San Myung Mun

Der Mann, der das Erlösungswerk Jesu vollenden wollte

gestorben 3.9.2012

Grosses hatte er vor, der Gründer und Messias der Vereinigungskirche. Schon als Kind hatte man ihm von Jesus erzählt, wuchs er doch in einer presbyterianischen Familie Koreas auf. 1935, mit 15 Jahren begegnet er Jesus auf einem Berg. Jesus habe ihn beauftragt, seine Mission weiterzuführen. Während des 2.Weltkrieges Krieges studierte Mun in Japan Elektrotechnik. Aber sein Sendungsbewusstsein liess sich auf die Dauer nicht verheimlichen und führte ihn andere Wege. Nach Korea zurückgekehrt, suchte er im kommunistischen Norden des Landes zu missionieren. Doch die Kommunisten steckten ihn bald in ein Gefangenenlager, wo er sich zum leidenschaftlichen Antikommunisten entwickelte. Als die Amerikaner zeitweilig weit in den Norden Koreas vordrangen, konnte er der Haft entfliehen. Von nun an lebte er in Südkorea und gründete 1954 die «Heilig-Geist-Gesellschaft zur Vereinigung des Weltchristentums», wie sich diese Keimzelle der späteren Vereinigungskirche damals nannte.

Nachdem 1959 seine erste Ehe geschieden worden war, heiratete er 1960 in zweiter Ehe Hak Ja Han. Diese Eheschliessung gewann für ihn und seine Bewegung heilsgeschichtliche Bedeutung. Mit dieser Ehe wurde in seiner Sicht das Erlösungswerk Christi vollendet. Dass Christus sein Erlösungswerk nicht hatte vollenden können, weil er zu früh starb und deshalb nie heiraten konnte, wurde zu einer Grundlehre der Vereinigungskirche. Durch ein Mann und eine Frau (Adam und Eva) kam die Sünde in die Welt. (Ihren Sündenfall deutete Mun auch sexuell: die Schlange und Eva hatten miteinander sexuellen Kontakt.) Weil ein Paar die Sünde in die Welt brachte, musste nach Muns Überzeugung auch durch ein Paar das abgebrochene Erlösungswerk Jesu vollendet werden. Die erste neue und vollkommene Ehe, wahrhaft erlöst, war nun diese zweite Ehe von Reverend Mun. Sogleich fing das wahre Elternpaar an, Anhängern auch die Chance einer wahren Ehe zu bieten. Wer durch sie getraut wurde, führte nun auch eine neue, erlöste Ehe.

Mun und seine Frau führten im Verlaufe der Jahre oft in Massenveranstaltungen riesige Scharen junger Leute zusammen. Meist hatte Mun selber in seiner göttlich-perfekten Intuition die Pärchen zusammengeführt. Vom Geist geleitet kombinierte er manchmal Ehepaare anhand von Fotos, die ihm vorgelegt wurden. Unzählige Paare wurden getraut, ohne sich gegenseitig zu kennen. Manche konnten nicht einmal miteinander sprechen, weil sie keine gemeinsame Sprache beherrschten. Aber viele akzeptieren gerne die Wahl des Messias und blieben später auch zusammen. Die gemeinsame Liebe zum wahren Elternpaar Mun war die Basis, auf denen sich diese Ehen aufbauten. Durch Mun eine Partnerin, resp. einen Partner zugeteilt zu erhalten, war zeitweilig eine Belohnung für erfolgreiches Missionieren. Wer – so hiess eine Regel – drei neue Mitglieder gewonnen hatte, durfte verheiratet werden.

Das Ansehen Muns wuchs mit seiner Bewegung ins Übermenschliche. Er wurde zum wahren Vater, zum Messias, zuletzt zum König der Könige. Später, als die von Mun getrauten Paare schon selbst erwachsene Kinder hatten, suchten die Eltern die rechten Partner für ihre Kinder aus. Aber immer noch schloss Mun die neuen, vollkommenen Ehen.

Warum aber wurde Mun derart verehrt und geliebt? Auf Aussenstehende wirkten seine Auftritte eher befremdlich. In seinen Reden wirkte er oft hölzern. Wenn er vorsang, tönte das wenig überzeugend. Die in vielen Videos aufgezeichneten Reden zeigen kein rhetorisches Genie und keinen brillanten Denker. Alles, was Mun sagt, wirkt auf den kritischen Zuhörer holzschnitzartig simpel. Wie konnte ein eher derber Guru soviel Anhänger gewinnen? Vier Dinge beherrschte Mun sein Leben lang:

1. Er strahlte eine grenzenlose Selbstsicherheit aus. Niemals wird spürbar, ob in ihm die Frage aufbricht, ob er sich doch nicht vielleicht getäuscht hätte. Für ihn unzweifelhaft klar: In ihm hat sich Gott– Vater selbst inkarniert. Er ist nun der Messias, der König der Welt, der wahre Vater. Mit ihm entscheidet sich das Schicksal der Welt.

2. Mun hatte ein unwahrscheinliches Gespür für die im Moment anstehenden Chancen. Er dachte und handelte situativ. Dieses Talent nutzte er einerseits als Kirchengründer, andrerseits als Geschäftsmann, wobei – diesen Eindruck gewinnt der kritische Beobachter – er auch seine Kirche führte wie sein Geschäft. Schon in Korea hatte er eine Firma gegründet. Später kamen immer weitere Unternehmungen zu seinem Wirtschaftsimperium hinzu: Ginseng-Handel, eine Reederei, eine erfolgreiche Waffenfabrik, Hotels, die wirtschaftlich weniger erfolgreiche Zeitung Washington Times usw. In den USA des kalten Krieges wurde er – inzwischen in die USA ausgewandert – zu einer Leitfigur des Antikommunismus. Nach dem Ende der Sowjetunion hingegen traf er sich mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Il Sung, förderte die Idee eines vereinigten Koreas und hatte keine Bedenken, auch in Nordkorea geschäftlich aktiv zu werden. Nur einmal hat ihn sein guter Sinn fürs jeweils Mögliche verlassen: Er hatte die amerikanischen Steuerbehörden unterschätzt und musste 13 Monate in einem US- Gefängnis absitzen. Enttäuscht wandte er sich nun Südamerika zu und begann, seine Kirche und seine Firmen in Uruguay und Brasilien zu etablieren.

3. Mun entwickelte für seine zumeist jugendlichen Anhänger einen sehr speziellen und auf weiten Strecken erfolgreichen Führungs- und Missionsstil. Die jungen Leute wurden von den sog. Munies auf der Strasse angeworben und in Kurse eingeladen, ohne dass in diesen Kontakten je von der Vereinigungskirche die Rede war. Auf Nachfrage hin wurde sogar bewusst gelogen: «Nein, wir gehören nicht zur Vereinigungskirche». Diese Täuschungsmanöver nannte man «heavenly deception», vom Himmel legitimierten Betrug. Wenn dann die jungen Kursbesucher später merkten, dass sie in der Vereinigungskirche gelandet waren, war es oft schon zu spät: Sie waren nun schon so weit bearbeitet, dass sie die Aussenwelt fürchteten. Sie wussten nun, dass Mun und seine Frau die wahren Eltern sind und dass die eigenen leiblichen Eltern zur Welt Satans gehören. Zudem lebten die jungen Munies lange Zeit in Kommunen, in einer innigen, verschworenen Gemeinschaft, erfüllt von grossem Idealismus und Opferbereitschaft. Einfaches Leben und lange Arbeitstage mit vielen Entbehrungen wurden gerne akzeptiert, indes der Messias immer mehr Reichtum anhäufte und sich immer pompöser feiern liess. Dieses Jugendsekten-Image der Vereinigungskirche brachte es mit sich, dass Mun zeitweilig nicht nach Deutschland reisen durfte.

4. Mun verstand es wie kaum ein anderer, sich mit bedeutsamen Leuten und Institutionen anzufreunden und sie zur Steigerung seines Images zu missbrauchen. So lud er zeitweilig Religionswissenschaftler und Theologen zu Konferenzen an attraktiven Orten ein und zahlte ihnen Reise und Hotel. Manch einer liess sich gern missbrauchen. Am 23. März 2004 gelang es Mun sogar, 81 US-Parlamentarier, 26 Botschafter und verschiedene Religionsvertreter zu einem Ehrendinner in ein Senatsgebäude in Washington einzuladen, während dem zuerst einige Gäste mit Medaillen für ihren Einsatz für den Frieden geehrt wurden. Anschliessend wurden Mun und seine Frau königlich eingekleidet und als Königspaar des Friedens gefeiert. Spätestens in diesem Moment dürften ein paar Politiker gemerkt haben, welcher Täuschung sie anheim gefallen waren. (Dieses Bravourstück an heavenly deception findet sich im Video aufgezeichnet unter http://www.youtube.com/watch?v=f08clPMODw8&feature=related.) Kurz – Mun beherrschte heavenly deception perfekt.

Doch hat er seine Hauptaufgabe erfüllt, zu der er sich berufen fühlte? Zeitweilig kam die vollkommene Familie des Messias in die Schlagzeilen, als sein ältester Sohn Hyo Jin Mun drogenabhängig und seiner Frau gegenüber gewalttätig wurde. Sie floh mit ihren Kindern aus der Vereinigungskirche und zeichnete in der Öffentlichkeit ein denkbar negatives Bild des Mun-Clans. Auch andere Spannungen innerhalb der Familie wurden offenkundig. Im Sinne des Vaters wirken Kuk Jin Mun, der die Leitung des Wirtschaftsimperiums der Familie übernahm, und vor allem Hyung Jin Mun, der jüngste Sohn San Myung Muns, ein talentierter Kampfsportler, der Religionswissenschaft studierte und 2008 Vorsitzender der Vereinigungskirche International wurde. Hyung Jin versucht mit einem gewissen Erfolg, die Kirche aus dem Sektenimage herauszulösen und neues Publikum für sie zu gewinnen. Doch die Aura der idealen Familie hat gelitten. Dennoch geht die Vereinigungsbewegung möglichst unbeirrt weiter ihren Weg. Das angestrebte «normalere» Kirchenimage, reiche Spenden für die verstorbenen Vorfahren, deren Höllenpein die Kirche gegen Entgelt lindern will, dazu die in manchen Teilen profitablen kircheneigenen Unternehmungen tragen mit dazu bei, dass mit der Vereinigungsbewegung zumal in Ostasien und Amerika weiterhin zu rechnen ist.

Hat Mun sein Ziel am Ende seines langen Lebens erreicht? Hat er das Erlösungswerk Jesu vollendet? Einmal abgesehen davon, dass das Erlösungswerk Jesu gar nicht vollendet werden muss, weil es genügend vollendet war und seither für sich selber spricht, können Aussenstehende das Lebenswerk des Reverend Mun nur mit grösster Mühe mit dem Meister von Nazaret in Verbindung bringen. Der Messias ein Waffenfabrikant und Milliardär? Heavenly deception als Missionsmethode? Natürliche Familienbande dämonisieren im Auftrag Gottes? Unterstützung für den schwer angeschlagenen Richard Nixon im Watergate-Skandal? Das können doch nicht Markenzeichen des Messias sein. Das sind vielmehr Errungenschaften und Maximen eines Mannes mit übergrossem Sendungsbewusstsein und überdurchschnittlichem Geschäftssinn, der unerschütterlich daran glaube, dass er der Messias wäre. Am meisten vermisse im Blick auf Reverend Mun, dass er sich wahrscheinlich nie fragen musste oder wollte, ob er wirklich der Messias ist. Es scheint, dass sein jugendlicher Bedeutungshunger vielleicht noch besser als der spätere «Messias» selber die Kunst der heavenly deception beherrschte. Auf jeden Fall hat Mun sein immenses Selbstbild in der Jugend einmal gewonnen und nachher nie mehr wirklich hinterfragt.

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