeit der Bibel ist der Fundamentalismus aber gezwungen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse zurückzuweisen (oder einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen), wo sie den Aussagen der Bibel so deutlich widersprechen, dass eine Harmonisierung unmöglich wird.

7. Fundamentalismus und Gesellschaft
Der Fundamentalismus tendiert dazu, die Welt in zwei Bereiche getrennt zu sehen: in den Bereich, der sich auf dem Fundament befindet, und in den Bereich, der daneben steht.

Der Fundamentalismus kann so die Vielseitigkeit unserer Welt immens vereinfachen. Konkurrierenden Ideologien geht es allen ums selbe (und stammen im Grunde alle aus derselben Quelle).

8. Fundamentalismus und Politik
Während der christliche Fundamentalismus in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend darauf verzichtete, die als schlecht eingestufte Gesellschaft aktiv zu beeinflussen, hat die Strömung in den letzten Jahren zumindest in den USA als "Christian Coalition" politische Dimensionen angenommen. Der christliche Fundamentalismus wird folglich, vor allem in den Ländern, in welchen seine Basis breit ist, zunehmend zu einem unübersehbaren Faktor der Gesellschaft werden.
9. Fundamentalismus in christlichen Sekten?
Christliche Sekten, etwa die Zeugen Jehovas oder die ICOC, kennen keine unverrückbaren Lehren. Im Gegenteil, die Leitung dieser Gemeinschaften kann auch Grundlehren jederzeit unter Rückgriff auf "Neues Licht" oder neuere Bibelstudien verändern. Die Treue der Mitglieder gilt der Organisation, die das Heil vermittelt, nicht den Lehren oder dem Bibelverständnis. Bei christlichen Sekten könnte folglich von einem "Organisations-Fundamentalismus" gesprochen werden. Fundament ist die heilsstiftende Organisation.
Georg Otto Schmid 1997
Letzte Aenderung 1997, © gos 1997, Infostelle 2000
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