www.relinfo.ch

 
  Islam und der Westen
  Uebersicht
  Angst vor dem Islam?
aus: Leben und Glauben, Nr. 15 vom 10.4.97, S. 27
Frage
Ich habe Angst vor dem Islam. Sind meine Ängste begründet?

H.M. in B

Antwort
Angst ist nie grundlos. Es fragt sich nur, ob die Gründe sich bei näherem Zusehen verändern oder auflösen oder gar vertiefen. Dieses genauere Hinschauen empfiehlt sich aber in jedem Fall. Nie sollten wir den Islam so fürchten, dass wir Angst davor hätten, seine Geschichte und seine Eigenart kennen zu lernen und mit Muslimen wo immer möglich gute zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen. Bekanntschaft baut Ängste ab. Warum fürchten sich viele Schweizer vor dem Islam? Zwei Gründe stehen, so scheint mir, im Vordergrund.
1. Religiöse Inseln
Nicht nur wir haben Angst vor dem Islam. Manche Muslime in der westlichen Welt fürchten sich auch vor uns und unserer westlichen Zivilisation. Je kürzer die eigene Schulbildung, desto grösser ist oft auch die Angst. Auch wenn sie unter uns leben, vermeiden manche Muslime so radikal wie möglich freundschaftliche Kontakte mit Nichtmuslimen. Manche Mullahs fordern sie zu solcher Distanz und Scheu geradezu auf. Es gibt Mullahs, die möchten ihren Gläubigen verbieten, mit Nichtmuslimen irgendwelche Feste zu feiern. Manche Muslime können nach ihrer Auffassung in Westeuropa nur als Muslime überleben, wenn sie überall, wo grosse Gruppen leben, mitten in einem Meer dekadenter westlicher Zivilisation Inseln religiöser islamischer Kultur errichten. Diese Einigelungs- und Abschottungstendenz führt im Alltag zu vielen mühsamen und schwierigen Kontakten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, auch in unserem Land. Selbstverständlich können wir die Angst der Muslime vor uns und unserer Lebensweise nur abbauen, wenn wir den ersten Schritt tun und überall menschliche Kontakte aufbauen, wo wir mit Muslimen zusammentreffen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und wenn es bei diesen isolierten Inseln muslimischer Kultur mitten in unserer westlichen Zivilisation bleibt, werden spätestens unsere Nachkommen mit grossen gesellschaftlichen Problemen ringen müssen.
2. Konservative Welle
Wir sind sehr unsicher, wie sich der weltweite Islam weiterentwickeln wird. Werden die Fundamentalisten und die Konservativen immer mehr die Politik der muslimischen Länder bestimmen? Und werden die Muslime in der westlichen Welt immer mehr von diesem für unser Empfinden radikalen und intoleranten Geist erfasst? Wie werden in Zukunft die Christen und Nichtmuslime in muslimischen Ländern behandelt werden? Jacques Chirac, der französische Staatspräsident, verlangte vor einiger Zeit nach einem modernen Islam. Diese Forderung wird heute von gebildeten Muslimen und Nichtmuslimen überall erhoben. Aber fällt diese Forderung im Moment auf fruchtbaren Boden? In allen muslimischen Ländern finden sich zum Teil einflussreiche Gruppen, die für unser Empfinden das Rad der Geschichte zurückdrehen möchten und die zum Beispiel den Frauen nur die Rechte und die Stellung zugestehen, die die muslimische Tradition ihnen erlaubt. Wir können nur hoffen, dass diese im Moment überall spürbare konservative Welle bald einmal verebbt. Denn der fundamentalistische Islam drängt, wo er aufbricht, an die Macht und räumt den Nichtmuslimen nur noch sehr beschränkte Rechte ein. Unsere Welt und unser Land brauchen einen liberalen, einen modernen Islam, wenn Muslime und Nichtmuslime nicht nur scheu und voller Angst nebeneinander, sondern miteinander leben wollen. Wahrscheinlich wird in der Zukunft der wichtigste Beitrag zu diesem modernen Islam von Muslimfrauen geleistet werden. Es gibt souveräne Frauen, die sich dieses Zurückdrehen am Rad der Ge schichte schlicht und einfach nicht bieten lassen. Wir wünschen für sie und für uns, dass wir in Zukunft immer häufiger ihrem Islam und nicht dem Islam der konservativen Mullahs begegnen.
Georg Schmid
Letzte Aenderung 1997, © L&G 1997, Infostelle 2000
zurück zum Seitenanfang