Einladung zu einem Studentenabend

Mit zwei Freundinnen begann ich die Reise durch die USA. In Kalifornien angekommen, eröffneten sie mir, dass sie hier ihre Reise unterbrechen würden, da ihr erspartes Geld bald zu Ende gehe. Ich hatte nichts dagegen und zog voller Optimismus, neue Freunde kennenzulernen, allein weiter nach San Francisco. Kaum in dieser schönen Stadt angekommen, ruhte ich mich in einem Park an der Fisherman’s Wharf etwas aus. Bald tauchten zwei Personen auf, eine Frau aus Neuseeland und ein Mann aus Brasilien, die sich als Studenten aus Berkeley vorstellten und mich zu einem internationalen Studentenabend einluden. Da ich keine Studentin war, sondern auf Durchreise, wehrte ich vorerst ab.

Sie begannen dann, mich über meine Reise, mein Zuhause und die Schweiz auszufragen, und vergassen dabei nicht, mich immer wieder aufzumuntern, am Studentenabend teilzunehmen. Ein bisschen neugierig war ich schon und dachte, dass ich dabei auch etwas lernen könnte und zu Hause mehr zu erzählen hätte. Um sicher zu gehen, wollte ich doch noch wissen, wie ernst es den beiden wirklich war, und bat sie, mich zum nächsten Briefkasten zu begleiten. Das war für die zwei selbstverständlich, und so folgte ich ihnen in die Bushstreet. Wie ich später feststellte, war so ein internationaler Abend keine besondere Sache, sondern wurde jeden Tag in demselben Haus in San Francisco veranstaltet. Übrigens studierte keiner der Organisatoren oder Teilnehmer wirklich in Berkeley. Damals glaubte ich noch, dass ich ein ganz spezieller Gast sei. Nach dem Abendessen, im Unterhaltungsteil, trug ich sogar noch ein Schweizer Lied vor.

Das wichtigste für alle Moonies ist bei dieser Begegnung, dass man als Gast die Einführungslektion versteht. Während in einem kleinen Raum alle, Moonies und Gäste, mehr oder weniger interessiert und ganz unvoreingenommen einem Vortrag zuhören, beten im Keller drei bis fünf Mitglieder der Gruppe für die Neulinge. Damit soll erreicht werden, dass die geistige Welt dem Gast bei der Entscheidung, ins anschliessende Seminar zu gehen, behilflich ist. Dort soll er dann mehr von der Lehre des Messias hören. Ihr Gott muss wohl jene Gebete gehört haben, denn ich entschloss mich, meine Reise zu unterbrechen, um für eine Woche dieses Seminar zu besuchen. Am selben Abend ging es noch los. Mit einem Bus voller Leute fuhren wir ins Dunkel der Bay Area. Meine Vorstellung war, dass dieses Seminar an einem US-College in der Region stattfinden würde. Unsere Fahrt endete aber erst nach ca. 1 ½ Stunden auf dem Land in einem ehemaligen Pfadfinderheim. Gleich nach der Ankunft wurde mir ein Raum zugewiesen, in dem schon ein paar Mädchen aus Deutschland waren und noch zwei Matratzen frei waren. Uns wurde geraten, ganz ruhig zu sein und auch gleich ins Bett zu gehen, damit wir die anderen nicht stören. Der eigentliche Grund war natürlich, zu verhindern, dass sich die Neulinge untereinander kennen lernten und austauschten. Sie sollten nur mit Leitern und Mitgliedern kommunizieren und eine Beziehung aufbauen. Doch das ahnt man als neuer Gast noch nicht. Ich empfand die Atmosphäre im Camp vielmehr als warm und herzlich.

Mit zahlreichen Vorträgen über die Lehre und einem straffen Tagesablauf versuchte die Gruppe dann, die Gäste mehr und mehr von der Aussenwelt zu isolieren. So habe ich recht bald meine Eltern als fehlerhafte Menschen gesehen und nur noch geglaubt, was ich in der Gruppe lernte. Ich war auf einmal fest überzeugt, dass Gott mich zu einer speziellen Mission auserwählt hatte. Als Lebensaufgabe hatte ich nun zur Schaffung einer idealen Welt beizutragen. Von nun an sprach Gott nur noch durch das Lehrmaterial der Moonies oder direkt durch meine Leiter.

Die Einführung in die Vereinigungskirche bzw. CARP fiel bei mir auf fruchtbaren Boden. Ich war bereit, alles, was mir vertraut und lieb war im Leben, für die neue, wichtige Mission aufzugeben. Zu meinen Aufgaben gehörte vorerst, Geld zu sammeln. Dazu wurde uns erklärt, dass für jede Geldspende der Spendende eine entsprechende Führung zum Himmelreich bzw. zur Erkenntnis des Messias (San Myung Moon) erhalten würde.

Etwa nach einem Jahr fleissigen Einsatzes wurde ich als Gruppenleiterin im Camp eingesetzt. Hier war es nun sehr wichtig, dass sich die Gäste geborgen fühlten. Es war meine Pflicht, von den Neulingen in meiner Gruppe möglichst viel über ihr Leben zu erfahren, aber auch Fragen oder Unstimmigkeiten zu entdecken. Diese Information musste ich dann an die vortragende Person der „göttlichen Prinzipien“ weiterleiten, damit er/sie gezielt auf die Zuhörer eingehen konnte. Das war nur ein Weg, wie versucht wurde, die Neulinge mit den richtigen Worten zu gewinnen.

Zu weiteren Aufgaben gehörte für mich auch, auf kalifornischen Schulhöfen oder auf den Strassen von San Francisco neue Mitglieder anzuwerben. Ich war auf den Studentenkongressen in New York, England und Paris dabei und am Anfang sogar noch Reise- und Gruppenleiterin für sowjetische Studentinnen, die für ein kurzes Seminar in die USA eingeladen wurden.

Für die meisten Mitglieder der Vereinigungskirche waren die ersten drei Jahre zum „Fundraisen“ vorgesehen. Bei mir nahm die Illusion nach 4 ½ Jahren Mitgliedschaft ein Ende. Ich fand, dass es an der Zeit sei, meine Eltern wieder einmal zu besuchen. Meine Leiter waren geteilter Meinung, ob sie mir die Erlaubnis geben sollten, zumal eigene Entscheidungen nicht erwünscht waren. Ich dachte mir einfach, nachdem ich noch ein Auffrischungsseminar besucht hatte, dass mir nichts im Wege stehen könnte, die „gute Botschaft“ weiter zu verkünden. Die Moonies befürchten, dass Eltern versuchen, ihr Kind von einer Rückkehr in die Gruppe zurückzuhalten. Deshalb raten sie von einem Besuch zu Hause ab, ausser die Eltern haben sich als Sympathisanten der Gruppe erwiesen. Als ich zu Hause ankam, war es dann auch so, dass meine Eltern zwei gut informierte, ehemalige Moonies eingeladen hatten, die mit mir über Für und Wider der Bewegung und deren Ideologie reden sollten. Obwohl ich in der Gruppe gelernt hatte, auf solche Diskussionen niemals einzugehen, hatte ich keine Bedenken, dass mir irgend jemand diesen „absolut richtigen Glauben“ nehmen könnte. Tagelang wurde diskutiert, bis es mir dann doch etwas bang wurde, als ich feststellen musste, dass in dieser „messianischen“ Bewegung viele Lügen benutzt wurden, die selbst ich in voller Selbstverständlichkeit weiterverbreitet hatte.

Zu jenem Zeitpunkt war eine Rückkehr zu den Moonies für mich ausgeschlossen, doch Zweifel, ob nicht doch etwas Wahres an dem erlernten Glauben sein könnte, blieben noch über Monate. Berichte und Gespräche mit weiteren Ehemaligen, auch von anderen Kulten, halfen mir wesentlich, die destruktiven Zusammenhänge zu erkennen und mich in meinem jetzigen Leben wieder gut zurechtzufinden.

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