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Die Wunder des Sathya Sai Baba

 

Der sanfte Gott

Wenn Baba in seiner Tempelhalle in Puttaparthi früh am Morgen und früh am Nachmittag auftritt, geht ein Raunen durch die schon seit zwei Stunden am Boden kauernde und ihren Gott erwartende Menge. Kaum dass der göttliche Baba in seinem grell orangen langen Rock am Eingang der Tempelhalle erscheint, wenden sich etwa 20 000 Fans mit zum Gruss gefalteten Händen zu ihrem Gott. Baba schreitet gelassen, würdig, auf roter Teppichbahn und vorgezeigten Wegen durch die Versammlung - begleitet durch zarte Instumentalmusik und geschützt durch zahlreiche Helfer, die bereit sind, mögliche Anstürme der Massen aufzuhalten. Solange Baba auf seinem roten Teppich schreitet, brauchen die Wächter nicht einzuschreiten. Aber sobald er den Teppich verlässt und sich den am Boden Kauernden nähert, drängen und werfen sich Dutzende in Richtung Baba und versuchen, ihm einen Bittbrief zu überreichen, seine Füsse zu küssen oder ihm mit halblauter Stimme jene persönliche Not vorzulegen, die sie nach Puttaparthi führte und die Baba, das wissen alle, lindern oder aus der Welt schaffen kann, wenn er will. Aber Baba will oft nicht. Er hört nur selten hin. Noch seltener bleibt er stehen und schenkt den verzweifelt Bittenden ein Wort oder gar einen ganzen Satz. Hie und da berührt er segnend das Haupt eines Ratsuchenden. Aber die meisten Devotees stellen auch keine grossen Ansprüche. Sie sind überglücklich, wenn Baba ihnen einen Blick schenkt. Gott hat sie angeschaut. Was für ein glücklicher Tag! Wenn Gott mich wahrnimmt, was kann mir dann noch fehlen? Auch wenn Baba auf Bittrufe nicht hinhört und Bittschreiben nicht entgegennimmt, hält sich die Enttäuschung in Grenzen. Baba muss nicht hinhören. Er kennt unsere Gedanken und unsere Fragen, bevor nur ein Wort über unsere Lippen dringt. Am heftigsten drängen die Briefeschreiber zu Baba. Kaum nähert er sich den Reihen der am Boden Kauernden, recken sich ihm Dutzende von Händen mit Briefen entgegen. Die weiter hinten Sitzenden stürzen sich über die vorderen, um ihren Brief wenn möglich doch noch überreichen zu können. Aufseher zerren die wildesten Bittsteller wieder zu Boden. Die meisten Briefe erreichen Baba nicht. Er schreitet weiter, lächelnd, fast etwas tapsig, etwas unbeholfen, und immer wieder die rechte Hand - die wundertätige! - seltsam hin und herwiegend. In der linken Hand ruht der Stoss der eingesammelten Briefe, die Baba - wenn der Stoss zu gross wird - an einen Helfer weiterreicht.

 

Sai Baba Avatar

Dass der Gott, der in Rama und in Krishna war, der Gott, der auch Jesus Christus gesandt hat, sich nun in Sathya Sai Baba wieder inkarnierte, hat sich nicht die fiebernde Phantasie der begeisterten Menge erdacht. Baba selbst verstand und versteht sich als Avatar, als Herabkunft des höchsten Gottes in die Welt des Vergänglichen in Gestalt eines Menschen. Zum ersten Mal soll sich Baba im Alter von 14 Jahren zu diesem Verständnis seiner Person durchgerungen haben. Im Museum des Ashrams wird in einem Schaubild dieses fürs weitere Leben entscheidende Ereignis anschaulich gewürdigt. Doch nicht allein das Selbstzeugnis des Baba und die musealen Darstellungskünste vertiefen im Devotee den Glauben an die göttliche Inkarnation Sathya Sai Baba. Ist einmal der goldene Rahmen gesetzt, so erscheint jedes Detail im Bild in neuer Bedeutsamkeit. Vivek erlebt das Avatar-Sein des Baba auf Schritt und Tritt. Fast täglich weist er mich auf den Wandel der Hautfarbe in Babas Gesicht hin. Am Morgen wirke sein Gesicht viel dunkler als am Nachmittag. Dieser Farbwechsel - für mich optisch kaum feststellbar - hat theologische Bedeutung. Hie und da erscheint Babas Gesicht, so bezeugen Devotees, dunkelblau, d.h. in der Farbe seines göttlichen Ursprungs Vishnu und dessen früheren Inkarnation Krishna. Jede Verdunkelung, die die Sai-Jünger in der Hautfarbe Babas erahnen, ist wieder eine Erinnerung an das dunkle Blau des höchsten Gottes. Wenn das Sonnenlicht ein wenig in Babas nach allen Seiten hin ausfransenden Haaren spielt, sehen Devotees Baba von einem Heiligenschein umstrahlt. Wenn Baba - so geht die Rede - nur 48 Kilo wiegt, zeigt dies seine Erhabenheit über leibliche Genüsse. Wenn Baba wenig oder nie schläft - auch das will die gläubige Gemeinde wissen -, so zeugt dies für Babas Ruhen im Ureinen. Wenn Baba die Gläubigen anlächelt, ist dies Begegnung mit göttlicher Gnade. Wenn er sie berührt, ist dies Übertragung göttlicher Kraft. Und wenn Baba vor einem Gläubigen während seiner mystischen Morgenspaziergänge sogar stehen bleibt und ihm eine Prise wunderbarer Vibhuti, jener aus Nichts erschaffenen göttlichen Asche, schenkt, dann erschliesst sich dem Gläubigen sichtbar und spürbar die göttliche Welt.

 

Wunder als Tricks?

Die spirituell interessierte indische Öffentlichkeit achtet zwar das grosse soziale Engagement Babas und sein Eintreten für die letzte Einheit aller Religionen. Ausserhalb des Kreises der eigentlichen Sai-Baba-Devotees wird in einer gegenüber paranormalen Phänomenen an sich aufgeschlossenen Atmosphäre Sai Baba aber überraschend oft und überraschend spontan mit Zaubertricks und Taschenspielerübungen in Verbindung gebracht. "Er versteckt seine Ketten, seine Anhänger und seine Bildchen in seinem Haarwusch", argwöhnen die einen. "Seine Helfer schieben ihm die sog. materialisierten Dinge zu", vermuten die anderen. Auf einem inzwischen verschollenen Abschnitt einer Reportage über die Materialisation einer Goldkette für einen indischen Minister war - so geht die Rede - deutlich eine Hand zuviel im Spiel. Der entsprechende Abschnitt sei aber der Zensur des Ashrams zum Opfer gefallen. Einer meiner Gesprächspartner kennt den Kameramann persönlich, der die entsprechende "Materialisation" filmte und der - wie mein Gesprächspartner betont - sein Band dann zensurieren lassen musste. Wissenschafter, die die Wunder Babas seriös untersuchen wollten, seien mehrfach unverrrichteter Dinge abgezogen. Baba entziehe sich jedem wissenschaftlichen Test. Trotz dieser offenkundig kritischen Haltung einer breiten indischen Öffentlichkeit gegenüber Sathya Sai Babas Wundern ist kaum jemand ernsthaft daran interesiert, Baba zu entlarven. Zu viel bedeutet Baba für seine Heimat. Eine ganze Kleinstadt - Puttaparthi - lebt vom Baba-Tourismus. Wer Baba entlarvt, zerstört die wirtschaftliche Grundlage einer Stadt. Zudem meinen nicht wenige, die mit Taschenspielertricks im Umfeld des Baba rechnen, dass der Zweck die Mittel heilige. Tausende erfahren durch Baba neuen Lebenssinn und persönliche Wandlung. Warum also im Stil eines westlichen Entlarvungsjournalismus den Baba blossstellen? Herzlos, wer dieses Ziel anstrebt. Überdies - die Magie, der Trick, der Zauber, das Spiel mit dem Publikum sind in Indien ein etablierter Teil der religiösen Tradition. Die Grenzen zwischen Mystik und Zirkus sind nicht nur in Puttaparthi weitgehend aufgehoben. Die populäre Vedanta-Mystik kann manchen Guru geradezu dazu verleiten, tapfer und tief in die Trickkiste zu greifen. Vedanta in volkstümlicher Variante sieht die Welt des Vielen und des Vergänglichen, die Welt des Ichs und des Du, der Materie, der sog. Realität als Illusion und als Spiel. Wirklichkeit im vollen Sinn des Wortes ist nur das göttlich Eine, das Ewige und Unbewegte, das Ungeformte, das Göttliche, das Selbst, der Atman. Diesen Atman in sich und allen Wesen zu erleben gilt als das vornehmste Ziel dieser Vedantamystik.

Wie aber kann ein Meister seine Schüler aus dem Spiel in die Wahrheit führen und aus dem Schlaf ins Erwachen? Wie kann ich im Traum dem Träumenden zeigen, dass er träumt? Um den Traum als Traum und das Spiel als Spiel erkennen zu können, muss der Schüler doch irgendwo Traum und Wachsein, Spiel und Wirklichkeit bereits miteinander vergleichen können. Fehlt dieser Sinn fürs Eine und Wahre völlig, dann könnte ich als Meister versuchen, den umgekehrten Weg einzuschlagen und das Spiel zu potenzieren bis in seine absurdesten Konsequenzen hinein. Ich könnte versucht sein, im Spiel zu spielen und in der grossen Illusion genannt Welt und Leben zu tricksen - bewusst und mit System, um die Illusion als Illusion zu durchbrechen. Irgendwo spielt jeder indische Meister mit seinen Schülern, um dem Erwachen zu dienen. Gewiss, kaum einer spielt wahrscheinlich so trickreich wie Sathya Sai Baba. Das ändert aber nichts an der Zielsetzung. Die kleinen "Wunder" des Sathya Sai Baba sind Illusion in der Illusion. Das eigentliche Ziel aber dieses Spiels im Spiel ist weder die Illusion erster Ebene, die sog. Realität, noch die Illusion zweiter Ebene, der Trick, sondern das grosse Erwachen.

 

Kleine Wundersystematik

Dass der Trick im Trick, das Spiel im Spiel hie und da das Eine, das Göttliche berührt, zeigen die unzählbaren Geschichten von kontkret erlebter Hilfe durch Baba. Baba lässt Gewitter stürmen und wieder verstummen, Berghänge rutschen und wieder anhalten, unheilbar Kranke genesen, lebensgefährliche Situationen im Strassenverkehr ohne Schaden überstehen, zu knapp bemessene Nahrung sich vervielfachen, Saris tränen vergiessen, Zeichen am Himmel auftauchen, Tote auferstehen, Gegenstände sich materialisieren. Fast jeder Devotee macht mit Baba seine eigenen Wundererfahrungen. Die Berichte, die mir erzählt wurden oder auf die ich in der Sathya-Sai-Baba-Literatur stiess, lassen sich zum besseren Verständnis behelfsmässig in drei Katergorien einteilen:

1. Die die ganze Lawine des Wunderglaubens um Baba auslösenden sog. Materialisationen. Ohne sie würden alle anderen sog. Wunder sich entweder nicht ereignen oder sie würden anders gedeutet, z.B. mit einem anderen göttlichen Namen in Verbindung gebracht.

2. Die im aufbrechenden Wunderglauben als Wunder verstandenen positiven Alltagserfahrungen wie sog. glückliche Zufälle oder Fügungen, heil überstandene Gefahren, unerwartete Wendungen zum Guten. Auch Nicht-Devotees könnten, wenn sie über ihr eigenes Leben nachdenken, von manchen ähnlichen Erfahrungen berichten. Allerdings müssten sie ihr Erinnerungsvermögen weit mehr strapazieren. Denn die Nicht-Devotees verbinden in der Regel solche Erfahrungen nicht mit der Gnade eines Meisters. Dem Devotee bleiben "Wunder" erinnernswert, während der Nicht-Devotee sie, kaum erlebt, wieder vergisst.

3. Erfahrungen, die den menschlichen Verstand an die Grenze seiner bisherigen Verstehensmöglichkeiten drängen und die uns nur noch Deutungsmuster zugestehen, wenn wir der nach Wunder lechzenden und mit Wundern rechnenden kollektiven Psyche der Devotees eine einzigartige, Leben verwandelnde Kraft zugestehen. Diese sog. echten Wunder - echt, weil sie ins bisher kaum Verstehbare weisen - reichen von Heilungen Drogenabhängiger, Begegnungen mit dem Alter Ego des Meisters, mit seinem spirituellen Doppelbild, das innerhalb und ausserhalb Indiens plötzlich auftaucht, indes Baba in seiner realen Gestalt z.B. durch seinen Tempel schreitet, bis zu sog. Totenauferweckungen durch Vibhuti. Es war und ist mir nicht möglich, die Zuverlässigkeit der einzelnen Berichte zu überprüfen. Vieles würde als nachträgliche Übertreibung oder als offenkundige Mystifizierung erweisen. Die in Puttaparthi resp. in Whitefield, im zweiten Ashram Babas, demonstrierten Materialisationen sind wahrscheinlich ein Zirkustrick. Aber was sie in der Seele des Einzelnen und des Kollektivs auslösen, greift in manchen Erlebnissen weit über das alltäglich Verstehbare hinaus und berührt die Dimension, die die einen das göttliche Selbst und die anderen die Dynamik der kollektiven Psyche nennen. Mit anderen Worten: Ich traue den sog. grossen Wundern des Baba weit mehr als seinen kleinen alltäglichen Materialisationen.

 

Die Rätsel des jungen Swami

Die Ausstellung im sog. Museum des Ashrams folgt einem klaren Grundkonzept. Auf den unteren Etagen wandern wir durch die wesentlichen Religionen der heutigen Welt und durch alle Phasen indischer Religion. Auf höherer Ebene vertiefen wir uns in den Werdegang und die Grundlehren Sathya Sai Babas. Nach einem Blick in die weltweiten Wirkungen seiner Bewegung führt uns zuletzt die Ausstellungsspur durch eine geheimnisvolle Kammer mit einem farbenprächtigen Durgabild. Ein Bild der gleichzeitig schönen und wilden Göttin, in einem Labyrinth aus künstlich gestalteten Felsen, angesichs derer zuerst nicht einzusehen ist, welche Erkenntnis der Besucher nun durch sie gewinnen soll. Aus dem Labyrinth entlassen, stösst der Besucher kurz vor der Ausgangstür noch auf eine Tafel mit Fotografien des kleinen und des jugendlichen späteren Sathya Sai Baba. Wahrscheinlich unbeabsichtigt gibt uns damit die Ausstellung am Schluss die drei naheliegendsten Deutungsmuster für das Phänomen Sathya Sai Baba an die Hand. Die farbige Gottheit vertritt die offzilelle Deutung: Baba ist Avatar, göttliche Inkarnation. Das Labyrinth veranschaulicht die Meinung mancher wohlwollender, aber nicht unbedingt Baba-gläubiger Ashrambesucher: Sai Baba verwirrt, er überfordert unser Verstehen. Es ist besser, sich eines definitven Urteils zu enthalten. Der keck, beinahe kühn dreinblickende jugendliche Baba zeigt dem kritischen Beobachter, welchen Weg er beschreiten müsste, um Baba zu verstehen: Wir müssten uns mit dem jugendlichen Sai Baba, seinem Elternhaus, seinem Wergegang, seinem für unser Empfinden schon mit 14 Jahren greifbaren masslosen Selbstbewusstsein beschäftigen. Der jugendliche Baba blieb im für junge Menschen durchaus nicht untypischen Elitetraum und Auserwählungsbewusstsein wahrscheinlich deshalb hängen, weil seine Umgebung diesem Traum, kaum dass er ihr zu Ohren kam, bereitwillig Glauben schenkte, und weil die kleinen Wundertricks, die der kleine angehende Baba schon vor seinem Erwählungswissen vor seinen Kameraden demonstrierte, immer wohlwollend toleriert oder gar gläubig akzeptiert wurden. Andere müssen ihre Träume deshalb korrigieren, weil ihre Umwelt sie dazu zwingt. Baba stiess mit seinem Asnpruch auf Avatarschaft und seinen diesen Anspruch belegenden kleinen "Wundern" auf so viel Zustimmung, dass er keinen Grund hatte, seinen Traum zu verändern. Der durchaus nicht aussergewöhnliche jugendliche Erwählungstraum verbindet sich mit einer für westliches Empfinden ausserordentlichen Glaubensbereitschaft der Umgebung und verwandelt sich in dieser gläubigen Gemeinschaft zum Lebensentwurf schlechthin, zum Gott in Menschengestalt, zum allmächtigen und allwissenden Sathya Sai Baba.

 

Der müde Gott

Ob Baba aber mit seinem Avatarsein auch sich selber beschenkt? Ich wage nicht, diese Frage zu bejahen.

Wenn er auf seinem roten Teppich schreitend mir näher kommt, sehe ich sein Lächeln, hie und da sein Zögern, aber ich sehe vor allem auch seine Müdigkeit, und - wahrscheinlich bin ich der einzige in dieser Menge, der Baba so erlebt - ich spüre seine Traurigkeit. Ich begegne einem in seiner Göttlichkeit grenzenlos bewunderten, aber auch grenzenlos einsamen Baba. Ich habe manche Gurus in Ost und West erlebt. Baba ist der einzige, der mir aufrichtig leid tut. Er hat sich in eine Göttlichkeit verrannt, die ihm zum goldenen Gefängnis wurde. Er hat sich in eine Wundererwartung der Massen gleiten lassen, aus der er nicht mehr entrinnen kann. Andere Gurus müssen auch Vollkommenheit mimen. Jede Gurvi und jeder Guru muss die göttliche Rolle zu Ende spielen, koste es, was es wolle. Aber niemand hat sich derart zu täglichen Wundern verdammt wie Sathya Sai Baba. Und keiner würde, wenn er enttäuschte, eine ganze Kleinstadt mit in seinen Untergang ziehen. Und vor allem: Keiner hat sich wie er in seiner Voraussage bis in sein 96. Lebensjahr hinein zu diesem Dienst als göttlicher Wundertäter verpflichtet. Er muss noch 23 Jahre lang Gott sein, der arme Baba.

 

Georg Schmid 1999


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