Besuch bei der koptisch-orthodoxen Gemeinde

Elena Fiorenza, Oktober 2019

Die koptisch-orthodoxe Kirche gehört zu den ältesten Kirchen weltweit. Die koptische Kirche ist die nationale Kirche der ägyptischen Christen. Als Kopten werden heute die ägyptischen Christen bezeichnet. Ursprünglich stand der Begriff „Kopten“ für alle Ägypter. Im Zuge der Islamisierung und Arabisierung Ägyptens wurden zunehmend nur noch die Christen als Kopten bezeichnet.

Laut Überlieferung führen die Ursprünge des Christentums in Ägypten auf den Evangelisten Markus zurück. Markus predigte von 61 bis 68 n.Chr. in Alexandrien die frohe Botschaft Jesu Christi und gilt als Gründer und erster Patriarch der koptisch-orthodoxen Kirche. Den ersten Bezugspunkt zu Jesus sieht die koptische Tradition in der Flucht von Maria, Josef und Jesus von Bethlehem nach Ägypten. Die Erinnerung an dieses Ereignis pflegen die Kopten bis zum heutigen Tag.

Tief im Bewusstsein der Kopten verankert bleibt auch die Christenverfolgung des 3. und des beginnenden 4. Jahrhunderts. Die Kopten begannen mit der Ära der Märtyrer die noch heute gültige innerkirchliche Zeitrechnung. Ihre Zeitrechnung beginnt 284 n. Chr., dem Jahr des Amtsantritts des Kaisers Diokletian. Das Märtyrertum blieb immer ein wichtiger Bestandteil der koptischen Identität und eine Konstante der koptischen Geschichte. Wir zählen das Jahr 2019, die Kopten sind im Jahr 1735.

Der heutige Patriarch ist Papst Tawadros II., Patriarch von Alexandrien und ganz Afrika. Seine Heiligkeit ist der 118. Patriarch der Kopten.

Es gibt keine offiziellen Angaben über die Mitgliederzahl der koptisch-orthodoxen Kirche in Ägypten. Die Schätzungen variieren zwischen 15 und 20 Millionen.

Der zunehmende Einfluss der islamistischen Kräfte im Staat und in der Gesellschaft, die Übergriffe der islamischen Extremisten auf Christen sowie die Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Allgemeinen führten zur grössten Auswanderungswelle der Kopten aus Ägypten, die nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 begann und bis heute andauert. Schätzungsweise leben 2 Millionen Kopten ausserhalb Ägyptens. Das sind 20% aller Kopten.

Die Kopten lehren, dass die Christianisierung der Schweiz und des mitteleuropäischen Raums auf die thebäische Legion zurückzuführen sei. Gemäss Überlieferung war die thebäische Legion eine Legion der römischen Armee, deren Mitglieder gegen Ende des 3. Jahrhunderts den Märtyrertod erlitten haben sollen. Weil die Thebäer an ihrem christlichen Glauben festhielten, seien sie auf Anordnung von Kaiser Maximilian gefoltert und hingerichtet worden.

Während dieser Zeit soll sich in Zürich auch das Wunder von Felix, Regula und Exuperantius abgespielt haben. Dort wo heute die Wasserkirche steht, seien die drei enthauptet worden, worauf sie mit ihren Köpfen in den Händen das Ufer hinaufgestiegen und erst an dem Platz gestorben seien, wo jetzt das Grossmünster steht.

1981 wurde der erste Pfarrer für die Schweiz geweiht, weil die Anzahl Kopten stieg. In den folgenden Jahren lösten sich verschiedene Geistliche ab und bauten die Kirche in der Schweiz aus. Die erste koptisch-orthodoxe Kirche wurde im Jahr 1986 in Vernier bei Genf eröffnet. Heute gibt es koptische Gemeinden in den Städten Basel, Biel, Lausanne, Vernier, Yverdon und Zürich.

Die Kirchen in der Deutschschweiz gehören der Diözese „Österreich und Deutschschweiz“ mit Hauptsitz in Wien an. Der zuständige Bischof ist seine Exzellenz Bischof Anba Gabriel.

Derzeit betreuen Pater Isodoros, Pater Sherobim und Pater Bachomios die koptischen Gemeinden der Deutschschweiz.

Die Unterschiede der Lehre der koptisch-orthodoxen und der übrigen orthodoxen Kirchen sind gering.

„Wir glauben, dass unser Herr, Gott und Erlöser Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, vollkommen ist in Seiner Gottheit und vollkommen ist in Seinem Menschsein. Er machte Sein Menschsein eins mit Seiner Gottheit…“ Dieses Zitat ist der gemeinsamen Christologieformel zwischen der römisch-katholischen und der koptischen Kirche (12.2.1988) entnommen.

An mehr als 200 Tagen pro Jahr gilt die Regel, sich aller tierischen Produkte zu enthalten (Milch, Butter, Eier, Fleisch). An den wichtigsten Fastentagen, das sind die 55 Tage vor Ostern, die 3 Tage des Jonas sowie an jedem Mittwoch und Freitag ist überdies das Verzehren von Fisch verboten.

Die Kopten fasten am Mittwoch, da an jenem Tag die Verschwörung gegen Christus geplant wurde, und am Freitag wegen der Kreuzigung. Vor der Einnahme der Kommunion muss zudem neun Stunden komplett gefastet werden.

An einem Sonntag im Oktober 2019 besuchte ich die Kirche der Heiligen Maria und Verena in Grafstal nahe Effretikon. Die ehemalige katholische Kirche gehört seit 2016 den koptischen Christen und wurde im Mai 2019 vom koptischen Papst Tawadros II. geweiht.

Ein ägyptischer Freund begleitete mich. Gegen 8:30 Uhr kamen wir in der Kirche an, und der Gottesdienst war schon in vollem Gange. Mir wurde gesagt, dass der offizielle Teil um 9:00 Uhr beginnt, man sich aber schon vorher trifft, um die Psalmen und Gebete zu sprechen. Ab 9:00 Uhr beginnen die Vorbereitungen auf das Abendmahl.

Der Raum war mit Teppich ausgelegt und die Holzbänke in zwei Reihen aufgestellt. Es hatte nur eine Handvoll Leute. Je fortgeschrittener die Zeit war, desto mehr Besucher betraten den Raum. Frauen und Männer sassen getrennt voneinander. Nur ich sass ausnahmsweise auf der Seite der Männer, damit mir mein Freund alles erklären konnte. Die meisten Frauen trugen ein Tuch, dass sie locker um den Kopf gewickelt hatten.

Vorne war der Altar aufgebaut. In der Ikonostase, der mit Ikonen dekorierten Abtrennung zwischen Altarraum und Kirchenschiff, hatte es drei Öffnungen mit Vorhängen. Die mittlere war geöffnet und man sah auf den Altar. Dort wurde das Abendmahl vorbereitet.

Der Priester war in eine weisse Robe gekleidet. Diese war bestickt mit dem Kopf Jesu und dem orthodoxen Kreuz. Er trug eine schlichte Mitra, wie man sie auch in der katholischen Kirche kennt.

Die ganze Atmosphäre wurde dominiert vom starken Geruch des Weihrauches. Jede noch so kleine Handlung ist symbolisch zu verstehen. Alles was während des Gottesdiensts passiert, basiert auf einer Jahrhunderte alten Tradition. So auch der kleine Männerchor, ihre speziellen Gesänge und das Instrument, das an kleine Becken erinnerte.

Das Verhältnis von Männern und Frauen war etwa ausgeglichen. Es hatte auch einige Kinder im Saal. Die Generation der Jugendlichen fehlte gänzlich. Hinten neben dem Eingang führte eine Treppe in die geschlossene Galerie mit Fensterfront. Dieser Ort ist für Kinder und deren Eltern vorgesehen, die nicht ruhig zuhören können, aber trotzdem den Gottesdienst mitverfolgen wollen.

Neben den koptischen Ägyptern waren auch schätzungsweise ein Drittel orthodoxe Äthiopier anwesend. Die Äthiopier haben in Zürich keine eigene Kirche, weshalb sie sich verschiedenen orthodoxen Kirchen anschliessen.

Vor der Kommunion jeder Liturgie spricht der Priester die sogenannte „Homologia“, in der er das Bekenntnis ablegt: „Ich glaube, dass dies der lebensspendende Leib ist […] Er machte ihn eins mit seiner Gottheit ohne Vermischung, ohne Verquickung und ohne Veränderung. […] In Wahrheit glaube ich, dass seine Gottheit seine Menschheit keinen Moment lang und keinen einzigen Augenblick verlassen hat.“

Alle Texte, auch die Predigt, wurden als Sprechgesang vorgetragen. Anstatt einen Text nur vorzulesen, wird er mit einer frei interpretierten Melodie gesungen, was etwas monoton klingt. Entweder der Priester oder ein Helfer des Gottesdienstes trugen Textpassagen vor und wechselten sich so mit den Gesängen des Chores ab.

Die dominierenden Sprachen waren arabisch und koptisch. Mein Freund musste mich darauf hinweisen, wann die Sprache gewechselt hat, denn ich hörte den Unterschied nicht. Einige Passagen aus den Gesängen und der Predigt waren sogar auf Deutsch. Für die Texte, die ich nicht verstanden habe, hatte ich ein Buch zur Hilfe, in welchem der ganze Ablauf der Liturgie festgehalten war. Der Text war in drei Spalten geteilt, eine auf Koptisch, eine auf Arabisch und eine auf Deutsch.

Dann war es Zeit für die Kommunion. Wer diese einnehmen will, muss vorher gefastet haben. Ich habe mich dieser entzogen und beobachtete gespannt den Ablauf. Die Mädchen und Frauen bildeten eine Reihe auf der rechten Seite, die Knaben und Männer stellten sich auf der linken Seite auf.

Alle nahmen ein weisses Tuch mit Stickereien zur Hand. Zuerst waren die Knaben dran. Der Priester gab ihnen das geweihte Brot direkt in den Mund, denn nur er darf es anfassen. Danach hielten sie sich das Tuch vor den Mund. Dass soll verhindern, dass ein Bissen des heiligen Brotes rausfällt.

Nach der Einnahme des Brotes wird das Tuch wieder abgegeben. Darauf kamen die Männer an die Reihe. Dann wandte sich der Priester den Mädchen zu, die ihren Kopf mit einem weissen Spitzentuch bedeckt hatten, genauso wie die Frauen, die am Schluss die Kommunion empfingen. Nun folgte ein zweiter Durchgang für den Wein. Dieser Akt ist der Höhepunkt des Gottesdienstes. Danach folgten nur noch Infos und der Abschlusssegen.

Im Anschluss an die Messe assen alle zusammen zu Mittag. Ich durfte mich mit dem Priester Shenuda zusammensetzten, der nun in einer schwarzen Kutte gekleidet war. Er hat einen naturbelassenen Vollbart und freundliche Augen. Einmal im Monat reist er aus Wien an, um die Messe zu halten. Er hat mir gerne von der Gemeinschaft und vom koptischen Glauben berichtet. Ohne viele Fragen zu stellen, begann er zu erzählen. Er erläuterte mir die Geschichte der Kopten, wie sie in die Schweiz kamen und wie die Kirche zu ihren Schutzheiligen kommt. Er sagte mir auch, dass er verheiratet sei. Dies sei nämlich im Gegensatz zu den katholischen Priestern erlaubt. Es gäbe aber trotzdem auch Priester, die als Mönche im Kloster lebten.

Ich fragte, ob es auch ökumenische Gottesdienste gäbe. Diese gibt es gemeinsam mit der katholischen Kirche etwa einmal im Jahr. Er wies mich auch darauf hin, dass es an diesem Tag eher weniger Gottesdienstbesucher hatte, weil Herbstferien waren. Die Grösse der Gemeinde wird auf 200 Erwachsene geschätzt.

Die Leute haben allgemein positiv auf meinen Besuch reagiert. Sie haben sich gefreut, dass ich mich für ihre Gemeinschaft interessiere. Die koptische Kirche ist eine freundliche, aufgeschlossene Gemeinde und heisst neue Leute gerne willkommen.

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