Akron

Ein Nachruf auf den St.Galler Magier Charles Frey (1. Mai 1948 – 11. Oktober 2017)

Prof. Georg Schmid, 2017

In einem Interview mit dem St.Galler Tagblatt (9.10.2013) bezeichnete Akron seine Arbeit als „Anklopfen an einer anderen Bewusstseinsebene.“ Das tönt im Munde eines Magiers sehr zurückhaltend, sogar magiescheu bescheiden. Normalerweise durchstreifen Akrons naivere Berufskollegen hemmungslos alle Schattenreiche, die sie in sich und in den okkulten Traditionen aufspüren. Und wenn sie schon irgendwo anklopfen, dann schlicht nicht nur an den Pforten des Unbewussten, sondern unbescheiden an den Pforten der Allmacht. Alles wird in alter magischer Sicht möglich, wenn sich nur der rechte Wille mit der rechten Vorstellung verbindet.

Der Beobachter darf sich durch Akrons Bescheidenheit nicht täuschen lassen. Selbstverständlich hatte Akron auch allmachtsnahe Magie im Angebot. Sogar das Gott-Werden, die letzte Stufe der okkulten Reisen in die Anderswelt, hat er anvisiert. Aber immer blieb Akron auch der Skeptiker. Was er anbietet, ist nur Vorstellung, im besten Fall innere, psychische Wirklichkeit. Sind Akrons Schattenreisen Spiel oder Ernst? Ich würde meinen: Beides zugleich. Denn die innere psychische Wirklichkeit weitet sich im Sinne von Akron aus bis in die Sphäre des Non-Dualen, in jene Bereiche der Wirklichkeit, in der alle Gegensätze in eins zusammenfallen: Schatten und Licht, Gott und Baphomet, Mann und Frau, Oben und Unten, Ja und Nein, Selbst und Welt.

Dass nicht alle Anhänger Akrons ihm auf seinem oft sehr spekulativen, aber immer rituell bunt dekorierten Weg in die Nicht-Zweiheit folgen konnten und in den Vorstellungen landläufiger Magie und laienhafter Psychotherapie hängen blieben, gründet nicht nur in der Unmöglichkeit, das Non-Duale sich vorzustellen. (Jede Vorstellung ist bekanntlich in sich schon dual. Sie unterscheidet zwischen dem Vorstellenden und dem Vorgestellten). Akron selbst legt dem Schüler auf dem Weg ans Ziel auch Steine in den Weg. Seine Ausführungen sind oft nicht nur widersprüchlich, wie es sich im Reden über die letzten Sphären der Wirklichkeit gehört. Sie sind verwirrend. Akron spielt mit Worten und Vorstellungen. Vor seinen ihn prägenden Begegnungen mit dem eigenen Tod – einmal nach einem Darmdurchbruch, einmal nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall – war er ein ausgesprochener Schnellredner. Einsichten und Absichten sprudelten nur so aus ihm heraus. Natürlich forderte er jeden Zuhörer auf, alles Gesagte kritisch zu prüfen. Aber wer kann noch prüfen, wenn die Weisheiten in derartigem Tempo an ihm vorbeiziehen?

Zu Recht wird Akron hie und da mit H.R.Giger verglichen, mit dem er befreundet war und zeitweilig zusammenarbeitete. Wer das Werk beider kennen lernt und wer vielleicht auch beide kannte, spürte bei allen Gemeinsamkeiten in der Schattenarbeit stimmungsmässig bei beiden eklatante Unterschiede. H.R.Giger war Künstler von Weltruf. Seine Werke bestechen nicht nur als Kunstwerke, sie belasten auch. Verglichen mit allem, was Akron vorlegt, wirken sie depressiv. Akron war Journalist und Musiker, bevor er die Schattenarbeit zu seinem Beruf machte. Von da an war er vor allem Regisseur, Meister der rituell angeleiteten kollektiven Reisen durch die Schattenwelt. Was er und sein Umfeld künstlerisch zum Thema Bilder aus dem Reich der Schatten vorlegen, erreicht zwar nie Gigers Niveau, aber es wirkt auch wenn er Todeserfahrungen– z.B. fiktive Enthauptungen – in seinen Ritualen anbot, eher wie ein Bühnenstück. Die Schattenreisen waren sein Beruf. Baphomet oder Baphoma, wie sie bei Akron hiess, sitzen nicht wie das entsprechende Poster von H.R.Giger dauernd bedrohlich vor den Augen des Betrachters. Sie werden als Teil unseres Selbst wahrgenommen und rituell integriert. Das Ritual treibt auf ein Happy End zu. Wenn wir Akron mit einem Titel belegen wollen, dem er nur mit grosser Skepsis begegnete, so lässt sich sagen: Akron war ein optimistischer Okkultist.

Dass er alle, die sich ihm anvertrauten, sicher durchs Land der inneren Schatten geleitet hat, können wir nicht behaupten. Aber dass er wie andere vor ihm dem Okkultismus und dessen Dämonen durch seine psychologischen Deutungen den metaphysischen Schrecken raubte, ist ihm positiv anzurechnen. Seine psychologische Sicht der Magie hat sich auch an seinem Lebensende bestätigt. Denn dass Magie als Allmachtsspiel nicht funktioniert, zeigte auch sein Sterben: Charles Frey, alias Akron, ist am 11.10. 2017 im Alter von 69 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Akron leitete sein Pseudonym ab von griechisch „achronos“, „zeitlos“, „ewig“. Die Sehnsucht nach dem Ewigen hat ihn ein Leben lang begleitet, auch wenn sie ihm oft verwirrend gewundene Wege wies.

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