Besuch in einem Zentrum des Diamantweg-Buddhismus

Elisa Bruder, 2019

Am 11. März 2019 besuchte ich das buddhistische Zentrum in Aarau. Das Zentrum liegt inmitten eines Wohngebietes im Erdgeschoss eines Wohnungsblockes. Eine einladend grosse Glastüre führt hinein. Ein einziges, schlichtes Schild oberhalb der Tür informiert über das Zentrum. Ich betrat den Raum und sofort bemerkte ich die angenehme und freundschaftliche Atmosphäre. Zwei Männer um die 40 oder 50 Jahre waren bereits dort und empfingen mich sehr freundlich. Sie bereiteten soeben den Tee zu.

Abgesehen von einer Küche und einem Bad besteht das Zentrum aus nur einem Raum. Ein Gemeinschaftstisch und Sofabereich empfangen einen sofort, dahinter befindet sich eine Ruhe- und Meditationsoase. Kleine Teppiche mit Kissen sind einem kleinen Altar mit Buddhabild sowie zwei gerahmten aufgehängten Porträtbilder zugewandt. Ich sollte noch erfahren was die götterähnlich dargestellten Männer für eine Bedeutung haben…

Kurze Zeit später trafen immer mehr Leute ein. Sie alle begrüssten sich, indem sie den Kopf des anderen in beide Hände nahmen und sich Stirn an Stirn berührten. Schliesslich waren wir insgesamt neun Personen. Ich war mit meinen 20 Jahren mit Abstand die jüngste. Abgesehen von mir schienen sich alle sehr gut zu kennen, begrüssten aber auch mich freundlich und fragten interessiert nach: Wie und wieso ich auf ihr Zentrum gestossen bin, woher ich käme, ob ich schon mit Buddhismus zu tun gehabt hätte…

Nach einer kurzen Teerunde begaben wir uns alle einzeln auf einen der kleinen Teppiche mit Kissen, den zwei Porträts an der Wand zugewandt. Der Dharma-Abend (im Buddhismus bedeutet Dharma die Lehre) ist dazu da, in ein buddhistisches Thema einzuführen, darüber zu reden und gemeinsam zu meditieren. Da ich neu war, wurde der heutige Vortrag angepasst, um mich in ihre Form von Buddhismus einzuführen. Zuerst wurden mir die drei grossen Richtungen des Buddhismus erklärt, den Theravada (Fokus auf Ursache und Wirkung, der kleine Weg), das Mahayana (Fokus auf Mitgefühl und Weisheit, der grosse Weg) und das Vajrayana, zu welchem auch die Bewegung des Diamantweg-Buddhismus gehört. Der Diamantweg-Buddhismus glaubt, dass jeder Mensch im Innern eine Art Buddha ist. Es spricht im Leben stehende Menschen an und soll die Menschen lehren, die Welt in einer bereichernden Form zu sehen und die Tatkraft des Geistes zu erwecken.

Nun wurde mir vom Gründer des Diamantweg-Buddhismus, dem Dänen Ole Nydahl, berichtet: Als Ole Nydahl mit seiner Frau Hannah in den 70er Jahren nach Nepal reiste, begegneten sie dem 16. Gyalwa Karmapa Rangjung Dorje (1924-1981) auf der Swayambuthna Stupa in Kathmandu. Bei genau dieser Stupa auf einer Erhöhung inmitten der Grossstadt Kathmandu war ich auf meinen Reisen im vergangenen Jahr. Die unzähligen Stufen, die man hinaufsteigen muss, führen einen in eine andere Welt, weg vom Chaos und Lärm der Stadt. Die tibetisch buddhistischen Gebetsflaggen wehen überall, Glöckchen und das Rattern von Gebetsrollen ist zu hören. Eine solch harmonische Stimmung habe ich selten erlebt.

Auch über die Karmapas werde ich unterrichtet: Karmapas gebe es seit dem 12. Jahrhundert, sie hätten den Auftrag, den Fortbestand der Lehre zu gewährleisten und als Lehrer zu dienen. Der oben erwähnten 16. Karmapa wurde als «König der Yogis von Tibet» vorgestellt. Er habe Hannah und Ole Nydhal in Meditation und Philosophie unterrichtet. Ganze drei Jahre hätten die Nydhals in Nepal verbracht und dabei den tibetischen Buddhismus der Karma-Kagyü-Linie erlernt, welcher grossen Wert auf mündliche Überlieferung, Meditation und Leitung eines Meisters lege. Nach drei Jahren seien die beiden 1972 zurück in den Westen geschickt worden, um den Diamantweg Buddhismus zu lehren und verbreiten. Mittlerweile gebe es um die 600 Zentren weltweit.

Nach dieser Einführung in die Geschichte des Diamantweg-Buddhismus und in seine Grundprinzipien wurden nun einige spezifische Themen angesprochen. Tiefgründig und philosophisch und mit Belegen aus Büchern des Lama Ole Nydahl wurden die Fragestellungen in der Runde besprochen. Ein Besucher erklärte mir zuvor beim Tee, dass er im buddhistischen Glauben Antworten und Hilfestellungen suche. Er sei verzweifelt aufgrund seiner Probleme, für die er im heutigen Treffen eine Lösung zu finden hoffte. Er zeigte sich mit vielen Notizen und Fragen gut vorbereitet. Im Gespräch blieb der Vortragende sehr vorsichtig und hielt immer wieder fest, dass er seine eigene Interpretation oder Gedankengänge präsentiere, wenn er nicht aus einem Werk Ole Nydahls zitierte oder buddhistische Lehren anführte. Alle diskutierten miteinander in einer gelassenen, aber konzentrierten Stimmung.

Danach wurde die Meditation angekündigt und Textblätter verteilt, da der Gesang zur Meditation in Sanskrit war. Ein Anwesender konnte den ganzen zweiseitigen Text auswendig. Anschliessend erzählte und erläuterte er uns das heutige Mantra: Ein Mantra sei eine Art heiliger Vers oder ein heiliges Wort, das durch Repetition als Klangkörper im Raum diene. Und so schien es auch zu wirken. Gefühlte 20 Minuten wurde dieser kurze Satz immer wieder repetiert, es fühlte sich für mich an, als würde mein Kissen unter meinem Hintern vibrieren. Nach so 15 Minuten kämpfte ich gegen das Einschlafen, ich muss eingestehen, es war sehr beruhigend.

Der Leiter weckte uns mit einem Ton, und langsam kehrten wir geistig alle wieder in den Raum zurück. Jeder schien sehr geerdet und glücklich zu sein.

Ein Mann sprach mich auf meine Motivation zur Teilnahme am heutigen Dharma-Abend an. Ich erläuterte ihm, dass ich sehr gerne verschiedene Dinge ausprobiere und auch mit Buddhismus schon Erfahrungen auf meinen Reisen machen konnte. Daraufhin reagierte er mit sehr viel Verständnis und erzählte mir, dass auch er selber viele verschiedene Dinge ausprobiert hatte bevor er zum Buddhismus fand. Er motivierte mich, weiterhin auszuprobieren und verschiedene Richtungen des Buddhismus kennenzulernen. Ich sei immer herzlich willkommen, er verstände aber auch, wenn ich mich in etwas anderem finden würde. Ich fand das Gespräch sehr angenehm und verstand ihn so, dass er Wert auf das Wohl des Einzelnen legt und nicht in erster Linie auf Anhängersuche oder Bekehrung fokussiert ist.

Nach Beendigung des Programms wurde noch ein wenig zusammengesessen, Kuchen gegessen und Tee getrunken. Alles schien sehr familiär und entspannt. Nach einiger Zeit verabschiedete ich mich.

Nach der Veranstaltung hatte ich eher das Gefühl, an einer Philosophie- oder Literaturrunde teilgenommen zu haben, als an einem religiösen Treffen. Es wurd eintensiv diskutiert, und den Anliegen der Teilnehmenden wurde viel Raum gegeben. Problematisch empfand ich die Verehrung der spirituellen Meister, des 17. Karmapa und Lama Ole Nydahl, die mir als Personenkult vorkam. Es wurden auch ausschliesslich Schriften von Nydahl gelesen.

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