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Buchbesprechung

 

Victor und Victoria Trimondi: der Schatten des Dalai Lama. Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus, Patmos Verlag Düsseldorf 1999

 

Hermann und Mariana Röttgen, das unter dem Pseudonym Trimondi publizierende Autorenpaar, reisst ein vom modernen Tibetmythos geblendetes Publikum nicht nur aus seinem nostalgischen Traum vom allseits friedlichen, nie gewaltätigen, durchwegs frauenfreundlichen und alle dunklen Kräfte im Menschen in helle Energien verwandelnden tibetischen Buddhismus. In dem mehr als 800 Seiten umfassenden Band werden auch die an sich auch im Westen immer bekannten dunklen, okkulten, sexualmagischen, frauenfeindlichen, faschismusnahen, kriegerischen und politisch totalitärer Aspekte des tibetischen Buddhismus mit einem seiner wesentlichsten Ritualtexte, mit dem Kalachakra-Tantra, verbunden.

Die Schattenseiten des tibetischen Buddhismus sind in diesem Kontext betrachtet keine Unfälle in der Geschichte einer an sich restlos friedlichen Spiritualität, sondern folgerichtiger Ausdruck einer Religion und einer Kultur, die ihre Schatten nie nur in Licht auflösen wollte und will, sondern ihnen eine verhängnisvolle Eigendynamik zugesteht. Die für den westlichen Tibetromantiker so unverständlichen Ausbrüche der Gewalt im Umfeld des tibetischen Buddhismus und des Dalai Lama - man denke an den opferreichen und immer noch nachwirkenden Kampf zwischen Rotmützen und Gelbmützen in der Zeit des 5. Dalai Lamas, an die sog. Shugden-Debatte der letzten Jahre, an den noch andauernden Streit um die wahre Reinkarnation des neuen Karmapa, an die Unterstützung, die der Dalai Lama dem japanischen Sektenguru Shoko Asahara gewährt oder an die militärischen Ambitionen der Brüder des Dalai-Lama - alle diese "absurden" Vorkommnisse sind nicht mehr Blitze aus einem heiteren Himmel, ohne Vorgeschichte und ohne Nachhall. Der einerseits lächelnd bestrittene und andrerseits unbefragt wahrgenommene Machtanspruch des Dalai Lama gründet wie viele anderen scheinbaren Widersprüche in der spirituellen und politischen Tradition Tibets und ist nur zu verstehen, wenn die moderne Tibetbegeisterung einer realistischeren Beschäftigung mit jener Kultur und Religion weicht, die wie jede andere ihre Licht- und Schattenseiten pflegte und pflegt.

Das Urteil des Lesers zu dieser ausführlichen Beschäftigung mit den Schattenseiten des tibetischen Buddhismus steht und fällt mit der Bereitschaft, auf Nostalgie zu verzichten und sich zuzugestehen, dass es in der Welt des Menschen die restlos friedliche Kultur oder Religion nie gab und nie geben wird. Wer die Illusion vom durchwegs friedlichen Buddhismus nicht preisgeben kann oder will, kann im Werk des Autorenpaares nur eine finstere Abrechnung enttäuschter ehemaliger Freunde des tibetischen Buddhismus sehen. Wer keine Illusionen braucht, schätzt das umfangreiche Werk als Beitrag zu einer längst fälligen Korrektur.

Georg Schmid, 1999


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