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  Uebersicht
  Das Wehen des Geistes in Pensacola
Das Mekka der Charismatiker
Pensacola, ehemals spanische Festung am Golf von Mexiko, heute das aus einer amerikanischen Fernsehserie landesweit bekannte Fliegerzentrum der Marines, erlebt seit dreieinhalb Jahren eine neue "Ausgiessung des heiligen Geistes". Abend für Abend versammeln sich Tausende auf dem Kirchengelände der Assembly of God in Brownsville-Pensacola. Pensacola hat Toronto abgelöst. Millionen von Besuchern sassen und standen, knieten und tanzten, klatschten und weinten, feierten und beteten schon in den weiten Kirchenräumen, unter ihnen so bekannte Namen wie David Yonggi Cho und Reinhard Bonnke. Pensacola ist zur Zeit das Mekka der charismatisch bewegten Welt.
Pensacola im Dezember 1998
Anfang Dezember 1998 versuchte ich nicht nur, den Geist von Pensacola in den allabendlichen Versammlungen kennen zu lernen. Gleichzeitig findet ein Pfarrerkurs mit 1650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den verschiedensten Denominationen und Ländern statt. Ich sitze in den grössten Pfarrerversammlungen und den intensivsten Abendgottesdiensten, die ich je erlebte, durch Vieles beeindruckt und bewegt. Anderes stimmt mich nachdenklich und eine Sache - das Geschrei des Stephen Hill - verletzt mich, beinah persönlich. Ich versuche, im Rückblick alle diese Erfahrungen nachzuzeichnen.
Das Team der Gottesmänner
John Kilpatrick, der Hauptpfarrer der Gemeinde, Stephen Hill, der ehemalige Junkie und Knastbruder, heute der Evangelist von Brownsville, während dessen Verkündigung vor dreienhalb Jahren die Erweckung ausbrach, und Michael Brown, der zu Christus bekehrte Jude, der Theologe der Bewegung und der Leiter der neuen Schule für Erweckung, und ein Dutzend andere "Gottesmänner" und sehr vereinzelte "Gottesfrauen" stehen Abend für Abend auf dem Podium vorne in der Kirche (in klarer, hierarchisch durchsichtiger Sitzordnung) und leiten miteinander die dreistündigen intensiven Feiern. Jeder Gottesmann pflegt dabei seinen eigenen Stil. Kilpatrick seelsorgerlich, herzlich, Hill welterfahren, engagiert, leidenschaftlich, einmal donnernd wie ein alttestamentlicher Prophet, einmal flüsternd wie die zarte Stimme meines besseren Ichs, Brown belehrend, seine Hebräischkenntnisse wie einen Teppich vor uns ausbreitend, Lindell Cooley, der Musikpfarrer, einmal mit intensiven Rhythmen die Kirche in einen Beatschuppen verwandelnd, kurz darauf voll zarter Ergriffenheit die Heiligkeit Gottes besingend - sie alle und viele andere prägen die Erweckung in Pensacola. Ein-Mann-Erweckungen enden zumeist schon nach kurzer Zeit sektenhaft. Der Mann Gottes wird zuerst zum Star, dann zum Guru und zuletzt zum Demagogen. Ein Kollektiv korrigiert sich gegenseitig. Das Team von Brownsville trägt Vieles dazu bei, dass in Pensacola die demagogischen Potenzen, die jede intensive religiöse Bewegung in sich trägt, nicht überborden.
Die Leidenschaft für alle Verlorenen
Alle Gottesmänner - und auch Lila Terhune, die einzige Gottesfrau, die ich kennen lerne - bewegt eine unbestreitbare Liebe zu allen gescheiterten Menschen. Wer in die Biographie dieser Gottesleute hineinschaut, den verwundert diese Leidenschaft in keiner Weise. Den Verlorenen und Gescheiterten steht Gott in Pensacola - wie in den Zeiten Jesu - besonders nahe. Freitag ist Tauftag. Etwa 20 Erwachsene lassen sich vor der tausendköpfigen Versammlung im grossen Taufbassin vorn in der Kirche durch Untertauchen taufen. Vor ihrer Taufe erklären sie in eigenen Worten ihren Schritt. Ein junger Mann, vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen, wagt erste Schritte in ein neues Leben. Eine Frau, aus ihrer Ehe entflohen, sucht mit Christus ihre Vergangenheit anzuschauen. Ein junger Pfarrer aus dem Pfarrerkurs, vor kurzem von seiner Frau verlassen, spricht mit tränenerstickter Stimme vom bisherigen Fiasko seiner Ehe und vom Leerlauf seiner für sein Empfinden ebenfalls gescheiterten, bisherigen Verkündigung. Er möchte jetzt "mehr von Gott" erleben. Jede Taufe wird zu einem Zeugnis eines Aufbruchs. Und jedes Zeugnis wird mit tausendfachem Applaus gefeiert. Manchmal erfüllt auch herzliches Lachen den Kirchenraum, vor allem dann, wenn der Täufling sich derart hingebungsvoll ins Wasser fallen lässt, dass er gar nicht mehr auftauchen will. Die beiden taufenden Pastoren, beide im Bassin stehend, müssen zusätzlich starke Männer ins Bassin bitten, um zu viert die wild zuckenden oder total schlaffen Täuflinge aus dem Wasser zu fischen und in den Nebenraum zu tragen. Die Menge ist begeistert. Je ekstatischer, desto besser. Bitte kontrolliere dich nicht, wenn der heilige Geist dich ergreift. Lass dich fallen.
Im Sturm der Gefühle
Jeden Abend wandern wir in Pensacola durch die ganze weite Welt menschlicher Gefühle. Da wird geklatscht und gestampft, geschrien, geweint und gelacht, getanzt und geflüstert, gejubelt und gezittert, wie wenn es in unserem Herzen nichts gäbe, was sich vor uns und vor Gott schämen müsste. Niemand aber wird zum Mitlachen oder Mitweinen gedrängt. Die Menge springt in wilden Rhythmen auf und nieder, die Jungen immer noch etwas intensiver als die Alten. Ich setze mich derweilen ruhig in meine Bank zurück, und niemand ärgert sich über diese Verhaltenheit. Und wenn der Musikpfarrer in intensiver Anbetung in sein Mikrofon nicht mehr hineinsingt, sondern hineinweint, so weinen durchaus nicht alle mit. Dieses kollektve, aber ungezwungene Baden in allen Gefühlen hat - wie der Jugendpfarrer Richard Crisco versichert - seinen menschlichen Wert. Lachen und Weinen, Schreien und Schweigen sind Möglichkeiten der Seele, zu sich und zu Gott zu finden. Wer nicht in der Kirche gemeinsam lachen und weinen, schreien und schweigen kann, wird in den Sportstadien diese Möglichkeiten suchen und finden.
Zungenflüstern und Zungensingen
In den feierlichsten Momenten des Abends horchen viele stehend oder sitzend, mit geschlossenen Augen und verschränkten oder hocherhobenen Armen in sich hinein. Horchen sie auf das, was der Geist ihnen eingibt? Manche beginnen zu flüstern oder zu murmeln. Von einem eigentlichen Zungenreden kann kaum die Rede sein. Aber ein Zungenflüstern oder Zungensingen erfüllt immer wieder für kurze Zeit den Raum. Das Zungensingen erinnert mich an Uebungen unseres Kirchenchores in Greifensee: Die Musiker auf der Tribüne setzen einen feinen Akkord in den weiten Kirchenraum und die Menge greift diesen oder jeden Ton auf und variert die Klang. Ob aber Zungenflüstern oder Zungensingen, in jedem Fall endet das intuitive Summen oder Flüstern, sobald der Musikpfarrer das Summen in eine bekannte Melodie überführt. In Pensacola weht der Geist ordentlich.
Ruhen im Geist unter auffälliger Wolldecke
Aehnlich manierlich sinken Leute zu Boden, nicht reihenweise wie bei anderen Erweckungen, fast nur unter denen, die am Ende der dreistündigen Versammlungen "zum Altar", d.h. nach vorn kommen, um mit Seelsorgehelfern um ein neues Leben zu bitten. Sie fallen an der Stirn von einem Seelsorgehelfer sanft berührt rückwärts nieder. Von einem zweiten Seelsorgehelfer, der vorsorglich hinter ihnen steht, werden sie aufgefangen und zu Boden gelegt. Eine Decke wird über sie gelegt, möglichst auffallend in ihrer Farbe, damit alle jetzt noch im Kirchenraum Herumstehenden und Herumflanierenden - es sind immer noch Hunderte - nicht auf die Liegenden treten. Die "im Geist Ruhenden" bleiben liegen, bis es sie selber drängt, wieder aufzustehen.
Das Schütteln und Zittern
Das erweckliche Zittern und Schütteln, aus vielen Erweckungen bekannt, ergreift in Pensacola nur vereinzelte Menschen. Diese Zurückhaltung schätzt der kritische Beobachter. Zu augenfällig wirkt dieses Schütteln auf den kritischen Beoabachter wie ein mystischer Coitus, wie verdrängte Sexualität. In allen sog. Manifestationen des Geistes übt Pensacola Zurückhaltung. ndere Erweckungen demonstrierten viel selbstbewusster die sog. Manifestationen des Geistes.
Heilungswunder
Von Wundern berichten die dankbaren Geheilten. Aber sie sprechen davon, wenn ich richtig sehe, erst wenn die Heilung monatelang oder jahrelang anhielt. Dementsprechend selten werden dem Publikum solche Zeugnisse vorgelegt. John Kilpatrick, der Hauptpastor, unterlässt es nicht, in einer Ansprache vor der Pfarrerversammlung die andernorts demonstrierten, leicht organisierbaren sog. "Wunder" der Verlängerung einzelner Gliedmassen sanft zu kritisieren. Eine deutlichere Kritik verbietet ihm die christliche Höflichkeit und die noch zu besprechende Angst vor der Sünde gegen den heiligen Geist.
Die stolze Bescheidenheit
Richard Crisco, der Jugendpfarrer, präsentiert sich vor der Pfarrerversammlung als zum Jugendpfarrer völlig untaugliche Person. Gleichzeitig spricht er von den mehr als 1000 junge Leuten, die er kirchlich "aktiviert". Ungezählte junge Leute sitzen allabendlich unter der Menge oder singen im Chor. Crisco ist gleichzeitig völlig untauglich und eminent erfolgreich.

Diese gloriose Bescheidenheit kennzeichnet alle Mitarbeiter des Brownsville-Leiter-Teams. An sich - so betonen alle - ist nicht einzusehen, warum der heilige Geist die Menschen ausgerechnet in Brownsville - am Rande des Staates Florida, in der "tiefsten Provinz" - derart intensiv ergreift. David Yonggi Cho, der berühmte charismatische Prediger aus Korea, spricht davon, dass er 1991 Gott um eine Erweckung in den USA gebeten habe. Gefragt, wo diese Erweckung ausbrechen würde, habe Gott seinen Finger auf der Landkarte genau nach Pensacola geführt - und dies vier Jahre vor Ausbruch der Erweckung. Wenn dem so ist, dann fragt sich: Warum hat Gott Pensacola erwählt? Nichts qualifiziert diesen Ort und dieses Team mehr als alle übrigen hier anwesenden 1650 Durchschnittspfarrer. Gerade deshalb muss - so folgern alle Pensacola-Theologen - das, was in Brwonsville geschieht, eine Wirkung des heiligen Geistes sein.

Moralischer Rigorismus
So grosszügig sich Pensacola in den Ausdrucksformen persönlicher Anbetung gibt, an allen Ecken und Enden begegne ich einem ausgeprägten moralischen Rigorismus. Crisco, der Jugendpfarrer, z.B. führt seine 1000 jungen Leute - wie er zugibt, mit gemischtem Erfolg - in eine Aktion "wahre Liebe wartet" (Kein Sex vor der Ehe). Er tut dies, wie er sagt, vom biblischen Zeugnis getrieben und im Bewusstsein, seinen jungen Leuten einen Dienst zu erweisen. Die herrschende Amoral sei nur scheinbar jugendgemäss. Im Uebrigen bezieht sich dieser moralische Rigorismus der Pensacola-Erweckung wie in den USA unter konservativen Christen üblich vor allem auf sexuelle Sauberkeit und Wahrhaftigkeit der Rede. Der christliche Umgang mit der Gewalt ist in einer Militärstadt wie Pensacola so weit ich sehe kein Thema. Seine Praktikantin zu betatschen und dies wie Bill Clinton vor Gericht zu bestreiten, dies ist für viele "wiedergeborene Christen" in den USA ein beinah unverzeihbarer Fehler, vor allem dann, wenn dieser Fehler nur halbwegs eingestanden wird. Aber Saddam Hussein zu ermorden - diese Möglichkeit wurde vor den neuesten Angriffen in Fernsehdebatten in den USA öffentlich erwogen - wäre wahrscheinlich in der Perspektive vieler Erweckter keine Sünde, ganz im Gegenteil. Kurz - die rigorose Moral von Pensacola wäre von europäischen Christen noch zu hinterfragen.
Die Sünde gegen den heiligen Geist
Wie jede charismatische Bewegung leidet auch Pensacola unter der Angst, man oder frau könnte der Sünde gegen den heiligen Geist verfallen, die nach Mk 3,28f. nicht vergeben wird. Am letzten Tag meines Aufenthalts in Pensacola kann ich mit Carey Robertson, dem Assistant Pastor, der rechten Hand von John Kilpatrick, sprechen. Robertson, 40 Jahre lang hauptberuflich Armeeseelsorger der US-Marines und seit kurzem pensioniert, wollte eigentlich nach seiner Pensionierung nur noch eines: Golf spielen. Dann kam die Erweckung und hat alle seine Pläne auf den Kopf gestellt. Ich stelle mich als ehemaligen Armeeseelsorgerkollegen vor - allerdings in einer völlig anderen Armee dienend - und frage mein Gegenüber zuerst, woher er wissen könne, dass diese Erweckung in Pensacola wirklich vom heiligen Geist gewirkt sei. Robertson betont sofort, dass alles, was in Pensacola geschieht, in Einklang stehe mit dem biblischen Wort. Am Abend, in der grossen Versammlung erhalte ich eine indirekte, deutlichere Antwort: Wer an den Wirkungen des heiligen Geistes zweifelt, droht Michael Brown, der Theologe der Bewegung, begeht die Sünde gegen den heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann. Ich weiss, dass dieser drohende Bibelvers vielen Pfingstlern und Charismatikern jede Kritik an sog. charismatischen Erscheinungen verbietet. Sie könnten ja den heiligen Geist kritisieren. Diese Angst schützt aber nicht nur vor Kritik aus eigenen Reihen, sie verunmöglicht den Charismatikern auch ein ehrliches Gespräch über ihre und andere charismatische Bewegungen. Trotz der Drohung von Michael Brown schreibe ich immer noch mit gutem Gewissen diesen Artikel. Denn erstens habe ich noch nie in einer religiösen Bewegung eine Wirkung des Teufels erkannt, wie es in Mk 3,22ff. die Schriftgelehrten taten, als sie Jesu Wunder sahen. Wenn religiöser Wahn auftritt, entspringt er der eigenen Seele. Zweitens begreife ich nicht, weshalb es den heiligen Geist stören würde, wenn ich ehrlich und kritisch frage, wieviel Massenpyschose mit im Spiel ist, wenn Tausende Halleluja rufen. Drittens sehe ich den heiligen Geist und die kritische Vernunft nicht als Feinde, sondern als Verbündete auf den guten Wegen des christlichen Glaubens. Und viertens meine ich, der schlimmste Verstoss gegen den heiligen Geist wäre mein Versuch, den heiligen Geist vorzutäuschen und eine Erlebnisse zu spielen, die ich nicht habe. Das wäre die Sünde, vor der mich Gott bewahren möge.
Warum schreit Stephen Hill?
Alles, was in Pensacola geschieht, meint Robertson, sei bibelkonform. Ist dem wirklich so, frage ich zurück? Ich erwähne das für mich stossendste allabendliche Erlebnis in Pensacola, das periodisch auftretende Geschrei von Stephen Hill und sein wie Peitschenknall wirkender Altarruf. Sucht Stephen Hill die Leute in die Zerknirschung zu peitschen? Und was soll dieses unmotivierte plötzlich autretende Gebrüll? Stephen Hill spricht zuerst mit seiner durchs viele Schreien schon trocken gewordenen Stimme in Normalstärke in sein Mikrofon. Plötzlich schreit er einzelne Sätze derart überlaut, dass ich ihm nur noch mit zugepressten Ohren zuhören kann. Ich hatte schon einige Pfarrerkollegen gefragt, wie sie dieses Schreien erklären. Ein Kollege sagte mir: "Dieses Geschrei ist typisch pfingstlerisch. Wir Methodisten schreien nicht." Ein junger Kollege aus Kalifornien sagte: "Dieses Geschrei ist typisch südstaatlich (Hill stammt aus Alabama). Wir Kalifornier schreien nicht." Carey Robertson schüttelt nur lächelnd sein Haupt, wie ich ihm erkläre, dass nur Goebbels und Hitler derart gechrien haben, und dass jeder Mensch, der echte Argumente vorträgt, nicht zu schreien braucht. Nur wer lausige Argumente serviert, müsse schreien. Carey Robertson kann mich überhaupt nicht verstehen. Nach vierzig Jahren Militärdienst bei den Marines sind seine Ohren wahrscheinlich gegen alles Geschrei immun. Kurz - ich weiss immer noch nicht, warum Stephen Hill schreit. Ich weiss nur: Wenn er weiterschreit, wird er bald einmal wie weiland Zacharias seine Stimme verlieren. Aber vielleicht wäre auch dies eine Fügung des heiligen Geistes.
Summa
Ich habe noch nie eine mich derart herausfordernde und bewegende Erweckung erlebt, wie das "Wehen des Geistes" in Pensacola. Aber noch nie war mir auch so bewusst, dass der heilige Geist und der kritische Verstand nur gemeinsam in ein überzeugendes neues Leben führen. Wahnhafte Erleuchtung lässt sich heute überall finden. Wirkliches neues Leben versöhnt den Geist mit dem Verstand.
Georg Schmid, 1998
Letzte Aenderung 1998, © gs 1998, Infostelle 2000
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