Spiritismus

Der Begriff Spiritismus stammt aus dem lateinischen spiritus für «Seele» oder «Geist» und bezeichnet eine internationale Neureligion des 19. Jahrhunderts.

Spiritisten glauben an ein Fortleben der Seele im Jenseits, an die Existenz von Geistern, sowie die Möglichkeit mit ihnen zu kommunizieren. Dabei unterscheiden sie eine grobstoffliche (materiell-sichtbare) von einer feinstofflichen (unsichtbaren-geistigen) Welt. Spiritisten glauben daran, dass man mit verschiedenen Techniken mit den Geistern von Verstorbenen in der feinstofflichen Welt kommunizieren kann. Dies beweise die Existenz eines Jenseits und dem Fortleben der menschlichen Seele nach dem Tod. Dabei besteht der Mensch aus spiritistischer Sicht aus Körper, Astralleib und Geist.

Der Jenseitskontakt kann durch ein physikalisches Medium wie schreibendes Tischchen, Pendel, Wünschelrutengehen, Kristallsehen oder Gläserrücken oder durch ein menschliches Medium hergestellt werden.

In einer sogenannten Séance (Sitzung), einer Gruppensitzung, findet die Kontaktaufnahme meist an einem runden Tisch in einem abgedunkelten Zimmer statt. Das Medium übermittelt dabei in Trance die Botschaft der Geister an die anwesenden Personen. Meist handelt es sich dabei um Kommunikationen mit verstorbenen Verwandten oder mit berühmten Persönlichkeiten. Séancen waren vorrangig zur Unterhaltung der «besseren Gesellschaft» gedacht, fanden aber auch in der Mittelschicht und Arbeiterklasse grossen Anklang.

Channeling bezeichnet eine Technik des Spiritismus, in dem ein menschliches Medium Kontakt zu Verstorbenen Personen aufnimmt, diese «channelt» und ihre Botschaft überbringt. Einige begeben sich dazu in Voll-Trance.

Bereits früh gab es verschiedene Volkstraditionen mit spiritistischer Ausrichtung. So kennt man Spuk- und Geisterglaube, Nekromantie (Totenbeschwörung) oder Wahrsagerei, die sich alle im modernen Spiritismus fortsetzten. Als wichtiger Vorgänger des Spiritismus gelten Franz Anton Mesmer, Emanuel Swedenborg und Andrew Jackson Davis.

Als wichtiger Vorreiter des Spiritismus gilt der auf den Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815) zurückgehende Mesmerismus. Diese Weltanschauung beruft sich auf die Erfahrungen von Mesmeristen, die Menschen in einen sogenannten magnetischen Schlaf – eine Art Hypnose – versetzten, wodurch diese plötzlich über «höhere Fähigkeiten» wie Hellsichtigkeit verfügen. Bereits vor dem Spiritismus war dadurch der Wunderglauben-Nährboden in den USA des 19. Jahrhunderts bereits vorhanden und ermöglichte dem Spiritismus eine rasche Ausbreitung.

Auch der schwedische Wissenschaftler Emanuel Swedenborg, der sich in mittlerem Alter mit Mystik auseinanderzusetzten begann, gilt als Vorreiter des Spiritismus. Er behauptete, dass er von verschiedenen Wesen, von Gott und Christus und den Geistern von Verstorbenen aufgesucht werde. Weiter soll er Visionen des Himmels und der Hölle, sowie ein in sechs ätherische Sphären gegliedertes Reich gesehen haben. Einige Bewunderer um ihn gründeten daraufhin eine neue Religion, die sich als «Church oft he New Jerusalem» ausbreitete. Während sich die Spiritisten aber in der Lehre von Swedenborg entfernten, so übernahmen sie dennoch seine Ideen des Überlebens der Seele im Jenseits und der Existenz von ätherischen Sphären.

Mesmer und auch Swedenborg beeinflussten den Mann, den man als «Johannes der Täufer der Spiritisten» nannte und 1826 in Orange County als Andrew Jackson Davis geboren wurde. Schon als Kind hörte er Stimmen und nachdem er den Vortrag Mesmers über den animalischen Magnetismus gehört hatte, merkte er, dass er leicht in Hypnose zu versetzten war. Als angeblich hellsichtiger Heiler begab er sich von nun an in Trance, stellte mediale Diagnosen und verordnete Heilbehandlungen. Er veröffentlichte sein Hauptwerk «The Principles of Nature», das unter den Spiritisten grossen Anklang fand.

Die Bauernmädchen Margaret, Leah und Kate Fox sollen 1848 in ihrem neuen Haus in der Kleinstadt Hysesville, New York, Klopfgeräusche gehört haben, die sie dem Geist eines ermordeten und begrabenen Hausierers zuordneten. Die Familie begann mit einer selbst entwickelten Klopftechnik (jedem Buchstaben wird eine Anzahl an Klopfgeräuschen zugeordnet) mit den Geistern zu kommunizieren. So war es bald möglich, dass Geister mit Ja oder Nein auf gestellte Fragen antworteten oder gar inhaltlich Auskunft geben konnten. Sie begannen mit dieser Methode auch öffentlich aufzutreten und stiessen dabei auf ein begeistertes Publikum. Der Glaube an eine mögliche Kommunikation mit Geistern war bereits vor dem 19. Jahrhundert bekannt und lässt sich in verschiedenen Kulturen finden. Die Fox-Schwestern waren jedoch die ersten, welche eine grosse Masse dafür begeisterte und damit eine Bewegung formierten. Die Schwestern gingen auf Tournee, füllten Säle bei ihren Veranstaltungen und verdienten viel Geld damit.

Anfangs der 1850er Jahre breitet sich die neue Bewegung von den USA nach Grossbritannien aus, wo sie viele Anhänger fand. Es begann sich eine Spiritismus-Bewegung zu bilden, die sich von England aus auf den gesamten europäischen Kontinent ausbreitete.

Der französische Pädagoge Hippolyte Léon Denizard Rivali alias Allan Kardec kann als erster wichtiger Theoretiker der Spiritismus-Bewegung gesehen werden. Er verband den Geisterglauben mit dem Reinkarnationsglauben in seiner Lehre («Kardecismus» genannt). Seine neue Religionslehre verbreitete sich dabei rasch in ganz Europa. Zur Zeit dieser neuen Spiritismus-Form gab es in Europa eine Reihe von Wunder, wie Marienerscheinungen, Wunderheilungen oder Levitationen. In Deutschland wurde der Spiritismus vorwiegend von wissenschaftlichen, intellektuellen Kreisen rezipiert und nicht als Massenbewegung in der Gesellschaft aufgenommen. Die Schriften Andrew Jackson Davis’ wurden dabei als «Bibliothek des Spiritismus für Deutschaland» ins Deutsche übersetzt und somit wurde der Spiritismus bei der deutschen Leserschaft bekannt. Um 1853/54 setzte in Deutschland mit dem Tischrücken eine spiritistische Welle ein.

Verschiedene Kritiker untersuchten das Phänomen des Spiritismus und während sich keine natürliche Erklärung dafür fand, fehlten auch jegliche Anzeichen für einen Betrug. Während die meisten Wissenschaftler den Spiritismus als Aberglaube abtaten gab es doch einige Naturwissenschaftler, die an einer wissenschaftlichen Nachweisbarkeit interessiert waren.  Sie bemühten sich, Analogien zwischen elektrischen und magnetischen Kräften sowie den medialen Fähigkeiten herzustellen. Es gab Hypothesen zu unbekannten Kräften, welche vom Medium selbst ausgehen sollten. 1888 gaben die Geschwister Fox jedoch den Betrug zu und erklärten, dass sie die Klopfgeräusche mit Gelenken an Finger und Zehen produziert hätten und die Hysterie der Masse den Rest dazu beigetragen hätte. Das gab ein Dämpfer für die Spiritismus-Bewegung, liess den Glaube an Geisterkommunikation jedoch nicht untergehen. Nach dem ersten Weltkrieg verlor er in Europa und Asien zwar an Bedeutung, gewann aber an anderen Orten, beispielsweise in Brasilien, an Gewicht.

Der moderne Spiritismus tritt in einer Zeit mit mehreren kulturgeschichtlich bedeutsamen Entwicklungen auf und erlebt während der Aufklärung seine Blütezeit. Das 19. Jahrhundert ist geprägt von gesellschaftlichen Umbrüchen, religiöser Pluralisierungsprozesse und wissenschaftlichem Fortschritt. Die alten Reiche in Europa sind bedroht, die industrielle Revolution verschärft die Misere der Arbeiterklasse und der Sozialismus erstarkt. In den USA setzt man sich mit der Sklaverei auseinander und die Kirche wird in Frage gestellt. Dabei gibt es zu dieser Zeit eine Unmenge an Personen, die scheinbar Geister sehen oder mit Engel reden. Während das Christentum solche spiritistischen Praktiken ablehnt, sind die Menschen des 18. Jahrhunderts empfänglich für solche Ideen, da das von der Wissenschaft propagierte Weltbild positivistisch ist und die Menschen im Glauben an die christlichen Lehren verunsichert sind. Der Spiritismus bietet in dieser Zeit zwar Menschen Trost, die geliebte Menschen verloren hatten, ist jedoch vorrangig zur Unterhaltung gedacht.

Schon von Beginn an war der Spiritismus keine einheitliche Bewegung, sondern wies einen anglo-amerikanischen und einen romanischen Typ auf. Letzterer hatte einen besonderen Einfluss auf die sich in Brasilien ausformulierenden synkretistischen Neureligionen (kardecistischer und umbandistischer Spiritismus) und beinhaltete den Reinkarnationsgedanken. Heute unterscheidet man den Spiritismus im deutschsprachigen Raum in drei Typen: den Vulgärspiritismus (Geistermanifestation über verschiedene okkult-magische Praktiken), den experimentellen Spiritismus (Erforschung einzelner Phänomene, die sich als wissenschaftlich versteht) und schliesslich der Offenbarungsspiritismus (Verbindung von Spiritismus und Christentum mit Glauben an Gott, Jesus, Engelwesen usw.).

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