Verschwörungstheorien

Es gibt keine offizielle oder wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffes «Verschwörungstheorie». Jede Fachperson verwendet einen anderen Zugang und setzt somit unterschiedliche Schwerpunkte. Die Mehrheit der Auslegungen kann man jedoch als substanzielle Definitionsansätze gruppieren, welche Verschwörungstheorien anhand inhaltlicher Merkmale und weniger mittels potenzieller Funktionen beschreiben. Weiter gibt es bspw. relationale Zugänge, die Verschwörungstheorien in Abgrenzung zu allgemein anerkannten Wissensbeständen erklären.

Zu den aktuell am bekanntesten (substanziellen) Definitionsversuchen zählt diejenige von Michael Butter, deutscher Amerikanist. Laut ihm stellt der Kern von Verschwörungstheorien die Überzeugung dar, eine ihm Geheimen operierende Gruppe von Verschwörern versuche aus niedrigen Beweggründen und für den eignen Vorteil eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt (-bevölkerung) zu kontrollieren, beeinflussen oder zu zerstören. Aktuelle Ereignisse, Entwicklungen und Phänomene werden dementsprechend als Folgen ihres so geplanten Handelns verstanden. Wer genau die Mitglieder sind, bleibt dabei in den allermeisten Fällen ungeklärt – in vielen der Theorien erfährt man lediglich, dass die Gruppengrösse klein und überschaubar sei.

Butter bricht seine Ausführungen auf drei typische Charakteristika herunter, anhand derer man (wissenschaftlich neutral) entscheiden kann, wann eine Betitelung als Verschwörungstheorie angemessen ist und wann nicht:

  • Nichts geschieht durch Zufall

Alle regionalen sowie globalen Ereignisse, Entwicklungen und Phänomene sind nicht einfach zufällig durch bspw. Verkettungen mehrerer Faktoren, sondern intentional entstanden. Sie gehören zum umfassenden Plan der Gruppe von Verschwörern, dessen Umsetzung solche einbezogenen «Zwischenschritte» voraussetzt.

Als Schlussfolgerung daraus ergeben sich die beiden anderen Kriterien:

  • Nichts ist, wie es scheint
  • Alles ist miteinander verbunden

Dass hinter den allermeisten Ereignissen und Weltentwicklungen die Gruppe der Verschwörer dahintersteckt, erkennen nur diejenigen, die die «allen Dingen zugrundeliegende Wahrheit» erkannt haben. Die meisten Verschwörungstheorien beinhalten die damit zusammenhängende Erzählung, öffentlich-rechtliche Medien und Politik würden diese Wahrheit bewusst geheim halten. Im Gegensatz zu den sogenannten Schlafschafen (eine populäre Bezeichnung für Personen, die sich nicht mit einer Verschwörungstheorie identifizieren), ergeben sich für die «Erwachten» spezifische, jegliche Zufälle eliminierende Muster und Verbindungen – Erklärungsschablonen, die Halt und Orientierung bieten.

Die typischen Merkmale von Verschwörungstheorien finden sich hier zusammengestellt als PDF-File.

Verschwörungstheorie

Der Terminus «Verschwörungstheorie» wird mancherorts kritisch gesehen, weil Verschwörungstheorien oft keine Theorien in einem wissenschaftlichen Sinn darstellen, besonders dann, wenn sie sich systematisch einer Falsifizierung entziehen, wie es für radikalere Verschwörungstheorien geradezu typisch ist: Wer die Verschwörungstheorie hinterfragt und Argumente gegen sie vorbringt, belegt damit, im Sold der Verschworenen zu stehen, und bestätigt die Theorie.

Auch wenn viele Verschwörungstheorien tatsächlich nicht als Theorien in einem wissenschaftlichen Sinn gelten können, sind sie doch «Theorien» im Alltagssinn des Wortes als einer «unbewiesenen Behauptung», die wahr sein kann oder auch nicht. Bezugnehmend auf diese Bedeutung des Begriffs Theorie kann der Terminus Verschwörungstheorie durchaus gute Dienste leisten, nicht zuletzt auch deshalb, weil er im Vergleich mit den vorgeschlagenen Ersatzbegriffen wertneutral gefasst werden kann: Ob an einer Verschwörungstheorie inhaltlich etwas dran ist, wird durch ihre Bezeichnung als Verschwörungstheorie nicht präjudiziert. «Verschwörungstheorien» können von der so gefassten Wortbedeutung her sowohl richtig sein als auch falsch.

Verschwörungserzählung

Der Terminus «Verschwörungserzählung» wird recht häuft als Alternativbegriff für Verschwörungstheorie eingesetzt, u.a. in wissenschaftlichem und medialem Kontext. Der Ausdruck ist eine externe Fremdbeschreibung: während der Inhalt von Verschwörungstheorien für kritische Fachleute durchaus «Erzählungen» darstellen können, sind die Theorien für ihre Vertretenden keine «Erzählungen», sondern «Erklärungen». Insofern ist der Begriff klar wertend, und es fragt sich auch, wie weit er der Bedeutung der Theorien für ihr eigenes Milieu wirklich gerecht wird.

Verschwörungsmythos

Der Begriff «Verschwörungsmythos» ist ebenfalls recht gebräuchlich. Allerdings geht er, wie der Terminus der Verschwörungstheorie, eher von einem Alltagsverständnis aus als von einer wissenschaftlichen Definition. In einem wissenschaftlichen Sinn stellen die allermeisten Verschwörungstheorien keine Mythen dar. Der Terminus «Verschwörungsmythos» basiert vielmehr auf einem Alltagsverständnis von «Mythos» als einer «erfundenen Geschichte», was eine ausgesprochen wertende und kritische Terminologie darstellt.

Verschwörungsglaube

Bei vielen Menschen, die intensiv mit Verschwörungstheorien rechnen, entsteht der Eindruck, dass die Verschwörungstheorien die Funktion einer Weltanschauung resp. Religion einnehmen, indem der Glaube an die Verschwörungen die primäre weltanschauliche Orientierung im Leben darstellt. Deshalb kann der Begriff «Verschwörungsglaube» für die weltanschaulich intensive, quasi-religiöse Beschäftigung mit Verschwörungstheorien Sinn machen. Der Terminus hat den Vorteil, neutral zu sein.

Verschwörungsideologie

Ähnlich wie der Begriff Verschwörungsglaube geht der Ausdruck «Verschwörungsideologie» von der Beobachtung aus, dass Verschwörungstheorien für viele Menschen eine weltanschauungs- resp. religionsartige Funktion haben können. In Anbetracht der Tatsache, dass der Begriff «Ideologie» heute in weiten Teilen des Publikums einen eher negativen Klang hat, ist der Ausdruck Verschwörungsideologie im Vergleich zum Terminus Verschwörungsglaube weniger neutral.

Eine umfassende Darstellung der Transformation konspirationistischer Vorstellungen von der Antike bis in die Gegenwart ist (noch) kaum möglich. Zwar sind die USA gut erforscht, zur Entwicklung von Verschwörungstheorien in Europa gibt es jedoch nur zu einzelnen Regionen und Epochen Untersuchungen. Auch im arabischen sowie asiatischen Raum fehlen entsprechende Daten. Der aktuelle Forschungsstand kann deshalb eine gesamtbildliche Zusammenfügung zur historischen Entwicklung und Verbreitung von Verschwörungstheorien nicht leisten.

Keinesfalls handelt es sich bei Verschwörungstheorien aber um ein neues Phänomen – das mit Sicherheit gesagt. Obwohl wir in der Coronapandemie eine Renaissance von Verschwörungserzählungen erleben, lassen sich solche unter anderem bereits im Zeitraum zwischen 1346 und 1353 während der verheerenden Pestepidemie finden. Als sich die Krankheit immer weiter verbreitete, konnten sich die Menschen das massenhafte Sterben nicht erklären (heute ist bekannt, dass es sich bei der Erkrankung um eine sogenannte Zoonose handelt, sprich eine von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragbare Krankheit. Mögliche Übertragungswege sind bspw. der Biss eines infizierten Flohs oder die direkte Mensch-zu-Mensch Ansteckung über Tröpfcheninfektion). Weder Ärzte noch Wissenschaftler kannten die Ursachen für die Verbreitung der Epidemie, weshalb eine alternative Deutung konstruiert wurde: Die Juden sollen mit voller Absicht die Brunnen vergiftet und damit die Pestkrankheit ausgelöst haben. Sie wurden zu Sündenböcken deklariert und die Behauptung ins kollektive Bewusstsein eingebrannt, als Verschwörer verfolgten sie damit den Plan zur Ausrottung der restlichen Menschheit. Die Konsequenzen dieser frühen Verschwörungstheorie waren massenhafte Verfolgungen und Ermordungen jüdischer Personen, an denen auch Angehörige der Oberschicht wie Adelige, Stadträte und Bürgermeister beteiligt waren.

Insgesamt kann gesagt werden, dass sich sowohl die Form wie auch die Funktionen von Verschwörungstheorien historisch verändert haben. Beeinflusst wurde und wird dieser Wandel durch das Aufkommen neuer Medien (Buchdruck, Internet) und dem Statuswechsel solcher Theorien von ursprünglich legitimem zu illegitimem und falschem Wissen.

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