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  Schleife Stiftung Schleife, Geri Keller
  Uebersicht
  Unterwegs in den apokalyptischen christlichen Bürgerkrieg?
Beobachtungen zu zwei Publikationen des Schleife-Verlags Winterthur
Der noch junge "Schleife-Verlag", Winterthur, publiziert - das eine Mal von Geri, das andere Mal von Lilo Keller betreut - in deutscher Uebersetzung zwei "Visionen" oder Visionsserien moderner amerikanischer "Propheten", die - falls die Visionen denn als Prophezeiungen ernst genommen werden - den christlichen Glauben und die Gemeinschaft der Glaubenden in Frontstellungen und Kämpfe hineintreiben sehen, die den Aussenstehende an den Endzeitkampf von Gog und Magog erinnern.
Bilder der Endzeit
Mit der deutschen Ausgabe von Rick Joyners "The Final Quest" eröffnet Geri Keller das Buchprogramm seines neugegründeten Schleife-Verlages. Joyner, in evangelikal-charismatischen Kreisen schon lange als zeitgenössischer Prophet bekannt, mutet uns in seinen Visionen eine derartige Kaskade von Bildern und Vorstellungen zu, dass vielleicht der Seher sie noch organisch zu verbinden vermag. Der mit zeitgenössischer "Prophetie" wenig vertraute Leser wird, kaum steht ihm ein Bild vor Augen, sogleich ins nächste getrieben, so dass er nicht nur die Menge des Angedeuteten nicht mehr erfasst. Es fehlt ihm zuletzt schlicht die Möglichkeit, die einzelne Szene noch als einzelne Szene wahrzunehmen. Die Flut der Bilder treibt wie ein Wirbelwind durch seinen Geist. Ist diese Bilderfülle vielleicht Methode? Zeichnet sich die Endzeit, die wir nach Ermessen des Propheten nun durchleben, auch dadurch aus, dass sie unseren Geist verwirrt? Oder lebt Joyner aus seiner chaotischen Traumseele, die sich überschäumend meldet, aber alles Verstehen von sich weist? Wie dem auch sei, ich versuche, die Kaskade der Bilder in knappen Zügen nachzuzeichnen, in der Hoffnung, wenigstens die Grundlinien zu erfassen.
Der letzte Aufbruch
Die Horden der Hölle marschieren in unüberschaubarer Masse gegen die Armee Gottes. Die Hauptkräfte der Höllenarmee, die Dämonen, reiten nicht auf Pferden, sondern auf Christen, die sich freiwillig-bewusst oder halbfreiwillig-blind den Scharen der Hölle angeschlossen haben. Trotzdem ist ihr Christentum für sie doch noch ein gewisser Schutz. Sie werden nur als Reittiere benutzt. Den zahllosen Nichtchristen gegenüber kennen die Dämonen keine Rücksicht. Sie ziehen in sie ein und benutzen sie als Wohnung (Rick Joyner, Der letzte Aufbruch, Winterthur 1998, s. 21). Andere Scharen von Christen werden als Gefangene in der Höllenarmee mitgeschleppt. Die Dämonen der Furcht rauben ihnen den Willen zum Widerstand. Ueber diesen Gefangenen schweben die Geier, genannt Depression. Ab und zu stürzen sich die Geier auf die Gefangenen und übergeben sich über ihren Schultern. Was die Geier erbrechen, heisst Verdammnis. Die Christen in der Höllenarmee lassen dies und weitere Schrecken willenlos über sich ergiessen. Sie wehren sich nicht, weil sie die Dämonen als Botschafter Gottes missverstehen. Den grauslichsten Schleim ergiessen diese Geier über die Christen, die den Dämonen als Reittiere dienen. In ihrem Wahn halten diese Christen das von Geier-Dämonen Erbrochene für eine Salbung durch den Heiligen Geist (Aufbruch s. 24). Dieser Höllenarmee gegenüber steht die Armee Gottes, zuerst seltsamerweise noch zum grossen Teil ein fröhlicher unbekümmerter Haufen, der auch auf die Warnrufe des Sehers kaum reagiert. Doch der Kampf ist unvermeidlich. Und der Seher übernimmt offenkundig in vielen Phasen dieser Auseinandersetzung eine Vorreiterrolle - dies im grössten Gegensatz z.B. zum Seher Johannes auf Patmos, dem Visionär der sog. Johannesoffenbarung, der nirgends aktiv ins endzeitliche Geschehen eingreift. Die Armee Gottes muss, das zeigen die ersten Scharmützel, sich neu ausrüsten. Sie zieht sich auf den hinter ihr liegenden heiligen Berg zurück. An diesem Berg begegnen die Gottesstreiter Christus, der manchen unter ihnen - vor allem auch dem Seher - den Mantel der Demut und der göttlichen Gnade, der sie wenigstens vor dem Dämonen der Ueberheblichkeit schützt, übergibt. In diesen Mantel gehüllt erlebt der Seher, wie andere Christen sich vor ihm verbeugen. "Das tun sie zurecht", wird ihm beschieden. "Dieser Mantel ist der höchste Rang im Königreich." Der gegen jeden Stolz gefeite, in Gnade und Demut gehüllte Seher darf später die höchsten Stufen des Berges erklimmen. Vom Aufenthalt am Berg gestärkt kehren die Gotteskämpfer aufs Schlachtfeld zurück. Nun greifen Adler, die verborgenen Propheten Gottes in den Kampf ein. Sie ernähren sich von Schlangen, den Begleitern des Dämonenheeres. In einem breitausfächernden Einschub zeigt ein Adler, inzwischen zum Menschen verwandelt, eine Türe zu einer Treppe, die im inneren de Berges direkt bis zum Gipfel hinaufführt (Aufbruch s.68ff.). Auf seiner Wanderung durchs Bergesinnere erschaut der Seher in zahllosen Etagen verschiedene göttliche Gnadengaben und Geheimnisse. Nach zahllosen Abenteuern, Prüfungen und Begegnungen erreicht der Seher den obersten Saal, den Richtsaal, wo er einem grenzenlos gestrengen und grenzenlos gütigen Christus begegnet, die ihm einen Ehrensitz anbietet. (Der himmlische Saal hat noch genügend leere Plätze.) Gemeinsam mit Christus trinkt der Seher aus einem Kelch der Tränen, vergossen wegen des Unglaubens der Welt. Gleichzeitig bricht er selber in Tränen aus und füllt mit ihnen den Kelch wieder an (Aufbruch s.120). Auf dem Rückweg vom Thron Christi in die Endzeitschlacht stärken ihn Gespräche mit dem Apostel Paulus, einem Evangelisten und mit einer Gestalt aus der ersten Vision, die ihm vor vielen Jahren geschenkt worden war. Vor allem das letzte Gespräch verweist ihn auf die Kraft des schlichten, demütigen Lebens für Christus. Abrupt bricht die Publikation an dieser Stelle ab. "Fortsetzung folgt." Der Seher wird noch aufs Schlachtfeld zurückkehren. Denn die letzte Schlacht ist in Gottes Plan schon entscheiden. Aber die Höllenarmee muss auch auf dem Schalchtfeld noch besiegt werden.
Schlangen in der Lobby
Die zweite "prophetische" Edition im Schleife-Verlag führt uns in die Lobby eines Hotels, in der sich christliche Musiker zu einem Kongress versammeln. Dieser an sich für christliches Empfinden erfreuliche Anlass verwandelt sich vor den Augen des Sehers in ein Endzeitdrama. Ueberall winden sich Schlangen durch den Raum und bedrohen die noch ahnungslosen Kongressteilnehmer. Scott Macleod, der "Visionär", deutet diese Schlangen als "mächtige böse Geister, welche die christliche Musikszene wie auch weite Bereiche des Christentums in beträchtlichem Ausmass kontrollieren" (Scott Macleod, Schlangen in der Lobby, Eine prophetische Einsicht in die Musikwelt, Winterthur 1999, s.91). Die Schlangen sind gleichzeitig negative Kräfte, Sünden, Dämonen und verführerische Kraft. Die einzelnen Ungetüme - die sog. Schlangen nehmen Lindwurmdimensionen an - tragen bezeichnende Namen: Selbstdarstellung, Lust, Stolz, Unsicherheit, Menschenfurcht, Eifersucht, Religion, Geist des Todes. Einzelne dieser Ungetüme gebären zahllose kleine Schlangen, die das Gift der Bitterkeit, der Kritiksucht, der Unversöhnlichkeit, des Selbstmitleids und der Selbstgerechtigkeit produzieren. Sie beissen ständig die anwesenden Musiker. Ihre Gifte führen in ihren Opfern zu geistiger Blindheit, sodass sie die Dämonie und Gefahr, die sich von allen Seiten umgibt, nicht wahrnehmen können (Schlangen s.23). Gottseidank erlebt nun der Seher aber nicht nur die dämonischen Kräfte und die blinden Musiker, ihm wird in bunter Folge seltsamer Bilder göttliche Unterstürzung zuteil: erst meldet sich ein unsichtbarer Ratgeber, eine innere Stimme (Schlangen s.25), dann fällt ein Tropfen Blut direkt vom Kreuz Jesu auf den Seher (Schlangen s.33), dann wird ihm eine Waffenrüstung geschenkt. Gleichzeitig entdeckt er, dass vereinzelt auch andere in der Lobby herumstehende Musiker eine Waffenrüstung tragen, manche allerdings nicht in poliertem Zustand oder nur nachlässig übergezogen (Schlangen s.35ff.). Zu seinem Erstaunen entdeckt der Visionär, dass an seinem Schwert Blut klebt. Er hat bisher mit dem Schwert noch niemanden verletzt. Nun wird ihm erklärt, dieses Blut sei das Blut Jesu, ein Hinweis, der ihn ermahnt, Kampf mit Liebe zu verbinden (Schlangen s.39ff.). Der Seher fühlt sich von Jesu Blut gereinigt und zu gutem Kampf gestärkt. Er lernt zu vergeben und Vergebung anzunehmen (Schlangen s.49ff.), die Schlange der Depression und diejenige der Geldgier und deren Schlangenwärter zu orten und zu bekämpfen. Er durchschaut die Rattenfängerei und Dämonie mancher nur angeblich christlicher, aber sehr erfolgreicher Musikgruppen (Schlangen s.61ff.). Gegen Ende seiner Vision begegnet ihm die Furcht des Herrn als riesige und sehr mitteilsame Eule (Schlangen s.67ff.), die sich ganz zuletzt noch in die Taube des heiligen Geistes verwandelt. In Gegenwart dieser Eule schrumpfen die Riesenschlangen zu kleinen Schlänglein, die Taube des heiligen Geistes birgt den Seher unter ihre Flügel (Schlangen s.81), ein himmlisches Lied erfüllt den Raum und vordem an Schlangen gekettete Menschen helfen andern, von ihren Fesseln freizuwerden (Schlangen s.87ff.). Das himmlische Lied aber wird den gereinigten Spielleuten Gottes geschenkt, damit sie ohne dämonische Bindung uneingeschränkt mit ihren Songs Gott dienen können. Alle sind jetzt zu bedingungslosem Einsatz für ihren Herrn bereit: "Das letzte, was ich sah, war die mächtige und vereinte Streitmacht von heiligen Kriegern, die freigesetzt waren, dem Anliegen des Herrn nachzukommen, Auf den Befehl des Meisters hin stürzten sie in glänzender Rüstung mit hoch erhobenem Schwert nach vorne. Ueberall im Raum fingen sie an, gebundene Menschen loszuschneiden" (Schlangen s.89).
Prophetie oder Apokalyptik?
Die sog. prophetischen Visionen von Rick Joyner und Scott Macleod werfen meines Erachtens so viele Fragen auf, dass ich mich hier auf eine Auswahl beschränken muss. Ist das, was uns hier vorgelegt wird, überhaupt Prophetie? Der geübte Bibelleser erkennt in diesen Texten viel eher eine Art zeitgenössisscher Apokalyptik. Prophetie besticht - wie zahllose alttestamentliche Texte belegen - durch knappe, einprägsame Bilder, durch Visionen, dicht und sofort merkbar wie ein Sekundenbild eines unvergesslichen Traumes. Apokalyptik verwandelt, wenn sie vielleicht auch von prophetischen Momenterkenntnissen ausgeht, diese prophetischen Erfahrungen zur ausufernden literarischen Bilderreihe. Prophetie ist intensive Momenterfahrung, Apokalyptik ist intensive, ausgefeilte Schreibtischvision.
Sieht der Prophet ein Tier, zum Beispiel einen Heuschreckenschwarm, der nichts anderes tut, als das Land kahlzufressen, so entfaltet sich dieser Heuschreckenschwarm in einer apokalyptischen Bearbeitung zum surrealisitschen Reiterheer voller Kriegssymbolik, zum Bild damaliger Modetorheiten, zum sphinxähnlichen Ineinander von Insekt, Skorpion, Pferd, Mensch und Schlange. Kurz - die prophetische Vision schildert Tiere, die apokalyptische Bearbeitung des prophetischen Bildes übermalt das Tier surrealistisch, bis die Heuschrecke als Heuschrecke kaum mehr zu erkennen ist, oder bis das Bild sich in seiner Komplexität und seinen widersprüchlichen Details selber aufhebt. Apokalyptik präsentiert Bilder wie eine Woge sich wandelnder Impressionen. Dieser gerade in den biblischenTexten augenfällige Unterschied zwischen prophetischen und apokalyptischen Texten sagt noch nichts aus über den jeweiligen theologischen Wert. Aber sie verpflichtet doch zum genaueren Hinschauen auch bei sog. modernen Prophezeiungen. Was Geri und Lilo Keller in ihrem Verlag vorlegen, ist so besehen nicht Prophetie, sondern moderne Apokalyptik.
Dämonisierung der Probleme?
Währenddem die Menschen der biblischen Texte mit zahlreichen und sehr unterschiedlichen Schwierigkeiten zu ringen haben, erkennen die erwähnten zwei modernen Apokalyptiker in jedem Problem einen Dämon oder eine Dämoneneinwirkung. Diese Verteufelung z.B. des Andersdenkenden, des Nichtchristen, des angstbesetzten Christen, diese Dämonisierung des Stolzes oder der Depression wirkt wahrscheinlich auf unsichere Zeitgenossen einleuchtend. Die Unzahl der Probleme lässt sich durch Dämonisierung reduzieren auf ein Urproblem. Diese scheinbare Klarheit wirkt aber auf nachdenklichere Zeitgenossen mehr als nur fragwürdig. Depressionen zu dämonisieren scheint mir auf die praktische Seelsorge angewandt schlicht verantwortungslos. Ich stosse den depressiven Mitmenschen mit Verteufelungen seines Leidens zusätzlich zu seiner Depression noch in Schuldgefühle und Teufelsangst.
Christliche Bürgerkriege?
Die Andersdenkenden als dämonenbesessen und die mutlosen Christen als Reittiere für Dämonen zu verstehen aber ist eine offene Aufforderung zu dem, was Joyner als "Bürgerkrieg unter Christen" in seinen Visionen erlebt. Was ich verteufle, kann und will ich nicht mehr verstehen. Was einen Dämon in sich trägt oder einem Dämon als Reittier dient, vor dem kann ich mich nur noch schützen. Jedes echte Gespräch verwehrt mir mein vermeintliches Wissen. Jede Verstehensbemühung wird für mein Empfinden zum Teufelsdienst. Wenn die sog. Prophezeiungen und Visionen, die den Andersdenkenden dämonisieren, mir dann noch mit dem Anspruch geistgewirkter Erkenntnis vorgelegt werden, dann ist der christliche oder religiöse Bürgerkrieg kaum mehr zu umgehen. Menschen, die sich verstehen könnten und verstehen sollten, trennen sich in Teufelsangst und Weltendsfurcht. Christen, die einander Liebe schulden, zerreissen in ihren Aengsten die christliche Gemeinschaft.
Apokalyptik als Therapie und Apokalyptik als Hysterie
Das heisst nicht, dass ich jeder Apokalyptik jeden Sinn absprechen möchte. Apokalyptik war und ist in Zeiten der Bedrängnis kollektive Krisentherapie, ein Weg gemeinsamen Glaubens in schrecklicher Zeit. Aber Apokalyptik kann diesen heilsamen Dienst in heilloser Zeit nur leisten, wenn sie sich wie die sog. Johannesoffenbarung als Trostschreiben an bedrängte Gemeinden versteht. Ich frage mich, wenn ich die modernen Apokalypsen aus dem Schleife-Verlag durchgehe, ob sie auch wie die biblische Apokalyptik Weltendsängste in Gottvertrauen verwandeln oder ob sie in ihrer Vorliebe für die Dämonisierung alles Befremdlichen nicht Aengste schüren und Probleme so weit anheizen, bis sie sich in der Tat nicht mehr lösen lassen.
Georg Schmid, 1999
Letzte Aenderung 1999, © gs 1999, Infostelle 2000
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