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  Kabbala - Modetrend und Mysterium
Traditionelle Kabbala
"Kabbala" - "Überlieferung", "Empfangen" - ist traditionell eine mystische Geheimlehre, entstanden im mittelalterlichen Judentum Spaniens. Mittels Zahlen- und Buchstabenmystik entlockten die Kabbalisten dem Text der hebräischen Bibel neben der wörtlichen Aussage noch einen geheimnisvollen, in jedem Satz, jedem Wort und jedem Buchstaben verborgenen Code, der ihnen alle Geheimnisse der göttlichen und der irdischen Welt enthüllte. Die göttliche Wirklichkeit war für sie dank dieser Auslegungstechnik direkt zugänglich und vom hebräischen Text ausgehend dann auch in allen Dingen und Wesen erlebbar. Das göttliche Urlicht durchdrang in ihrer Erfahrung die ganze irdische Wirklichkeit und erinnerte den Menschen nicht nur an den göttlichen Ursprung seiner eigenen Seele, sondern half ihm, sich von neuem dieses göttliche Licht zu öffnen und wieder einzutauchen in das lichtvolle Urgeheimnis, aus dem er entstammt. Für die esoterische Nachwelt bis hinein in unsere Gegenwart besonders faszinierend war die Überzeugung, dass die Ordnung der göttlichen Eigenschaften sich in der Welt als Ganzen und im einzelnen Menschen spiegelt. Die Schöpfung gleicht in ihrem Aufbau dem Menschen und beide zusammen spiegeln die Ordnung in Gott.

Das Hauptwerk der spanischen Kabbala, der Sohar, das Buch des "Glanzes", entstand um 1300. Dieser geheimnisvoll bunte aramäische Kommentar zu den fünf Büchern Moses wurde nach der Vertreibung der Juden aus Spanien in der ganzen jüdischen Welt bekannt. Ein neues Zentrum der Kabbala wurde Safed in Galiläa, wo sich unter Issak Luria auch die Reinkarnationslehre mit der Kabbala verband.

In den Augen christlicher Theologen wirkt die kabbalistisch- spekulative Gesamtschau des Wirklichen und die Idee einer in mystischer Selbsterkenntnis erwachten Seele, die nun ihren Heimweg ins göttliche Licht antritt, gnostisch. Die geheimnisvolle Präsenz der göttlichen Wirklichkeit in allen weltlichen Wesen und Dingen wirkt pantheistisch und eine Bibelauslegung, die sich einer geheimnisvollen Zahlensymbolik und Buchstabenmystik verschreibt, wirkt esoterisch. Auch christliche Theologen sind aber gerne bereit zuzugestehen, dass die Kabbala Spaniens mit ihrem umfangreichen literarischen Hauptwerk, dem Sohar, nicht nur die spätere jüdische Mystik, z.B. die Chassidim, und manche mystisch-spekulativ veranlagte Christen, z.B. Raimundus Lullus und Jakob Böhme, befruchtet hat, die Freude der Kabbalisten an der nahen göttlichen Wirklichkeit ist bis hinein in unsere Gegenwart eine Quelle für persönliche spirituelle Inspiration, die die über weite Strecken sanft rigide jüdische Gesetzesfrömmigkeit einerseits und die kalte Rationalität der modernen Welt wohltuend aufbricht.

New-Age-Kabbala
Im ausgehenden 20. Jahrhundert verwandelte sich die Alltagsrealität im Empfinden vieler Sinnsucher in eine dürre Wüste seelenloser Banalitäten. Wen wundert es, dass sie in allen mystischen und esoterischen Traditionen der Menschheit nach verborgenen Quellen göttlicher Geheimnisse bohrten und sofort fündig wurden. Die Wasser uralter Mystik sprudeln seit Jahren wieder munter durch die spirituell ausgedorrte moderne Zivilisation. Zu den Indianern Nordamerikas, den Schamanen Sibiriens, den Lamas Tibets, den christlichen Mystikern des Mittelalters, den Sängern der Edda, den Priestern der Kelten, den Gurus Indiens und den Sufis der alten islamischen Welt gesellten sich - last, but not least - auch die Kabbalisten. Denn jeder Geheimnisträger, welchem Dunkel er auch immer entsteigt, ist der flachen Rationalität zuerst ein willkommener Gast und dann ein gutbezahlter Reiseführer ins abgründig sinnreiche spirituelle Leben. Zahllose Juden, Christen, Buddhisten, neue Sufis und Esoteriker versuchten und versuchen kabbalistische Geheimnisse in ihr Weltbild zu integrieren und für ihren persönlichen Weg zurück ins göttliche Mysterium nutzbringend einzusetzen. Bei aller Liebe zu uralten Geheimnissen pflegten und pflegen dabei die meisten modernen Sinnsucher eine ausgeprägte Anwenderspiritualität. Was nicht kurzfristig zu augenfälligen positiven Erfahrungen führt, ist nichts wert. "Instant-Mystik" nennen Kritiker diese auf momentanen Stimmungswandel angewiesene postmoderne Spiritualität. Ob mit Instant-Mystik und postmodernen Anwendermentalität die Geheimnisse der alten echten Kabbala wirklich berührt oder gar ausgelotet werden, darf füglich bezweifelt werden. Aber Entsprechendes gilt auch von allen anderen postmodernen Reisen durch uralte Mysterien: Die neuen Kabbalisten sind so kabbalistisch wie die neuen Sufis sufistisch, die neuen Kelten keltisch, die neuen Lamaisten lamaistisch und die neuen Indianer indianisch sind. Die alten Geheimnisse werden allseits modern - d.h. kurzatmig - kontaktiert, modern interpretiert und modern inszeniert. Wer von den neuen Mystikern jahrelange ermüdende Schulung und geduldige Askese verlangt, überfordert sie.
Promi-Mystik
Unter den vielen Versuchen, Kabbala der modernen Sinnsucher zu erschließen, weckt das sog. "Kabbalah Center" der Familie Berg zurzeit größte Aufmerksamkeit. Eine ganze Reihe von Stars aus dem Showgeschäft und Sportgrößen haben sich der neuen Kabbala angeschlossen. Popdiva Madonna - sie nennt sich jetzt Esther - spendete schon Millionen für die Ausbreitung der Bewegung. Bis zu 3,5 Millionen Anhänger soll die Bewegung heute zählen. (Wahrscheinlich zählt man in der Zentrale ähnlich wie in der Scientology-Zentrale als Anhänger alle, die schon Dienste des Kabbalah Centers in Anspruch nahmen). 50 Centers wurden weltweit aufgebaut. 200 000 Leute sollen Kurse in diesen Zentren besuchen. Die Zentrale der Bewegung liegt immer noch in Los Angeles. Was macht das Kabbalah Center zu einer der zurzeit erfolgreichsten spirituellen Organisationen?
Feivel Gruberger alias Philip Berg
Rabbi Philip Berg, die Leitfigur der Organisation, ein 75-jähriger Mann mit Bart, im Stil der Bewegung weiß gekleidet, erklärt sich nicht gerne zu seinem Werdegang. Soviel aber lässt sich aus verschiedenen Quellen erschließen: Er hieß früher Feivel Gruberger und war Versicherungsvertreter in New York. Er war damals verheiratet mit seiner streng religiösen Frau und hatte acht Kinder. Dann verließ er die USA, um sich mit einer Kollegin aus der Versicherungsbranche, die dann seine zweite Frau wurde, in Israel dem "Studium" der Kabbala zu widmen. Er besuchte das Kabbala-Seminar von Rabbi Yehuda Brandwein, einen Verwandten seiner ersten Frau und einer Autorität auf dem Gebiet der Kabbala. Nach dessen Tod will Gruberger, der sich nun Dr. Philip Berg nannte, die Leitung des Kabbala-Seminars von Rabbi Brandwein angetreten haben. Der Sohn von Rabbi Brandwein bestreitet aber jede Verbindung zu Bergs Kabbalah Center. Neben seiner Frau Karen leiten und auch seine Söhne aus zweiter Ehe, Yehuda und Michael Berg, die Organisation.
Das kundenfreundliche Mysterium
Kritiker können Berg und seiner Familie manches vorhalten, aber niemand bestreitet ihnen eine unwahrscheinliche Kundennähe. Der Sinn der Center-Leitung für die spirituellen Bedürfnisse der begüterten Gegenwart ist einzigartig. Sogar Scientology könnte punkto Kundennähe und Werbeerfolg noch von der Familie Berg lernen. (Jüdische Kritiker des Kabbalah Centers haben die Berg-Organisation nicht zufällig schon "Scientology auf jüdisch" genannt.) Die Center-Leitung weiß wie kaum ein anderes spirituelles Management gleichzeitig um die Sinnleere, den Mysterienhunger und die Erlebnisbereitschaft moderner begüterter Existenz. Die Probleme der Menschen am Rande des Existenzminimums treten kaum in den Wahrnehmungskreis der Berg-Organisation. In diesem Erfahrungshorizont zeigen sich - so darf angenommen werden- auch keine finanziell interessanten Kunden. Das Kabbalah-Management weiß, dass Sinn überzeugend nur im partiell erkennbaren und persönlich erfahren Mysterium begegnet. Das heißt, was sich völlig erklären lässt, ist letztlich banal und nur von untergeordneter Bedeutung. Das wahrhaft Sinnreiche ruht bei aller Erkenntnis, die es erlaubt und bei aller Erfahrung, die es schenkt, in göttlichem Dunkel. Aus diesem Dunkel hebt es zum Zwecke der Erkenntnis und der persönlichen Erfahrung die spirituelle Organisation heraus, zeigt es dem Schüler und lässt es anschliessend wieder zurück ins Dunkel gleiten. Die Familie Berg, mit Mysterien ebenso vertraut wie mit moderner Sinnsuche, beherrscht dieses Spiel mit dem Geheimnis perfekt. Kabbala, verkündet die Web-Site www.kabbalah.com, erklärt den Ursprung aller Dinge, umgreift alle Geheimnisse des Universum, ist die Quelle aller spirituellen Lehren, die Menschen geschenkt wurden und ist das älteste und wirksamste spirituelle Wissen auf Erden. Kabbala ist sogar älter als die Zeit. (Denn Kabbala ist göttlich). Dieses ewige Geheimnis Gottes, der Welt und des Menschen - alles spiegelt sich in allem - muss nun aber nicht ewiges Geheimnis bleiben, ewig verschlossen dem nur mit banalen Realitäten vertrauten Geist. Nein - das Kabbalah Center enthüllt uns dieses Geheimnis zwar nicht in seiner Totalität, aber gerade soweit, wie es uns und der Center-Leitung dienlich und nützlich, soweit, dass es uns selbst und unsere Welt gründlich verändert und dass es unseren Hunger nach noch mehr geheimnisvollem Sinn wach hält. Der Sinn suchende Zeitgenosse wird im Kabbalah-Kurs ins Urgeheimnis eingeführt, er kann aber auch persönliche Fragen mit einem zuständigen Kabbalisten besprechen und sich im Center in immer tiefere Erkenntnisse führen lassen. Er kann sich durch Kabbalisten auch persönlich astrologisch beraten lassen. Vor allem aber wird er auch eingeladen, die wunderbaren Wirkungen der Kabbalah und ihres heiligen Buches, des Zohar (Sohar) immer wieder selbst zu testen. Wenn er das heilige Buch kauft - es sollte die Ausgabe sein, die die Bewegung für über 400 Dollar verkauft -, muss er dieses Buch nicht lesen, um dessen phänomenale Wirkung zu erleben. Es genügt, wenn er mit der Hand über den Buchdeckel streift. So kann er sich die gewaltige, fast explosive Kraft, die in diesem Buch steckt, "einscannen." In einem schwierigen Moment genügt auch ein Blick auf den Buchdeckel, weshalb auch empfohlen wird, für jedes Zimmer, in dem man sich aufhält, ein Exemplar des Buches zu kaufen. Wenn er Nichtjude ist - was für einen großen Teil der Mitglieder dieser Kabbalah-Bewegung gilt - wird er sanft an die Sitten und Gebräuche des Judentums herangeführt. Man empfiehlt jüdisches Brauchtum, will aber keine mögliche Kundschaft mit rigider jüdischer Gesetzlichkeit abschrecken. Als Zeichen der weltweiten Verbundenheit der neuen Kabbalisten trägt man und frau ein rotes Band am Handgelenk - und stiftet zehn Prozent des Einkommens fürs Kabbalah Zentrum.
Ansätze zur Kritik und Selbstkritik
Die zum Teil massive Kritik an der Ideologie und an den Geschäftsmethoden des Kabbalah-Zentrums von Vertretern des traditionellen Judentums wird von Yehuda Berg mit der Bemerkung zu Seite gestellt, andere Rabbiner missgönnten ihnen nur den grossen Publikumserfolg. Andere Vertreter des praktizierten Judentums erwägen, ob die Berg-Familie mit ihrer ebenso erfolgreichen wie hemmungslosen Verbindung von Kabbalah, New-Age-Mentalität und Rezeptmystik nicht doch dem Judentum neue Freundinnen und Freunde zuführen und damit der Gefahr eines neuen Antisemitismus entgegentreten. Vor allem diesem letzten Argument würde ich nicht trauen. Was sich weitab von den historischen Realitäten in seichtem Mystizismus verliert, ist keine Freundschaft zum Judentum, sondern Schwärmerei für einzelne Aspekte desselben. Solche Schwärmerei aber war leider in den vergangenen Jahrhunderten schon mehr als einmal nur ein Vorbote für neue Judenverfolgung. Schwärmerei ist an vielen Stellen der religiösen Welt die Zwillingsschwester der Verachtung.

Historisch interessierte Beobachter werden die masslose Verkürzung bedauern, die die Kabbala in der neuen Kabbalah-Bewegung erleidet. Sie werden uns sogar sagen, dass das, was uns hier als Kabbalah aufgetischt wird, das Etikett Kabbala nicht verdient.

Georg Schmid, 2004
Letzte Aenderung 2004, © gs 2004, Infostelle 2000
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