Evangelische Informationsstelle: Kirchen - Sekten - Religionen

Heilungsdienst in der Landeskirche?

Charismatik in der Landeskirche Teil I.

aus: Informationsblatt Nr. 2/96

 

Das organisierte Beten für körperliche Heilung, meist Heilungsdienst genannt, ist in letzter Zeit in verschiedenen reformierten Kirchgemeinden zum Thema geworden. Meist sind es charismatisch geprägte Pfarrerinnen und Pfarrer, die dieses Element ihrer Theologie in ihre Gemeinde einbringen und praktisch umsetzen möchten. Mancherorts führt dieses Ansinnen zu etlicher Spannung in der Gemeinde, ist doch ein solcher Heilungsdienst weder in der reformierten Tradition vorgesehen, noch entspricht er den Anliegen einer durch die Aufkärung geprägten Theologie, welcher es um ein gutes Einvernehmen mit der weltlichen Wissenschaft, in unserer Frage ist zuerst natürlich die Medizin betroffen, zu tun ist. Im folgenden soll einerseits die Position der charismatischen Theologie kurz dargestellt werden, andererseits seien einige kritische Anfragen an diese aus nichtcharismatischer Sicht gestattet.

 

Der charismatische Heilungsdienst und seine neutestamentliche Begründung

Jegliche Form des Heilungsdienstes in protestantischen Gemeinden geht historisch zurück auf die Pfingstbewegung aus dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Diese Bewegung bildete in der Folge die sogenannten Heilungsevangelisten heraus, zu nennen wären etwa William Branham, Oral Roberts, Tommy Lee Osborn oder Kathryn Kuhlman, welche das Gebet um körperliche Heilung in Grossveranstaltungen praktizierten. Dieser nichtinstitutionellen Heilungstätigkeit stellt die sogenannte Dritte Welle, die neocharismatische Bewegung der 80er Jahre, den organisierten gemeindlichen Heilungsdienst zur Seite. Hier werden Gemeindeglieder, denen nach dem Befund eines der in charismatischen Kreisen populären Gabentests die Gabe der Heilung zukommt, in eigene "Heilungsteams" berufen, die dann den erkrankten Gemeindegliedern zur Verfügung stehen. Auf diese Weise durchorganisiert wurde der Heilungsdienst exemplarisch in den Vineyard-Gemeinden; das Vineyard-Heilungsteam-Modell ist es denn auch, das manchem reformierten Seelsorger für die eigene Gemeinde vorschwebt.

Nach Dafürhalten der charismatischen Bewegung begründet sich der Heilungsdienst aus dem Neuen Testament. Hier sei er vorgesehen, ja eigentlich gefordert. Bei der Begründung dieser These stehen drei Bibelstellen im Vordergrund: Mk 16,17f; 1 Kor 12,9 und Jak 5,13f.

Im das Markusevangelium beendenden Kapitel 16 spricht Jesus davon, dass folgende Zeichen die Gläubiggewordenen begleiten würden: "In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, in neuen Zungen werden sie reden, Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches getrunken haben, wird es ihnen nicht schaden, Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden genesen."

In 1 Kor 12 behandelt Paulus die verschiedenen Gaben des Heiligen Geistes, die den Christen zukommen können. Paulus erwähnt hier, dass manchen Christen die Gabe der Heilung gegeben worden sei.

Das fünfte Kapitel des Jakobusbriefes bespricht nebst anderem das richtige Vorgehen im Krankheitsfall: "Ist jemand unter euch krank, so lasse er die Aeltesten der Gemeinde zu sich rufen, und sie sollen über ihm beten und ihn im Namen des Herrn mit Oel salben. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten."

Aus diesen drei Texten (weitere angeführte Stellen sind argumentatorisch weit schwächer und können deshalb hier beiseite bleiben) liest die charismatische Bewegung den Auftrag der Christen zur Einrichtung eines Heilungsdienstes ab. Einige kritische Anfragen drängen sich hier aber auf.

 

Kritische Anfragen an die biblische Begründung des Heilungsdienstes

Schon bei oberflächlicher Lektüre der oben genannten Texte wird klar, dass sie grosse Differenzen aufweisen. Ist nach Mk 16 die Fähigkeit zu heilen jedem Christen gegeben, kommt sie nach 1 Kor 12 ausdrücklich nur einigen zu, die vom Heiligen Geist speziell damit begabt sind. Auch nach Jakobus 5 sollen nur ausgewählte Christen heilen, allerdings ist die Fähigkeit des Heilens nach Jakobus nicht an eine spezielle Begabung, sondern an ein spezielles Amt, das des Aeltesten, gebunden. Was denn nun? Alle drei Varianten können nicht gleichzeitig zum Zug kommen. Die Charismatische Bewegung führt im allgemeinen alle drei Texte zur Begründung ihres Heilungsdienstes an, ohne deren Differenzen zu diskutieren. Faktisch wird bei der Einrichtung der Heilungsteams 1 Kor 12, die Basis der charismatischen Gabentests, zugrundegelegt, die Abweichungen der beiden anderen Texte werden nicht beachtet. Diese mehr oder minder willkürliche Beschränkung auf einen Text erscheint mir aber problematisch, insbesondere, wenn sie dann mit dem Anspruch versehen wird, besonders bibeltreu zu sein.

Im Gegenteil muss diese disparate Situation ernst genommen werden und zu theologischen Konsequenzen führen. Offensichtlich präsentiert das Neue Testament drei verschiedene Hinweise zum Thema Heilungsdienst (faktisch sind es gar vier, das Schweigen mancher neutestamentlicher Schriften zum Thema Auftrag zu Heilen kann durchaus so verstanden werden, dass nach Dafürhalten der Verfasser ein solcher Auftrag nicht besteht). Daraus folgt, dass das Neue Testament eine allgemeinverbindliche Anweisung zur Heilung nicht gibt. Vielmehr spiegeln sich in den verschiedenen Texten verschiedene Heilungs-Praktiken in verschiedenen Gemeinden, die nun im Neuen Testament gleichberechtigt nebeneinander und gleichberechtigt neben Texten, die einen Heilungsdienst nicht kennen, stehen. Dieser Befund wird für die Einschätzung der Möglichkeit und der Bedingungen eines charismatischen Heilungsdienstes in der Landeskirche wichtig sein.

 

Heilungsdienst in der Kirchengeschichte?

Im Rahmen der Kirchengeschichte bleibt die Suche nach Belegen für einen von Christen praktizierten Heilungsdienst erfolglos. Die Quellen der Kirche des Altertums schweigen zum Thema. Das mittelalterliche Christentum kennt zwar durchaus die Bitte um körperliche Heilung, allerdings hat diese in der Heiligenverehrung, nicht im Rahmen eines wie auch immer gearteten Heilungsdienstes ihren Platz. Die Stelle Jakobus 5 wird im Sinne seelischer Heilung interpretiert und begründet das Sakrament der Letzten Oelung. Den Reformatoren war der Heilungsdienst kein Anliegen (mit Ausnahme des späten Luther). Johannes Calvin lehnt einen Heilungsdienst ausdrücklich ab. Er meint in Bezug auf Jakobus 5 (Institutio IV 19,18): "Jedoch hat jene Gnadengabe der Heilungen aufgehört, genau wie auch die anderen Wunder, die der Herr für eine Zeitlang geschehen lassen wollte, um die Predigt des Evangeliums, die doch etwas Neues war, für alle Ewigkeit wunderbar zu machen. Wenn wir also auch noch so nachdrücklich zugeben, dass die Oelung ein Sakrament (d.h. ein Zeichen) jener Kraftwirkungen war, die damals durch die Hand der Apostel ausgeteilt wurden, so hat das heute mit uns nichts zu tun, da uns die Austeilung solcher Kraftwirkungen nicht anvertraut ist".

Das hier von Calvin geradezu klassisch dargestellte Verständnis der körperlichen Heilungen im besonderen und der neutestamentlichen Wunder im allgemeinen ist das cessationistische. Cessationismus meint die Lehre, dass die Wunder, körperliche Heilungen eingeschlossen, mit dem Tod der Apostel, nach anderer Ansicht mit der Fertigstellung des neutestamentlichen Kanons, aufgehört hätten. Dies schliesst körperliche Heilung durch Gott auf das Gebet des Kranken hin nicht aus, ein

(Mit-)Wirken der Heilung durch Dritte im Sinne eines Heilungsdienstes aber wohl. Dieser cessationistische Ansatz wird in der Folge im Protestantismus nicht bestritten, auch der Pietismus stimmt ihm voll zu.

Der Heilungsdienst muss mithin als eine Neuschöpfung der Pfingstbewegung gelten, auf kirchengeschichtliche Vorbilder kann er sich nicht berufen.

 

Möglichkeit und Bedingungen eines charismatischen Heilungsdienstes in der Volkskirche

Grundsätzlich kann in der reformierten Landeskirche, die sich als pluralistische Kirche versteht, durchaus Platz sein für einen charismatischen Heilungsdient. Der oben dargestellte neutestamentliche Befund, der darauf hinweist, dass in der ersten Christenheit verschiedene Haltungen zum Thema der körperlichen Heilung nebeneinander vertreten wurden, bestärkt und bestätigt eine solche Offenheit. Allerdings sind m.E. folgende Fragen und mögliche Gefahren im Auge zu behalten:

- Die Offenheit der reformierten Landeskirche gegenüber dem charismatischen Heilungsdienst darf keine Einbahnstrasse sein. Von den Charismatikern ist dieselbe Offenheit den Christinnen und Christen gegenüber, die einen Heilungsdienst skeptisch betrachten, zu fordern. Jede Qualifikation heilungsdienstskeptischer Christen als ungläubig oder kleingläubig ist gerade vor dem Hintergrund der sehr fraglichen biblischen Abstützung des Heilungsdienstes inakzeptabel. Auch kann es nicht angehen, dass Gläubige, die an der reformatorischen Theologie festhalten, in der reformierten Kirche in ihrem Glaubensstand angezweifelt werden.

- Von seiten der Charismatiker in der reformierten Kirche ist darzulegen, wie ein reformiert-charismatischer Heilungsdienst aussehen könnte, der der Tradition der reformierten Kirche Rechnung trägt. Eine blosse Imitation freikirchlicher Gepflogenheiten kann hier nicht das Ziel sein (und wird letztlich nichts ertragen, da es den Freikirchen selbstverständlich besser gelingen wird, Freikirche zu sein).

- Die charismatische Gabentheologie ist daraufhin zu prüfen und zu hinterfragen, ob sie nicht das zentrale reformatorische Prinzip des Priestertums aller Gläubigen und damit der Gleichstellung aller Christinnen und Christen vor Gott tangiert.

- In diesem Zusammenhang ist die Gefahr des charismatischen Star-Heilertums zu nennen, wie es an Figuren wie Benny Hinn bestens zu beobachten ist. Heiler-Stars sind in der Volkskirche sicher unerwünscht. Was unternehmen hier die charismatischen reformierten Theologen, um diese jederzeit mögliche Konsequenz von Gaben- und Salbungstheologie zu verhindern?

- Die charismatische Theologie hat sich die Frage zu stellen, ob sie mit ihrer Betonung der körperlichen Heilung nicht einem obschon modernen, so doch ausgesprochen problematischen Menschenbild das Wort redet (oder allenfalls sogar von diesem abhängig ist): Nur der gesunde Mensch ist der eigentliche Mensch, Krankheit ist Defizit, nur schlecht und möglichst sofort zu beseitigen. Damit wird der kranke Mitmensch auf nicht akzeptable Weise herabgewürdigt, und es gerät ausser Blick, dass gerade auch Krankheit ein möglicher Weg Gottes mit dem Menschen sein kann.

- Die entscheidende Frage ist aber die nach der Art und Weise, wie im Rahmen eines reformiert-charismatischen Heilungsdienstes mit der grossen Mehrheit von Hilfesuchenden umgegangen wird, die trotz Heilungsdienst keine Heilung erfährt. Eine Infragestellung des Glaubensstandes des Nichtgeheilten ergibt sich, trotz gegenteiliger Beteuerung von charismatischer Seite, aus dem Setting des Heilungsdienstes praktisch von selbst. Hier muss ein reformiert-charismatischer Heilungsdienst bewusst Gegensteuer geben, sonst richtet er weit mehr Schaden an, als er allenfalls Hilfe bringt. (Die inoffizielle Lösung des Problems durch manch pfingstlerisch-charismatische Freikirche, dass sich die Nichtgeheilten nämlich nach ein paar fehlgeschlagenen Versuchen resigniert aus der Gemeinde zurückziehen, kann für die Landeskirche nicht in Frage kommen.)

- Ein m.E. ausgesprochen problematischer Aspekt des charismatischen Heilungsdienstes stellt die Tatsache dar, dass (zumindest m.W.) niemand für den charismatischen Heilungsdienst eintritt, der nicht auch den Befreiungsdienst, den charismatischen Exorzismus, befürwortet. Dieser Zusammenhang kann von der reformierten Kirche, die, durch schreckliche historische Erfahrungen belehrt, bewusst keine Exorzismen durchführt, nicht einfach hingenommen werden. (Dem Thema Befreiungsdienst wird die Fortsetzung dieses Artikels in der nächsten Ausgabe des Informationsblattes gewidmet sein).

Georg Otto Schmid


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