Evangelische Informationsstelle: Kirchen - Sekten - Religionen

Heaven's Gate

 

Durch ihren Massenselbstmord in einer Villa in der Nähe von San Diego in Kalifornien ist die Gemeinschaft "Heaven's Gate" ins Licht der Weltöffentlichkeit getreten. Auf der amerikanischen Sektenszene war die Gruppierung vor diesen Ereignissen nicht unbekannt, sie sorgte schon vor Jahren unter dem Namen "Human Individual Metamorphosis (H.I.M.)", dann als "Total Overcomers Anonymous Monastery (TOAM)" für einiges Aufsehen. Eine Beschäftigung mit Lehre und Auftreten der Gemeinschaft scheint aus drei Gründen sinnvoll, obwohl kaum damit zu rechnen ist, dass sich noch Angehörige der Gruppierung finden, die den "Schritt auf die Nächste Ebene" nicht mitgemacht haben:

Zum ersten ist die Gedankenwelt der Gemeinschaft via Heaven's-Gate-Homepage auf hunderten von Seiten ausgebreitet und deshalb bestens bekannt. Hier wird konkret greifbar und verständlich, wie eine Gemeinschaft dazu kommen kann, alles Irdischen in letzter Konsequenz zu entsagen. In den vergleichbaren Fällen gemeinschaftlich begangenen Suizids der letzten Jahre entziehen sich die diesbezüglichen Lehren immer noch der öffentlichen Kenntnis (so sind die "Transit"-Lehren der Sonnentempler weitgehend unbekannt und deshalb Gegenstand von Spekulation. Was bei den Branch Davidians in ihren letzten Tagen gelehrt worden ist, wird wohl nie mehr genau zu erhellen sein). Ein Studium der Sekte Heaven's Gate kann hier aufmerksam machen auf Lehren und Strukturen, die Gemeinschaften dazu führen können, den radikalst möglichen Weg zu gehen.

Zum zweiten zeigt die Gemeinschaft "Heaven's Gate" die klassischen Sektenmerkmale in massivster Verstärkung, so z.B. die Behauptung der Notwendigkeit einer dauernden "Programmierung" des Einzelnen, die Aussage, dass das Mitglied "alles durch den Meister und nichts durch sich selbst ist" und die völlige Ablegung jeden Bezuges zum Vorleben bis hin zur "Abtreibung des menschlichen Verstandes". Heaven's Gate mag hier ein Lehrstück sein für sektenhafte Mechanismen, die in weniger zugespitzter Form und meist nicht so offen zugegeben in mancher Sekte wirksam sind.

Zum dritten zeigt sich die Gemeinschaft Heaven's Gate bei einer Beschäftigung mit ihren Lehren als weitgehend traditionslose Gruppierung in dem Sinne, dass sie nicht aus einem vorgegebenen Lehrkonzept schöpft, sondern vielmehr eine "ad hoc"- Kombination verschiedenster Ideen unterschiedlichster Herkunft präsentiert. Damit steht Heaven's Gate in der heutigen Landschaft beileibe nicht allein. Mancher Kreis um ein channelndes Medium verfährt ganz ähnlich. Dank der Fülle von Material aus der Hinterlassenschaft der Gemeinschaft lässt sich im Falle von Heaven's Gate die Entwicklung einer in ihrer Ausprägung neuen Lehre recht gut nachzeichnen, was die Gruppierung für religionswissenschaftliche Fragestellungen interessant macht.

 

Marshall Herff Applewhite

Der Co-Gründer der Sekte Heaven's Gate, der die Gemeinschaft in den "Schritt auf die Nächste Ebene" hineinführte, Marshall Herff Applewhite, wurde 1931 als Sohn eines presbyterianischen Pastors in Spur, Texas geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er an wechselnden Orten, je nachdem, wo sein Vater es unternahm, eine neue presbyterianische Gemeinde aufzubauen. Schon früh zeigte sich bei dem Jungen ein ausgeprägtes musikalisches Talent. Dem Vorbild seines Vaters folgend wollte Applewhite jedoch ebenfalls den Beruf des Pastors ergreifen, brach aber sein Theologie-Studium nach einem Jahr ab und wechselte an die Musikwissenschaftliche Fakultät. In den sechzigern war Applewhite als Musiklehrer an der University of Alabama tätig und feierte als Bariton-Sänger in Opernauführungen einige Erfolge. Applewhite heiratete seine Frau Ann, mit welcher er seinen Sohn und eine Tochter hatte. Doch schon nach sechs Jahren brach die Ehe auseinander, verbunden mit Gerüchten von einer homosexuellen Affäre Applewhites. Applewhite zog nach Houston, wo er eine Stelle als Musiklehrer an der University of St. Thomas, einer katholischen Einrichtung, übernahm. Im Jahr 1970 wird Applewhite dort entlassen, wegen "gesundheitlicher Probleme von emotioneller Natur", Applewhite selbst spricht von einer Beziehung zu einem Studenten. Die Wertung von Applewhites Homosexualität als "Krankheit" ist dabei nicht der katholischen Schule zur Last zu legen, Homosexualität wurde selbst von der American Psychiatric Association noch bis 1974 als Krankheit eingestuft. Auch Applewhites eigenes Verständnis liess ihn sich selbst als "krank" wahrnehmen, weshalb er eine psychiatrische Klinik aufsuchte, um sich von seinen homosexuellen Empfindungen "heilen" zu lassen. Ausserdem berichtet Applewhite von depressiven Zuständen und von "Stimmen", die er gehört habe. Die damalige Diagnose der psychiatrischen Klinik lässt sich leider nicht mehr erheben, denkbar wäre Schizophrenie oder auch schlicht "Homosexualität".

 

Bonnie Lu Trusdale Nettles

In der psychiatrischen Klinik macht Applewhite die schicksalshafte Begegnung seines Lebens: Er trifft die dort angestellte Psychiatrieschwester Bonnie Lu Trusdale Nettles. Nettles, 1927 geboren, verheiratet und Mutter von vier Kindern, beschäftigte sich schon seit Jahren mit Astrologie, die sie nebenberuflich betrieb. Daneben interessierte sie sich für diverse religiöse Bewegungen, welche genau, ist nicht mehr zu erheben; aus der Lehre der späteren Gemeinschaft ist aber zu folgern, dass Nettles sich zumindest mit Scientology und wohl auch mit gewissen Gedanken der Mormonen näher befasst hat. Diese Beschäftigung muss allerdings nicht im Sinne einer Kursteilnahme erfolgt sein, sie kann sich durchaus auch auf Buchlektüre beschränkt haben. Nettles teilt Applewhite mit, dass sein Leidensweg eine Bedeutung hat: Er ist die Vorbereitung auf Applewhites wahre Aufgabe, die er zusammen mit Nettles zu erfüllen hat. Nach dem Klinikaustritt Applewhites verlässt Nettles ihren Mann und ihre Kinder und zieht mit Applewhite übers Land, wobei ihre Beziehung rein platonischer Natur war.

 

"Bo and Peep"/"Do and Ti"/H.I.M.

Applewhite und Nettles entwickeln nun ihre Heilslehre, wobei Nettles an diesem Lehrkonzept infolge ihres Hintergrunds zweifelsohne den grösseren Anteil hat: Die beiden nehmen ihre Zeit als die Endzeit wahr, die Welt kommt zu ihrer Erfüllung. Ziel des Menschen ist es nun, von dieser zu Ende gehenden irdischen Welt auf die "nächste Entwicklungsstufe oder -ebene" zu gelangen. Diese "nächste Ebene" wird dabei äusserst materialistisch gedacht: Es handelt sich um ein Leben als Ufonen, als der menschlichen Lebensform weit überlegene Ausserirdische, die mit ihren fliegenden Untertassen das Weltall durchkreuzen. Das Verhältnis zwischen irdischem Dasein und der Existenz als Ufone wird von Nettles und Applewhite mit dem Gleichnis von der Raupe und dem Schmetterling verdeutlicht. Die menschliche Existenz ist die der Raupe, eigentliches Ziel ist aber das Sein des Ufonen-Schmetterlings. Wie der Schmetterling einen völlig neugeformten Körper erhält, aber dennoch dieselbe Identität wie die Raupe hat, so ist es dem Menschen bestimmt, seine menschliche Körperlichkeit hinter sich zu lassen und einen Ufonen-Körper anzunehmen, wobei auf dieser frühen Stufe von Nettles und Applewhite getreu dem Raupen-Gleichnis wohl noch an eine Umformung des bestehenden menschlichen Körpers zu einem Ufonen-Körper gedacht wird. Diese Umformung geschieht an Bord eines Ufos, dessen Ankunft fürs Jahr 1975/76 erwartet wurde. Nicht jeder Mensch wird allerdings für diese Umformung geeignet sein: Auf der "nächsten Ebene" sind nur Menschen erwünscht, die alles Menschliche hinter sich gelassen haben. Das Augenmerk fällt dabei auf "Abhängigkeiten" jeder Art, zu welchen nicht nur Sucht in jeder Form gehört, sondern auch die Abhängigkeit von anderen Menschen, wobei hierzu jegliche persönliche Bande zählen. Der Mensch, der die "Nächste Ebene" erreichen möchte, hat alles hinter sich zu lassen, alle Brücken abzubrechen, und Nettles und Applewhite zu folgen, die den Weg zum Ufo zu weisen wissen. Eine besonders gravierende Abhängigkeit erblicken Nettles und Applewhite in der Sexualität in jeder Form. Jegliche sexuelle Betätigung ist folglich zu meiden, die Ehe wird scharf abgelehnt.

Diese Weltsicht, die sich wohl weitgehend Nettles verdankt, wird nun von Applewhite, dem Pfarrersohn und Theologiestudenten, mit einigem an biblischer Metaphorik unterlegt. Die "Nächste Ebene" heisst nun auch das "Reich der Himmel" oder das "Reich Gottes", welches Jesus verkündigt hat (soviel ist Applewhite von seinem einen Jahr an der theologischen Fakultät noch in Erinnerung). Jesus wird damit zum Vorläufer der Botschaft von Applewhite und Nettles, einem allerdings seinerzeit gescheiterten Vorläufer, dem angesichts seiner unzeitigen Kreuzigung nur noch blieb, das Wiederkommen von Boten seiner Botschaft anzukündigen. Diese Boten sind nun in Applewhite und Nettles gekommen, die sich, ihres heilsgeschichtlichen Ranges eingedenk, in der Bibel wiederfinden, sie behaupten, die "zwei Zeugen" aus Offenbarung 11 zu sein. Folglich nennen sich Nettles und Applewhite fürderhin "The Two" und erwarten das Geschick der zwei Zeugen, nämlich getötet zu werden und nach dreieinhalb Tagen aufzuerstehen. Diese Auferstehung wird dann die Landung des die Menschen umformenden Ufos ankündigen.

Diese Botschaft wird von Applewhite und Nettles bei zahlreichen Vorträgen verbreitet, wobei "The Two" gegen aussen unter den Namen "Bo and Peep" auftreten, intern jedoch diverse Sätze von "Kosenamen" anwenden, etwa "Tiddly and Wink" oder "Tweedle and Dee", wohl um damit zu dokumentieren, dass Namen unwichtig sind. "Bo" (=Applewhite) und "Peep" (=Nettles) richten sich bei ihren Vorträgen vor allem an Hippies und an Interessenten der entstehenden "New Age"-Bewegung. Bewusst christliches Publikum wird trotz christlicher Maskerade gemieden, in diesen Kreisen verzeichnen "Bo and Peep" denn auch keinen missionarischen Erfolg. Vortragsbesucher, die bereit sind, alle Brücken hinter sich abzubrechen, werden handverlesen zu internen Veranstaltungen eingeladen, bei welchen sich "Bo and Peep" mit ihren internen Kosenamen "Do and Ti" (gemeint sind die Tonbezeichnungen) vorstellen. Hier werden die Interessenten dann gelehrt, alle Abhängigkeiten, insbesondere die Sexualität, aufzugeben und sich für die Landung des Ufos vorzubereiten. Angesprochen fühlen sich vornehmlich Suchende im jungen Erwachsenenalter, die sich gerade in einer Phase persönlicher Krise befinden und deshalb das Angebot eines ganz neuen Lebens ohne Kontakt zur alten Existenz als Befreiung erleben. Daneben finden sich allerdings auch Eltern, die ihre Kinder verlassen, um sich "Do and Ti" anzuschliessen. 1976 umfasst die Gemeinschaft um "Do and Ti", die sich nun "Human Individual Metamorphosis (H.I.M.)" nennt, rund 200 Mitglieder. Dank der auf Aussenstehende eher skurril wirkenden Ufo-Erwartung erwecken "Do and Ti" in den Jahren 1975 und 1976 einige Aufmerksamkeit der Medien, Applewhite und Nettles sind gern gesehene Talk-Show-Gäste.

 

1976: Der Wendepunkt

Im Lauf des Jahres 1976 wird klar, dass die erwarteten Endzeitereignisse, der Tod und die Auferstehung von "Do and Ti" sowie die Landung des Ufos, nicht stattfinden. Der Spott der Medien und der Oeffentlichkeit lässt nicht auf sich warten. Auch Kritik an sektenhaften Strukturen wird laut: So wurden die Mitglieder nach dem Vorbild von "Do and Ti" in Zweierteams eingeteilt, wobei der jeweilige Partner in der Ernsthaftigkeit seiner Bemühung zu überwachen war.

Die Gemeinschaft gerät in eine schwere Krise, mehr als die Hälfte der Mitglieder verlässt die Gruppierung. Rund 80 bleiben, die Tatsache, dass sie alle Bindungen und sozialen Beziehungen aufgegeben haben, erschwert einen Ausstieg. "Do and Ti" sehen sich gezwungen, ihre Lehre umzuformen. Die Zeit der Mission sei vorbei, lautet nun die Aussage, und es sei gar nicht darum gegangen, möglichst viele Menschen zu sammeln, sondern darum, dass genau diejenigen zu "Do und Ti" stossen würden, die bei den beiden verblieben sind. Die Bemühungen der Jahre 1975 und 1976, de facto ein Misserfolg, werden so zum Erfolg umgewertet. "Do and Ti" haben sich nun um diese, die Verbliebenen zu kümmern und sie auf den Schritt zur "nächsten Ebene", der nun offenbar später erfolgt, vorzubereiten. Diese Vorbereitung geschieht in der Gemeinschaft, die damit zum "Schulzimmer" für die "Nächste Ebene" wird.

 

"The Classroom": Total Overcomers Anonymous Monastery

Die Zahl der Schüler ist beisammen, die Klasse vollständig, eine weitere Mission, angesichts der Ereignisse wohl ohnehin zum Scheitern verurteilt, wäre unnötig. Die Gemeinschaft schliesst sich vom Rest der Menschheit nun völlig ab und trachtet danach, "alles Menschliche zu überwinden", das vom Erreichen der "Nächsten Ebene" nur abhalten würde. Sie gibt sich deshalb den Namen "Total Overcomers Anonymous Ministry" und lebt an wechselnden Orten von den Vermögenswerten, die die Mitglieder in die Gemeinschaft eingebracht haben. Nach ein paar Jahren sind diese jedoch verbraucht, die Mitglieder nehmen Gelegenheitsjobs an, zum Teil in der Computerbranche, eine Tätigkeit, die 1996 zur Gründung einer Firma zur Gestaltung von Internet-Seiten unter dem Namen "Higher Source" führte. Die Phase der völligen Abgeschlossenheit der Gemeinschaft als "Schulzimmer" dauert bis 1992, wobei die Zahl der Anhänger immer mehr abnahm, bis sie 1992 noch rund zwei Dutzend betrug. Es war wohl diese Reduktion des Bestandes, die Do 1992 veranlassten (Ti war 1985 an Leberkrebs gestorben), wiederum an die Oeffentlichkeit zu treten. Die Lehren, die in diesem "Schulzimmer" vermittelt wurden, sollen im folgenden dargestellt werden.

 

"The Next Level"/"The Evolutionary Level above Human"

In der Krise von 1976 formen Do und Ti die Botschaft von der "Nächsten Ebene" um: War sie vorher eine Art Paradies am Ende der Zeit, welches durch einen evolutionären Entwicklungsschritt samt Umformung des menschlichen Körpers zu erreichen war, wird die "Nächste Ebene", auch die "Entwicklungsstufe über dem Menschen" genannt, nun als das eigentliche Sein gesehen, aus welchem alles kommt und in welches alles zurückzukehren hat. Religionsgeschichtlich ist diese Umdeutung vergleichbar mit der Neufassung der jesuanischen Reich-Gottes-Verkündigung in der Gnosis des zweiten Jahrhunderts nach Christus: Die Gottesnähe der letzten Zeit wird zum eigentlichen, ursprünglichen Sein, aus welchem die Seelen herausgefallen sind und in welches sie, durch richtiges Wissen geleitet, wieder zurückkehren sollen. Ursache dieser Umdeutung wird in beiden Fällen die gleiche sein: Das Ausbleiben der erwarteten Endzeitereignisse. Wenig vergleichbar mit der Gnosis ist allerdings die Ausprägung, die die Vorstellung von diesem eigentlichen Sein bei Do und Ti erhält: Die "nächste Ebene" ist, wie sie zu betonen nicht müde werden, keinesfalls rein geistig zu denken, es handelt sich um eine körperliche Welt, ebenso real, ja realer wie unsere irdische Umgebung. Allerdings ist diese Körperlichkeit von höherer "Schwingung" und "Frequenz" (die New-Age-Begrifflichkeit stand hier Pate), und deshalb für irdische Augen nicht sichtbar.

Die "Nächste Ebene" ist von anderer Zeitlichkeit, tausend Erdenjahre entsprechen dort einem Tag, und bevölkert von Ufonen, die als ethisch perfekte Wesen vorgestellt werden, geschlechtlos sind und über eine der menschlichen weit überlegene Technologie verfügen. Diese Ufonen, "members", Mitglieder der Nächsten Ebene geheissen, sind unsterblich, weswegen sich eine Fortpflanzung nicht aufdrängt. Ihr Aussehen ist ein gütig-kindliches. Ueber den Ort ihrer Existenz ist zu erfahren, dass sie den erdnahen Raum unserer Galaxis besiedeln und auf dem Planeten Pluto offenbar über eine Basis verfügen.

 

"Older Member" - die hierarchische Weltordnung

Die Mitglieder der Nächsten Ebene leben in einer hierarchischen Ordnung ("Chain"). Ein "Chief of Chiefs", der quasi die Rolle Gottes einnimmt (aber, s.u., nicht mit dem biblischen Gott identifiziert wird), steht einer Reihe von Ufonen vor, die ihn als ihr "Older Member", als ihr "Aelteres Mitglied" bezeichnen und ihm als seine "Jüngeren Mitglieder" in jeder Hinsicht gehorsam sind; es wird in den Texten des Heaven's Gate sogar formuliert, dass der einzige Lebenszweck der Jüngeren Mitglieder darin besteht, ihrem Aelteren Mitglied zu dienen. Jedes dieser Jüngenen Mitglieder des Chief of Chiefs ist nun wieder Aelteres Mitglied für eine Anzahl weiterer Ufonen, die wiederum Jüngeren Mitgliedern vorstehen usf. Jedes Mitglied der Nächsten Ebene ist mithin einem Aelteren Mitglied untergeordnet, dem es zu dienen hat, und verfügt über eine Anzahl von jüngeren Mitgliedern, die ihm dienen. Selbstverständlich gibt es ein unteres Ende der Kette, eine grosse Anzahl von Jüngeren Mitgliedern, denen niemand mehr untersteht. Wie kommen diese nun zu eigenen Jüngeren Mitgliedern, da eine Fortpflanzung der Ufonen ja ausgeschlossen ist? Zu diesem Zweck wird die Erde geschaffen.

 

Die Erde - der Garten/das Holodeck

Ein Jüngeres Mitglied ohne eigene Jüngere Mitglieder kann sich zur Erlangung von solchen mit seinem Aelteren Mitglied zusammentun. Das Aeltere Mitglied schafft dann auf einem Planeten einen "Garten", in welchen potentielle neue Ufonen "gepflanzt" werden, die dann dem Jüngeren Mitglied als eigene Jüngere Mitglieder dienen. Ein solcher "Garten" stellt zum Beispiel die menschliche Zivilisation auf der Erde dar, ihr Geschaffensein durch das Aeltere Mitglied wird dadurch verdeutlicht, dass sie auch mit einer Star-Trek-Metaphorik als Holodeck, als körperliche Projektion bezeichnet werden kann. Der Schöpfer, das Aeltere Mitglied, heisst nun "Chief Administrator" und nimmt, vom Garten aus gesehen, die Rolle Gottes ein. Ziel dieses "Garten"-"Experimentes" ist es nun, "Seelen" zu züchten, welche dann dereinst in Ufonen-Körper eingehen können, um als jüngere Mitglieder zu dienen. Diese zu züchtenden Seelen brauchen die Körperlichkeit des "Gartens" oder des "Holodecks", um zu lernen.

 

"Container"/"Vehicle"

Die werdenden Seelen benötigen zwecks Aufenthalts in der Körperlichkeit des "Gartens" resp. des "Holodecks" Erde einen "Behälter" (container), auch "Träger" (vehicle) genannt. Dieser Behälter oder Träger für die werdenden Ufonen-Seelen ist der Mensch (nicht etwa nur sein Körper). Das Aeltere Mitglied in der Position Gottes für diese Erde schafft den Menschen mit Körper, Psyche und Verstand, wobei sich letztere wie der Körper allein auf physische Weise, bestimmt durch das Erbgut, entwickeln. Der Mensch als solcher hat nach Ansicht von Heaven's Gate folglich keine unsterbliche Seele. Diese Menschen vermehren sich und sind nun bereit, als Behälter oder Träger für die werdenden Ufonen-Seelen zu dienen.

 

"Deposits"

In einige wenige dieser Menschen, welche dem Chef-Administrator besonders geeignet scheinen, legt dieser "Depots", Anlagekeime für Ufonen-Seelen hinein. Diese Depots sind unsterblich und Wechselbegriffe für das Wort "Seele". Nur die wenigen Menschen, in welche der Chef-Administrator ein Depot hineingelegt hat, verfügen also über eine unsterbliche Seele. Alle anderen verschwinden mit ihrem Tod (sie sind ja nur leere Behälter). Die Depots, werdende Seelen, enthalten als eine Art "Chips" erste Informationen darüber, welches Verhalten von ihnen erwartet wird, wenn sie sich als Seelen der Nächsten Ebene bewähren und empfehlen wollen. Die nötigen Lernschritte können die Seelen allerdings nicht allein vollziehen, dafür benötigen sie, streng der hierarchischen Weltsicht folgend, die Anleitung ihres zukünftigen Aelteren Mitglieds.

 

"The Representative/Rep"

Zwecks Anleitung seiner zukünftigen Jüngeren Mitglieder betritt nun auch das Jüngere Mitglied des Chef-Administrators, deswegen dieser den "Garten" schuf, das "Holodeck". Es kommt mithin als "Vertreter" (representative, oder abgekürzt Rep genannt) der Nächsten Ebene auf diese Erde. Dazu ist ihm aber sein Ufonen-Körper, infolge dessen Unsichtbarkeit für menschliche Augen, wenig dienlich. Der Vertreter benötigt mithin selbst einen irdischen Behälter, einen Träger, also einen Menschen, in den er eingehen kann. Dieser Mensch wird von Geburt weg auf seine Rolle als Behälter vorbereitet, allerdings ohne dass er sich dessen bewusst wird. Ist der Mensch erwachsen, eignet er sich als Träger und der Vertreter geht in ihn ein. Nun wohnen ab diesem Zeitpunkt zwar nicht zwei Seelen in der Brust des Behälters, da ja nur der Vertreter, nicht aber der Behälter über eine Seele verfügt, jedoch sehr wohl zwei "minds", zwei Verstandeszentren, die durchaus nicht dasselbe wollen. Während der Verstand des Vertreters nur an die Erfüllung seiner Aufgabe denkt, will der Verstand des Behälters sein bisheriges Leben weiterführen, seinen Beruf ausüben, seine sozialen Kontakte pflegen etc. Der Verstand des Vertreters muss nun in mühevoller Arbeit den Verstand des Behälters "überwinden", ja "abtreiben". Durch harte Disziplin gelingt es dem Ufonen-Verstand des Vertreters, den menschlichen Verstand zu besiegen, die Abhängigkeiten des Behälters, seine Sexualität, seine sozialen Kontakte, ja seine Erinnerungen zu verdrängen. Ein allzu sexualisierter Behälter ist dabei allenfalls via Kastration von seiner Sexualität zu befreien. Ist der Vertreter Herr im Haus, kann er an seine eigentliche Aufgabe denken: Es geht nun darum, die Behälter zu finden, in welche vom Chef-Administrator ein Depot, eine werdende Seele gelegt wurde, und diese nach ihrer Auffindung zu unterweisen.

 

Die Schulung

Der Vertreter organisiert öffentliche Auftritte und gewährleistet den Behältern mit Depot so, ihn zu finden. Im Depot ist ein Vertreter-Erkennungs-Programm gespeichert, das durch bestimmte Formulierungen auf den Plakaten, die für die Veranstaltungen werben, oder durch bestimmte Sätze in der Rede des Vertreters aktiviert wird: Die Behälter mit Depot finden so zum Vertreter. Der Vertreter schart die Menschen mit Depots um sich und weist sie ins richtige Verhalten ein. Zentral ist eine Haltung des Entsagens: alle Bedürfnisse und Abhängigkeiten des Behälters sind zu überwinden. Die Meschen mit Depot machen hierin gewisse Fortschritte, die Erfolge werden im Depot abgespeichert. Allerdings dauert es nur kurze Zeit, dann kehrt der Vertreter wieder in die Nächste Ebene zurück, sein Behälter stirbt. Die Seelen der Menschen mit Depot sind allerdings noch nicht weit genug, um einen Nächste-Ebene-Behälter zu bekommen, sie müssen weitere Schulungen absolvieren. Sie werden deshalb nach dem Tod des Behälters "auf Eis gelegt" und warten dort, bis der Vertreter wiederkommt.

 

"Visitations"

Kommt der Vertreter wieder und übernimmt einen neuen Behälter, werden auch die Depots vom Eis genommen, an Bord eines Nächste-Ebene-Ufos über ihre Aufgabe instruiert und in neue Behälter, erwachsene Menschen, implantiert. Ihnen stellt sich nun das selbe Problem, mit welchem auch der Vertreter zu kämpfen hat, sie müssen den Verstand des Behälters, seine Abhängigkeiten, seine Sexualität, seine Erinnerungen und seine eingeübten Verhaltensmuster bekämpfen und abtreiben. Die Art des Behälters ist auf die notwendigen Lernschritte abgestimmt: Er weist genau die Abhängigkeiten auf, die zu bekämpfen der Entwicklung der Seele am förderlichsten ist. Wiederum findet der Behälter mit Depot durch das Erkennungsprogramm zum Vertreter und wird von ihm geschult. Durch seine Unterstützung ist die Ueberwindung aller Regungen des Behälters möglich. Besonders zu schaffen machen hierbei die Erinnerungen des Behälters aus seinem Leben vor der Implantierung des Depots: Er spielt diese Erinnerungen öfters "wie alte Videos" ins Bewusstsein der Seele ein, so dass diese meinen könnte, es mit eigenen Erinnerungen zu tun zu haben. Diese Pseudo-Erinnerungen sind zu bekämpfen und zu unterdrücken. Denn das Vorleben des Behälters geht die implantierte Seele nichts an. So sprechen die Texte von Anhängern von Heaven's Gate betreffs ihres Vorlebens immer von den Widerfahrnissen "dieses Behälters" ("Dieser Behälter interessierte sich für New Age", "Dieser Behälter war verheiratet") und wechseln in die Ich-Form zum Zeitpunkt der Aktivierung des Erkennungsprogramms.

Selbstverständlich übernimmt die Seele bei der Implantierung in den Behälter nicht den Namen des Behälters. Vielmehr erhält sie vom Vertreter einen neuen Namen (offenbar nimmt die Seele den Namen der letzten Schulung nicht mit, sondern erhält einen neuen). Die Seelen, die in der Schule des Heaven's Gate standen, trugen Namen, die aus drei unmittelbar aufeinander folgenden Konsonanten bestanden und dann auf -ody endeten, wie zB. Qstody, Jwnody, Snnody, Brnody etc.

Nach erfolgten Lernschritten und dem Tod des Behälters wird das Depot wiederum auf Eis gelegt, bereit für den nächsten Besuch des Vertreters.

 

Weltgeschichte in Heaven's Gate-Sicht

Während eines Garten-Experimentes besucht das Jüngere Mitglied des Chef-Administratoren den Garten verschiedene Male, denn nur während dieser Besuche ist es den werdenden Seelen möglich, sich zu entwickeln. Eine Seele braucht aber bis zum Abschluss ihrer Entwicklung mindestens drei Besuche, das heisst, sie ist während mindestens zwei Zwischenphasen "auf Eis gelegt". Beim letzten dieser Besuche sollte die Seele dann aber soweit sein, ansonsten hat sie ihre Chance verpasst, einen Nächste-Ebene-Behälter zu bekommen (über ihr Geschick in diesem Falle s.u.). Das gegenwärtige Garten-Experiment ist nun soweit, das Jüngere Mitglied des Chef-Administratoren hat schon verschiedentlich die Erde besucht und die Seelen, d.h. die Depots in den jeweiligen Behältern, unterwiesen. Der Vertreter kam, mit wenigen Ausnahmen, alle 2000 Jahre nach irdischer, alle zwei Tage nach Nächster-Ebene-Zeitrechnung. Er erschien als Mose, dann (die Ausnahme) als Buddha, schliesslich als Jesus, der, so die Bibel-Exegese von Heaven's Gate, seine Verbundenheit mit seinem Aelteren Mitglied, dem Chef-Administratoren, unter der Bezeichnung "mein Vater" ja oft betont hat. Jetzt, zu Ende des Experimentes, kam das Jüngere Mitglied wieder als Do, der den Behälter Marshall Herff Applewhite übernahm, als dieser in der psychiatrischen Klinik sich aufhielt. Diesmal, in der Endphase des Garten-Experimentes, stellte sich aber die Aufgabe des Jüngeren Mitgliedes, des Vertreters, als so schwierig dar, dass auch sein Aelteres Mitglied, der Chef-Administrator, der Schöpfer der Erde, mitkam. Er übernahm zum selben Zeitpunkt den Behälter Bonnie Lu Trusdale Nettles und nannte sich Ti. Im Behälter Bonnie Lu Trusdale Nettles befand sich mithin, so ihr Anspruch, der Gott der Bibel in persona. Der Chef-Administrator begleitete sein Jüngeres Mitglied bis 1985, als sein Behälter an Leberkrebs starb. Seither beendete der Vertreter allein die Schulung der werdenden Seelen der Nächsten Ebene. Diese waren nun, am Ende des Garten-Experimentes, bereit dazu, einen Behälter der Nächsten Ebene anzunehmen. Der jetztige war schon mindestens der dritte Besuch, während welchem sie unterrichtet wurden, die Depots der jetztigen Anhänger Dos waren also schon in Jüngern Buddhas und in Jüngern Jesu implantiert. Die Ueberwindung alles Menschlichen ist ihnen gelungen. Das Garten-Experiment war damit am Ende, der Garten kann nun "rezykliert" werden. Bei diesem Rezykling werden die Menschen sterben, ein neuer Chef-Administrator wird dann das Rohmaterial der Erde für ein neues Garten-Experiment mit neuen Behältern verwenden.

 

Probleme: Luci und seine Space Aliens

Nicht allen Depots gelingt es, sich zu vollwertigen Seelen der Nächsten Ebene zu entwickeln. Manche werdende Seele ist zu schwach und verliert den Kampf gegen ihren Behälter. Der Behälter obsiegt, er verlässt den Vertreter und die anderen Seelen und kehrt ins angestammte Leben des Behälters zurück. Noch ist zwar nicht alles verloren. Die werdende Seele kann sich doch noch durchsetzen und zum Vertreter zurückfinden. Solches geschah ab 1992, als die Gemeinschaft wieder an die Oeffentlichkeit trat, zuerst durch Zeitungsinserate, ab 1996 im Internet: Manche abgesprungenen Mitglieder kehrten reumütig zurück und wurden wieder angenommen. Aber auch Seelen, die während eines Besuchs die Rückkehr nicht schafften, wurden jeweils "auf Eis gelegt" und beim nächsten Besuch des Vertreters einem Behälter implantiert. Fanden sie nun zum Vertreter, konnten sie dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Diesmal besteht diese Chance nicht mehr. Der jetztige Besuch war der letzte. Was geschieht nun mit den Depots, die die Entwicklung nicht geschafft haben? Sie gelangen in eine Art Zwischenwelt, werden zu Ufonen zweiter Klasse, mit einer Technik, die zwar der Nächsten Ebene bei weitem unterlegen, unserer menschlichen aber klar überlegen ist. Ihre technischen Kenntnisse verdanken die unglücklichen Seelen ihren Depots, ihren Chips, in denen auch einiges Technisches abgespeichert ist. In dieser Zwischenwelt werden diese Ufonen zweiter Klasse in das nächste Gartenexperiment, das nach dem anstehenden Rezykling dieser Erde folgen wird, eingreifen, am Ende dieses nächsten Gartenexperiments aber mit rezykliert, zerstört werden. Das heisst aber, dass in unserem gegenwärtigen, sich dem Ende zuneigenden Garten-Experiment ebenfalls solche Ufonen zweiter Klasse tätig sind, nämlich die Seelen/Depots aus dem vorherigen Garten-Experiment (als damalige Behälter nennt Do Säugetierkörper ohne Angabe von Details), die damals die Entwicklung nicht schafften und deshalb zu Beginn unseres Gartens zu Ufonen zweiter Klasse wurden. Diese Ufonen existieren um die Erde herum und in der Erde (die Hohlwelt-Theorie wird hier aufgegriffen) und treten als die vieldiskutierten "Space Aliens" in Erscheinung, die Menschen entführen und sie zu genetischen Experimenten missbrauchen. Diese Experimente haben die Space Aliens deshalb nötig, weil ihre Behälter zwar sterblich, aber nicht zur Fortpflanzung befähigt sind. Zu Fortpflanzungszwecken, zur Zucht neuer Behälter, müssen sie deshalb auf Menschen-Keimzellen zurückgreifen. Chef dieser Ufonen, die auch hierarchisch organisiert sind, ist Lucifer, von Do zärtlich Luci genannt. An und für sich handeln Lucis Ufonen nicht aus bösem Willen, sie wissen es nicht besser. So meinen sie, der Menschheit helfen zu müssen, in dem sie sie belehren. Zu diesem Zweck haben Luci und seine Ufonen ein eigentliches "Programmierungs-Verfahren" entwickelt, das mittels Radiowellen das Denken der Menschen beeinflusst. So werden die Menschen mit falschen Vorstellungen programmiert, z.B. dem Wert der Familie, dem Verlangen nach Sexualität, oder den Werten des Humanismus. Auch hinter jeder Religion stehen einer oder mehrere dieser Ufonen, offenbaren sich den Menschen als Götter und lassen sich verehren. Die Lehren des Vertreters, sei es als Mose, als Buddha oder als Jesus, wurden von den Ufonen nach der Rückkehr des Vertreters regelmässig verfälscht, so dass sich das heutige Judentum, der Buddhismus und das Christentum in Wahrheit als Luzifer-Kult beschreiben lassen.

Der Chef-Administrator, dem es ein Leichtes wäre, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, lässt die Luci-Ufonen gewähren. Sie erfüllen ihre Aufgabe in seinem Plan, insofern ihre Gegenwart den Menschen mit Depots Entscheidungsfreiheit gibt. Sie können nun, so wird betont, frei wählen zwischen Luci und dem Vertreter (wie sich der behauptete Freie Wille mit dem Gedanken einer systematischen Programmierung verträgt, bleibt allerdings offen. Ueblicherweise widersprechen sich die beiden Konzepte diametral).

 

Re-Programmierung

Angesichts von Lucis Wirken erfährt die Aufgabe der werdenden Seelen im "Schulzimmer" des Vertreters eine nochmalige Verschärfung: Die Behälter, die sie übernahmen, sind systematisch mit falschen Vorstellungen programmiert, die es zu überwinden gilt. Dies ist nur möglich durch eine ebenso systematische Re-Programmierung durch den Vertreter. Do spricht von "Gehirnwäsche", die notwendig ist, um die Programmierung durch Luci loszuwerden. Der "Computer" des Behälters, das Gehirn, muss konsequent gereinigt werden. Dazu ist dienlich etwa ein tägliches Kontrollgespräch mit dem Vertreter, das alle Fehlleistungen aufdeckt, die Gruppierung der Seelen je zu zweien verschiedenen Geschlechts zwecks gegenseitiger Kontrolle, wobei keine auch noch so kleine Entscheidung ohne Rücksprache mit dem "check partner", dem "Kontrollpartner", getroffen werden darf, zwischenzeitlich auch Kontrollgänge zum Vertreter, die alle zwölf Minuten zu erfolgen hatten. Angesichts von Lucis Programmierung ist es für werdende Seelen unerlässlich, den Gedanken des eigenen "Computers" grundsätzlich zu misstrauen und sich nur auf die Aussagen des Vertreters abzustützen. Der Vertreter ist somit der einzige Garant für ein Weiterkommen auf dem Weg zur Nächsten Ebene, er wird zum einzigen Inhalt des Lebens und zum Objekt der Verehrung. Die Beziehung zu ihm als zum eigenen Aelteren Mitglied, dessen jüngeres Mitglied man in der Nächsten Ebene sein wird, ist hier auf Erden schon vorgeformt.

 

Der Uebergang

Für die Belohnung der Seelen, die alles Menschliche überwunden haben, die Uebernahme eines Behälters der Nächsten Ebene, wurden zwei Wege diskutiert: Erwartet wurde vorerst die Ankunft eines Ufos, das als "Garderobe" figurieren sollte: Das eine Kleid, der Mensch, sollte dort abgelegt, und das neue Kleid, ein Ufone, angezogen werden. Doch das Ufo kam nicht. Der Vertreter entschied deshalb, die Behälter zuerst zurückzugeben und die Seelen ohne Behälter auf die Reise zur Nächsten Ebene mitzunehmen. Diese Rückgabe erfolgte peinlich sauber (wie man eben eine Leihgabe zurückgibt) unter ordentlicher Beilegung der Fahrzeug("vehicle")-Papiere und gar mit Bezahlung einer Miete für die Benutzung der Behälter (so sind möglicherweise die Fünf-Dollar-Scheine samt einigen Kleingelds in den Taschen der Toten zu deuten: Mehr sind Menschen als Behälter ja nicht wert).

 

Traditionsgeschichte

Will man die Lehren von Heaven's Gate traditionsgeschichtlich einordnen, ist es angezeigt, zuerst zu untersuchen, in welchen Traditionen Heaven's Gate nicht steht:

- Der naheliegende Gedanke, Heaven's Gate über seinen Co-Gründer auf presbyterianisches Christentum zurückzuführen, scheitert. Mit ihm verbindet die Lehre von Heaven's Gate nichts, man denke etwa an die Betonung des freien Willens in Heaven's Gate, eine Lehre, die von den Presbyterianern als Anhänger der Prädestination abgelehnt wird. Die Sexualfeindlichkeit von Heaven's Gate ist dem Presbyterianismus als ausgesprochen familienfreundlicher Konfession gänzlich fremd (Applewhite polemisiert denn auch des öftern gegen die "family values" seiner ehemaligen Kirche und meint, dieser gehe es nur darum, die Befriedigung der Sinnenlust vor Gott zu rechtfertigen). Weiters ist dem Presbyterianismus die Unsterblichkeit der Seele eine wichtige Lehre, diese lehnt Heaven's Gate ab. Fazit: In allen entscheidenden Grundlehren nehmen der Presbyterianismus auf der einen und Heaven's Gate auf der anderen Seite diametral entgegengesetzte Positionen ein. In Detaillehren besteht ohnehin keine Uebereinstimmung.

- Nichts zu tun hat die Lehre des Heaven's Gate mit östlicher Religion. Heaven's Gate kennt keine eigentliche Reinkarnationslehre und nichts, was der Vorstellung von Karma entsprechen würde. Allein die sich wiederholenden "Garten-Experimente" könnte man den Weltzyklen östlicher Religionen gleichsetzen. Aber angesichts fehlender weiterer Parallelen liegt hier kaum direkte Beeinflussung vor.

- Von der Theosophie, ansonsten im New Age wichtig, scheint Heaven's Gate ebenfalls nicht beeinflusst zu sein. Neben der fehlenden Reinkarnation fällt hierbei ins Gewicht, dass Heaven's Gate keinen eigentlichen Entwicklungsgedanken kennt, sondern eigentlich nur eine Ebene, die "nächste", die dann "Garten-Experimente" schafft. Höhere, aufgestiegene Meister spielen keine Rolle im theosophischen Sinn.

 

Deutliche Parallelen zeigen sich aber zwischen Heaven's Gate und Lehrelementen der Mormonen wie der Scientology.

- Die Mormonenkirche lehrt, dass es dem Menschen bei Bewährung möglich ist, nach dem Tod in einen göttlichen Rang aufzusteigen und selbst eine Welt zu schaffen, wobei die Lebewesen, die man dann schafft, einen als Gott verehren würden. Zum Aufstieg in diesen göttlichen Status bedarf es spezifischen Wissens, das im Mormonentempel gelehrt wird, und der Einhaltung bestimmter Enthaltungsregeln. Auch lehren die Mormonen die Körperlichkeit Gottes.

Soweit lassen sich die Lehren parallelisieren. Es zeigen sich aber auch scharfe Differenzen: Die Mormonen verzichten, natürlich auch zeitbedingt, auf jegliche Ufo-Theorien; ausserdem sind ihnen die von Heaven's Gate abgelehnten "family values" sehr wichtig: Nur wer verheiratet ist, hat die Chance, Gott zu werden.

- Scientology zeigt die nächste Parallele zum Seelenverständnis der Heaven's Gate-Lehre. Der scientologische "Thetan" scheint förmlich der Pate von Dos und Tis "soul" samt "deposits" und "implants" zu sein. Wie die Heaven's Gate-Seelenkonzeption haftet auch dem Thetan etwas Quasi-Materielles an, und auch er speichert Ereignisse und Gelerntes. Scientologen können mehr als einen Thetan in und an sich tragen, der Thetan kann aus dem Körper austreten, der Thetan ist vom "mind", dem Verstand, getrennt, kann von diesem aber belastet sein. Auch die Geschichte der Thetane auf der Erde wird von der Scientology nicht weniger phantasievoll erzählt als die entsprechende Darstellung bei Heaven's Gate: Die Thetane wurden von einem intergalaktischen Tyrannen auf die Erde verbannt und in Körper gepresst. Die Einzelheiten der Geschichte sind denkbar verschieden, der gedankliche Hintergrund, die Seelenvorstellung ist aber offensichtlich äusserst verwandt. Kommt hinzu, dass die Scientology in internen Kreisen nach Auskunft von Ehemaligen weit öfter von Ufos spricht als gegen aussen zugegeben. Die diesbezüglichen Lehren sind aber nur in Umrissen bekannt.

- Weitere Elemente verdanken sich Publikationen der Ufo-Bewegung: Einiges an Theorien aus der Feder Erich von Dänikens meint man wiederzuerkennen, zumindest der Gedanke eines "Garten-Experimentes" findet sich ansatzweise in seinen Werken (allerdings auch weit darüber hinaus: Die Rael-Bewegung z.B. lehrt ganz ähnliches, die Konsequenzen fürs tägliche Leben, insbesondere die Haltung zur Sexualität, sind aber grundverschieden).

 

Gefährliche Lehren und Strukturen?

Angesichts dieses neuesten Sekten-Massenselbstmordes stellt sich die Frage, ob es denn nicht Merkmale von Gruppierungen gibt, die gefährdet sind, den Weg der Weltentsagung bis zur letzten Konsequenz zu gehen, so dass eine Art Frühwarnung möglich wäre. Ein Vergleich der Ereignisse der letzten Jahre erträgt dabei folgendes:

- Gefährdet sind naturgemäss nur Gruppierungen, die das irdische Leben bloss als Vorbereitung auf ein nächstes, eigentliches Leben gelten lassen. Die irdische Existenz wird als defizitär abgewertet, Sehnsucht nach dem Kommenden bricht aus.

- Wenn dieses irdische Leben unwichtig ist, kann dessen Qualität keine Ursache irgendwelcher Ueberlegungen sein. Eine gefährdete Gemeinschaft gibt mithin keine Tips für ein besseres Leben im Diesseits, sie beschränkt sich auf Hinweise für ein besseres Leben im Jenseits.

- Irdische Bindungen sind für die Vorbereitung auf das jenseitige Leben hinderlich. So ist es typisch für Gruppierungen auf dem Sprung ins andere Leben, dass sie Ehen aufbrechen resp. die Sexualität verbieten. Jim Jones hat Ehen willkürlich aufgelöst, junge Frauen wie Männer hatten statt dessen ihm zur Verfügung zu stehen. Vernon Wayne Howell alias David Koresh hat alle Ehen geschieden und sämtliche Frauen mit sich selbst verheiratet. Bei den Sonnentemplern wurden Ehepaare getrennt und neu kombiniert. Freier Zugriff der Führung war ebenfalls selbstverständlich. Gruppierungen, die die Ehe als Institution achten oder gar fordern, zeigen dadurch, dass sie mit dieser Welt weit mehr versöhnt sind als Gemeinschaften, die eine Ehe nur als hinderlich betrachten. Insofern sind es gerade die vielkritisierten "Massenhochzeiten", die eine gewisse Gewähr dafür bieten, dass der Vereinigungskirche ein entsprechend tragisches Ende kaum bevorsteht.

- Die Absage an die Welt in letzter Konsequenz, der Selbstmord, kann als maximal denkbare Form der Hingabe und Gehorsamsleistung nur der höchsten Autorität gegenüber erbracht werden. De facto kann nur Gott selbst den Selbstmord anordnen. So ist es typisch für gefährdete Gruppierungen, dass der heilsgeschichtliche Anspruch der Führung jede auch nur relative Bescheidenheit ausser acht liess. Jim Jones proklamierte sich zu "Gott", David Koresh unterschrieb seine letzten Briefe als Koresh Jahweh, und für die Heaven's Gate-Anhänger war nicht fraglich, dass Gott in Gestalt der Psychiatrieschwester Nettles unter ihnen weilte und sie nun via ihren Sohn Applewhite zu sich rief. Meister, die so bescheiden bleiben, sich als Gott untergeordnet zu erleben, sind offenbar weit weniger in Gefahr, einen Massenselbstmord anzuordnen (und wenn sie es dennoch tun, wird ihnen nicht gefolgt, vgl. die vergebliche Aufforderung Shoko Asaharas an seine Anhänger, Selbstmord zu begehen).

Georg Otto Schmid, 1997

 

Das Aussehen eines Ufonen von der "Nächsten Ebene" nach der Heaven's Gate-Homepage:


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