Was war Manipulation, was war Lebenshilfe?

1976 kam ich in Scientology, ich war gerade 20 Jahre alt, 2 Jahre später war ich Mitarbeiterin. Raus kam ich mit 27. Es war eine richtige Flucht. Gearbeitet habe ich als Auditorin. Die Ausbildung für diese Tätigkeit innerhalb Scientology machte ich in München. Dort lernte ich die Verfahren, wie mit geistigen Übungen und Fragetechniken die längst vergessenen, aber noch vom Unbewussten her lenkenden früheren traumatischen Erfahrungen aufgespürt werden können und wie man helfen kann, sie zu verarbeiten. Diese Arbeit mit Leuten gab mir persönlich viel Befriedigung. Ich konnte helfen und war in gutem Kontakt mit Menschen; konnte forschen, was den Menschen bewegt, ängstigt und hemmt, aber auch glücklich macht.

Anfangs ist es einfach gut. Man hat Anschluss. Man erhält Antworten, eine Aufgabe, man fängt an, sich nützlich zu fühlen. Was mit mir, und ich würde sagen mit allen, die in Scientology bleiben mit der Zeit passiert, ist, dass durch massivste Manipulation die persönliche Entwicklung und Meinungsfreiheit bis zum Nullpunkt reduziert wird. Wie gesagt fühlt man sich am Anfang ganz und gar nicht so, im Gegenteil, man wird aufgefordert, auf sich zu hören, man kriegt eine Stimme, man ist nicht alleine. Die eigenen früheren traumatischen Erfahrungen werden erleichtert und man fühlt sich freier, ungebundener, fröhlicher, aufgehobener und beschützter. Endlich hat man jemanden gefunden, der einem versteht, einem führen kann und gleichzeitig auch Antworten und Lösungsansätze geben kann.

Aber leider dies nur kurze Zeit, danach kommt das Andere. Und das Andere ist: „Nur was für die Gruppe und deren Ideal gilt, zählt!“ Und natürlich in Scientology ganz besonders: die Kasse musste jede Woche stimmen. Geld musste man herbeischaffen, wenn man obiges wollte.

Ich bekam immer mehr Repressalien: keine Freizeit, keine Orientierung in der Aussenwelt, die sowieso als ganz schlecht hingestellt wurde. Man musste bis tief in die Nacht arbeiten und kriegte höchstens einen Morgen frei in der Woche, um das Nötigste Zuhause zu machen. Dies ist auch eine Art, die eigenen Abwehrkräfte zu schwächen und einem manipulierbarer zu machen. Und man wurde manipuliert, klein gemacht, abgewertet. Es herrschte eisige Kälte dort drin. Riesiger Leistungsdruck wurde ausgeübt, dazu musste man immer wieder L. Ron Hubbard studieren, zitieren, Parolen wiederholen und ihn ehrfürchtig beklatschen.

Man braucht nachher enorm lange, bis man all das aussortiert und verarbeitet hat und bis man wieder zu seiner eigenen Kraft gefunden hat, derer man beraubt wurde. Ja natürlich, es war alles für ein gutes Ziel, deshalb hat man ja auch so mitgemacht. Es änderte sich ja nicht alles auf einen Schlag, es kam nach und nach, und indem man sich den Gruppenidealen verschrieb, löste man sich immer mehr von der Aussenwelt. Man hatte keine Vergleichschancen und auch keinen Anschluss mehr. Ohne Scientology ist man in dieser Phase auf sich alleine gestellt. Man hatte auch Leidensgenossen, Freunde, die wollte man auch nicht verlassen und wenn man sich entschlossen hätte zu gehen, hätte man alles verloren, keine Freunde, keine geistigen Aussichten, denn Scientology hatte die einzige Befreiungslehre (behauptete man), wie wir uns als geistige Wesen weiterentwickeln und zu dem wahren Selbst gelangen könnten. Wer möchte da nicht mit seinem vollen Potential ausgerüstet sein, unverletzlich, unsterblich?, Nun, um diese Dinge zu erreichen gab es in Scientology die geheimen sogenannten OT-Stufen, die natürlich recht unerschwinglich waren und eine Illusion, ein wahrer Betrug, wie ich später, als ich sie auch machte, herausfand. Aber so was darf man ja nicht zugeben, man kann es sich selber ja nicht zugeben, keiner gibt sowas zu, dann wäre man ein Verräter besonderer Klasse. Also tut jeder so, wie wenn er durch diese Verfahren ein ganz besonderer Mensch geworden sei und erhebt sich über die so nichtwissenden ungeklärten Mitmenschen. Es gibt ja noch die nächsten Stufen und was man bis jetzt nicht erreicht hat, erreicht man ganz bestimmt in einer der nächsten.

Ich habe geheiratet und da ich noch einen Morgen an mein Hochzeitsfest anhängte, was ich nicht erlaubt bekommen habe und nicht wieder um 9 Uhr in der Organisation war, wurde ich gleich nach Kopenhagen geschickt um meine Aufmüpfigkeit zu behandeln. In Kopenhagen musste ich stundenlang meine Untaten, Unterlassungen, Nichtübereinstimmungen mit der Heilslehre und alle bösen Gedanken aufschreiben. Mein Mann, er war Teilzeit­mitarbeiter, kam eine Woche später hoch. Ihn nahmen sie total in die Mangel, er wurde „sicherheitsüberprüft“ d.h. er war in ihren Augen eine potentielle Gefahr für Scientology. Drei Leute haben verbal mit einer Klasse von StundentInnen im Hintergrund auf ihn eingedroschen, ein Verhör SS-Klasse ähnlich. Nach diesem Verhör habe ich ihn getroffen, wie eine wandelnde Leiche hat er ausgesehen.

Da wurde mir klar: so hier musst du weg, das ist kein guter Platz und der wird nicht gut. Mein frischvermählter Mann wurde abgesondert und in eine Rehabilitierungseinheit geschickt. Es hat ein absolutes Redeverbot bestanden. Trotzdem konnte ich ihn am andern Morgen abpassen und ich flüsterte ihm zu, dass ich gehen werde. Er sagte, er käme mit. Wir holten heimlich unsere persönlichen Sachen, nur das Nötigste, dass auch ja keiner drauf käme, dass wir uns wegschleichen würden und begaben uns auf den Bahnhof. Da der Zug nicht gleich abfuhr und unser Weggehen in der Zwischenzeit hätte bemerkt werden können, suchten wir ein Hotel auf und gingen erst am nächsten Tag nach Basel. Ich wusste von andern, dass sie aus Zügen herausgeholt wurden. Dem wollten wir vorsorgen.

In Basel gingen wir gleich weg auf Hochzeitsreise. Als wir zurückkamen waren wir zu unterdrückerischen Personen erklärt worden. Keiner von unseren früheren Freunden durfte mehr mit uns reden.

Das Ganze zu verarbeiten und sich neu zu orientieren hätte ich alleine ohne meinen Mann nicht geschafft. So konnten wir uns gegenseitig stützen. Es gab zu jener Zeit mehrere abgesprungene Scientologen, die sich mir anvertrauten. Alles war nicht schlecht da drin, nur was war Manipulation, was war Lebenshilfe? Ich konnte daran arbeiten, konnte weiteren Personen helfen, diese tragische Erfahrungen zu verarbeiten, und sich im Leben, so wie es ist, weiter zu bewegen und sich zu finden. Ich befasste mich dann intensiv mit Schriften von Sigmund Freud, C.G. Jung und an­deren psychologischen Studien und ging in Selbsterfahrungsgruppen. Jederzeit würde ich auch andern beistehen, den Schritt aus einer Sekte und ganz besonders aus Scientology herauszuhelfen.

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