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  NAK Neuapostolische Kirche
  Uebersicht
  Wer springt aus der Arche zurück in die Flut?
Der Ausstieg aus Endzeitgemeinden als psychisches und soziales Problem.
aus: Informationsblatt Nr. 1/1995
Endzeitperspektiven
Endzeitperspektiven beherrschen das Denken vieler radikaler religiöser Gruppierungen. Das heisst nicht unbedingt, dass diese menschliche Zivilisation schon morgen zugrunde geht, dass dieser Globus in apokalyptischen Feuer verbrennt. Das Ende kann sich verzögern. Manche christliche Endzeitgruppen wurden vorsichtiger im Blick auf kiurzfristige Voraussagen. Indische Gruppierungen, z.Bsp, die Gesellschaft für Krishnabewusstsein, sieht das zur Zeit herrschende schlimme Kaliyuga noch für längere Zeit nicht beendet. Wie immer man aber die letzte befreiende Katastrophe zeitlich ansetzt, gemeinsam ist allen Endzeitgruppierungen, dass diese Welt ein baldiges Ende verdient. Die Welt, wie sie ist, hat keine Ueberlebenschende. Sie hat keine Zukunft. Sie kann und will sich nicht korrigieren lassen. Sie hat den Tod verdient.
Schutzmassnahmen
Mystische Katastrophenstimmung prägt das Verhältnis der Endzeitgruppierung zur sie umgebenden Welt. Die Endzeitgruppe lebt nicht mit der sie im umgebenden Welt und in ihr, sondern gegen sie. Die Gruppe entwickelt gegenüber der Aussenwelt äusserste Vorsicht. Sie schützt mit allen nur erdenklichen Massnahmen ihr Innenleben vor dem Zugriff der zum Tode verurteilten Aussenwelt. Zu diesen Schutzmechanismen gehören die radikale Geheimhaltung (Probleme der Gruppe dürfen nicht an die Oeffentlichkeit geraten), die Aechtung des Aussteigers (Mit dem Aussteiger wird nicht mehr kommuniziert), die Verweigerung des offenen Dialogs (Gespräche mit Aussenstehenden werden zu reinen Propagandareden), die Forderung nach homogen gläubigen Familien (Jedes Familienmitglied sollte der Endzeitgruppe beitreten, weil die demnächst eintretenden apokalyptischen Ereignisse im anderen Fall die Familien auseinanderreissen und weil Gläubige Mitglieder grundsätzlich nicht mit resistent Ungläubigen zusammenleben).
Arche-Noah-Perspektiven
Kurz, die Enzeitgruppe lebt in einer Art Arche Noah mitten in der bald eintreffenden Flut. Die ersten Tropfen fallen. Die Aussenwelt feiert noch ahnungslos oder unbelehrbar ihre letzten Orgien. Demnächst werden die Türen geschlossen. Wer draussen ist, bleibt draussen. Wer drinnen ist, bleibt drinnen. Nacht und Licht, Himmel und Hölle trennen sich in unserer Gegenwart vor unseren Augen.
Aus der Arche springen?
Wie lebt man und frau in der Arche? Wie erleben junge Leute die Endzeitgemeinschaft, in die sie hineingeboren wurden? Und was geschieht, wenn einzelne junge Mitglieder aussteigen wollen? Muss man nicht wahnsinnig sein, von allen guten Geistern verlassen, wenn man aus der Arche Noah aussteigen will? Stürzt man und frau nicht kopflos und kopfüber in die gefährliche Flut? Endzeitgemeinschaften finden sich viele. Und Aussteiger, die das Unmögliche wagen und aus der Arche in die steigende Flut springen, finden sich zu hauf. Aber viele schaffen den Ausstieg nur unter grossen psychischen und sozialen Schwierigkeiten.
Zum Beispiel Frau K.
Frau K., (Bankangestellte), ist in der neuapostolischen Kirche (NAK) aufgewachsen. Eltern und Grosserltern waren Neuapostolen. Ein Grossvater war als Kind vom katholischen zum neuapostolischen Glauben übergetreten, als er heiratete. (Die ist in der Schweiz immer noch ein häufiger Beitrittsgrund: Mann oder Frau tritt bei, weil der zukünftige Ehepartner bereits zur neuapostolischen Kirche gehört). Die ganze Familie war und ist in NAK "mehr als hundertprozentig" engagiert. Ein Grossvater ist noch heute Priester der neuapostolischen Kirche.
Die Endzeitgemeinde: ein grosses Dorf
Die Eltern fanden und Verwandten von Frau K fanden und finden in der NAK Halt und Geborgenheit. Die Kirche ist für sie die enscheidende soziale Gemeinschaft. Mindestens zweimal pro Sonntag gehen sie in die Kirche.Alle guten Bekannten und Freunde sind Neuapostolen. Die NAK ist wie eine Dorfgemeinschaft. Alle kennen alle. Mit allen wird über fast alles gesprochen. Ein bis zwei Mal pro Jahr wird jedes Mitglied von zwei Amtsträgern besucht.Die Kirchenmitglieder können auch deshalb kaum aus der Kirche austreten, weil sie mit dem Austritt ihr ganzes bisheriges soziales Umfeld verlieren würde. Wer trotzdem austritt, fällt zuerst in ein soziales Vakuum. 
Die Endzeitkirche als Mutter der Gläubigen
Die NAK kümmert sich fast mütterlich um jedes einzelne Mitglied. Wer dazugehört, erhält von dieser mütterlichen Kirche zahllose Streicheleinheiten. Wenn aber, so mein Frau K., Zweifel auftreten und der Kirchenbesuch nachlässt, dann reagiert die Kirche sofort mit Liebesentzug. Die Kirche ist lieb, mit allen, die sie lieben, mein Frau . Kritikern gegenüber - dies hat Frau K. erfahren - zeigt sie ein weniger freundliches Gesicht.
Endzeitstress
Schon als Mädchen weiss Frau K, dass sie als Mitglied der wahren Kirche ein mustergültiges Verhalten zeigen muss, dass sie die lebenden Apostel braucht, weil nur sie den heiligen Geist vermitteln können, dass sie Aussenstehende zum Eintritt in die Kirche bewegen sollte (sie missioniert eifrig Klassenkameradinnen im Skilager), dass sie in der bald kommenden ersten Auferstehung mit den anderen Mitglieder der NAK aus dem Eltend dieser Endzeitwelt befreit wird, indes ihre ungläubigen Schulkameradinnen allen Schrecken der Enzeit ausgesetzt sein werden, dass sie keinen Gottesdienst auslassen sollte, weil ihr sonst eine Sprosse auf der Sprossenleiter zur ersten Auferstehung fehlt. Später erfährt sie, dass nur Neupaostolen heiraten sollte (Auf Ehen mit Ungläubigen liegt kein Segen), dass sie keine kritischen Fragen stellen sollte (Die Kirche hat den heiligen Geist. Wer die Kirche kritisiert, der - so stellt sie sich vor - begeht die einzige Sünde, die nicht vergeben werden kann: die Sünde wider den heiligen Geist). Der Schule entwachsen empfindet Frau K. die neuapostolische Frömmigkeit immer mehr als Stress. Sie zwingt sich vorläufig aber noch, alle Forderungen der Kirche so gewissenhaft wie möglich zu erfüllen. Schliesslich, das weiss sie, sind die Mitglieder der NAK weit besser als der Rest der Welt. Wer zur religiösen Elite gehören will, muss sich weit mehr als andere abverlangen.Nach jedem der vielen Gottesdienste, fühlt sie sich "wie eine ausgepresste Zitrone". Die NAK entspricht ihr schon lange nicht mehr. Aber sie lässt sich noch religiös auspressen, weil sie anb einen möglichen Ausstieg nicht einmal zu denken wagt. (Schon der Gedanke an einen Ausstieg wäre nach ihrem Empfinden "Sünde gegen den heiligen Geist").
Die Sprache des Körpers
Ihr Gewissen verpflichtet sie zu lebenslanger Mitgliedschaft in der NAK. Ihre Seele schreit nach einem eigenen, persönlichen Weg. In diesem Dilemma setzt der Körper seine eigenen Signale. Frau K. erleidet eine ganze Serie von Unfällen, jeder bei klarem Bewusstsein an sich völlig unnötig. Diese Signale sind auch für Frau K. unüberhörbar.
Der Ausstieg
In Volkshochschulkursen hat sie erfahren, dass irgendwelche Ungläubige, Nichtmitglieder der NAK, sehr verständnisvoll über psychische Probleme und religiöse Fragen nachdenken können. Auch ausserhalb der NAK leben offenbar wertvolle Menschen. Diese Aussenstehenden sind, wenn es um persönliche Schwierigkeiten geht, sogar noch viel einfühlsamer als die Mitglieder der NAK. Sie strafen die Zweiflerin nicht mit Liebesentzug. Frau K. wird eine Zeitlang von ihrem noch der Vergangenheit verfplichteten Gewissen und den neuen Erfahrungen hin und hergerissen. Um dem zermürbenden inneren Krieg ein Ende zu setzen, begibt sich Frau K. in psychotherapeutische Beratung. Die Beraterin rädt ihr nicht, aus der NAK auszutreten. Aber im Verlauf der Beratung fällt die Entscheidung fast wie von selbst. Frau K. kann und will nicht mehr angstbesetzt glauben. Sie verlässt die Arche und wagt ein neues, eigenes Leben in der Welt.Dieses neue Leben ist für sie noch lange Zeit mit vielen offenen Fragen verbunden. Sie muss sich ein neues Beziehungsfeld aufbauen. Sie muss lernen, kindliche Aengste, jahrelang genährt, in sich zu überwinden. All dies ist nicht einfach. Ihr Engagement in einer offenen Kirche hilft ihr, ihren eigenen, angstfreien Glauben zu finden.
Biblische und sektenhafte Endzeitperspektiven
Der bibelkundige Leser weiss, dass alle Endzeitperspektiven der Gegenwart sich auf biblische Texte berufen können, dass auch die Bibel vom jüngsten Gericht, von der Scheidung der Schafe von den Böcken spricht. Im Unterschied zu den sektenhaften Endzeitvisionen der Gegenwart wird dieses Gericht im neutestamentlichen Glauben Christus überlassen. Keine religiöse Organisation, auch nicht die Wachtumgesellschaft und die NAK, entscheiden über den Ausgang dieser Scheidung.Nur wer die Kompetenzen der eigenen Gruppe wahnhaft übersteigert und wer Christus durch die eigene religiöse Organisation ersetzt, kann die Menschheit aufteilen in gerettete Insider und verlorene Aussenstehende.Wer die menschlichen- und allzumenschlichen Aspekte jeder religiösen Organisation kennt, und wer deshalb keine religiöse Organisation vergötzen will, überlässt diese Scheidung getrost dem Christus, der andere Masstäbe kennt als seine kleineren und grösseren Repräsentanten.
Georg Schmid, 1995
Letzte Aenderung 1995, © gs 1995, Infostelle 2000
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