Traditioneller Hinduismus

Im Hinduismus gibt es eine Unzahl an verschiedenen Göttinnen und Götter. Zwar gibt es viele Götter und Göttinnen, die allen Hindus bekannt sind, jedoch mindestens so viele, die nur bestimmte Familien, Dörfer oder Kasten kennen. Von einem Pantheon der Götter kann man daher nicht sprechen. Auch die sogenannten «wichtigsten» pan-hinduistischen Götter variieren in ihrer Erscheinung nach Tempel und Region. Genauso vielfältig gestalten sich auch die Verehrungsformen. Die verschiedenen Religionsformen und religiösen Traditionen zur Entstehungszeit in Indien sind ein Grund dafür. Die geografisch-regionalen, sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede generierten eine heterogene religiöse Praxis. In Bezug auf den Hinduismus wird als polytheistisch gesehen, da verschiedene Götter und Göttinnen verehrt werden. Die unterschiedliche Gewichtung der Götter, sowie die religiöse Praxis unterscheidet sich nach hinduistischen Traditionen und Familientradition. Innerhalb der einzelnen Traditionen und Familien gelten unterschiedliche Götter und Göttinnen als höher oder niedriger. Die vielen Göttinnen und Götter werden dabei dem höchsten Gott, der höchsten Göttin untergeordnet und erhalten eine Zuständigkeit in der von ihr/ihm geschaffenen Welt.  Der Polytheismus greift in den hinduistischen Religionen nur so weit, dass einzelne Hindus anerkennen, dass verschiedene Menschen jeweils ihre Göttin/ihren Gott als höchste ansehen. Jedoch sehen einzelne Hindus nicht alle Göttinnen und Götter als gleichwertig. Besonders in der bhakti wird nur der höchste Gott, eine höchste Göttin mit Liebe verehrt. Hier spielt die istadevata, die Herzensgottheit eine wichtige Rolle, die sich ein Hindu persönlich auswählen kann und die er als einzigen liebt und verehrt. Solche Traditionen haben also auch stark monotheistische Strukturen. Im Tempelkult und den theologischen Traditionen spielen vor allem die Götter Shiva, Vishnu, Krishna und Rama sowie die Göttinnen Laksmi, Durga und Kali eine wichtige Rolle. Daneben gibt es grosse Zahl an Dorf- und Stammesgottheiten, die in Dorfschreinen verehrt werden und Mythen, Legenden, Gedichten und Liedern entstammen. Es ist heute unklar, seit wann es Göttinnen-Verehrungen im Hinduismus gibt. In den Veden sind Hymnen an weibliche Gottheiten überliefert. Wie auch die männlichen Götter haben die Göttinnen spezifische rituelle Aufgaben. Verehrt werden die Göttinnen und Götter im Hausschrein, den es in den meisten Haushalten gibt. In diesen Hausschreinen werden die Statuetten verehrt. Die unterschiedlichen Gottheiten werden bei für sie gewidmete Feste und Anlässe verehrt. So kann es vorkommen, dass jemand zwar Shiva als höchsten Gott verehrt aber vor einer Reise auch Ganesha, den Gott der Hindernisse, oder vor einer Prüfung Sarasvati (Göttin der Kunst und Wissenschaft) um Hilfe bittet.

Zu den wichtigsten Göttern des Hinduismus werden Ganesha, Brahma, Shiva und Vishnu gezählt. Dir drei Gottheiten Brahma, Shiva und Vishnu gelten als die Trinität (trimurti).

Brahma:
Brahma gilt als der Schöpfergott. Er hat vier Gesichter und trägt in seinen Händen ein Wassergefäss, aus dem das Universum entsteht und die vier Veden (älteste indische Literatursammlung). Frühmittelalterliche Skulpturen zeigen ihn ohne Bart; seit dem 11./12. Jahrhundert wird er häufig mit Bart dargestellt. Manchmal erscheint er auf einer Lotusblüte. Er ist mit Sarasvati, der Göttin der Kunst und Wissenschaft vermählt. Brahma gilt als einer der Begründer der vier Vaishnava-Guru-Linien (Brahma-Gaudiya-Sampradaya). Er ist der ideale Gott der Schöpfung, der als unbewegter Beweger dem Universellen zu seiner Bewegung verhalf. Er ist die Zeit und unterliegt dieser.

Shiva:
Shiva gilt als der Schöpfer und Zerstörer. Er ist sowohl Asket, kosmischer Tänzer, König des Tanzes, Herr der Tiere und mit Parvati vermählt (hat auch andere Gattinnen). Sein Reittier ist der Stier. Bereits im Veda wird er als Gott verehrt. Dort tritt er mit dem Ramen Rudra als Aussenseiter und bedrohliche Figur auf. Da er sich am Rande der Gesellschaft bewegt, ist er vom Ritual ausgeschlossen was in noch bedrohlicher und zerstörerischer werden lässt. Ähnlich wie Kali ist Shiva ein Gott der Ambivalenz, der Gegensätze überschreitet und auch mit dem Tod verbunden ist. Insbesondere seine Ambivalenz im Verhältnis von Sexualität und Askese ist dabei mit seiner Figur zu verbinden. Ihn charakterisiert insbesondere die Verbindung von männlicher und weiblicher Energie. Ab dem 7. Jahrhundert entwickelt sich eine rituelle und theologische Verbindung der beiden im Tantrismus, wobei der historische Kontext dabei im dunklen bleibt. Die fünf Handlungen Shivas (kriya): Schöpfung (shrishrhi), Erhaltung (stithi), Verhüllung (tiodhana), Auflösung (samhara) und Erlösung (anugraha).

Vishnu:
Vishnu gilt als der Erhalter der Schöpfung. Er schafft, erhält und zerstört die Welt. Wie auch Shiva zählt er nicht zu den zentralen Göttern des vedischen Pantheons, wird aber in älteren vedischen Texten erwähnt. Im Gegensatz zu Shiva, der im Epos als Aussenseiter erscheint, zählt Vishnu zum Götterkreis. Er wird als Schöpfer der «Drei-Welt» (Himmel, Erde und Zwischenraum) gepriesen und gleichzeitig mit dem vedischen Opfer identifiziert. Er trägt ein Szepter. Als kosmischer Herrscher kommt er immer wieder als Verkörperung, «Avatar» auf die Erde, um die göttliche Ordnung wiederherzustellen. Dazu zählen neben seiner Verkörperung in Menschengestalt auch Verkörperungen als Fisch (Matsya), Schildkröte (Kurma), Eber (Varahra), Löwenmensch (Narasimha), kleinwüchsiger Priester (Vamana), Rama mit der Axt (Parashurama), Rama, Krishna, Buddha, Kalki. Die letzte Verkörperung steht noch bevor, die Erscheinung als Kalkin, welcher den Weltuntergang besiegt. Er ist mit Laksmi verheiratet.

Krishna:
Krishna wird zwar nicht in den Veden erwähnt, hat aber eine zentrale Rolle als Held und höchster Gott im Mahabharata-Epos inne. Die höchste Verehrung erfährt Krishna in der Bhagavadgita und in der bhakti (Gottesliebe). In einem Anhang des Epos werden die Heldentaten von Krishna und seine Lebensgeschichte erzählt. Krishna tritt im Bhagavatpurana (mystisch-erotische Tradition) ca. ab dem 9. Jahrhundert n.Chr unter anderem als «Beschützer der Kühe» und Verführer der Hirtenmädchen auf. In der Theologie und Dichtung spielt insbesondere Radha als Geliebte und Gefährtin von Krishna eine wichtige Rolle. Wie Vishnu hat auch Krishan eine Reihe von Avatars, wovon viele den Menschen die Gottesliebe verkünden wollen um somit ihr spirituelles Heil zu garantieren.

Ganesha:
Ganesha gilt als der Herr der Hindernisse und des guten Gelingens, der Gott des materiellen Wohlstandes und der Weisheit. Besonders von Schriftstellern, Poeten, Kaufleuten und Händlern wird er verehrt. Er segnet und beseitigt Hindernisse. Wird er missachtet, kann er aber auch Unglück bringen. Ganesha hat vier Arme, trägt eine Schale mit Reisgebäck, eine Schlange, eine Axt & und einen Stosszahn. Er reitet auf einer Maus und hat einen Elefantenkopf. Er ist der Sohn von Shiva und Parvati, ist schlau, gewitzt, weise, isst gerne und gilt als positiver Gott.

Parvati:
Parvati gilt als die Muttergöttin. Ihr Reittier sind Tiger oder Löwe. Sie ist Gattin und shakti von Shiva. Die Puranas präsentieren Shiva und Parvati als das Elternpaar des Universums und enthalten darum viele verschiedene Mythen im Zusammenhang mit ihrem Eheleben. Auf neuzeitlichen Bildern und Kunstdrucken erscheint Parvati dagegen häufig gemeinsam mit Shiva als anmutige, vollständig bekleidete, reich geschmückte Frau mit zwei Armen. Wenn Parvati einzeln dargestellt ist, hat sie manchmal vier Hände, von denen zwei eine rote und eine blaue geschlossene Lotosblüte halten.

Laksmi:
Laksmi gilt als Schutzgöttin der Händler, als Göttin des Ackerbaus sowie für häusliches Gedeihen, Fruchtbarkeit, Glück und Königsherrschaft. Ihre Attribute umfassen die Lotusblüte, den Bilva-Baum, den Wassertopf und Elefanten. Ohne ihre Gunst kann ein König nicht erfolgreich herrschen. Sie wiederum gibt ihre Gunst aber nur an Könige mit entsprechenden Eigenschaften. Dadurch ergibt sich eine Wettberwerbssituation, die sie zu einer wichtigen Göttin macht. Sie gilt auch als Vermittlerin der Gnade des Gottes Vishnu und kann dadurch den Erlösungsweg verkürzen, was in vedischen Texten bezeugt ist. Im Divali-Fest (neues Jahr Neujahr) wird Lakshmi angebetet.

Durga:
Durga gilt als Kriegsgöttin, wobei sie nicht in den vedischen Texten bezeugt ist. Sie ist für die Zusicherung des Sieges über die Feinde der göttlichen Ordnung, sowie auch das Bestehen der königlichen Herrschaft verantwortlich. Im «Preislied an die Göttin» sind drei Mythen enthalten in deren Mittelpunkt ihr Sieg über den Büffeldämon darstellt, bei dem sie die versammelte Macht aller Götter verkörpert.

Kali:
Kali soll aus der Stirn von Durga entstanden sein. Sie gilt als Göttin des Todes, ist eine Verkörperung des Zorns Durgas und der Zerstörung, verkörpert Zeit, Natur und Erneuerung und vernichtet Dämonen. Jedoch gilt sie auch als Beschützerin der Menschen und göttliche Mutter. Sie ist die Göttin der Transformation, indem sie Leben schenkt und es zurücknimmt. Sie kann Wünsche erfüllen und gilt als unanhängig von der männlicher Gottheit Siva, deren Gefährtin sie ist. Immer wieder stiftet sie ihn zu wildem Verhalten an (shakti Shivas). Kali und Shiva sind untrennbar. Meist ist Kali schwarz oder blau dargestellt, hat mehrerer Arme (4, 10) trägt eine Halskette aus Schädeln und einen Rock aus abgeschlagenen Beinen. Die Attribute der Hände können dabei variiern.

Gemäss den vedischen Schöpungsmythen waren die Götter schon da, als die Welt erschaffen wurde. Die Philosophen der Upanishaden begannen nach einer Erklärung zu suchen. Man ging davon aus, dass alles aus «dem Einen» entstanden sei, das man brahman nannte. Es verfügt über ein Bewusstsein, einen Wunsch etwas zu erschaffen. Unsichtbar ist das brahman in allen Menschen, Dingen und Wesen der Welt vorhanden. Man verband brahman mit dem bewussten Selbst des Menschen, atman, das dem Menschen Leben spendet. Dabei anerkannte man brahman und atman an identisch. Auch die Götter besitzen brahamn und können dadurch ihre Aufgaben erledigen. Es ergab sich eine monotheistische Haltung. In der die Götter dem bahman untergeordnet sind und lediglich als Boten der höheren Macht fungieren. Damit bewegte man sich gleichzeitig auch von weltlichen Zielen und damit vom Opferhandwerk weg und ging den Weg der Meditation, des Yoga und der existentiellen Erkenntnis.

In der Zeit der älteren Upanishaden entstanden – zuerst im geheimen – die Wiedergeburtslehre und die Lehre von der Tatenfolge (karma). Die Beobachtung der Natur und ihre Zyklen, die sie durchwandert ergab eine ewige Wiederkehr des Gleichen, was man auch auf den Menschen übertrug. Die rituelle Versorgung der Ahnen war schon immer eine wichtige Pflicht der Menschen und ihnen stellte sich die Frage, was mit den Verstorbenen in der Welt der Toten passiert, da sie ja wohl kaum Platz für alle bietet. In der älteren Upanishaden wird die Seele angedeutet und später dann als Jiva ausformuliert, den feinstofflichen Leib der den Atman im Menschen umgibt und den Tod übersteht. Zusammen mit der Frage nach Gerechtigkeit kam die Idee auf, dass das Handeln und Wissen im Diesseits das Dasein nach dem Tod beeinflussen muss. So dachte man, dass jede Handlung auch eine innere Prägung vornimmt und ausschlaggebend ist für künftiges Glück oder Pech. Somit entstand die Lehre der Tatenfolgen, das karma. Karma bezeichnet ursprünglich «rituelle Handlung». Dieser lebt die Vorstellung inne, dass je nachdem wie einer handelt dementsprechend wiedergeboren wird. Wer Gutes tat, wird gut (wiedergeboren), wer Böses tat, wird schlecht (wiedergeboren). Aus der Kombination der zyklischen Vorgänge des Lebens und der Karmalehre ergibt sich die Wiedergeburtslehre. Diese wurde von und für einen Kreis von Gebildeten und Philosophen geschaffen, um das Problem der Theodizee zu lösen. Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Einen strafenden Gott braucht es dafür nicht. Der Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) umfasst dabei Menschen, Tiere und Geister. Als moksha wird die Erlösung und Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten gesehen, bei dem das Selbst in das höchste und absolute Sein (brahman) eingeht und eine Identität ähnlich mit Gott oder die ewige Nähre zu Gott erlangt.

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