Evangelische Informationsstelle: Kirchen - Sekten - Religionen

Das Bibelstudium der ICOC

Themen, Texte und Tricks im deutschsprachigen Bibelstudium der International Churches of Christ (Internationale Gemeinden Christi)

 

0 Inhalt

1 Einleitung

Das Bibelstudium der ICOC, eine einführende Zusammenstellung grundlegender Lehren der International Churches of Christ, ist von den ICOC-Gemeinden im deutschen Sprachraum, Berlin, Düsseldorf, München, Wien und Zürich, im Februar 1997 neu auf deutsch herausgegeben worden. Es trägt in der neuen, gehefteten Edition den Titel "Grundlagen aus der Bibel" und ersetzt im Gebrauch lose Blätter, die als Uebersetzungen aus dem amerikanischen Original bisher als Unterlage zum Bibelstudium dienten.

Die Bedeutung des Bibelstudiums für die ICOC ist enorm, dies aus theologischen und praktischen Gründen. Auf theologischer Ebene geht die ICOC davon aus, dass eine Taufe nur dann gültig ist, wenn der Täufling sich vor der Taufe entschieden hat, ein Jünger zu sein. Wie kann aber jemand sich zum Jüngersein entscheiden, wenn er gar nicht weiss, was Jüngerschaft beinhaltet? Dies zu zeigen, die Bedeutung des Jüngerseins nach Ansicht der ICOC darzulegen, unternimmt das Bibelstudium. Folgerichtig steht an seinem Ende die Taufe des Bibelstudenten.

Aus dieser theologischen Bedeutung leitet sich die praktische ab, geht es doch darum, aus einem Menschen, welcher neu in Kontakt mit der ICOC kommt, einen getauften Anhänger der Gemeinschaft zu machen. Es obliegt mithin dem Bibelstudium, die spezifischen Lehren der Gemeinschaft soweit zu vermitteln, dass der Interessent in die Gemeinde integrierbar ist. Dabei sind, s.u., einige happige Brocken zu schlucken.

Das Unterfangen, einen Durchschnittsmenschen unserer Zeit in eine radikale religiöse Gemeinschaft zu integrieren, ist keine leichte Aufgabe. Es kann deshalb nicht erstaunen, dass das Bibelstudium einiges an recht durchdachten Strategien beinhaltet, dass sich hinter der unscheinbaren Fassade einer Anleitungsschrift zur Bibellektüre ein elaboriertes Konzept zur gleichermassen ideologischen wie psychischen Beeinflussung des Interessenten verbirgt. Symptomatisch für den strategischen Aufwand, der hinter der Abfassung des Bibelstudiums steckt, ist der quasi kanonische Rang, der dem Text zukommt. Die einzelnen Lektionen dürfen keinesfalls abgewandelt werden, der Text wird von der Zentrale der ICOC überwacht.

2 Zielsetzung

Im folgenden soll der neuerschienene deutsche Text des Bibelstudiums untersucht werden. Dabei liegt das Schwergewicht auf der Herausarbeitung der Methoden, die die ICOC anwendet, um der studierenden Person ihre eigene Sicht der Dinge näherzubringen. Die ICOC geht dabei auf zwei Ebenen vor:

- Einerseits plausibilisiert die ICOC ihre Thesen durch eine Darstellung und Auslegung der Bibel, die das ICOC-Lehrkonzept als die Form des Christentums, die der Bibel am nächsten steht, erscheinen lässt. Die zu diesem Zweck angewandten auslegerischen Tricks sollen benannt werden.

- Unterhalb der rational-ideologischen Ebene, auf dem Felde psychischer Prozesse, unternimmt es die ICOC, den Bibelstudenten in seiner Selbstwahrnehmung und seinem Selbstbewusstsein zu erschüttern und ihm die Mitgliedschaft in der ICOC als Quelle eines neuen Selbstbewusstseins und der wahren Selbstwahrnehmung anzutragen. Die zu diesem Ziel führenden psychischen Vorgänge werden ebenfalls durch das Bibelstudium provoziert; infolge der Tatsache, dass dieses nur zum Teil offen formuliert ist, kann mit einem gewissen Recht von psychischer Manipulation gesprochen werden. Diese psychisch manipulativ wirkenden Elemente des Bibelstudiums sind gesondert herauszuheben.

3 Das Setting des Bibelstudiums

Dem Menschen, der neu mit einer ICOC-Gemeinde in Kontakt gekommen ist, wird die ungeheure Bedeutung des Bibelstudiums für die Gemeinschaft sehr schnell bewusst, obschon die Rede vom Bibelstudium innerhalb der Gemeinde verniedlichend und verharmlosend ausfällt. Wer sich auf der Strasse oder in der Uni-Mensa einen Flyer der lokalen ICOC-Gemeinde in die Hand drücken liess und sich durch die Ankündigung, es hier mit einer Gemeinschaft von aufgestellten jungen Erwachsenen zu tun zu haben, verleiten lässt, einen Gottesdienst zu besuchen, wird dort bald feststellen, dass verschiedene der dort Anwesenden, die ihn im übrigen äusserst interessiert und liebevoll annehmen, ihm einen Vorschlag machen: "Wir haben gerade eine Bibelstudiengruppe begründet, willst du mitmachen?", oder "Möchtest du mit mir die Bibel studieren?" Zaudert unser Interessent, weil die nähere Beschäftigung mit der Bibel nicht gerade zu seinen dringlichsten Prioritäten in Sachen Weiterbildung gehört, wird er feststellen, dass die Zahl der eingehenden Telefonate an seiner der Gemeinde hinterlassenen Adresse in den nächsten Tagen sprunghaft ansteigt. Inhalt: "Willst du nicht doch.. wir können ja mal ein-zwei Lektionen probehalber anschauen...". Weil unser Interessent derart nette, um ihn besorgte Menschen nicht gerne enttäuscht (und er anderweitige Absichten angesichts der Tatsache, dass alle um ein Bibelstudium werbenden Personen vom selben Geschlecht sind wie er selbst, geruhsam ausschliessen kann), lässt er sich erweichen und geht hin.

Ueblicherweise wird das Bibelstudium zu dritt oder zu viert abgehalten, wovon nur einer ein Neuinteressent ist. Die anderen haben ihr eigenes Bibelstudium längst absolviert und sind getaufte Mitglieder. Dieser Sachverhalt wird dem Neuinteressenten nicht immer offen dargelegt, so dass dieser unter Umständen den Eindruck erhalten kann, er sei nicht der einzige "Neue" (aber offenbar der einzige, der mit den Texten Probleme hat). Zeitlich ist das Bibelstudium, je nach Abkömmlichkeit des Interessenten, möglichst eng terminiert, das heisst, die Treffen finden alle zwei bis drei Tage statt. Am Ende des Bibelstudiums steht die Taufe, manchmal schon vierzehn Tage nach dem ersten Kontakt. Grund für diese Eile ist einerseits der Druck innerhalb der ICOC, statistische Vorgaben betreffs missionarischen Erfolgs, die jede Gemeinde von der Zentrale in Los Angeles erhält, zu erfüllen. Und missionarischer Erfolg misst sich für die ICOC in der Zahl der Taufen. Der Taufakt kann so in einen Statistik-Abschluss-Stress geraten, was unter Umständen zu nächtlichen Taufen mit notfallmässig aufgebotenem Publikum führt.

Andererseits hat sich für die ICOC ein schneller Ablauf des Bibelstudiums bewährt dahingehend, dass langfädige Verläufe weit seltener zu einer Taufe führen als zeitlich gedrängtes Vorgehen.

Die ICOC-Mitglieder, die am Bibelstudium teilnehmen, sind seitens der ICOC gehalten, mit dem Interessenten eine persönliche Freundschaft aufzubauen und ihn auch privat, ausserhalb des Bibelstudiums, zu treffen.

Die Lektionen werden der Reihe nach absolviert, bei Bedarf, z.B. im Falle eines Interessenten aus der charismatischen Bewegung, kommen zusätzliche Lektionen, etwa über den Heiligen Geist, zum Einsatz. Grundsätzlich darf zur nächsten Lektion nur dann fortgeschritten werden, wenn über die vorangegangene Einmütigkeit besteht, wenn also der Interessent alle bisher eingebrachten ICOC-Lehren akzeptiert hat. Bestehen bei irgendeiner Lektion unüberwindliche Differenzen, wird das Bibelstudium abgebrochen.

Schon aus dem Setting des Bibelstudiums ist einiges an psychisch wirksamen Methoden zu gewinnen, nämlich:

- Der Neuinteressent steht i.A. einer Ueberzahl von Mitgliedern gegenüber, die eine argumentatorisch geschlossene Front bilden und damit in der Diskussion klar überlegen sind. Für die Argumente des "Neuen" ist deshalb grundsätzlich kein Durchkommen.

- Der Neuinteressent gerät damit in eine defizitäre Position: Er ist der Abweichler, der die Einmütigkeit stört. Wird er anfangs auch mit einer gewissen Unbefangenheit seine Position vertreten, nach einer gewissen Zeit stellt diese Stellung als Störefried hohe Anforderungen ans Selbstbewusstsein: Warum bringe ich das friedliche Gespräch dieser netten Leute immer durcheinander? Mancher Einwand wird da lieber beiseitegeschoben, für später aufgehoben und dann vergessen.

- Der Neuinteressent ist der einzige, dem das Bibelstudium nicht auf Anhieb einleuchtet. Dies bedeutet eine Verstärkung der defizitären Position des "Neuen". Scheint ihm diese Tatsache anfangs noch natürlich, wird er mit der Zeit an seiner Intelligenz zweifeln, oder aber an der Ernsthaftigkeit seiner Verstehensbemühung. Beides führt zum gewollten Ziel: Aus dem gemeinsamen Studium wird eine Belehrung des Neuen, der sich anstrengt, sich das Dargebotene möglichst umfassend anzueignen.

- Diese Motive zur Unterdrückung eigener Anfragen an den Lehrstoff werden verstärkt durch die ostentative Freundlichkeit und Freundschaftlichkeit der Mitstudierenden. Wer möchte schon gerne einen neugewonnenen Freund mehr als nötig betrüben? Der Verlust der Freundschaft durch Abbruch des Bibelstudiums hängt als Damoklesschwert ständig über der Veranstaltung, eine Drohung, die den Neuinteressenten umso schwerer trifft, je weitmaschiger sein soziales Netz ist.

- Eigenem Nachdenken über den erarbeiteten Stoff bleibt damit die Zeit ausserhalb der Bibelstudien vorbehalten. Diese ist aber, da das Bibelstudium zeitlich möglichst eng geführt wird, im allgemeinen knapp bemessen. Parallele private Bibellektüre liegt da meist nicht drin. Allfällige terminliche Freiräume werden mit freundschaftlichen Aktivitäten möglichst ausgefüllt. Dazu kommt die zunehmende Integration in die Gemeinde (s.u.) samt daraus resultierender zeitlicher Inanspruchnahme. Das Gesamtbild ergibt eine faktische Unmöglichkeit, sich den Stoff des Bibelstudiums privat und in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Natürlich gilt dies umsomehr, in je kürzeren Abständen die einzelnen Treffen des Bibelstudiums stattfinden. Daran liegt wohl, dass die ICOC mit zeitlich schnellen Bibelstudien bessere Erfahrungen macht als mit über Monate sich erstreckenden.

4 Bibelstudium oder ICOC-Studium?

Im Vorwort der herausgebenden Gemeinden liest der Interessent: "Obwohl die folgenden Schriftstellen deutlich sind und für sich alleine sprechen, wird die Gruppendiskussion empfohlen. Ein tieferes Verständnis wird dadurch möglich sein und die Erfahrung anderer kann wertvolle Hilfe und Anregung bei der Anwendung für das eigene Leben geben." (s.3)

Hier sind wir mit dem ersten auslegerischen Trick der ICOC konfrontiert. Die ICOC behauptet, ihr Bibelstudium würde nichts anderes beinhalten als biblische Texte, die allein durch ihre Lektüre zum Resultat der Anerkennung der ICOC-Lehren führen würden. In Tat und Wahrheit spricht im ICOC-Bibelstudium mitnichten die Bibel für sich, es ist im Gegenteil in drei Schritten massiv interpretatorisch, auslegerisch eingegriffen worden:

 

Ausgangslage: Text der ganzen Bibel

1. interpretatorischer Schritt: Auswahl

2. interpretatorischer Schritt: Zusammenstellung und Reihung

3. interpretatorischer Schritt: Kommentar zu jedem Bibeltext

 

Diese drei Schritte werden von der ICOC schlicht nicht angegeben, obwohl jede dieser Bearbeitungen in die Botschaft der Bibel stark eingreift. Einzig der vierte Schritt, die interpretierende Gruppendiskussion, wird zugestanden, aber als für die Aussage des Studiums unerheblich dargestellt.

Tatsächlich sind alle diese Bearbeitungsschritte der biblischen Botschaft für ein Verständnis im Sinne der ICOC unerlässlich:

- Niemand kommt bei blosser Lektüre der ganzen Bibel zu denselben Schlussfolgerungen wie die ICOC. Millionen von Menschen lesen die ganze Bibel. Keiner von diesen vertritt nachher das ICOC-Lehrkonzept.

- Sogar nach Durchführung des ersten Schrittes, der Auswahl, kann vermutet werden, dass niemand durch die Lektüre der behandelten Texte in beliebiger Reihenfolge zu einer der spezifischen ICOC-Lehren gelangt.

- Erst die Zusammenstellung und Reihung ergibt einen gewissen "spin" hin zu manchen der ICOC-Aussagen. Die Mehrzahl der ICOC-Lehren würde aber auch einem Menschen, der die von der ICOC verwendeten Bibelstellen in der ICOC-Reihenfolge, aber ohne ICOC-Kommentar liest, verborgen bleiben, da sie sich nicht auf das naheliegende Verständnis der angeführten Passagen, sondern z.T. auf ein recht weit hergeholtes abstützen (s.u.).

Die Aussage der ICOC, dass allein die Lektüre der Bibel zur Annahme der ICOC-Lehren führen würde, ist damit klar faktenwidrig. Im Gegenteil, niemand kommt durch die Lektüre der Bibel allein zu den Schlussfolgerungen der ICOC. Der Kommentar der ICOC ist für eine Annahme der Lehren der ICOC unerlässlich.

(Der Schöpfer des Kommentars, die ICOC-Leitung um Kip McKean, ist damit für die ICOC notwendige Offenbarungsquelle; deshalb ist die Frage des "Bibel und...", das Sektenkriterium der ICOC selbst, für die ICOC positiv zu beantworten: Bibel und Kommentar der ICOC; Bibel und Lehramt der ICOC).

An Bibelübersetzungen wird seitens der ICOC empfohlen "eine allgemein anerkannte Uebersetzung, wie z.B. Luther-Bibel, Einheitsübersetzung, Elberfelder-Bibel". Im folgenden wird dem ersten dieser Tips nachgelebt und jeweils die Luther-Bibel angeführt.

5 Die einzelnen Lektionen

5.1 "Gott suchen"

Das erste der Bibelstudien beschäftigt sich mit der Frage nach Gott und will die Wichtigkeit dieser Frage für den Menschen unterstreichen.

Es rekurriert auf die Texte: Apg 17,16-31; Jer 29,11-14; Apg 8,26-40; Apg 17,10-12; Joh 1,18 und Joh 20,30-31.

Inhaltlich ist das erste Bibelstudium so offen formuliert, dass mancher religiös Suchende ihm ohne weiteres beipflichten wird. Neben den Unstrittigkeiten läuft aber unterschwellig einiges an sehr spezifischer ICOC-Botschaft einher, z.B. bei der Diskussion des Kämmerers aus Aethiopien, der den Tempel in Jerusalem besuchte und sich von Philippus belehren und taufen liess. Hier findet sich zur Stelle Apg 8,26-40 der Kommentar:

"Was beschreibt den Kämmerer?

1. ein sehr wichtiger und beschäftigter Mann

2. findet dennoch Zeit für Gott (Reise nach Jerusalem)

3. ergreift Initiative und liest die Schrift (Bibel) allein

4. ist demütig und fragt um Hilfe

5. trifft eine Entscheidung aufgrund dessen, was er gelernt hat

6. handelt nach seiner Entscheidung

7. ist fröhlich und glücklich, weil er Gott kennengelernt hat."

Die ICOC-Beschreibung des Kämmerers liest sich wie ein Spiegelbild des bevorzugten ICOC-Anhängers, der als beruflich erfolgreicher Mensch in einer Top-Position steht und eine entsprechende terminliche Auslastung aufweist, sich aber dennoch Zeit nimmt für Gott (die ICOC-Aktivitäten), und seinen Leiter/Hirten gegenüber demütig ist und um Belehrung fragt. Mit dem Kämmerer aus dem Neuen Testament hat diese Beschreibung weit weniger zu tun. Dass der Mann in seiner Position terminlich besonders ausgelastet ist, steht nirgendwo (Es ist auch sehr unwahrscheinlich. Im Alten Orient sind Top-Positionen i.A. für vergangene Taten verliehen und durch ein Leben in Musse gekennzeichnet. Die effektive Arbeit leisten Untergebene). Die Aussage, dass der Kämmerer "dennoch" Zeit für Gott findet, ist folglich in die Bibel hineingetragen. Aus der Tatsache, dass der Kämmerer klar umrissenes Unwissen von einem, der auf diesem Bereich besser Bescheid weiss, beheben lassen will, auf eine allgemeine Demut des Kämmerers zu schliessen ist ebenfalls sehr gewagt (nicht jeder Anruf beim Elektriker ist ein Zeichen umfassender Demut).

Die ICOC liest also hier nicht aus der Bibel heraus, sondern in sie hinein. Ziel dieses auslegerischen Tricks ist es hier, den Interessenten schon früh mit dem Bild des Jüngers, das die ICOC entwirft, vertraut zu machen. Für die ICOC muss der Kämmerer ein gestresster und demütiger Mann gewesen sein, weil jeder wahre Jünger gestresst und demütig ist.

 

Weiteres über das Bild des Jüngers in der ICOC ist zu erfahren aus der Behandlung der Geschichte von Apg 17.10-12, eine der bevorzugten Bibelstellen der ICOC: "Die Brüder schickten noch in der Nacht Paulus und Silas weiter nach Beröa. Nach ihrer Ankunft gingen sie in die Synagoge der Juden. Diese waren freundlicher als die in Thessalonich; mit grosser Bereitschaft nahmen sie das Wort an und forschten Tag für Tag in den Schriften nach, ob sich dies wirklich so verhielte. Viele von ihnen wurden gläubig..."

Die ICOC fragt hier: "Was beschreibt die Leute aus Beröa?

1. freundlicher Charakter, Integrität

2. enthusiastisch

3. forschten täglich in den Schriften, ihre persönliche Suche war ihnen wichtig und wertvoll."

Es zeigt sich wieder dasselbe Phänomen: die Jüngervorstellung der ICOC wird in die Bibel hineingetragen. So weiss die Apostelgeschichte von einem Enthusiasmus der Beröer nichts zu berichten, aus "grosser Bereitschaft" Enthusiasmus herauszulesen stellt eine massive Zuspitzung dar insofern, dass zwischen Bereitschaft für eine Sache und Enthusiasmus dafür etliche Zwischenstufen möglich sind (kommt dazu, dass das Wort "Enthusiasmus" ja ein griechisches ist, es könnte folglich wörtlich im Urtext stehen, wenn es denn gemeint wäre. Dies ist nicht der Fall). Aber der immer enthusiastische ICOC-Jünger wird hier zum Vorbild der Beröer, die damals ja nicht anders gewesen sein können, ganz egal, was die Bibel sagt.

Die Beröer-Geschichte dient der ICOC, zwar nicht im Bibelstudium, aber in der nachfolgenden gemeindlichen Belehrung, noch für weiteres: Sie soll die Praxis der täglichen "Kraftzeit", der frühmorgendlichen Bibellektüre anhand von vorgegebenen Bibellese-Heften, begründen. Wie die Beröer einst täglich in den Schriften forschten, so sei es heute Aufgabe des Jüngers, dasselbe zu tun.

Damit wird, ein weiterer auslegerischer Trick, aus einer Erzählung ein Gebot gemacht. Eine ausgesprochen fragwürdige Sache: Nichts am Text deutet darauf hin, dass der Verfasser der Apostelgeschichte das Verhalten der Beröer als für alle Christen verbindlich betrachtet (kommt hinzu, dass die das Alte Testament studierenden Beröer zum Zeitpunkt ihres Studiums noch keine Christen waren. Ob sie ihr tägliches Studium nach ihrer Hinwendung zum Christentum fortgesetzt haben, bleibt offen, nach dem Duktus des Textes ist es gar unwahrscheinlich: Ging es ihnen ja nur darum, zu prüfen, ob die Predigt des Paulus dem Alten Testament entspricht. Diese Prüfung ergab, dass dem so ist, worauf sich die Beröer dem Christentum anschlossen. Weshalb sollte diese Prüfung nach erfolgtem Ergebnis weitergeführt werden?).

Wenn aus Erzählungen der Bibel Verhaltensmasstäbe für Christen abgeleitet werden, sind der Willkür Tür und Tor geöffnet, insofern dann aus jedem Bericht ein Gebot gemacht werden kann. So lässt sich alles und jedes begründen. Das Neue Testament selbst weiss aber zwischen der sprachlichen Form der Erzählung und derjenigen der Anweisung sehr wohl zu unterscheiden.

 

Am Ende einer jeden Lektion des Bibelstudiums findet sich eine "Persönliche Entscheidung", die als Quintessenz des Gelernten seine nunmehrige Anwendung auf das Leben des Studierenden bestätigen soll. Beim ersten Bibelstudium lautet die Entscheidung:

"Ich werde weiter in der Bibel lesen (Empfehlung: in Johannes- oder Markusevangelium weiterlesen).

Ich werde geistliche Veranstaltungen besuchen (z.B. Bibelkreistreffen, Gottesdienste)."

Der Interessent nimmt sich folglich vor, das Bibelstudium weiterzuführen. Andererseits soll er möglichst sofort die Veranstaltungen der ICOC frequentieren. Dies ermöglicht folgende, für die ICOC günstige Kostellationen:

- Die soziale Integration des Interessenten erfolgt vor seiner ideologischen. Dies entlastet die ICOC von einem Grossteil des Legitimationsdruckes im Bibelstudium, insofern der Interessent ja sein neues soziales Umfeld nicht durch Sich-Querlegen beim Studium gefährden möchte. Im Gegenteil, er wird selbst das Bedürfnis haben, der sozialen Einordnung die weltanschauliche folgen zu lassen.

- Die zeitliche Inanspruchnahme des Interessenten steigt, die Zeit zur privaten Ueberprüfung des Bibelstudiums wird knapper.

- Es ergibt sich die Möglichkeit, dass der Interessent über das Argument der "praktischen Verifikation" den Lehren der ICOC zustimmt. Dies heisst, dass er bereit ist, Lehren, die ihm theoretisch nicht einleuchten, zu akzeptieren, weil deren Folgen, das ach so tolle Gemeindeleben der ICOC, wie es der "Neue" (noch) erlebt, ja so gut sind. Und kann aus falscher Lehre Gutes folgen? Das Argument kehrt sich allerdings allsbald um, sobald das Neumitglied weniger angenehmen Praktiken der ICOC, dem Spendendruck und dem Discipling, ausgesetzt ist. Dann ist es eben die Lehre, die diese schwierigen Konzessionen nötig macht. Der sich so ergebende Ablauf ist recht manipulativ:

Die Lehre wird akzeptiert, weil sie so angenehme Folgen zeitigt.

Unangenehme Folgen werden später akzeptiert, weil sie sich aus der Lehre begründen.

Bekehrungen nur auf der Schiene der "praktischen Verifikation" sind aufgrund dieses Widerspruches im allgemeinen wenig dauerhaft. Die "praktische Verifikation" schenkt der ICOC aber durch die Rückstellung kritischer Anfragen die Möglichkeit, über soziale Integration und Gewöhnung eine positive Akzeptanz der Lehre zu bewirken.

5.2 "Jesus"

Die Argumentation des zweiten Bibelstudiums verläuft unter Verwendung der Texte Mk 1; 1. Joh 2,3-6 und Joh 14,6 in einem Dreischritt:

 

1. Ein Jünger hat die Aufgabe, Jesus nachzufolgen. Nachfolge bedeutet, möglichst so zu sein wie Jesus.

2. Jesus ist der einzige Weg zu Gott.

3. (Schlussfolgerung:) So zu sein wie Jesus ist der einzige Weg zu Gott.

 

Diese Argumentation wirft einiges an theologischen Fragen auf, die die ICOC nicht anspricht, sondern übergeht. Die Problematik begründet sich in der Darstellung der Person Jesus Christus im Neuen Testament. Jesus wird einerseits als Mensch geschildert, und als solcher ist er Vorbild für die Christen. Andererseits erscheint Jesus unter verschiedenen Titeln als göttliche Gestalt mit entsprechenden Fähigkeiten, und als solche ist Jesus der einzige Weg zu Gott. Dieser Göttlichkeit Jesu kann seitens des Christen natürlich nicht nachgeeifert werden, die empfohlene Haltung der Göttlichkeit Jesu gegenüber ist der Glaube.

Folglich ist es neutestamentlich gesehen der Glaube an die Göttlichkeit Jesu, die den einzigen Weg zu Gott darstellt, und nicht etwa das Sein wie Jesus.

Die angeführte Differenzierung mag spitzfindig erscheinen, dem Neuinteressenten wird sie deshalb auch nicht auffallen. Sie hat aber enorme praktische Konsequenzen:

Wenn der Christ aus der Ueberzeugung lebt, dass er durch seinen Glauben an Christus erlöst ist, weiss er sich grundsätzlich von Gott angenommen, trotz seiner im Alltag immer wieder auftretenden Unzulänglichkeiten.

Wenn der ICOC-Anhänger der Ueberzeugung ist, dass er nur dann erlöst werden kann, wenn er sich ständig bemüht, wie Jesus zu sein, dann wird jede Unzulänglichkeit im Alltag zur Gefährdung des Seelenheils. Das Resultat ist dauernder Kampf.

Dieses Lebensgefühl des dauernden Kampfes gegen jede auch nur minimale Sünde, dieser ethische Perfektionismus, ist denn auch typisches Kennzeichen der ICOC. Jede noch so geringfügige Sünde kann das Seelenheil gefährden, weil sie vom Weg des "wie Jesus Seins" abbringt. Für das ICOC-Mitglied, das in diesem Kampf steht, sind deshalb sündenverhindernde Mechanismen wie das Discipling überlebensnotwendig. Wer sich immer genau an die Anweisung seines Disciplers hält, kann nicht sündigen, da sündhaftes Verhalten, das vom Discipler befohlen wird, von diesem "gedeckt" ist, die Sünde wird also dem Discipler angerechnet, nicht dem Mitglied, das den Befehl ausführt. Diese neutestamentlich gesehen absurde Lehre wird plausibel, ja förmlich notwendig unter der Vorgabe des Möglichst-sündlos-Seins, wie sie die ICOC postuliert.

Biblisch gesehen ist durch diese Vermischung der menschlichen und der göttlichen Natur in Jesus Christus, wie sie die ICOC predigt, aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft geworden.

Die ICOC führt, getreu ihrem Motto des "wie Jesus Seins", im siebenten Studium eine Testfrage ein für alle ethischen Alltagsentscheidungen: "Wie würde Jesus handeln?". Diese Testfrage ist nach obigem als äusserst unfair zu bewerten. Der sündlose Gottmensch hat selbstverständlich andere Handlungsmöglichkeiten als ein Jünger. "Würde Jesus auch in die Ferien fahren, oder würde er am Missionsprojekt der ICOC mitwirken?". Solche Fragen vermögen einen ungeheuren moralischen Druck zu erzeugen. Natürlich weiss niemand, ob Jesus sich nicht auch Mussetage gegönnt hat, aber sicherheitshalber, um sein Seelenheil nicht zu gefährden, wird der ICOC-Anhänger dann wohl doch darauf verzichten. Die Absurdität des Argumentes kann jedoch anhand einiger Beispiele leicht gezeigt werden:

1. Du segelst auf dem See, plötzlich kommt ein Sturm auf. Wie würde Jesus handeln?

2. Du gibst eine Party. Da geht dir der Wein aus. Wie würde Jesus handeln?

Der neutestamentliche Jesus kann als Gottmensch nur ganz beschränkt als Verhaltensvorbild für die Christen dienen.

 

Ein Beispiel aus dem zweiten Bibelstudium mag die erwähnte Vermischung der beiden Naturen, der göttlichen und der menschlichen, in Christus durch die ICOC belegen:

Im Kommentar zu Mk 1,26-28 meint die ICOC: "Kunde von ihm (Jesus, o.s.) erscholl im ganzen Land; Jesu Art und Weise hat die Leute tief beeindruckt. Sind heutzutage Gemeinden, die von sich behaupten, Jesus nachzufolgen, bekannt für ihre Art und Weise?".

Die Ansicht des Neuen Testaments, dass die Zeitgenossen Jesu insbesondere durch seine Göttlichkeit beeindruckt waren, wird hier schlicht übergangen. Denn einer aus Göttlichkeit folgenden "Art und Weise" kann eine Gemeinde natürlich nicht nachfolgen.

 

Weiters scheint auch im zweiten Bibelstudium das Bild des Jüngers nach Ansicht der ICOC durch, so im Kommentar zu Mk 1,35:

"Gebet (mit Gott zu reden) war Jesus sehr wichtig: "noch vor Tage" zeigt, dass er nach einem anstrengenden Abend nicht ausgeschlafen hat, er holte seine Kraft für das Leben von Gott; wir sollten dem Gebet die gleiche Priorität geben, um unsere Beziehung mit Gott zu pflegen und ein christliches Leben zu leben."

Hier sieht man förmlich den übernächtigten ICOC-Anhänger vor sich, der bis nach Mitternacht gemeindlich beschäftigt war, dann noch zwei Stunden für sein Studium oder seinen Beruf arbeitet, und trotzdem vor sechs wieder aufsteht, um seine "Kraftzeit" zu halten.

Die Argumentation ist hier sehr fragwürdig. Einerseits wird wiederum aus einer Erzählung ein Gebot abgeleitet. Zum zweiten wird die Frage schlicht übergangen, dass Jesus als Gottmensch gegebenenfalls auf Schlaf hätte verzichten können, was einem Menschen nicht möglich ist. Zum dritten wird die Stelle recht überspannt interpretiert. Ob der Vorabend für Jesus wirklich lang und anstrengend war, wird in der Stelle nämlich nicht angegeben, es wird nur erwähnt, dass nach Sonnenuntergang zahlreiche Menschen zu heilen waren. Wieviel Zeit und Kraft dieses in Anspruch nahm, ist aber die Frage, da von Jesus sehr schnelle und auch Massenheilungen berichtet werden. Ausserdem wäre für eine Bewertung der Länge der nächtlichen Ruhe eine Kenntnis der Jahreszeit unerlässlich. Hier liest die ICOC wiederum ihr Jüngerschafts-Ideal ins NT hinein.

 

Die "Persönliche Entscheidung" am Ende des zweiten Bibelstudiums fasst das Gesagte zusammen:

"Jesus ist Gottes Sohn; er ist der einzige Weg zu Gott.

Ich will in allen Bereichen meines Lebens lernen zu leben, wie Jesus gelebt hat (z.B. Gebet, Nächstenliebe, als Menschenfischer leben, etc.)"

Wer die Vermischung der zwei Naturen in Christus, wie sie die ICOC lehrt, nicht erkennt und dieser "Persönlichen Entscheidung" bedingungslos zustimmt, hat schon einen wesentlichen Schritt hin Richtung Integration in die ICOC getan.

5.3 "Das Wort"

Während die zweite Lektion einen grossen lehrmässigen Brocken präsentierte (allerdings ohne dass er für den wenig vorinformierten Neuinteressenten erkennbar war), bringt die dritte Lektion eine Verpflichtung auf die Bibel als Gottes Wort, welcher manche Freikirche beistimmen würde. Bei der Anwerbung von Menschen, die bisher in einer Freikirche aktiv waren, stellt diese Lektion kein Problem dar. Für nichtevangelikale Menschen beinhaltet sie einen grossen Schritt.

An Texten wird verwendet: Hebr. 4,12-13; 1. Tim. 4,16; Mk 7,6-9; Joh 8,31-32; 1.Kor 1,10-13; 2. Tim 4,3-4; Joh 12,47-48.

Da die Lehre der Inspiration der Bibel kein ICOC-Spezifikum darstellt und damit für die Sektenhaftigkeit ihrer Strukturen nicht verantwortlich sein kann, soll sie hier nicht erörtert werden.

 

ICOC-spezifisch ist jedoch der Kommentar zu 1.Kor 1,10-13: "Glaubensrichtungen: Warum gibt es so viele Gemeinden? Aufgrund eines erschreckenden Mangels an Einheit. Die Menschen folgen eher Männern und deren Glaubensbekenntnissen als Jesus und seinen Worten".

Von "Glaubensbekenntnissen" ist an der genannten Stelle nicht die Rede. Die ICOC liest hier eines ihrer Lieblings-Feindbilder frisch fröhlich in die Bibel hinein. Gemeinden mit Glaubensbekenntnissen, so die Meinung der ICOC, sind falsch, die ICOC hat keines (zumindest kein schriftliches), ist also in Ordnung.

Damit beginnt die systematische Etablierung eines Feindbildes mit Inhalt "alle anderen Christen". Alle anderen Christen sind im Irrtum, nur wir stehen in der Wahrheit. Dieses Feindbild wird im Bibelstudium nicht offen dargelegt, sondern quasi homöopathisch verabreicht, was als manipulativ gelten kann (dass andere Kirchen, z.B. die traditionellen Churches of Christ oder die reformierten Kirchen in der Schweiz, ebenfalls kein Glaubensbekenntnis kennen, wird selbstverständlich nicht erwähnt. Im Falle der reformierten Kirchen findet sich nicht einmal ein de facto-Glaubensbekenntnis in Form von Glaubenssätzen, denen alle zustimmen (müssen). Die ICOC kennt solches sehr wohl, kann also nicht als Gemeinde ohne Glaubensbekenntnis durchgehen).

Weiters ins Auge sticht der Verzicht der ICOC auf Selbstkritik. Biblische Hinweise, die als Mahnung an alle Christen gelten können, werden nicht mal versuchsweise auch auf die eigene Gemeinschft angewendet. Möglicherweise folgt ja auch die ICOC eher Männern als Jesus und seinen Worten? Das kann nicht sein, das braucht man sich nicht mal zu fragen. Mahnende Hinweise betreffen grundsätzlich nur die anderen.

Tatsächlich haben Männer in der ICOC eine ungeheure Bedeutung, und es kann durchaus gesagt werden, dass die ICOC vorerst mal vor allem Kip McKean folgt. Deutlich wurde dieses bei der Uebernahme der Crossroads-Bewegung durch die ICOC. Damals erging von seiten der ICOC an alle lokalen Crossroads-Gemeinden die Aufforderung, sich der Jurisdiktion der ICOC (also Kip McKeans) zu unterstellen. Es ist der ICOC folglich wichtig, dass man dem richtigen Mann folgt. Genau davon handelt 1. Kor 1,10-13, allerdings ablehnend.

 

Am Ende der dritten Lektion entscheidet sich der Neuinteressent: "Die Bibel ist das inspirierte Wort Gottes; es wurde von Menschen aufgeschrieben, aber von Gott eingegeben.

Ich vertraue der Bibel und mache sie, nicht meine Gefühle, zum neuen Masstab meines Lebens".

5.4 "Sünde"

Dass der Begriff der Sünde für das Glaubensleben der ICOC eine ungeheure Bedeutung hat, wurde schon oben angetönt. Hier, in der vierten Lektion, geht es nun darum, dass der Interessent erkennt, dass er ein Sünder ist, wobei der Blickwinkel nicht auf einer grundsätzlichen Sündhaftigkeit als Geschick des Menschen liegt, sondern auf einer Auflistung von Einzelsünden. In diesem Zusammenhang wird der Sündenbegriff ausgeweitet, manches erscheint für die ICOC als Sünde, das in der Bibel nirgendwo als solche bezeichnet wird.

Als Texte finden Verwendung: Röm 3.23-24; Gal 5,19-21; Off 21,8; Jes 59,1-2 und zusätzliche Schriftstellen (s.u.)

 

Die Ausweitung des Sündenbegriffs zeigt sich etwa im Kommentar zu Off 21,8, eine Stelle, die meint: "Die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Unzüchtigen und Zauberer und Gützendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod".

Die ICOC meint hierzu: "Feigheit und Lügen: Gott nimmt beides nicht auf die leichte Schulter. Und du? Wie leicht werden Angst und Lügen entschuldigt. (z.B. Notlügen). Sünde führt zum 'See von brennendem Schwefel', der zweite Tod ist die Hölle. Die Bibel spricht hier eine deutliche Sprache, die in einer Welt der 'toleranten Religionen' nicht gerne gehört wird. Aber 'dieses Ende' steht bevor, wenn wir Sünde mehr lieben als Gott."

Die Begriffe der "Feigheit" und der "Lüge", in dem Text aus Off deshalb ganz negativ gewertet, weil er zu Christen in einer Verfolgungssituation spricht, in welcher Feigheit und Lüge zur tödlichen Gefahr für die Gemeinschaft werden können, weitet die ICOC kaum merklich, aber ausgesprochen effizient aus: Sie spricht im Kommentar plötzlich von Angst statt von Feigheit. Angst wird Sünde, natürliche menschliche Regungen werden zur Bedrohung fürs Seelenheil. Die Folge ist Gefühlskontrolle, Unterdrückung der Angst. Die Ausweitung der "Lüge" auf Notlügen, die ja auf einer ethischen Güterabwägung beruhen, ist ebenfalls äusserst problematisch. Dass der Text Notlügen, die ja das Gute wirken wollen, mitmeint, müsste zuerst bewiesen werden.

Dass die ICOC die Punkte der Feigheit und der Lüge derart betont, ist kein Zufall. Beide Verhaltensweisen sind für die ICOC-Gemeinschaften kritisch. Wer seinen Discipler anlügt, entzieht sich dem ICOC-Kontrollmechanismus. Wer Angst hat, dem Zwang zur Mission nachzukommen, verhält sich sperrig zur Ausrichtung der ganzen Gemeinschaft auf missionarische Expansion. Mit beidem kann die ICOC nicht fertig werden, deshalb die Verschärfung einer ohnehin schon scharfen Stelle.

 

Genau in dieselbe Richtung zielt die Anführung der ersten der zusätzlichen Schriftstellen unter dem Titel "Faulheit": Spr. 6,6-11.

Wer die Stelle nachschlägt, findet, dass das Buch der Sprüche der Ansicht ist, dass ein fauler Mensch dumm ist, dumm insofern, als dass seine Faulheit zur Armut führt. Von Sünde ist hier keine Rede, auch nicht davon, dass Gott die Faulheit nicht gefallen würde o.ä. Es werden schlicht selbstverständliche Zusammenhänge zwischen Fleiss und Einkommen aufgezeigt. Die ICOC setzt diesen Text aber in die Lektion unter dem Titel "Sünde" und impliziert damit, dass Faulheit Sünde ist und Gott Faulheit bestrafen wird. Ganz offensichtlich gebraucht die ICOC den genannten Text, der von einer Sündhaftigkeit der Faulheit eben gerade nicht spricht, deshalb, weil sie zum Thema Faulheit in der ganzen Bibel nichts besseres gefunden hat. Faulheit ist für die Bibel zwar dumm, aber keine Sünde. Für die ICOC muss sie Sünde sein, da ein fauler ICOC-Anhänger in dieser Stresser-Gemeinschaft schlicht untragbar wäre. Die Argumentation ist damit eher manipulativ, insofern die ICOC ihr eigenes Wertesystem in die Bibel hineinträgt.

 

Eine andere Ausweitung des Sündenbegriffs ergibt sich aus der Uebertitelung der Stelle 1.Kor 6,9-11 mit dem Begriff "Homosexualität". Der Text handelt ausschliesslich von der Päderastie, also vom sexuellen Missbrauch junger Knaben durch erwachsene Männer, wie er in jedem Rechtsstaat strafbar ist. Homosexuelle Liebe erwachsener Menschen ist hier kein Thema. Die Ausweitung dieser Stelle auf die Homosexualität generell ist unhaltbar, geschieht aber im Interesse der ICOC, die mit der Homosexualität einige Probleme hat. Einerseits ist jede homosexuelle Betätigung, ja auch schon diesbezügliche Gefühle, für die ICOC klar sündhaft, andererseits schafft sie mit ihren engen Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Angehörigen der Gemeinschaft ein gutes Feld für das Aufbrechen derselben.

 

Weiters pflegt die ICOC im vierten Bibelstudium ihr Feindbild, durch die Umdeutung der Stelle 2. Tim 3,15, wo es um Falschheit geht, auf den Begriff der "Religiosität". Impliziert wird hier: Wer ausserhalb der ICOC religiös ist, ist gerade deshalb ein Sünder.

 

Interessant für die Argumentation in der achten Lektion ist ein bestimmter Abschnitt aus dem Kommentar der ICOC zu Gal 5: "'die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben', d.h. wenn nur eines dieser 'Werke des Fleisches', also Sünden, deinen Lebensstil prägt oder beschreibt, besteht keine Hoffnung auf Ewigkeit mit Gott"

Hier wird der Ausdruck "Reich Gottes" wie selbstverständlich mit der "Ewigkeit mit Gott" identifiziert. Dies wird zu merken sein.

 

Die "Persönliche Entscheidung" lautet diesmal:

"Ich sehe meine Sünde und verstehe die Konsequenz meiner Sünde, nämlich die ewige Trennung von Gott. Ich muss ehrlich die Frage beantworten, wo ich persönlich stehe".

Diese persönliche Entscheidung zeitigt nun Folgen schriftlicher Art. Der Interessent wird seitens des Bibelstudienleiters gehalten, eine Liste mit seinen bisherigen Sünden anzulegen. Diese findet in der folgenden Lektion dann eine überraschende Verwendung.

 

An psychisch wirksamen Prozessen ist hier wiederum einiges anzumahnen:

- Der Interessent wird Schritt für Schritt dazu geführt, dass sein Verhalten (und nicht etwa sein Glaube) das eigentliche Problem darstellt. Das Verhalten gerät immer mehr in den Blick.

- Er akzeptiert nach und nach eine immer rigidere Kontrolle und Bewertung des Verhaltens.

- Das Erstellen einer Sündenliste involviert den Interessenten persönlich. War bisher eine gewisse innere Distanz zum Bibelstudium durchaus möglich, ist dies nun nicht mehr denkbar. Jetzt wird die Sache des Interessenten verhandelt.

- Falls der Interessent sich am Bibelstudium bisher gar unter einem inneren Vorbehalt im Sinne von: "Ich höre mir das jetzt mal an, ob ich es dann für mein eigenes Leben anwende, entscheide ich später" teilgenommen hat, pulverisiert sich dieser jetzt. Mit Erstellung der Sündenliste wird der Interessent in die praktische Anwendung hineingeworfen.

- Durch die Sündenliste gerät der Interessent in eine Defizit-Position. Sein Verhalten liegt, schiftlich fixiert, weit neben dem, was eigentlich gefordert wäre. Er ist nicht in Ordnung.

- Diese Position des Defizits, des Nicht-in-Ordnung-Seins schreit nach Auflösung. Im Moment ist es die liebevolle Zuwendung durch die Gruppenmitglieder, die den "Neuen" trotz allem akzeptieren. Gefühle der Dankbarkeit des Interessenten sind die Folge.

5.5 "Das Kreuz"

Die fünfte Lektion, das Kreuz, kann als das Herz des Bibelstudiums gelten. Hier wird die Anwendung der Lehre auf den Interessenten auf die Spitze getrieben, die emotionale Beteiligung des "Neuen" ist am stärksten, Gefühle seitens des Interessenten sind für erfolgreiches Absolvieren der Lektion Pflicht: Ziel ist es, dass der "Neue" "zerbricht", emotional über seiner Sündenlast zusammenbricht. Bleibt dieses "Zerbrechen" aus, wird das Bibelstudium ausgesetzt.

An Texten finden Verwendung Mk 14,32-65; 15,1-37; Apg 2,22-23; 2.36; Apg 2,37-41; Apg 2,42-47; 1 Petr 2,21-25.

Zusätzlich findet sich auf viereinhalb Seiten (!) ein Text eines amerikanischen Arztes, der die körperlichen Leiden Jesu während der Kreuzigung medizinisch detailliert angibt (C. Truman Davis: "Die Kreuzigung Jesu", aus: Arizona Medicine 1965).

 

Eingestiegen wird mit diesem medizinischen Bericht, der sich erschütternd liest. Der unbefangene Leser ist entrüstet über die in der Antike übliche Brutalität, der Interessent für die ICOC soll aber noch zu anderen Emotionen hingeführt werden. Nicht die allgemeine Brutalität der Antike ist für Jesu Leiden verantwortlich, sondern...

Die Pfingstpredigt des Petrus (die vorangegangenen Pfingstereignisse unterschlägt die ICOC als anticharismatische Gruppierung natürlich) soll nun zeigen, wer für die Kreuzigung verantwortlich ist. Petrus spricht hier die "Männer von Israel" an, und meint, sie hätten Jesus "durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht".

Der unbefangene Leser versteht diese Passage ohne weiteres so, dass Petrus hier in etwa dieselbe Menschenmenge anspricht, die am Karfreitag von Pilatus die Kreuzigung Jesu gefordert hat. Die Mitverantwortung für die Kreuzigung ist folglich eine konkret-politische.

Die ICOC sieht das anders. Ihr Kommentar zur Stelle:

"Verantwortung: Unsere Sünde hat Jesus gekreuzigt; sie hat ihn von Gott, seinem Vater, getrennt". Davon ist im Text, den diese Aussage kommentieren soll, wirklich nicht die Rede.

Diese Aussage ist im Neuen Testament kaum abgedeckt. Zwar lässt sich aus der Bibel (nicht jedoch aus der angeführten Stelle!) problemlos gewinnen, dass Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist. Keinesfalls aber sind die Sünden der Menschen Ursache für die Kreuzigung. Ursache ist das Erbarmen Gottes. Der Unterschied mag geringfügig erscheinen, aber er hat nicht zu vernachlässigende Auswirkungen auf die emotionale Lage des Interessenten:

Die ICOC formuliert: Jesus ist wegen meiner Sünden gestorben. Das resultierende Gefühl ist das der Schuld. Mein mieses Verhalten hat Jesus alle diese Leiden zugefügt, von denen im medizinischen Bericht detailliert die Rede ist. Der Leiter des Bibelstudiums behändigt zu diesem Zeitpunkt die Liste der Sünden und nennt sie einzeln, parallelisiert sie allenfalls gar mit einzelnen Elementen des medizinischen Berichtes: diese Sünde ist für jenes Leiden verantwortlich etc. Du bist schuld, dass Jesus gekreuzigt wurde. Aus diesem Schuldgefühl heraus soll das ICOC-Mitglied fürderhin leben.

Ueblicherweise wird aus der Bibel gewonnen: Jesus ist für meine Sünden gestorben. Das resultierende Gefühl wäre dann das der Dankbarkeit für das unverdiente Geschenk und das der Reue gegenüber vergangener Sünden. Schuldgefühle wegen der Kreuzigung sind nicht am Platz.

Mit Dankbarkeit allein kann die ICOC offensichtlich nichts anfangen, deshalb diese eklatante, durch das Neue Testament nicht abgedeckte Zuspitzung ihrer Lehre.

 

Apg 2,37-41 berichtet von der Reaktion der Angesprochenen auf die Predigt des Petrus: "Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Busse, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden..."

Die ICOC kommentiert:

"Betroffenheit und Offenheit: 'Mitten ins Herz gegangen'; als die Leute Petrus hörten, waren sie betroffen über ihre Sünde. Wie fühlst du dich über deine Sünde? 'Was sollen wir tun?': die Zuhörer spürten die persönliche Verantwortung; sie waren bereit zu tun, was Gott erwartete, um es 'wieder gut zu machen'. Wie kannst du Gott zeigen, dass du es wieder gut mchen willst? Was bist du bereit zu tun? Gott verspricht uns die Vergebung unserer Sünde und seinen Geist, der uns die Kraft dazu geben wird."

Hier ist nicht nur der Kontext des Abschnitts, sondern jede biblische Basis gänzlich verlassen. Was können wir Menschen tun, um es wieder gut zu machen? Wenn wir Menschen die Möglichkeit hätten, es wieder gut zu machen, hätte es keine Kreuzigung gebraucht. Nach biblischer Ansicht sind die Menschen sind eben gerade nicht in der Lage, "es wieder gut zu machen". Nur Gott kann das. Deshalb war die Kreuzigung nötig. Hätte die ICOC recht, wäre Jesus umsonst gestorben.

De facto dient die Kreuzigung in der ICOC nicht einer Behebung, sondern einer Vermehrung der Schuld der Menschen. Sie müssen fürderhin nicht nur ihre eigenen Sünden "wieder gut machen", sondern auch die Kreuzigung, die durch diese Sünden ausgelöst wurde.

Für die ICOC ist diese Interpretation der Kreuzigung natürlich äusserst vorteilhaft, kommt doch vor allem sie in den Genuss der Wiedergutmachungsleistungen, zu denen die Christen aufgefordert sind. Insofern ist die Betonung des "Wieder-gut-machen-Müssens" keinesfalls eine zweckfreie theologische Einsicht, sondern Manipulation. Das Mitglied wird so in einem permanenten Stand der Schuld gegenüber Jesus und seiner irdischen Vertreter, der ICOC gehalten.

 

Diese Schuld ist abzutragen durch Einsatz für die ICOC, wie der Kommentar zu Apg 2,42-47 zeigt:

"Hingabe: Leute, die sich dem Kreuz öffnen, werden aus Dankbarkeit hingegeben sein: Jesus, dem Wort, Brüdern und Schwestern, Gebet (= Gott)".

Eine "Hingabe" an irgendjemanden ausserhalb der Gemeinde fällt hier nicht in den Blick. Die Wiedergutmachung der Schuld an der Kreuzigung endet an der Gemeindegrenze.

Die "Persönliche Entscheidung" lautet: "Jesus ist für meine Sünde gestorben. Ich werde meine Sünde hassen und Jesus hingegeben sein".

 

An psychischen Mechanismen ist die "Kreuz"-Lektion die reichhaltigste. Ziel ist das "Zerbrechen", eine möglichst totale emotionale Erschütterung samt Verlust jeglichen Selbstwertgefühls.

- Dazu wird von der Sündenliste reichlich Gebrauch gemacht. Die einzelnen Sünden sind so quasi die Nägel, die Jesus ans Kreuz geschlagen haben. Diese Personalisierung der Schuld an der Kreuzigung dürfte, so sollte man meinen, eigentlich recht oft zu vehementem Widerspruch seitens des Interessenten führen. Dass dies kaum der Fall ist, liegt daran, dass dieser Schluss geschickt vorbereitet wurde. Durch die Anlegung der Sündenliste ist der "Neue" bereits in eine derart prekäre Situation geraten, dass er der Uebernahme dieser zusätzlichen Schuld (er ist nicht nur ein schlimmer Sünder, sondern damit auch verantwortlich für die Kreuzigung) nichts mehr entgegensetzen kann. Für Opposition fehlt ihm der sichere Stand. Er hat die Fahnen des Selbstbewusstseins bereits in der Vorlektion eingeholt, diesen Banner nun plötzlich hochzuhalten, geht nicht.

- So bleibt nur noch der Weg, den der Bibelstudienleiter vorzeichnet, der des "Zerbrechens". Je eher dieses signalisiert wirt, desto eher verschwindet die Sündenliste von der Tagesordnung. Ein schnelles "Zerbrechen" wird so provoziert.

- Im Zerbrechen wird nun nicht etwa Vergebung zugesagt, sondern die Notwendigkeit der "Wiedergutmachung". Schnelle Gnade erhält der Interessent nur durch die Zuwendung der Gemeindeglieder, nicht in der Theorie. Die Lehre der ICOC verweist ihn vielmehr auf den langen Weg, den des sich Hocharbeitens.

- Der Interessent weiss mithin, dass er nur durch Taten für die Gemeinde aus seinem desolaten Zustand herausfinden kann. Er ist deshalb entsprechend zu diesen Taten motiviert, die von der Gemeinschaft denn auch honoriert werden.

- Die psychischen Abgründe des "Kreuz"-Studiums bleiben als Drohung im Hintergrund aber stets erhalten. Durch jede neue Sünde begibt sich das Mitglied wieder in diese Situation zurück, die Sünde ist ein neuer Nagel in Jesu Körper, ein neues "Zerbrechen" ist erforderlich, und natürlich neue Wiedergutmachung.

- So ist das Leben des ICOC-Mitgliedes gekennzeichnet von einem dauernden psychischen Wiedergutmachungsstress, der bestens mit dem äusseren Stress in dieser radikalen Gemeinschaft übereinstimmt.

5.6 "Umkehr - Taufe"

Die sechste Lektion, eine Doppellektion, die den Themen Umkehr und Taufe gewidmet ist, gibt dem im "Kreuz" erschütterten und "zerbrochenen" Interessenten weitere Hinweise, wie er aus seinem unseligen Zustand herauskommen kann, wie die "Wiedergutmachung" im einzelnen zu leisten ist.

5.6.1 Teil 1: "Umkehr"

Diese Lektion braucht den evangelikalen Terminus "Bekehrung" bewusst nicht, wie es denn überhaupt des öftern ein Anliegen der ICOC ist, sich vom Evangelikalismus abzusetzen; für die im Evangelikalismus wichtige Verehrung Jesu Christi hat sie etwa nur Spott übrig. Ein ICOC-Mitglied betet nie zu Jesus (wobei dieses natürlich mit der faktischen Unterdrückung der Göttlichkeit Jesu Christi durch die ICOC zu tun hat).

Die "Umkehr" ist für die ICOC, es wird nach dem bisher Gesagten nicht überraschen, geprägt vor allem von guten Werken, von tätiger Reue. Umkehren heisst, sich für die ICOC einzusetzen.

An Texten wird angeführt Lk 13,1-30; Apg 26,19-21 und 2 Kor 7,8-10.

 

Interessant im Hinblick auf die Jüngerschaftsvorstellung der ICOC ist hierbei der Kommentar zu Lk 13,24, wo Jesus meint: "Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht...":

"darum ringen, d.h. sich alle Mühe geben; dies fängt schon bei den Gedanken an; praktisch bedeutet dies, z.B. Unreinheit und Lüsternheit bekämpfen, nicht mehr lügen, Abneigungen gegen andere bekämpfen, Bedürfnisse anderer über die eigenen stellen, Höflichkeit und Respekt zeigen durch Pünktlichkeit usw."

Alle diese einzelnen, äusserst detaillierten Verhaltensanweisungen folgen für die ICOC aus der Formulierung "Ringt darum...". Dies ist Hineininterpretation krassesten Ausmasses. Von alledem steht im Text nichts, nur davon, dass man sich bemühen soll.

Die einzelnen Anweisungen sind wiederum passend auf die Bedürfnisse der ICOC zugeschnitten:

"Abneigungen gegen andere bekämpfen": Der ICOC-Vertreter darf menschlichen Sympathien und Antipathien nicht nachgeben, da diese die ostentative Freundschaft aller mit allen, die die ICOC zu leben vorgibt, bedrohen. Wenn dem ICOC-Mitglied folglich ein anderes Mitglied weniger sympathisch ist, hat es diese Tatsache als Defizit, ja als Sünde zu empfinden und entsprechend zu bekämpfen. Allgemein menschliche Regungen werden zu Sünde.

"Bedürfnisse anderer über die eigenen stellen": Im konkreten Fall sind es dann meist die Bedürfnisse der Gemeinde, die über den Bedürfnissen des einzelnen stehen. Wer auch für sich selbst schauen will, befindet sich in der ICOC immer auf der Kippe zur Sündhaftigkeit.

"Höflichkeit und Respekt zeigen durch Pünktlichkeit": Eine für die Gemeinschaft aus naheliegenden Gründen praktische Verhaltensregel. Die besondere heilsgeschichtliche Bedeutung der Pünktlichkeit aus dem Neuen Testament zu begründen dürfte der ICOC allerdings Mühe bereiten.

Besonders zu beachten ist die Heraushebung der Bekämpfung von "Unreinheit und Lüsternheit", auch in Gedanken. Hier befinden wir uns auf dem Feld, auf welchem im Rahmen der ICOC der härteste Kampf um Sündlosigkeit stattfindet. Insbesondere von Singles wird eine veritable Gedanken-Selbstkontrolle gefordert, insofern z.B. für ein männliches Mitglied jeder Blick auf eine Frau, der sich nicht strikte aufs Gesicht beschränkt, bereits als "Lüsternheit" und damit als Sünde gilt.

Es braucht angesichts dieser äusserst rigiden Regelung nicht zu überraschen, dass im Rahmen des Disciplings die Themen "Gedankensünden" und "Lüsternheit" den ersten Platz einnehmen. Die radikale Auffassung erklärt auch die sonst kaum verständliche Tatsache, dass bei ICOC-Mitgliedern durchaus eine halbe Stunde Discipling pro Tag nötig sein kann. Nur angesichts dieser strengen Auslegung ist es möglich, dass ein Mensch pro Tag genug Sünden begeht, um den Discipler eine halbe Stunde täglich zu beschäftigen.

 

Dass die Umkehr zwingend in Taten ausläuft, will die ICOC auch mit ihrem Kommentar zu Apg 26,19-21 belegen:

"Leben, nicht reden: Umkehr bedeutet 'rechtschaffene Werke', d.h. sie ist etwas Positives. Unkehr ist immer klar erkennbar, man kann sie sehen. In welchen Lebensbereichen erwartet Gott von Dir die Umkehr, die anderen auffallen wird?"

Diese Lehre vom zwingend gegen aussen sichtbare Christsein ist für die ICOC lebensnotwendig. Sie will alle Anhänger in die missionarische Bemühung einspannen, und das bedeutet Exposition. Mit "Stillen im Lande" kann die Gemeinschaft nichts anfangen. Folglich wird in die Bibel hineingelesen, dass tätiges, aber still wirksames Christsein kein Christsein ist. Nur wer scharf und schrill verkündigt, wie die ICOC es tut, kann als Christ gelten.

Vor dem Hintergrund des Urchristentums erscheint diese Forderung des auf jeden Fall öffentlich werdenden Christseins als absurd. Die meisten Christen, auch des Urchristentums, offenbarten ihr Christsein nicht öffentlich. Würde die ICOC-Darstellung zutreffen, wäre einerseits der Fisch als Geheimzeichen unnötig (wer sich öffentlich zu erkennen gibt, braucht kein Geheimzeichen, um sich intern zu erkennen geben), andererseits hätten sich Christenverfolgungen denkbar einfach gestaltet.

Manipulativ wirkt dieser Abschnitt einerseits insofern, als dass er nach dem "Kreuz"-Studium, welches für tätige Wiedergutmachung der persönlichen Schuld empfänglich macht, zu diesem Zweck vor allem Verhaltensweisen nahelegt, die der ICOC als Gemeinschaft zunutze kommen.

Zum anderen wird durch die Betonung des Kampfes gegen "Lüsternheit" eine Praxis der Gedanken-Selbstkontrolle eingeführt und eingeübt, die später auch auf andere Bereiche übertragen werden kann, wenn es dann nämlich darum geht, Kritik und Zweifel zu unterdrücken. Die Kategorie der "Gedankensünde" wird hier zugrundegelegt. Am Ende ihrer Entwicklung steht der "Gedanken-Stopp-Mechanismus", wie er aus diversen Sekten bekannt ist.

 

Am Ende des ersten Teils der sechsten Lektion wird der Interessent gefragt: "Hast du verstanden, was die 'Umkehr' in Apg 2,38 bedeutet und bist du dazu bereit? Dies ist die Voraussetzung für den nachfolgenden zweiten Teil über 'Taufe'."

5.6.2 Teil 2: "Taufe"

Die Lektion über die Taufe will belegen, dass auf Umkehr die Taufe zu erfolgen hat. In der Praxis dient sie dazu, dem Studierenden die Notwendigkeit einer Taufe durch die ICOC nahezubringen, auch wenn er schon als Kind und zuzüglich allenfalls in einer Freikirche als Erwachsener getauft wurde.

An Bibelstellen finden Verwendung: Apg 2,38; Röm 6,3-4 und Apg 22,14-20.

 

Bezeichnend ist der Kommentar zu der letztgenannten Passage, in welcher von der Bekehrung des Paulus die Rede ist:

"Totale Veränderung ist Gottes Plan; Paulus wurde vom Verfolger zum Verkündiger; Gott kann dich benutzen, wenn du bereit bist, dein Herz bei der Taufe völlig Gott zu geben."

Hier wird zum ersten eine Forderung gestellt, die so aus der Bibel nicht abzuleiten ist, und dann zweitens diese Forderung recht manipulativ kanalisiert.

Die Forderung nach "totaler Veränderung" bei der Umkehr stellt eine Ableitung eines Gebotes aus einer Erzählung dar, was auslegerisch sehr fragwürdig ist. Weiters liegt hier eine massive Verschiebung des Aussageziels der neutestamentlichen Rede von der Umkehr vor. Dem Neuen Testament geht es um das Ziel, das Christsein, ganz unbenommen von der Frage, wie gross der Schritt war, der dahin führte. Die ICOC legt das Schwergewicht auf die Grösse des Sprunges und fordert die "totale Veränderung". Dies hat Konsequenzen:

Für Paulus war nach dem Neuen Testament eine totale Veränderung gut möglich, vom Verfolger zum Verkündiger führt in der Tat ein grosser Schritt. Beim Durchschnittsmenschen, der sich keinerlei Christenverfolgung schuldig gemacht hat, macht sich der Umkehr-Schritt selbstverständlich bescheidener aus, besonders gar beim (häufigen) Fall, dass sich ein freikirchlich aktiver Mensch der ICOC anschliesst. Damit gerät der durchschnittliche Bibelstudien-Teilnehmer in ein Defizit: er kann keine Lebenswende paulinischen Ausmasses vorweisen. Diese müsste aber sein, da "totale Veränderung Gottes Plan" ist. Wie soll diese möglich sein?

Die ICOC steht hier hilfreich bei und gibt einen Tip, wie die Lebenswende trotz de facto wenig veränderter Lebenshaltung als "total" gelten kann: "totale Veränderung" ist dann, wenn "du bereit bist, dein Herz bei der Taufe völlig Gott zu geben", das heisst im Rahmen der ICOC, wenn der Täufling bereit ist, sich der ICOC bedingungslos zu unterstellen.

Die "totale Veränderung" meint in diesem Sinne den Sprung vom autonomen Menschen zum sich der Autorität der ICOC bedingungslos unterstellenden Mitglied. Und dieser Schritt ist dann in der Tat eine "totale Veränderung".

 

Die "Persönliche Entscheidung" meint:

"Ich werde biblisch umkehren von meiner Sünde und mein Leben als Jünger Jesu leben.

Aufgrund der Schriftstellen verstehe ich, dass vor der Taufe die biblische Umkehr notendig ist.

Bei der Taufe sterben wir unseren Sünden und fangen mit Jesus neu an."

5.7 "Jünger Jesu: Der Lebensstil"

Das Thema, das in den bisherigen Lektionen implicite oft angesprochen wurde, die Jüngerschaft, wird hier, in der siebenten Lektion, nun breiter ausgeführt. Christsein besteht, so die Aussage des Abschnittes, in Jüngersein, und dieses beruht darauf, sich selbst zu verleugnen und wie Jesus zu leben.

An Texten wird angeführt: 1 Joh 2,3-6; Apg 11,26; Mk 1,16-20; Mt 28,18-20; Lk 19,10; Lk 11,23; Lk 11,24-26; Lk 9, 23-26 und Mt 22,37-40.

 

Ein wichtiges Thema fürs Christsein ist nach ICOC dessen Begrifflichkeit. Hier liegt der ICOC alles daran, dass die Anhänger Jesu im Neuen Testament sehr oft als "Jünger", jedoch eher selten als "Christen" angesprochen werden. Die Bezeichnung Jünger finde sich 270 Mal im Neuen Testament, das Wort "Christen" jedoch nur 3 Mal. Mithin hätten sich die "Christen" als "Jünger" zu bezeichnen.

Obwohl die von der ICOC genannten Zahlenverähltnisse korrekt sind, präsentiert sich der biblische Befund nicht so eindeutig. So finden sich die 270 Nennungen des Begriffs "Jünger" nur auf fünf Bücher des Neuen Testaments verteilt. In den restlichen 22 Schriften taucht das Wort nicht auf (ein Tatbestand, den die ICOC selbstredend verschweigt). So essentiell kann seine Verwendung folglich nicht sein.

Der Zahlenvergleich "Jünger" - "Christen" ist aber auch deshalb nicht ganz ehrlich, als er alle weiteren Bezeichnungen für die Christen im Neuen Testament verschweigt und so tut, als gäbe es nur die beiden. So werden die Christen im Neuen Testament 65 mal "die Heiligen" genannt, eine Zahl, die bei numerisch fundierten Argumentationen nicht einfach unter den Tisch gewischt werden kann.

Irgendeine offizielle, vom Neuen Testament verpflichtend vorgegebene Bezeichnung der Christen gibt es nicht. Von diesem Faktum kann man sich leicht überzeugen, wenn man die Anreden der Christen in den verschiedenen Briefen vergleicht. Es zeigt sich hier keine offizielle oder auch nur offiziöse Terminologie.

Warum ist der ICOC die Festlegung der Mitglieder auf den Terminus "Jünger" derart wichtig? Grund ist das nicht ganz identische Bedeutungsfeld der Begriffe "Christ" und "Jünger", und zwar nicht nach biblischem Sprachgebrauch, sondern nach heutigem Verständnis. Während der heutige Mensch beim Wort "Christ" vor allem die Bedeutungen "an die Lehre des Christentums glauben" und "dem Christentum angehören", also statische Verhältnisaussagen, mithört, denkt man beim Wort "Jünger" an "nachfolgen" und "gehorchen", also an dynamische und submissive Elemente, die dem Bild des Christen in der ICOC weit mehr entsprechen als jede Form der Statik. Der Terminus "Jünger" beinhaltet, durchaus nach dem Verständnis des unvoreingenommenen Menschen, weit mehr von der Rolle des ICOC-Anhängers als der Begriff "Christ". Mit der Namens"änderung" wird mithin einiges an ICOC-Lehren mittransportiert.

 

Am Begriff "Jünger" werden nun die ICOC-Ideen über das Christsein festgemacht: "während seines Dienstes auf Erden definiert Jesus das Wort Jünger ganz genau", meint der Kommentar zu Apg 11,26; eigenartig nur, dass diese "ganz genaue Definition" nur dem auffällt, der die Bibel anhand des ICOC-Bibelstudiums angeht.

 

Hauptpunkt des Jüngerseins ist die "Nachfolge", wobei die ICOC hier wieder ein paar schöne Beispiele des Eigene-Lehren-in-die-Bibel-Hineinlesens präsentiert. So erschliesst sie aus der Aufforderung Jesu an Simon Petrus und Andreas: "Folgt mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen" gleich einiges:

"Jesus ruft dazu auf, ihm nachzufolgen und zu leben wie er, ein Christ zu sein bedeutet buchstäblich "wie Christus" zu sein, in Handlungsweise, Einstellung, Lebenszweck, Charakter und Träumen; ein Jünger fragt sich immer, was Jesus tun würde".

Dass die Aufforderung Jesu zur Nachfolge, die nichts anderes bedeutet als "Kommt mit mir", all dieses beinhalten soll, müsste zuerst bewiesen werden.

Tatsächlich liegt hier wiederum das Problem der Vermischung der zwei Naturen in Jesus Christus vor (s.o. zu Lektion 2). Ganz deutlich wird dieses am Verständnis der ICOC vom Begriff "Christ (christianos)", der übrigens buchstäblich keineswegs "wie Christus" bedeutet, sondern "zu Christus gehörig". "Wie Christus" kann nach biblischen Verständnis kein Mensch sein, da der Begriff "Christus", "Der Gesalbte" ausgesprochen die göttliche Natur in Jesus Christus betont. Die ist nicht zu imitieren.

Ins Auge sticht ferner die krasse Zuspitzung der Auffassung von "Nachfolge" im genannten Abschnitt. Gar im Charakter soll der ICOC-Anhänger Jesus ähnlich werden. Hier wird der psychischen (Selbst-)Manipulation Tür und Tor geöffnet. Der Charakter wird heute üblicherweise als vorgegeben verstanden, als von Gott geschenkt, wenn man so will, aber nicht als einer Veränderung zugänglich. Wer sich trotzdem bemüht, seinen Charakter gemäss einem bestimmten Ideal umzuformen, ist gezwungen, sich anders zu geben, als er wirklich ist, stets eine Rolle zu spielen, die einem nicht auf den Leib geschrieben ist. Daraus resultiert permanenter psychischer Druck und die daurende Erfahrung des "Es doch nicht Könnens". Das daraus sich ergebende fortwährende Defizit passt bestens in die "Du bist nicht in Ordnung"-Kultur der ICOC. In Aussteigerberichten spielt diese Charakter-Kontrolle durch die ICOC denn auch eine prominente Rolle.

Gänzlich problematisch wirkt die Forderung, seine Träume nach den Träumen Jesu auszurichten. Selbstverständlich lässt sich das Neue Testament nirgendwo explizit über die Träume von Jesus aus, es ist folglich immer die Leiterschaft der ICOC, die, mit welchen auslegerischen Tricks auch immer, bestimmt, was denn Jesu Träume sind. Diese Träume dann zu den eigenen machen zu wollen kann, im Endeffekt, Gedankenkontrolle bedeuten.

 

Zusammenzufassen sind diese Handlungsanweisungen unter dem im Kommentar zu Lk 9,23-26 hervorgehobenen Begriff der "Selbstverleugnung", der in der Verkündigung der ICOC einen ungeheuren Rang einnimmt. Mit dem Begriff wird die Hintanstellung jeglicher individueller Bedürfnisse gegenüber dem Wohl der Gemeinschaft motiviert.

 

Sehr eigentümlich nimmt sich der Kommentar zu Lk 11,24-26 aus, einer Stelle, die vom Ergehen eines Menschen spricht, der von einem Dämon befreit wurde. Es ist die Rede davon, dass der Dämon sich nach Austreibung Verstärkung holen würde und wiederum in sein Opfer eindringe, wenn er den Raum nicht "geschmückt" vorfinden würde. Daraus leitet die ICOC ab:

"Wie sehr sind wir bemüht, das Haus mit guten "Geistern" zu füllen; ein gesundes geistliches Leben ist gefüllt mit positiven, hilfreichen Aktivitäten (z.B. Bibel lesen, Gebet, Werke der Nächstenliebe usw.)"

Wer den bisherigen Argumentationsgang der ICOC verfolgt hat, wird hier stutzig, ging es doch bisher angeblich immer darum, die Bibel möglichst wörtlich zu nehmen. Hier nun nicht. Hier setzt sich die ICOC über den Wortsinn des Textes, der durchaus klar ist, hinweg und treibt damit genau die Form von Bibelauslegung, eine übertragende, die sie ansonsten scharf bekämpft. Der Text soll hier plötzlich ganz anderes heissen als er offensichtlich bedeutet. Es geht nun nicht mehr um den Menschen, der von Dämonen befreit wurde, sondern um den Neubekehrten. An diesen (und damit an alle ICOC-Mitglieder) richtet sich die Mahnung, das Haus zu "schmücken".

Die konkrete Ausgestaltung dieses "Schmückens" wird im NT nicht ausgeführt. Es wird nach allem aber nicht überraschen, dass die ICOC auch hier Genaueres weiss: "Bibel lesen, Gebet, Werke der Nächstenliebe usw.", nämlich "positiven, hilfreichen Aktivitäten". Offenbar fand die ICOC keine Bibelstelle, die die Notwendigkeit derselben besser zu begründen vermochte.

 

Hauptziel des Jüngerseins ist und bleibt für die ICOC aber die Mission. Zu diesem Behufe rekurriert sie auf den Missionsbefehl in Mt 28,18-20 (allerdings ohne ihre eigentümliche Interpretation der Stelle hier zu diskutieren) und gibt diesem ein Schema bei, das den üblichen Verfahren der Mission das revolutionär Neue der ICOC gegenüberstellen soll:

- Verfahren a) "Ein Prediger macht einen Jünger pro Tag"

Resultat nach 32 Jahren (eine Generation): 11680 Bekehrte

- Verfahren b) Jeder Jünger macht einen Jünger pro Jahr

Resultat nach 32 Jahren: 5 Milliarden Bekehrte

Dem unbefangenen Interessenten wird die Sache nun so präsentiert, dass Verfahren a) die Missionsweise aller übrigen christlichen Gemeinschaften sei, Verfahren b) dasjenige der ICOC. Die viel grössere Effizienz des Verfahrens b) beweise aber, dass nur die ICOC den Missionsbefehl wirklich ernst nehme und damit als christlich gelten könne.

Diese Argumentation ist aber höchst unfair:

Zum einen wird das Verfahren a) vollkommen verzerrt präsentiert, denn unter 365 neuen Anhängern einer Freikirche findet sich statistisch mindestens einer, der bereit ist, als Prediger zu wirken, eine neue Gemeinde zu gründen und damit die Vermehrungsrate zu verdoppeln. Im Prinzip kommt so das Verfahren a) zum genau gleichen Resultat wie das Verfahren b): in 32 Jahren ist die ganze Welt bekehrt.

Zum andern beschränkt keine Freikirche die Aufforderung zur Mission auf den Prediger. Der Unterschied zur ICOC besteht vielmehr darin, dass kaum eine christliche Gemeinschaft einen derartigen Druck zur Mission kennt wie die ICOC.

Durch die Geschichte der ICOC ist das Schema ohnehin überholt worden. Zeigte die Gemeinschaft in den ersten fünfzehn Jahren ihres Bestehens bemerkenswerte zweistellige Wachstumsraten, liegt das derzeitige jährliche Wachstum deutlich unter zehn Prozent und damit unter dem Wachstum vieler charismatischer Gemeinschaften. Das Argument der ICOC, ihr unvergleichliches Anwachsen würde die Wahrheit ihrer Lehre beweisen, hat sich mittlerweile gegen die Bewegung gekehrt, weshalb auch nicht mehr so gefolgert wird. Heute ist es nicht mehr das gewaltige Resultat der Mission, sondern die unvergleichliche Bemühung in der Sache, die als Wahrheitsbeweis herhalten soll.

 

Die "Persönliche Entscheidung":

"Ich möchte Gott von ganzem Herzen lieben und als Jünger leben".

5.8 "Das Reich Gottes - Gemeindeleben"

Die Doppellektion "Das Reich Gottes - Gemeindeleben" bringt den letzten grossen Schritt des Argumentationsverlaufes der ICOC. Hier geht es darum, die Bereitschaft des Interessenten zu tätiger Wiedergutmachung ("Kreuz") und sein Wille zur Nachfolge ("Jünger Jesu") auf ein Ziel hin zu richten: die ICOC selbst.

Wenn auch schon bisher die Unterschiede des ICOC-Lehrentwurfs zu evangelikaler Theologie deutlich war, z.B. in der Auffassung von Jesus Christus, so zeigt sich hier doch der eklatanteste Unterschied zwischen ICOC und Freikirchen: Während eine Freikirche es unternimmt, Jesus Christus zu verkündigen und sich selbst nur als ein menschliches Mittel zu dieser Verkündigung wahrnimmt, verkündigt die ICOC sich selbst. Die ICOC ist sich selbst ein wesentliches heilsgeschichtliches Ereignis. Dies zu belegen und aus der Bibel abzuleiten ist das Ziel der Lektion vom Reich Gottes.

5.8.1 Teil 1: "Das Reich Gottes"

Wenn das Neue Testament von Gemeinden von Christen spricht, und es tut dies naturgemäss nicht selten, so erscheinen diese zumeist als Zusammenschluss derer, die an Jesus Christus glauben, als Institution, die dem gemeinsamen Gottesdienst und der gegenseitigen Unterstützung der Christen dient.

Dies ist der ICOC offenbar zu wenig. Sie beansprucht für sich selbst eine heilsgeschichtliche Rolle. Diese ist im Neuen Testament aber unter dem Begriff der "Gemeinde" oder "Kirche" kaum zu finden.

Auf der Suche nach einem adäquateren biblischen Begriff für die eigene Organisation stiessen Kip McKean und seine Mitstreiter auf den des "Reiches Gottes", resp. des "Reiches der Himmel", wie es im Matthäus-Evangelium genannt wird. Die ICOC appliziert nun den Terminus des "Reiches Gottes" auf sich selbst. Sie, die ICOC, sei das Reich Gottes auf Erden, welches ca. 33 n. Christus an Pfingsten begründet worden sei, dann im Verlauf der Alten Kirchengeschichte verschwand, um 1979 von Kip McKean und seinen Getreuen in Boston wieder aufgerichtet zu werden.

Belegen will die ICOC diese Gleichsetzung der eigenen Organisation mit dem "Reich Gottes" anhand einer ganzen Liste von Bibelstellen, die im folgenden angeführt und diskutert werden soll.

 

Jes 2,1-5: Die Vision Jesaias vom universalen Friedensreich ("Schwerter zu Pflugscharen") soll eine Voraussage der Pfingstereignisse sein und damit auf die ICOC hinweisen. Diese Doppelgleichsetzung ist aber auslegerisch fragwürdig, da sie sich in ihrem ersten Schritt (Jesaias Friedensreich = Pfingsten) nur auf drei Begriffe abstützt ("in den letzten Tagen"; "alle Völker", "aus Jerusalem"), die in der Bibel alle eminent häufig sind. Mit dieser Methode ("Finde drei gleiche Begriffe") lassen sich jederzeit zwei völlig zufällig ausgewählte Bibeltexte von ausreichender Länge miteinander identifizieren, d.h. man kann so alles beweisen und nichts.

Von den drei Begriffen abgesehen findet sich zwischen Jesaias Vision und den Pfingstereignissen keinerlei Aehnlichkeit, insbesondere können die Pfingstereignisse nicht als "Erfüllung" der Vision in Jes 2 gelten, weil die spezifischen Voraussagen Jesaias, z.B. die politischen Implikationen, an Pfingsten eben gerade nicht erfüllt wurden. Jesaias Vision bezieht sich ganz klar auf eine Endzeit. Das bei Jesaia geschilderte Reich Gottes ist ein durchaus staatliches Reich, das am Ende der Zeit von Gott auf Erden errichtet wird.

Mit der ICOC hat Jes 2,1-5 dann gar nichts mehr zu tun.

 

Dan 2,44: "Und in den Tagen jener Könige wird der Gott des Himmels ein Reich erstehen lassen, das ewig und unzerstörbar bleibt, und die Herrschaft wird keinem andern Volke überlassen werden. Alle diese Reiche wird es zermalmen und vernichten, selbst aber in alle Ewigkeit betehen".

Dan 7,18: "und die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen, und sie werden das Reich behalten auf immer und ewig".

Auch diese beiden Passagen, die von einem endzeitlichen und eindeutig staatlich-politischen Reich Gottes sprechen, werden von der ICOC auf die Pfingstereignisse bezogen. Dafür spricht aber gar nichts. Die Zuordnung ist gänzlich willkürlich, ja verbietet sich bei seriöser Exegese von selbst.

 

Mt 3,1-3, Mt 4,17: Der Bussruf des Täufers und von Jesus: "Tut Busse, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" soll auf den Zeitpunkt der Gründung, 33 n. Chr. hinweisen. Diese Interpretation ist allerdings wenig naheliegend. Die Zeitgenossen verstanden unter "Reich der Himmel" wohl kaum die Gründung einer irdischen Organisation. Weshalb die Etablierung einer solchen eine persönliche Busse Jahre im Voraus motivieren sollte, ist völlig schleierhaft. Erklärbar wird der Bussruf nur unter der Annahme, dass hier endzeitliche Ereignisse, die jederzeit kommen können, verkündigt werden.

 

Mk 9,1: "Und er (Jesus) sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige (griech: tines) hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft".

Diese Passage, von Jesus ums Jahr 30 gesprochen, soll auf die Gründung der Gemeinde im Jahr 33 als "Reich Gottes" hinweisen. Allerdings fragt es sich dann, warum von Jesu Jüngern nur einige ("tines" meint "einige" im Sinne von: "es gibt welche, die" und bedeutet klar die Minderheit aller) diese drei Jahre überleben sollen. Die Mehrheit der Anwesenden stirbt in diesen drei Jahren? Zur Erklärung dieses Sachverhaltes müsste eine tödliche Epidemie unter der Anhängerschaft Jesu angenommen werden, von welcher allerdings weder die Evangelien noch die Apostelgeschichte zu berichten wissen. Vor Pfingsten stirbt nur ein Jünger: Judas.

Die Interpretation des "Reiches Gottes" als um 33. n. Chr. gegründete Gemeinde ist mithin nur als absurd angemessen zu beschreiben. Das "Reich Gottes" weist hier offensichtlich auf Ereignisse hin, deren Eintreten weit später gedacht wird (plausibel nach üblicher Lebenserwartung ist ein Zeitpunkt um 70 n. Chr.). Mit der Gründung der Gemeinde kann das "Reich Gottes" dann aber nichts zu tun haben.

 

Joh 3,1-7: Im Gespräch mit Nikodemus weist Jesus darauf hin, dass nur derjenige das "Reich Gottes" sehen kann, der von neuem geboren wird (V.3).

Die Passage meint mit Reich Gottes, für jeden unvoreingenommenen Leser durchsichtig, eine jenseitige Existenz, die nur dem Glaubenden sichtbar ist. Die Urgemeinde oder gar die ICOC kann hier deshalb nicht gemeint sein, weil sie durchaus auch für Nichtchristen sichtbare Grössen sind. Die ICOC kann jeder sehen, das "Reich Gottes" nur der Glaubende.

 

Lk 17,20-21: "Als er (Jesus) aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; mann wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch."

Die obige Stelle als Beweis der Identifikation von "Reich Gottes" und ICOC zu lesen setzt schon einiges an Voreingenommenheit für die Lehren der ICOC voraus. Hier ist nun wirklich klar, dass das "Reich Gottes" keine irdische Grösse darstellt. Genau darum geht es in diesem Text. Man könnte meinen, dass das Neue Testament hier exakt der Fehlinterpretation, die die ICOC liefert, vorbeugen möchte.

Insofern kann diese Interpretation als Musterbeispiel einer ideologisch verblendeten Bibelauslegung dienen. Was der Text sagt, ist letztlich egal. Man liest genau das, was man will, auch wenn es das exakte Gegenteil von dem ist, was eigentlich dasteht. Der Anspruch der ICOC, die bibeltreueste aller christlichen Gemeinschaften zu sein, wirkt hier schon beinahe ironisch. Was letztlich zählt, ist nicht die Bibel, sondern das, was Kip McKean dafür hält.

 

Mt 16,13-19: Hier wird Petrus als der "Fels" bezeichnet, auf welchem Jesus seine Kirche bauen will. Vom "Reich Gottes resp. der Himmel" ist aber nicht die Rede, weshalb der Text als Beleg für die Behauptung "Reich Gottes" = "Kirche" = "ICOC" nichts erträgt.

Die Anführung dieser Passage, die mit der Beweisführung nichts zu tun hat, kann deshalb nur als unfair bezeichnet werden. Der Bibelstudent, den angesichts obiger Texte Zweifel beschleichen mögen, ob das "Reich Gottes", wie von der ICOC behauptet, wirklich eine irdische Grösse ist, wird hier unvermittelt auf eine unbestrittenermassen weltliche Institution geworfen, und erhält so den Eindruck, hier das "missing link" zwischen "Reich Gottes" und "ICOC" in den Händen zu halten.

Plausibel ist die Anfügung dieses Textes aber nur, wenn schon davon ausgegangen wird, dass "Reich Gottes" und "Kirche" dasselbe meinen. Es wird mithin genau das vorausgesetzt, was erst bewiesen werden sollte. Der Bibelstudent wird also krass getäuscht.

 

Lk 24,44-49: Jesus spricht hier davon, dass in seinem Namen alle Völker missioniert werden würden.

Auch hier ist vom "Reich Gottes" nicht die Rede. Der Text gehört folglich ebenfalls nicht in die laufende Beweisführung hinein. Wenn der Bibelstudent, was natürlich beabsichtigt ist, dieses Fehlen des Begriffes "Reich Gottes" nicht bemerkt, schliesst er folgendes: "Das Reich Gottes ist offenbar nach Ansicht der Bibel gekennzeichnet durch Mission, folglich eine irdische Grösse, und zwar diejenige, die sich am meisten für Mission einsetzt: die ICOC". Damit tritt der Interessent in die argumentatorische Falle der ICOC.

Biblisch gesehen betreibt das "Reich Gottes" als jenseitige oder endzeitliche Grösse selbstverständlich keine Mission.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Identifikation des "Reiches Gottes resp. der Himmel" mit der Gemeinde, geschweige den mit der ICOC, in keinem Text der Bibel auch nur naheläge. Zahlreiche Texte schliessen eine solche Gleichsetzung gar eindeutig aus. Das "Reich Gottes" meint in der Bibel entweder ein endzeitliches, politisches Friedensreich oder aber ein jenseitiges Sein mit Gott.

Interessanterweise widerspricht auch die ICOC selbst ihrer eigenen Gleichsetzung, wenn sie in Lektion vier (s.o.) zu Gal. 5,19-21 meint: "'die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben', d.h. wenn nur eines dieser 'Werke des Fleisches', also Sünden, deinen Lebensstil prägt oder beschreibt, besteht keine Hoffnung auf Ewigkeit mit Gott".

Hier wird das "Reich Gottes" von der ICOC selbst nicht etwa mit der Gemeinde, sondern mit "Ewigkeit mit Gott" ineinsgesetzt. Damit bricht aber die ICOC-Argumentation zusammen wie ein Kartenhaus. Sie ist nämlich nur dann schlüssig, wenn das "Reich Gottes" immer die Gemeinde meint. Dass dies nicht so ist, gibt die ICOC hier selbst zu.

 

Weshalb diese Bemühung der ICOC, die Gemeinde um jeden Preis mit dem "Reich Gottes" zu identifizieren? Die Antwort auf diese Frage liefert die Bibelstelle, die im Bibelstudium auf die Liste der Stellen, die die Gleichsetzung beweisen sollen, folgt:

 

Es handelt sich um Mt 6,33. Hier spricht Jesus vorgängig davon, dass sich die Jünger nicht um Essen, Trinken und Kleidung sorgen sollen, sondern: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zuteil werden".

Wäre die Identifikation der ICOC korrekt, wäre hier zu lesen: "Trachtet zuerst nach der ICOC und nach Gottes Gerechtigkeit, so wird euch Essen, Trinken und Kleidung zuteil werden".

Mithin wäre der Jünger aufgefordert, sich nicht mehr um sein persönliches Wohl zu kümmern, sondern nur noch um das Wohlergehen der ICOC. Seine persönlichen Bedürfnisse werden so automatisch mitgestillt.

Dies ist selbstverständlich eine Aussage, die der ICOC sehr zupass kommt. Die Mitglieder setzen sich nur noch für die Gemeinschaft ein, Persönliches ist gänzlich unwichtig. Es erstaunt nicht, dass die genannte Stelle in der ICOC sehr häufig zitiert wird.

Der Kommentar der ICOC zur Stelle meint:

"Als Christen setzen wir das Reich Gottes an erste Stelle in unserem Leben"; zu lesen natürlich: "Als Christen setzen wir die ICOC an erste Stelle in unserem Leben".

Dies, die ICOC an erste Stelle im Leben zu setzen, ist die Forderung der ICOC an ihre Jüngerschaft, die so, in dieser Formulierung, in unzähligen Discipling-Gesprächen angemahnt wird: "Wenn du jetzt mehr für deine Ausbildung tust und so weniger Zeit hast für die ICOC, setzt du dann wirklich das Reich Gottes, also die ICOC, an erste Stelle in deinem Leben? Wenn nicht, bist du kein Christ, du kennst ja Mt 6,33."

 

Die "Persönliche Entscheidung" fasst zusammen:

"Die Gemeinde ist Gottes Reich hier auf Erden und ich werde Gottes Reich an höchste Stelle in meinem Leben setzen".

 

Die ganze Argumentation ist äusserst unfair, unsachlich und damit manipulativ.

- Der Interessent wird vorgeblich aufgrund rationaler Schlussfolgerungen dazu gebracht, seine persönlichen Bedürfnisse der Gemeinschaft unterzuordnen.

- Die Gemeinschaft gewinnt mit der obigen Argumentation ein permanentes Druckmittel in die Hand, von dem sie auch reichlich Gebrauch macht.

- Wie die "Wiedergutmachung" zu leisten, das defizitäre Empfinden des Interessenten zu heben ist, wird jetzt vollends klar: durch totale Unterordnung unter die ICOC.

5.8.2 Teil 2: "Das Leben in der Gemeinde"

Der zweite Teil der achten Lektion gibt Hinweise darauf, wie sich ein Anhänger der ICOC in der Gemeinde zu verhalten habe. Er erweitert den schon bisher breit ausgebauten Kanon an Verhaltensmassregeln für ICOC-Mitglieder.

An Texten werden zitiert: Kol 1,15-18; 1 Kor 12,12-16; Apg 2,42-47; Joh 13,34-35; Mt 6,33 (erneut!) und Hebr 10,23-25.

Die Schlussfolgerung des ersten Teils der Doppellektion wird nochmals wiederholt und zugespitzt. Mt 6,33 wird erneut angeführt und folgendermassen kommentiert:

"Das Reich Gottes steht an erster Stelle: alle Fragen, die unser Leben aufwirft, werden unter dem Gesichtspunkt beantwortet, ob das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit an erster Stelle stehen;

eine solche Einstellung wird Gott segnen" (zu lesen natürlich immer "Reich Gottes" = ICOC).

So wird, durch geeignete Umdeutung und Addition von Bibelstellen, aus einer christlichen eine totalitäre Gemeinschaft: Deine ICOC ist alles, du selbst bist nichts.

 

An substantiell neuen Regeln tauchen auf:

Anhand von Apg 2,46 die Mahnung:

"Täglich beieinander: täglicher Kontakt untereinander ist wichtig zur Ermutigung und zum geistlichen Wachstum"

Die ICOC wendet die obige Stelle, die von einer täglichen Abendmahlsfeier spricht, nicht etwa auf eine solche an (die ICOC feiert das Abendmahl wöchentlich), sondern auf ihr Discipling, den täglichen Kontakt eines Mitgliedes zu seinem "Hirten" oder Discipler. Deshalb meint die ICOC denn auch, dass der tägliche Kontakt wichtig sei zur Ermutigung und zum geistlichen Wachstum. Davon steht im angeführten Text allerdings gar nichts.

Im Hintergrund steht das Problem, dass sich das Discipling, das nach Ansicht der ICOC für wahre Jüngerschaft unerlässlich ist (erlöst werden kann nur, wer sich disciplen lässt), nirgendwo auch nur ansatzweise aus der Bibel begründen lässt. Deshalb ist die ICOC gezwungen, ihre Praxis in die Bibel hineinzulesen, wie sie es zum Beispiel hier tut.

 

Zu Vers 47, der anführt, dass die Urgemeinde in Jerusalem stark gewachsen sei, meint der Kommentar:

"Offensichtliches und zahlreiches Wachstum: dies beschreibt die wahre, biblische Gemeinde".

Davon, dass das Wachstum der Urgemeinde irgendwie verbindliches Kriterium wäre für die "Wahrheit" einer Gemeinde, weiss der Text allerdings nichts. Nirgendwo meint das Neue Testament, Wachstum sei ein Kennzeichen für Wahrheit. Im Gegenteil, selbstverständlich gibt es auch Situationen, in denen die "wahre, biblische Gemeinde" schrumpft: z.B. im Falle von Verfolgungen.

 

Sehr bezeichnend für die ICOC ist der Kommentar zu Hebr 10,23-25:

"Versammlungen und Treffen des Leibes (der Gemeinde, o.s.) sind sehr wichtig; sie schaffen Einheit und Nähe; sie vermitteln die Belehrung, die Ermutigung, die Gemeinschaft und den Glauben, den wir brauchen! Wir sind füreinander da und helfen einander; Satan wird versuchen, uns durch alle möglichen 'guten Gründe' von Versammlungen fernzuhalten; wenn wir jedoch das Reich Gottes an die erste Stelle setzen, werden wir Ausnahmen und Entschuldigungen nicht zulassen und die richtigen Entscheidungen treffen."

Lückenloser Besuch der ICOC-Veranstaltungen ist notwendig. Ausnahmen und Entschuldigungen sind von Satan.

 

Die "Persönliche Entscheidung" meint:

"Als Jünger bin ich Teil des Leibes, der Gemeinde. Ich bin bereit, mein Leben nach dem Wort Gottes in seiner Gemeinde zu leben."

 

Im zweiten Teil der achten Lektion wird der Interessent subtil und unterschwellig aufs Discipling vorbereitet, von dem explizit im Bibelstudium nirgendwo die Rede ist. Nicht selten werden Interessenten getauft, ohne den Begriff des Disciplings auch nur gehört zu haben. Wer sich in der ICOC taufen lässt, weiss folglich nur zum Teil, was alsbald auf ihn zukommen wird. Diese Praxis der Verheimlichung problematischer Praktiken ist klar sektenhaft.

5.9 "Verfolgung"

Die abschliessende neunte Lektion bringt eine Argumentationsreihe, die aus diversen anderen Sekten, die sich wie die ICOC vornehmlich an junge Erwachsene richten, bestens vertraut ist: "Wenn du nun zu deinen Eltern gehst und ihnen sagst, wo du jetzt dabei bist, dann..."

An Texten wird angeführt: 2 Tim 3,10-12; Mk 3,20-22; Joh 7,12-13; Joh 7,45-52; Apg 13,44-52; Apg 26,19-25; Apg 28,21-22; Joh 15,18-20; Joh 16,1-4; 1 Petr 4,1-5; 1 Petr 4,12-19; Joh 3,19-21; Mt 5,10-12; Phil 1,27-30 und Apg 5,41-42

 

Eine der bevorzugten Bibelstellen aller "Jugendsekten", die sich auf die Bibel berufen, findet auch bei der ICOC Anwendung, nämlich Mk 3,20-21, wo davon berichtet wird, dass Jesu Angehörigen ihn nach Hause zurückholen wollen. In der Interpretation der Gemeinschaften wird Maria so zur Proto-Deprogrammiererin, Jesus zum ersten Opfer solcher Bemühung. Selbstverständlich, so der Gedankengang, haben heutige Anhänger Jesu mit ähnlichem Ungemach zu rechnen. Dass die Stelle aber solches meint, wäre erst zu beweisen.

Tatsächlich dient diese Stelle dazu, einen gravierenden Mangel der ganzen "Verfolgungs"-Argumentationsreihe zu überdecken: Sehen doch die Verfolgungen, denen das Urchristentum ausgesetzt war, als politische Verfolgungen auf Leben und Tod ganz anders aus als Zwiste mit Angehörigen und Sektenexperten. Die zahlreichen Stellen zum Thema Christsein und Verfolgtwerden lassen sich also nur schlecht auf die Situation des heutigen Sektenmitglieds übertragen. Hier soll Maria als verbindendes Glied herhalten, nach dem Motto: Wenn die Bibel von Verfolgung spricht, meint sie Maria, die vor der Tür steht, und möchte, dass Jesus wieder nach Hause kommt.

 

So macht denn die Anführung von 2 Tim 3,10-12 Sinn, wie der Kommentar zeigt:

"Der christliche Lebensstil bringt Verfolgung mit sich; jeder Christ wird irgendwann verfolgt werden".

Verfolgung als Authentizitätserweis des Christseins würde aber bedeuten, dass die ICOC bestimmt nichtchristlich ist, denn in urchristlichem Sinne verfolgt wird sie nicht. Sie kann sich versammeln, wo sie will, kann auf den Strassen, in Zeitungen und im Internet werben, soviel sie will, kann junge Erwachsene in Abhängigkeit bringen, ohne dass irgendeine staatliche Stelle eingreifen würde.

Wird der Begriff der Verfolgung aber mit Hilfe des "Maria"-Argumentes ausgelegt als: "Deine Eltern oder irgend sonstjemand hat Mühe damit, dass du dich uns anschliesst", dann wird natürlich jedes ICOC-Mitglied verfolgt (aber auch jeder Munie, jeder Angehörige der "Familie", jedes Mitglied des "Universellen Lebens" etc.).

 

Interessant hierzu auch die Anführung von Apg 28,21-22, wo sich die römischen Juden für die "Sekte" des Christentums interessieren.

Der Kommentar der ICOC meint:

"Die Gemeinde wurde als Sekte bezeichnet und war sehr umstritten; Ist deine Gemeinde schon einmal verfolgt worden?"

Hier wird deutlich, dass für die ICOC eine Bezeichnung als Sekte schon Verfolgung beinhaltet, ein Gedanke, der zeigt, wie wenig die ICOC von wirklicher Verfolgung weiss.

Im genannten Text geht es aber ausgesprochen nicht um Verfolgung, die Bezeichnung als Sekte (hairesis) meint denn auch nur, dass das Christentum eine Abspaltung des Judentums darstellt.

Die ICOC folgert aber: Das Urchristentum wurde als Sekte bezeichnet, also muss die wahre Gemeinde heute auch als Sekte bezeichnet werden. Davon steht im Neuen Testament allerdings nichts.

Die heutige Definition von Sekte als totalitärer Gemeinschaft hat mit der Bedeutung von Sekte im Text ohnehin nichts zu tun, die Argumentation der ICOC bricht so spätestens dann zusammen, wenn in den Uebersetzungen der Bibel das Wort Sekte an dieser Stelle ersetzt wird (was zu fordern wäre, da der heutige Sektenbegriff der totalitären Gruppierung hier wirklich nicht gemeint ist und sich deshalb Missverständnisse wie dasjenige der ICOC ergeben).

 

Interessant ist ferner noch die Anführung der Seligpreisung von Mt 5,10: "Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel".

Dieser Text ist einer der schlagenden Beispiele, dass das "Reich Gottes resp. der Himmel" nicht mit einer irdischen Grösse identifiziert werden kann. Würde man hier nämlich die Interpretation der ICOC eintragen, würde die Aussage sinngemäss lauten:

"Selig sind, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der ICOC verfolgt werden, denn ihnen gehört die ICOC", eine gänzlich sinnlose Aussage. Die ICOC meint denn auch in ihrem Kommentar zur Stelle:

"Der Himmel wird uns reichlich belohnen".

Das "Reich Gottes resp. der Himmel" ist nun plötzlich wieder ein paradiesisches Jenseits.

 

Die das Bibelstudium abschliessende "Persönliche Entscheidung" resümiert:

"Verfolgung ist zu erwarten, wenn ich Jesus und seinem Wort nachfolge. Ich muss mich entscheiden, welche Haltung ich dazu einnehme. Werde ich dadurch stärker und reifer (Gottes Plan) oder ängstlich und misstrauisch."

6 Wie geht es weiter?

Wenn der Interessierte alle Lektionen durchgegangen ist und allen Inhalten zugestimmt hat, so ist er bereit zur Aufnahme in die ICOC. Er hat sich bewusst entschieden, ein Jünger zu sein, und kann deshalb getauft werden. Die Taufe erfolgt wegen des Statistik-Drucks möglichst bald nach Abschluss des Bibelstudiums und findet statt in See oder wohltemperierter Badewanne. Anschliessend gilt der Interessent als Mitglied, hat am Mittwoch-Abend-Gottesdienst zu partizipieren und kann sich am Dating beteiligen. Das Neumitglied wird nun auch in die Discipling-Pyramide integriert, wobei nicht selten der Bibelstudienleiter zum Discipler wird, die einschlägige Erfahrung im "Zerbrechen" des nunmehrigen Anhängers kommt ihm dann natürlich zugute. Finanzielles Mittragen in Form des Zehntens wird nun erwartet.

Der Interessent ist, unter Umständen binnen 14 Tagen, zu einem vollgültigen ICOC-Anhänger geworden.

7 Zusammenfassung

Bei ihrem Unterfangen, einen heutigen Menschen zu einem getreuen Anhänger ihrer Gemeinschaft umzuformen, macht die ICOC von verschiedenen Techniken und Tricks Verwendung.

1. Auf dem Feld der Bibelauslegung ist es der ICOC nicht darum zu tun, das Neue Testament selbt zum Sprechen zu bringen. Vielmehr ist es das Ziel der ICOC, ihre eigenen Lehren in der Bibel wiederzufinden. Zu diesem Zweck wählt die ICOC aus der Bibel aus, was ihr ins Konzept passt, und unterschlägt gegenläufige oder klar widersprechende Aussagen der Bibel. Die grosse Zahl an ICOC-Lehren, die sich auch bei entsprechender Auswahl aus der Bibel nicht gewinnen lassen, trägt sie via Kommentar in diese ein, indem sie biblische Aussagen radikal zuspitzt, unsachgemäss überträgt, massiv ergänzt oder gar in ihr Gegenteil umkehrt. Der Anteil der durch das Neue Testament nicht oder nur ungenügend gedeckten Aussagen im Kommentar des Bibelstudiums übersteigt 50%. Da es dem Teilnehmer am Bibelstudium aber mangels profunder Bibelkenntnis zumeist nicht möglich ist, zu beurteilen, wie weit offensichtlich Eingetragenes sich nicht doch noch durch irgendwelche anderen Bibelstellen abstützen liesse, kann er kontrafaktisch zum Eindruck gelangen, bei der ICOC handle es sich um eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise der Bibel verpflichtet ist.

Historische Quelle der ICOC-Lehren ist jedoch nicht die Bibel, sondern das Effizienz-Denken der Crossroads-Bewegung: Wahr, christlich ist das, was die Mission am meisten befördert. Weil sich so z.B. Autoritarismus und Discipling missionarisch (bis vor kurzem) bewährt haben, fanden sie Eingang in die Lehre. Sekundär werden dann, um den Anspruch der "Bibeltreue" aufrecht zu erhalten, Bibelstellen gesucht, die sich zur Not als Legitimation dieser Praktiken ausschlachten lassen. Angesichts dieses Vorgehens ist die Beobachtung, dass der Kommentar der ICOC sich nur in den wenigsten Fällen aus dem entsprechenden Bibeltext herleitet, gut zu erklären. Die Aussage des Kommentars ist historisch primär, die Bibelstelle dazugesetzt.

Als manipulativ kann dieser Umgang mit der Bibel deshalb gewertet werden, weil er dem Interessenten gegenüber nicht ehrlich ist. Ihm wird systematisch ein falsches Bild der Gemeinschaft als ernsthafter Bibelleser und -anwender vorgegaukelt, das weder mit dem historischen Werdegang der ICOC noch mit ihrer heutigen Lehrstruktur allzuviel zu tun hat.

 

2. Der Aufbau des Bibelstudiums der ICOC ist so konstruiert, dass es dem Bibelstudenten nicht möglich ist, zuerst die Lehre der ICOC in all ihren Konsequenzen zur Kenntnis zu nehmen, und sich dann in vollem Bewusstsein der Konsequenzen für oder gegen dieses Lehrkonzept zu entscheiden. Dem Bibelstudenten wird jeweils nur eine Tranche der Lehre mitgeteilt, die je einzeln zu akzeptieren ist. Erst dann wird die ICOC-Dogmatik weiterentwickelt. Auf diese Weise wird einerseits derjenige, der weitere Lehrschritte kennenlernen möchte, um die Basis für seine Entscheidung zu verbreitern, quasi überrumpelt, insofern seine Entscheidung je schon vorweggenommen wird, andererseits sind die Konsequenzen einer Zustimmung zu einem Abschnitt des Studiums jeweils nicht absehbar. Deutlich ist dieses insbesondere bei der Lektion "Das Kreuz", die das geforderte "Zerbrechen" insbesondere dadurch zu leisten vermag, dass der Interessent zuvor der Lektion "Sünde" zugestimmt hat, allerdings ohne Kenntnis der Folgen. Wären hier die Schlussfolgerungen des Kreuz-Studiums aus der Akzeptanz des Sünde-Studiums schon im voraus bekannt, wäre das Sünde-Studium weit schwieriger zu vermitteln. Das Vorgehen der ICOC muss hier als strategisch geschickt, aber sachlich unfair gewertet werden.

Hier zeigt sich denn auch ein deutlicher Unterschied zwischen der ICOC und anderen christlichen Gemeinschaften. Die Lehren der grossen Kirchen wie auch der allermeisten Freikirchen sind in ihrer Gesamtheit in Buchform öffentlich zugänglich und können vom Interessenten im Voraus detailliert und in allen Konsequenzen studiert werden. Nicht so bei der ICOC. Die Lehren der ICOC erfährt nur, wer Mitglied wird. Die ICOC bringt sich durch dieses Vorgehen selbst in Nachbarschaft höchst fragwürdiger Gemeinschaften wie der Munies und der Familie, die ihre Lehre ebenfalls nur dem werdenden Mitglied entfalten.

 

3. Das Bibelstudium der ICOC ist darauf angelegt, das Selbstwahrnehmung des Interessenten systematisch zu verändern in dem Sinne, dass der Interessent zunehmend in eine defizitäre Position abrutscht. Die ICOC geht hier in Schritten vor:

- Gott suchen: Du hast noch keinen Lebenssinn gefunden

- Jesus: Du zeigst zu wenig Einsatz

- Das Wort: Du bist unwissend über die Bibel

- Sünde: Du bist ein schlimmer Sünder

- Das Kreuz: Du bist schuld an Jesu Tod

- Umkehr/Taufe: Du fährst zur Hölle

Selbstverständlich würde diese Beschreibung des Seins des Nichtmitgliedes kaum ein Interessent akzeptieren, wenn sie so in ihrer Totalität präsentiert würde. Jedem einzelnen Schritt mag man aber zustimmen, da er gegenüber dem vorhergehenden, dem man ja schon beigepflichtet hat, auf den ersten Stufen nur um weniges eskaliert, bei den weiteren Schritten aber zwangsläufig aus dem letzten Schritt zu folgen scheint. Der Interessent wird so quasi an der Hand genommen und mit verbundenen Augen Sutfe für Stufe die Treppe in die Hölle hinab geführt.

 

4. Aus diesem Abstieg in Sachen Selbstwahrnehmung folgt eine systematische Destruktion des Selbstwertgefühls. Der Interessent ist bei der Lektion "Umkehr/Taufe" ganz unten und schreit förmlich nach der Gelegenheit zum Wiederaufstieg.

Der Wiederaufstieg ist aber nur möglich durch "Wiedergutmachung", durch Taten, also durch ein sich Wieder-Hochklimmen. Nur durch vollen Einsatz gelingt der Weg aus der Hölle, das ICOC-Mitglied wird so quasi zum Bergsteiger in einer Steilwand aus der Hölle heraus, auf welcher er sich hochzuarbeiten hat, in der aber jede Unaufmerksamkeit zu einem Abgleiten und einem neuen Absturz in die Hölle führt. Dass das ICOC-Mitglied in dieser Situation förmlich nach Haken und Seilen, die einen Absturz verhindern oder doch mildern, in Form des Disciplings lechzt, ist verständlich.

 

5. In der totalen Erschütterung seines Selbstwertgefühls benötigte der Interessent aber dringend sofortige Entlastung. Diese schenkt die ICOC nun eben nicht in Form einer einfachen Zusage des Erlöstseins, dieses ist harte Arbeit, sondern bloss in Form einer Gemeinschaft, die den sündigen Neuinteressenten "trotz allem" liebevoll aufnimmt, stützt und trägt. Die Gruppe wird so zum einzigen Spender eines neuen Selbstbewusstseins: als Einzelperson ist das Neumitglied ein unhaltbarer Sünder, als Mitglied der Gemeinschaft der ICOC aber unendlich wichtig. Die ICOC vermittelt so ihre Botschaft: Du selbst bist nichts, deine ICOC ist alles.

 

Georg Otto Schmid, Juni 1997


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