Die Sonnentempler

Der Gründer und Leiter des Sonnentempler-Ordens, Joseph (genannt Jo) Di Mambro, wurde am 19. August 1924 in Pont Saint-Esprit im französischen Département Gard geboren. Di Mambro absolvierte eine Lehre als Uhrmacher und Goldschmied und begann sich schon früh für esoterische Themen zu interessieren. Im Jahr 1956 wurde Di Mambro Mitglied des AMORC (Antiquus Myticus Ordo Rosae Crucis, s.o.), welcher, aus Kalifornien stammend, eine eigenwillige synkretistisch angereicherte Theosophie vertritt und in Frankreich einigen Erfolg verzeichnen konnte. Die Mitgliedschaft Di Mambros im AMORC dauerte mindestens bis ins Jahr 1968, so dass Di Mambro dort entscheidende Prägungen erhalten haben dürfte.

Daneben trat Di Mambro in den 60er Jahren in Kontakt mit Jacques Breyer, welcher im Jahr 1952 eine Neugründung des mittelalterlichen Templerordens unter esoterischem Vorzeichen versuchte. Im Jahr 1971 wurde Di Mambro in Nîmes wegen Betrugs angeklagt, er siedelte deshalb nach Annemasse bei Genf über. Dort etablierte er im Jahr 1973 ein «kulturelles Zentrum der Entspannung» und eine Yoga-Schule. Erste Anhänger sammelten sich um ihn und erwarben in Collonges-sous-Salève bei Genf ein «Pyramide» genanntes Haus, worin am 24. Juni 1976 die Gründung des Tempels der Grossen Weissen Universellen Loge, Unter-Loge Pyramide, begründet wurde. Daneben wurde am 12. Juli 1978 in Genf die «Golden Way Foundation» eingerichtet, welche sich in den folgenden Jahren für die verschiedenen Aktivitäten der Gemeinschaft unter verschiedenen Namen verantwortlich zeigte.

 

Für die weitere Geschichte der Sonnentempler entscheidend wurde der 1982 vollzogene Beitritt des belgischen homöopathischen Arztes Luc Jouret, geboren am 18. Oktober 1947, zur Gemeinschaft. Jouret übernahm schnell die Vertretung der Gemeinschaft gegen aussen und entwickelte eine erfolgreiche Werbetätigkeit, wogegen sich Di Mambro im Hintergrund hielt.

Im Jahr 1983 konnte Luc Jouret einen der französischen Neo-Templer-Orden übernehmen, den Ordre Rénové du Temple (ORT), welcher vom ehemaligen AMORC- Leiter in Frankreich, Raymond Bernard, mitbegründet worden war und dessen Leiter Julien Origans 1983 verstarb. Jouret wurde Grossmeister des ORT und brachte dessen Anhängerschaft in die Gemeinschaft Di Mambros ein. Wichtigstes Erbe des ORT war die Tatsache, dass diese Organisation über eine Gruppe von Anhängern in Québec, Kanada, verfügte. Damit erhielt die Gemeinschaft ein Standbein in Amerika, welches Di Mambro ausbauen wollte. Dabei verfolgte dieser zwei Ziele: Einerseits wollte er auch die englischsprachige Welt erreichen können, das zweisprachige Kanada sollte hier vermittelnd wirken. (Dieses Vorhaben misslang allerdings, die Sonnentempler blieben eine rein frankophone Gemeinschaft.) Zum zweiten übernahm Di Mambro in diesen Jahren von seinem «Templer-Lehrmeister» Jacques Breyer gewisse apokalyptische Gedanken, welche ihn dazu führten zu glauben, dass ein baldiges Weltende bevorstehe, welches nur in speziell vorbereiteten Zentren zu überleben wäre. Diese Zentren sollten in Kanada eingerichtet werden.

In der Folgezeit entwickelten sich die Sonnentempler durch den Aufbau dieser Zentren zu einer Gruppe von «survivalists», zu Menschen, die sich auf das Überleben eines nahe bevorstehenden Weltuntergangs vorbereiten. Für den Bau dieser Zentren wurden die Mitglieder der Gemeinschaft zu grösseren Spenden angehalten, ein Wunsch, dem viele auch mit grossen Beträgen nachkamen.

Im Jahr 1989 erreichte das Wachstum der Sonnentempler seinen Höhepunkt: Die Gemeinschaft zählte 442 Mitglieder (187 in Frankreich, 90 in der Schweiz, 86 in Kanada, 53 in Martinique, 16 in den USA und 10 in Spanien).

Das Jahr 1990 bedeutete den Wendepunkt: Die Basis der Gemeinschaft begann abzubrechen. Zwei Gründe waren für diese Krise verantwortlich: Zum einen wurden einige der Tricks, die Di Mambro zwecks Erzeugung von Meister-Erscheinungen anwandte, in der Gemeinschaft bekannt. Zum anderen wurde offenbar, dass der aufwändige Lebensstil der Leitung einen Teil der Gelder verschlang, die für die Überlebens-Zentren gespendet wurden. Verschiedene Mitglieder distanzierten sich von der Gemeinschaft, manche forderten ihr Geld zurück. Die Krise verstärkte die Weltendängste der Führung zum Verfolgungswahn. Di Mambro sah sich von allen Seiten bedroht, Luc Jouret liess Waffen kaufen und geriet deshalb im Jahr 1993 in Konflikt mit der kanadischen Justiz. Die Presseberichte, die durch dieses Ereignis ausgelöst wurden, waren wiederum geeignet, die Verfolgungsängste der Führung zu fördern.

Angesichts dieser Krisen und zunehmenden Verfolgungsängste der Führung trat in der internen Botschaft der Gemeinschaft ab 1990/1991 ein neues Thema auf: der «Transit», der Übergang in eine andere Welt. Der Gedanke des «survivalism», des Überlebens des Weltendes auf dieser Erde, erwies sich als Illusion. Diese Welt ist so schlecht, dass hier ein Überleben unmöglich ist. Wer «überleben» will, muss in eine andere Welt gehen, in eine, wie es die theosophischen Wurzeln der Gemeinschaft lehren, höhere Welt, in eine höhere Entwicklungsstufe, wo die irdischen Probleme überwunden sein würden. Die Vorstellungen, wie dieser Transit zu geschehen hätte, blieben undeutlich.

Bisweilen sprach Di Mambro von einem UFO, das die Sonnentempler abholen würde. Später wurden die Mitglieder über die Form des Transits gänzlich im Unklaren gelassen, aber ermahnt, stets erreichbar zu bleiben, um den Ruf zur Versammlung, die den Transit initiieren sollte, nicht zu verpassen. In der Führung der Gemeinschaft fiel der Entscheid zum Massenselbstmord im Jahr 1993, ein Plan, der in den folgenden Monaten systematisch vorbereitet und umgesetzt wurde. Das Datum des Transits scheint hingegen kurzfristig bestimmt worden zu sein. Ebenfalls im Jahr 1993 begann die Leitung der Sonnentempler mit einer Politik gegen angebliche Verräter in den eigenen Reihen, die zu bestrafen seien. Beides, der Transit und die Bestrafung der angeblichen Verräter, wurde in den Tagen vom 30. September bis zum 5. Oktober 1994 umgesetzt, in Morin Heights in Kanada und in Cheiry und Salvan in der Schweiz. Diesen Morden und Selbstmorden fielen insgesamt 53 Mitglieder der Sonnentempler zum Opfer, darunter die Führungsriege um Di Mambro und Jouret.

Der Grossteil der zurückgebliebenen Mitglieder des Ordens distanzierte sich als Folge dieser Ereignisse von der Gemeinschaft. Es bildete sich aber ein Kern von Anhängern, welche die Ereignisse im Oktober 1994 neu interpretierten: Die verstorbenen Sonnentempler seien den verbliebenen Mitgliedern vorangegangen und hätten diesen den Weg geebnet, nachzukommen. So starben im Dezember 1995 16 Menschen auf einer Waldlichtung bei Vercors, Frankreich, fünf weitere Mitglieder gingen im März 1997 in Kanada in den Tod.

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