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Eine Einführung
Mohammed
Islam ("Unterwerfung", "Hingabe") beginnt zuerst als jüdisch-christliche Reformbewegung, dann als eigenständige Religion mit Mohammed (ca 570-632 n.Chr), oder genauer mit den Offenbarungen oder Botschaften, die den Propheten seit seinem vierzigsten Lebensjahr in kürzern oder längeren Abständen ergrefen. Zuerst als Halbwaise, dann als Waise in verschiedenen Familien und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, begleitet der junge Mohammed Karawanen zwischen Südarabien und Syrien und lernt viele Juden, christliche Nestorianer und Manichäer kennen. Manche Elemente ihres Glaubens fliessen später in den Koran mitein. Mit 25 Jahren heiratet er die reiche, 40 jährige Kaufmannswittwe Chadidscha, die ihm zwei (oder drei) frühverstorbene Söhne und vier Töchter schenkt. Sie wird später in der Zeit der Anfeindung seines Prophetentums in Mekka zu seiner besten Stütze. Mit etwa 35 Jahren zieht er sich immer mehr in die Einsamkeit der kahlen Berge zurück, wo ihn die ersten Offenbarungen (zumeist Auditionen, seltener Visionen) überfallen. Eine Gestalt (später als Engel "Gabriel" gedeutet) drängt ihn, die Menschen in Mekka aufs nahe jüngste Gericht und den ihm folgenden Höllenstrafen und Paradiesesfreuden hinzuweisen und sie zum Glauben an den einzigen Gott zu verpflichten. Diese Offenbarungen erreichen ihn später auch in der Öffentlichkeit. Augenzeugen berichten, dass er,wenn eine Offenbarung naht, umfällt und sich zudecken lässt. Unter der Decke hört man ihn stöhnen und röcheln hörte. Nachher ist er schweissgebadet, aber zumeist - nicht immer - von neuen Gottesworten erfüllt. Wie immer wir diese Hinweise zum Offenbarungsgeschehen deuten wollen, jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass sich Mohammed selbst in Trance hineinsteigerte und in einem heute weitherum populären Channeling-Stil selber göttliche Erkenntnisse eingab. Diese Gottesworte können, den Meklkanern weitergeben, zuerst nur wenige überzeugen. Vor allem das Verbot der Verehrung vieler Götter verletzt das Empfinden und den Geschäftssinn mancher Mekkaner, ist doch Mekka seit alters ein arabischer Wallfahrtsort und die Kaaba eine Stätte der Verehrung nicht nur für Allah, sondern auch für dessen Töchter. Mohammed wird derart angefeindet, dass er gerne dem Wunsch der Leute aus Jathrib (dem späteren Medina) folgt, die ihn einladen, zu ihnen zu kommen und die ihn nicht nur als Propheten, sondern auch als politischen und militärischen Führer akzeptieren. Diese Uebersiedlung ("Flucht") nach Medina im Jahr 622 gilt als Ausgangspunkt für die islamische Zeitrechnung. Mit der neuen Position ändern sich auch der Inhalt und die Form der Offenbarungen. Sprachen die frühen Offenbarungen in poetischer Dichte vom nahen Gericht, von Himmel und Hölle und dem Glauben an den einzigen Gott, so werden die Offenbarungen der Medina-Zeit immer mehr zu langen Prosaabhandlungen, die alle Aspekte eines neuen, von Gott durch seinen Propheten geordneten Staates betreffen. Auch die Familienverhältnisse des Propheten ändern sich gründlich: Nach dem Tod seiner ersten und bis dahin einzigen Gattin, heiratet Mohammed mit der Zeit 9 Frauen und zwei Nebenfrauen. (Nur ihm als Propheten wird es durch eine Offenbarung erlaubt, mehr als vier Frauen zu heiraten.) In den nun folgenden kampfreichen Auseinandersetzungen mit seiner Vaterstadt Mekka und mit jüdischen Stämmen in der Umgebung von Medina, die sich mit den Mekkanern verbündet haben, ein Kampf, der mit der vollständigen und zuletzt kampflosen Übergabe Mekkas an den Propheten und seine Anhänger endet, beschäftigen sich manche Offenbarungen mit der Notwendigkeit der kriegerischen Ausbreitung des Glaubens, mit dem sog. "heiligen Krieg" (Dschihad). Zu den Auseinandersetzungen mit Juden und der Vernichtung jüdischer Stämme kommt es, weil Mohammed, der sich als treuer Prophet in der Linie der biblischen Propheten versteht, erkennen muss, dass die Juden den Islam nicht annehmen und manche seiner Offenbarungen, biblische Gestalten betreffend, in der ihm geoffenbarten Form nicht akzeptieren. Konsequenz der Auseinandersetzungen mit den Juden ist die Geburt des Islams als einer eigenen neuen Religion. Bisher hat Mohammed Richtung Jerusalem gebetet und sich nahtlos als Prophet in der Tradition biblischer Propheten verstanden. Nun betet er mit den Moslems Richtung Mekka, erklärt die Kaaba in Mekka als das von Abraham begründete älteste Gebetshaus und die jüdische und christliche Bibel als von den betreffenden Glaubensgemeinschaften später verfälschte Offenbarung. Im Koran, in den Offenbarungen an den Propheten, wird nach islamischer Überzeugung die ursprüngliche Offenbarung wieder von ihren Verzerrungen befreit. Mohammed stirbt 632 als erfolgreicher Gottesbote und Oberhaupt eines dynamischen, expandierenden Staatswesen, aber ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen.
Sunniten und Schiiten
Sunniten halten vor allem die ersten vier Kalifen als rechtmässige Nachfolger Mohammeds, die Schiiten akzeptieren nur Ali, den Vetter und Schwiegersohn des Propheten als legitimen Erben. Ihm habe Mohammed vor seinem Tod ein spezielles Wissen für alle seine späteren, die Nachfolge antretenden Nachkommen, die Imame, übergeben. Die Schiiten, die Partei des Ali und dessen Nachkommen, mussten erleben, wie die für ihr Empfinden legitimem Erben nicht nur aus dem Amt gedrängt, sondern z.T. auch umgebracht wurden. Vor allem der Tod des Prophetenenkels Hussain und seiner Familie 680 bei Kerbela prägt den Glauben und das Empfinden der Schiiten über alle Jahrhunderte hinweg. Dem Sunniten (83% der Moslems), die sich vor allem auf Sunna, die Überlieferung aus dem Leben Mohammeds ausserhalb des Korans beriefen, gelang es, die rasch expandierenden moslemischen Reiche und das in ihnen gültige Recht in der für sie bezeichenden Einheit von Religion und Staat zu ordnen. Die Schiiten sehen die Imame, die rechtmässigen Nachfolger Mohammeds nicht nur als besondere Offenbarungsträger, sondern zum Teil sogar als "Inkarnation", als göttlicher Funke in Menschengestalt, eine Auffassung, der die Mehrheit der Moslems heftig widerspricht: Gott inkarniert sich nie in Menschen. Auch Jesus war nicht sein Sohn. Gott schenkt nur Propheten sein Wort.
Der sunnitischen Islam kennt vier Rechtsschulen (Hanefiten, Malikiten, Schafiiten, Hanbaliten). Sie dürfen nicht mit den christlichen Konfessionen verglichen werden. Sie unterscheiden sich durch oft geringfügige verschiedene Interpretationen des islamischen Rechts, nicht jedoch in den wesentlichen Punkten des islamischen Glaubens, und anerkennen sich gegenseitig als rechtgläubig.
Islam der Gegenwart
Die Dynamik des Islams in der Politik der Gegenwart gründet vor allem in einem nach Jahrhunderten der Stagnation durch die Vorherrschaft europäischer Kolonialmächte geweckte Rückbesinnung auf die Kraft und das Selbstbewusstsein des Islams im 19. Jahrhundert. Diese Rückbesinnung führte einerseits ins Bemühen um einen panislamischen Staat und andrerseits in manche Versuche einer Wiederherstellung urislamischer Kultur und Rechtsordnung. Im Moment lassen sich behelfsmässig folgende, in der Realität mannigfach ineinander verwobene Strömungen innerhalb des Islams der Gegenwart unterscheiden:
1. Die Fundamentalisten suchen mit ihrer kämpferisch antiwestlichen Grundhaltung eine neue und für das ganze Staatswesen verbindliche Einheit von Religion und Staat auf Grundlage frühislamischer Traditionen, ohne Abstriche übertragen auf unsere Zeit. Oft sehen die Fundamentalisten diese alte und zugleich neue Ordnung als Modell für die ganze zukünftige Welt.
2. Die Traditionalisten (z.Bsp. in Saudi Arabien) halten an derselben Einheit fest, ohne dadurch in antiwestliche Aussenpolitik zu gleiten. Was für die islamische Welt gilt, gilt nicht für den Rest der Erde.
3. Die Säkularisten (sie bestimmen weitgehend die Politik z.B. in der Türkei) und die Liberalen engagieren sich für einen laizistischen Staat und für einen Islam ohne islamische Staatsform. Säkularisten verweisen auf die ethischen, nicht unbedingt juristischen und politischen Implikationen des Korans. (Säkularisten finden sich in der politisch und kulturell aktiven islamischen Welt und im realistischen Islam des Westens viele. Engagierte liberale Moslems, d.h. Säkularisten nicht nur aus Anpassung an westliche Mentalität, sondern aus persönlicher gläubiger Ueberzeugung, sind in der religiösen Gegenwart der westlichen Welt eine Minderheit.)
4. Die Dschihadisten, die Akteure eines "heiligen" Kampfes, kämpfen mit allen, auch mit terroristischen Mitteln, für den Islam gegen die westliche Welt - und gegen Israel, die letzte sog. "Kolonie" in der arabischen Welt. Eigentliche Dschihadisten, sind weltweit eine zahlenmässig verschwindend kleine, aber äusserst gefürchtete politisch-religiöse Gruppe.
Neben alle diese durch ihr je verschiedenes Verhältnis zum Staatswesen sich unterscheidenden Gruppen oder Strömungen treten in der Gegenwart immer zahlreichere durch bestimmte Gründergestalten und spezielle Glaubenseinsichten geprägten Bewegungen.
In allen Religion finden sich Fundamentalisten. Die Frage, warum denn gerade der Islam der Gegenwart augenfälliger und öfter als jede andere Religion durch Demonstrationen reaktionärer Gewalt von sich reden macht, beantwortet sich zum einen mit dem Hinweis auf das brisant kritische Verhältnis des islamischen Fundamentalismus zur modernen westlichen Zivilisationen und seiner "USA-Leitkultur". Kein Fundamentalismus steht in derart leidenschaftlicher Opposition zur gegenwärtigen westlichen Zivilisation wie der islamische. Zum anderen zu bedenken sind die grossen Schwierigkeiten die sich der grossen Zahl säkular gesinnter Moslems in den Weg stellen, wenn sie versuchen, den Graben zwischen moderner Welt und islamischer Tradition für alle Moslems überzeugend zu überbrücken. Auf wirklich auch Traditionalisten überzeugende Weise hat noch niemand moderne Welt und islamische Tradition miteinander versöhnt. Solange dies aber nicht gelingt, verwandelt sich Traditionsbewusstsein mancherorts in Reaktion und sieht sich die moderne Welt mit verzweifelt reaktionären Programmen und den diesen Programmen entsprechenden oft auch verzweifelt irrationalen Aktionen konfrontiert.
Sufismus
Schon in der frühen Zeit, als sich der Islam vor allem durch seine militärischen Erfolge rapide ausbreitete, litten einzelne Gläubige an der mit der Ausbreitung verbundenen Veräusserlichung des Glaubens. Zum Teil zweifellos auch angeregt von der Askese und Mystik christlicher Mönche und später von den Trance-Techniken der indischen Yogis, suchen sie auf mystischem Weg die Nähe Gottes und sogar - für die übrigen Moslems unvorstellbar - die Vereinigung mit ihm. Mit der Zeit entstanden Orden, die verschiedene Meditationstechniken entwickelten. Allen ist gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass sich der Mensch auf einer Reise befindet, deren Ziel die Vereinigung mit dem Geliebten (Gott) ist. Diese Vereinigung wird als ein Zustand der Reinheit, der Ganzheit oder der Vollkommenheit beschrieben. Um das zu erreichen, muß das Ego, der eigenmächtige Trieb (nafs), bekämpft und überwunden werden. Das zentrale Organ hierfür ist das Herz, welches in Liebe zu Gott entbrennen muß. Das Herz erkennt, dass nur Gott existiert und alle Dinge in ihm bestehen (göttliche Einheit: tawhid). Die Vielfalt der Erscheinungen ist eine Illusion. Es gibt viele verschiedene geistige Pfade (tariqa) zu Gott, doch lassen sie sich grob in zwei Gruppen teilen:
1. Die einen gehen eher einen emotionalen Weg, um die Vereinigung mit Gott zu erlangen. Diese Orden pflegen Sama&Mac222; (Anhören oder Singen von Sufi-Liedern und das Tanzen in rhythmischen Bewegungen) sowie Zikr (oder Dhikr geschrieben), bei dem Namen Gottes und heilige Formeln während längerer Zeit wiederholt werden. Jeder Orden hat eigene Techniken, die sich von Orden zu Orden mehr oder weniger stark unterscheiden. Während die einen bei ihren Zusammenkünften still im Kreis sitzen und jeder für sich die Gebete oder Formeln nur innerlich spricht, pflegen andere diese laut und oft mit Körperbewegungen unterstützt zu wiederholen. Manchmal kommen Atemübungen dazu. Im Extremfall "tanzen" Sufis, wie z. B. die «Wirbelnden Derwische» von Konya.
2. Andere Orden, die eher intellektuell ausgerichtet sind, vermitteln eine Instruktion, eine Wegleitung zur Erreichung des höchsten Bewußtseins (tawhid), die stärker die Erkenntnisfähigkeit des Menschen anspricht.
Allen Richtungen gemeinsam sind manche Merkmale der Vermittlung. Der Schüler (murid = "Strebender") steht in einer engen Verbindung mit dem Meister (murschid = "Führer"), das heißt mit dem Oberhaupt des Ordens (Sheikh). Der Meister gibt portionenweise das notwendige Wissen dem Schüler weiter und begleitet ihn als "Beichtvater" auf seinem ganzen Weg. Das genaue Methoden-Wissen ist in der Regel esoterisch und wird von den Ordensmitgliedern nicht öffentlich preisgegeben. Der Schüler leistet grundsätzlich dem Sheikh, den er als Repräsentant Mohammeds verehrt, unbedingten Gehorsam. Trotzdem kann in der Praxis das Verhältnis zum Sheikh recht locker sein. Wichtig und symbolreich ist der Einweihungsritus. Die Bedeutung der Ordensmeister zeigt sich nicht zuletzt in der Sukzessionreihe, in der sie stehen. Der gegenwärtige Sheikh bildet das letzte Glied einer spirituellen Kette (silsila), die bis zum Gründer zurückreicht. Es gibt Orden, die ihre Traditionskette bis zu Ali (Schwiegersohn des Propheten), Abu Bakr oder Mohammed selbst zurückführen, welche das Wissen um die Vereinigung mit Gott am reinsten kannten.
Der Sufismus gründet in der islamischen Offenbarung. Die Sufis halten das Gesetz, halten sich an die fünf Säulen des Islams (Glaubensbekennntnis, Gebet, Fasten im Fastenmonat, Almosensteuer und Wallfahrt nach Mekka) und verehren Mohammed als den letzten Propheten.) Trotzdem sehen andere Muslime bei Sufis die historisch kaum bestreitbare Tendenz, ausserislamische Elemente aufzunehmen. Deshalb werden sie oft argwöhnisch beobachtet.
Manche Sufi-Orden erreichten einen grossen Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik. Dies war einer der Gründe, warum die Tariqat in der Türkei verboten wurden. Deshalb treten türkische Sufis kaum öffentlich in Erscheinung.
Die meisten Sufi-Gruppen wirken im Verborgenen. Sie missionieren kaum und laden höchstens Aussenstehende gelegentlich zu einem Vortrag ihres Scheichs ein.
Vom Sufismus deutlich zu unterscheiden sind die Neo-Sufis. Vertreter von neo-sufischen Organisationen sehen keine genetische Verbindung von Sufismus und Islam und behaupten, Sufi sein zu können, ohne Muslim zu sein. Mit dieser Sicht neigen sie dazu, den Sufismus auf seine vorislamischen und ausserislamischen Wurzeln zu reduzieren. Ihrer Meinung nach ist der Sufismus eine uralte Weisheit (Sufismus wird vom griech. Wort Sophia=Weisheit abgeleitet), die den Menschen bereits vor der Zeit der heutigen Religionen bekannt war. Mit ihrer Vision des Sufismus betreten die Neosufis im Zeitalter der Globalsierung spirituelle vielleicht einleuchtende, aber historisch völlig spekulative Pfade. Sufismus leitet sich höchstwahrscheinlich vom arabischen "suf" (Wolle) ab. "suf" wurde das weiße Wollkleid genannt, das die ersten Mystiker als Zeichen der Demut trugen. Eine andere Möglichkeit ist auch die Herleitung von arab. "safu" (Reinheit), da die Sufis die spirituelle Reinheit erstreben.
Georg Schmid, 2001
Letzte Aenderung 2001, © gs 2001, Infostelle 2000
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