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  Sedona als New-Age-Pilgerort
  Uebersicht
  Die sanften Wirbel von Sedona
Was kommt nach dem New Age?
Für manche ehemalige New-Age-Mystiker hat sich der Traum vom New Age, vom neuen, grenzenlos harmonischen und friedlichen Zeitalter schon seit dem Golfkrieg und seiner Demonstration perfekter Zerstörungstechnologie in Luft aufgelöst. Die menschliche Zivilisation sucht sich weiterhin ihren Weg durch hunderterlei Bedrohung und hunderterlei Konflikte. Vom neuen Bewusstsein ist in der Tagesaktualität nichts mehr zu spüren. Naütrlich - offiziell hat niemand das New Age zu Grabe getragen. Die intelligenten Bomben, die sich nach Bagdad schlichen, haben das New Age über Nacht umgebracht. Mit Fanfaren wurde die Geburt des neuen Zeitalters verkündet. Musicals und Bestseller besangen das kaum geborene Kind. Nun verabschiedet sich unsere Gegenwart fast kommentarlos wieder von der hochgejubelten spirituellen und kosmischen Wende. Lässt uns unsere Enttäuschung verstummen? Schämen wir uns für Träume, die im Bombenhagel verbrannten?

Der oberflächliche Eindruck trügt. Spiritualität entsteht nicht aus dem Nichts und verschwindet nicht ins Nichts. Irgendwo finden sich immer Vorfahren und Erben. Diese Erben des New Age, diese Enkelkinder der kosmischen und spirituellen Wende versammeln sich in unseren Tagen an den geheimnisvollsten Orten dieser Welt. Schon die geistigen Väter und Mütter der kosmischen Wende tanzten und meditierten, beteten und segneten mit Vorliebe an den Orten besonderer Kraft. Diese Orte fanden sie überall dort, wo nach alter Ueberlieferung sich schon das vorchristliche Heidentum versammelt hatte, wo die Natur selbst in bizarren Bergformen unserer Phantasie Wegzeichen für spirituelle Reisen schenkte oder wo medial begabte Zeitgenossen besondere Kraftströme spürten. Je weniger sich diese Erde als Ganzes in einer kosmisch-mystische Wandlung als Welt der Erleuchtung und der globalen Harmonie erweist, desto sehnsüchtiger suchen die Enkelkinder des New Age ihre heiligen Orte auf. Die Erde als Ganzes haben sie als Ort der Wandlung mindestens für den Moment aufgegeben. Aber an auserlesenen Orten, dort, wo die Erde noch ihre volle Kraft und ihr ganzes Geheimnis entfalten kann, da versammeln sich die Enkelkinder der grossen Wandlung und feiern Transformation nicht mehr in globaler Weite, sondern im Umkreis von zehn Meilen und in der Tiefe ihres eigenen Gemüts.

Die roten Felsen von Sedona
Kaum ein Fleck Erde zieht die Enkel der grossen Wandlung intensiver an als Sedona in Arizona/USA. Diese Faszination ist im Moment nicht nur ungebrochen. Sedona entwickelt sich zur Zeit zu einem eigentlichen Wallfahrtsort für religiös ungebundene Wahrheitssucher und erleuchtungshungrige Zeitgenossen. Warum dem so ist, erklärt sich schon gleich bei der Ankunft. Sedona mit seinen verschiedenen Ortsteilen und Aussensiedlungen ist überall von farbigen Felsen umstellt, zum grössten Teil dunkelrot leuchtend, streifenweise mit zartem Weiss oder Gelb durchzogen. Die Felsen wirken zum Teil wie wacklige Säulenkolonnen, zum Teil wie Türme von geheimnisvollen Baumeistern aufgeschichtet, zum Teil wie langsam zerfallende Tempel einer vergangenen Kultur, zum Teil wie Kulissen aus einem postmodernen Theaterstück. Von verschiedenen Seiten her betrachtet und in der wechselnden Beleuchtung des Sonnenlichts zeigt jedes Felsstück wieder ein anderes Gesicht. Besonders die Abendsonne taucht all die an sich schon penetrant roten Kolosse in eine unwahrscheinliche Glut. Kurz - es ist, wie wenn in Sedona die Felsen leben würde. Ich bin in den Schweizer Bergen aufgewachsen und mit gigantischen Kulissen vertraut. Aber ich habe noch nie ein solches Schauspiel glühender Felsen erlebt.
Sedona-Mythen
Die schlichtweg eindrücklichen Felsen von Sedona könnten im Neuling unter den Besuchern nun die Erwartung wecken, dass sich im Schatten dieser Felsen eine Naturmystik von schlichter Eindrücklichkeit entwickelt. Meine ersten Besuche in drei New Age-Buchläden sollten mich sofort eines Besseren belehren. Eine fast unüberschaubare Menge von spirituellen Angeboten sucht zwischen diesen Felsen nach zahlungswilligen Kundinnen und Kunden. Jedes Angebot verbindet sich mit einer wieder etwas anders gefärbten Philosophie. Die Felsen sind zwar alle rot. Aber auf den Tablaren der esoterischen Zentren tummeln sich Produkte in allen Farben. Die Natur spricht mit der Glut der Felsen im Abendlicht. Die esoterischen Zentren legen uns alle nur erdenklichen Formen christlicher, theosophischer, buddhistischer, islamischer, indischer, inidanischer, keltischer, matriarchaler und schlichtweg märchenhafter Mystik vor Augen. Es bleibt aber nicht bei der blossen Auslage. Immer wieder finden sich in Sedona ansässige Channels und Fremdenführer, die mit ihren Kenntnissen aus der weiten Welt der Mystik bedenkenlos den Raum zwischen den roten Felsen füllen und allmählich alle Mysterien, die die Welt je kannte, in ihrer Phantasie und Werbetüchtigkeit mit den roten Felsen von Sedona verbinden.

Wenn sich Las Vegas zum Sammelsurium aller architektonischen Einfälle aus dem Bereich der Unterhaltungsindustrie entwickelt, so entfaltet sich Sedona in den letzten Jahren zur neuen Heimat einer Supermystik von geradezu erschreckender Vielfalt. Die über Sedona publizierten spirituellen Schriften lassen erahnen, was alles sich zwischen den roten Felsen in diesem Las Vegas der Esoterik schon zur Sedona-Philosophie verband. Aus theosophischen Quellen fliesst die Rede von vergangenen Kulturen und Rassen, von denen eine - die Lemuren - ihren wunderbaren Tempel genau dort errichtet hatte, wo heute Sedona liegt. Indianermystik klingt an, wenn man wegen der offenkundigen, aber als religiöse Zeugnisse kaum aussagekräftigen Ruinen aus der Zeit inzwischen verschwundener Indianerkulturen Sedona als heiligen Ort der amerikanischen "Urbevölkerung" versteht. Noch weiter zurück greift der sprituelle Reiseleiter, der Sedona direkt mit den ersten Kräften der Schöpfung verbindet. Esoterisch-märchenhaft klingen alle Berichte von Begegnungen mit Gnomen, Feen, Geistwesen und anderen Vertretern einer höheren Dimension in den Canyons rund um Sedona, und die Berichte von paranormalen Naturerscheinungen, zum Beispiel von Wolken, die sich zu den Schriftzeichen für Yahweh verformen. Ufomystik lebt auf, wenn die vielen Sichtungen von Ausserirdischen in und um Sedona gesammelt und publiziert werden. Naturmystik esoterischen Zuschnitts spricht sich im Mythos von den unter manchen roten Felsen verborgenen riesigen Kristallen oder Kristallschichten aus. Mehr ins Reich der Mystery-Filme passen die immer wieder auftretenden Berichte von einer geheimen Militärkaverne in einem der Canyons bei Sedona, ein Militärzentrum so geheim, dass wahrscheinlich nicht einmal das Militär selbst von dessen Existenz weiss.

Parawissenschaftlich klingen die Erklärungen für das Phänomen des Vortex, des speziellen Kraftortes oder Kraftfelsens innerhalb der vielen Felsen von Sedona. In der Regel werden vier solcher "Kraftwirbel" gezeigt, und an jedem werden auch gegen entsprechendes Entgelt die die jeweilige Kraft weckenden Meditationen oder Rituale angeboten: Der sog. Bellrock, ein glockenförmiger Felsen, gleich neben der Ausfahrtsstrasse von Sedona richtung Süden, der Airport-Vortex, zwei kleinere rote Felskuppen an der Strasse zwischen Flugplatz und Ortsmitte, der Cathedral-Rock, eine bizarre, an gotische Dome erinnernde Felsformation etws ausserhalb des Ortes und ein Felsen im Boynton Canyon einige Meilen von Sedona entfernt. Die eisenhaltigen Gesteinsschichten seien für die generell in Sedona präsente Kraftfülle verantwortlich. Unter den einzelnen "Kraftwirbeln" lasse ein Kristall die Energien in besonderer Dichte zusammenfliessen.

Ueberdies wird Sedona zu einem beliebten Treffpunkt für Channels , für jene Prophetinnen und Propheten unserer Zeit, die sich zu einem guten Teil ihr Prophetentum in Kursen angelernt haben und die nun Sedona regelmässig in ihrer Trance oder Halbtrance mit allen Sphären der geistigen Welt verbinden. In Sedona spricht - gegen Entgelt - durch zahlreiche Channels eine kaum mehr überschaubare Zahl von "Geistwesen" zu der mystikhungrigen Kundschaft. Wie lässt sich dieser Widerspruch zwischen schlicht-eindrücklicher roter Natur und chaotischer Regenbogenmystik erklären?

Kreativität und Verwilderung in der gegenwärtigen Mythologie
Die Schar der Mythen, die die roten Felsen von Sedona umschwirren wie ein Schwarm von Fledermäusen in der Dämmerung, kennzeichnen die spirituellen Kommunikationsmöglichkeiten der Gegenwart: Jede Zeit und Kultur versucht, persönlich erlebte Geheimnisse in Worte zu fassen, in die Gemeinschaft einzubringen und so mit anderen zu teilen. Jede Zeit und Kultur findet zu den für sie bezeichnenden Wegen zur Gemeinschaft im Geheimnis. Die klassische Form der Kommunikation übers Geheimnisvolle ist und bleibt der Mythus, das heisst die Geschichte, in der sich das Geheimnis von seinem Ursprung her bildhaft entschlüsselt. Anders als die rationalen Erklärungen lösen die Mythen das Geheimnis nicht auf, sondern sie lassen den Zauber nur noch zauberhafter erscheinen. Unsere Zeit - und dies lässt sich vielleicht nirgends klarer als in Sedona erkennen - hat ihre Sprache fürs Geheimnisvolle noch nicht gefunden. Oder vielleicht zutreffender formuliert: Jede Möglichkeit, Geheimnis mit anderen zu teilen, geht unserer Zeit einmal entdeckt gleich wieder verloren. Kein Mythos bleibt glaubwürdig über den Moment seiner Entstehung hinaus.

Diese Sprachnot bringt unsere Zivilisation aber nur scheinbar in Verlegenheit. Wir verwandeln unsere Schwäche in unsere Stärke. In unserer Sprachlosigkeit sprechen plötzlich alle Sprachen, in unserer Mythenarmut greifen wir alle nur erdenklichen Mythen auf. Wir experimentieren gleichzeitig mit allen Mythen der Welt. Unsere Mythenarmut wird unsere Mythenfülle. Und unsere Mythenfülle verstärkt wieder unsere Mythenarmut. Denn selbstverständlich ergibt sich bei diesem Umgang mit Geheimnissen nie ein einigermassen tragfähiger Mythenkonsens. Jeder moderne Mythos wird von einem halben Dutzend anderer wenigstens oberfläch besehen bestritten. Aber das stört die mythenhungrige Gegenwart kaum. Hauptsache, das Gesagte vertieft und erläutert das Mysterium. Ueberdies könnten wir, wenn uns danach zumute ist, auch alle unsere Mythen sofort wieder mit wissenschaftlichen oder zumeistd pseudowissenschaftlichen Erwägungen auflösen. Auch diese immer naheliegende Möglichkeit ist nicht dazu angetan, uns in unserem Umgang mit Mythen neue Sicherheit zu schenken. Kurz - in Sedona verwildern die Mythen zum Dschungel, den der Tourist auf spirituellen Pfaden sinnvollerweise nur mit einem bezahlten Führer betritt.

Die Ratschläge des Jeremiah
Ich muss mir mein weiteres Vorgehen auf meinem Weg zum besseren Verstehen der Sedona-Spiritualität auch nicht lange überlegen und buche mir einen der zahllosen spirituellen Guides. Mein erste Begegnung mit Dennis Anders, einem jungen Mann, der vor seiner mystischen Laufbahn kurze Zeit in der Entwicklungsarbeit tätig war, ist zwar so irrtierend wie der spirituelle Dschungel, der mich an einen spirituellen Fremdenführer denken liess. Dennis verfällt in seinem himmelbau gestrichenen und mit Wolkenmustern aufgehellten Beratungszimmer im obern Stock des New Age-Zentrums einer Art Halbtrance. Er schüttelt sich und reckt sich, verändert leicht seine Stimme und lässt mit halbgeschlossenen Augen eine Art geistige Wesenheit, einen gewissen Jeremiah, aus sich heraussprechen. Ich bin im Verlauf meiner "Sekteninformationsarbeit" manchen Channels oder Propheten begegnet. Aber jedesmal berührt es mich eigenartig, wenn Menschen bewusst die Kontrolle über ihr Denken, Empfinden und Reden angeblich einer ausserpersonalen Kraft, nach meinem Verständnis wahrscheinlich zumeist einem wenig bewussten Teil ihres eigenen Wesens, überlassen.

Was die sog. geistige Wesenheit Jeremiah den Anwesenden sagt, ist zwar alles andere als aufregend. Jeremiah - mit dem alttestamentlichen Propheten gleichen Namens in keiner Weise verwandt - erzählt fast nichts von seinem Leben auf höheren geistigen Ebenen. Was er dazu sagt, entspricht durchschnittlichen populärtheosophischen Standards. Umso intensiver beschäftigt er sich aber mit persönlichen Problemen anwesender Wahrheitssucher. Seine Ratschläge zu konkret vorgelegten Lebensfragen wären - kämen sie nicht aus himmlischen Sphären - auch gar nicht so übel. Jeremiah, alias Dennis, hat offensichtlich auch einmal psychologische Kurse besucht oder entsprechende Bücher gelesen. Zudem verfügt er über ein gutes Mass an Einfühlungsgabe. Trotzdem - dass nicht ein Mensch im Wachzustand, sondern ein sog. Medium mit verzerrter Miene, geschlossenen Augen und eigenartig verkrampften Gliedern uns berät, irritiert mich auch dieses Mal.

Warum kann Dennis nicht Dennis bleiben?
Ich tauche nicht gerne ins Spiel der Channels mit einzelnen Aspekten ihres Wesens und finanziere auch nicht gerne ihre Uebungen in professionell geübter Persönlichkeitsspaltung. Erleichtert stelle ich deshalb nach dem Verlassen des himmelblauen Raumes fest, dass Dennis ohne Jeremiah durchaus vernünftig zu argumentieren vermag. Auf die Frage, warum er Jeremiah brauche, um Menschen zu beraten, warum nicht Dennis als Dennis Menschen durch ihre Probleme geleiten könne, verweist Dennis auf einen Prophetenkurs, den er zusammen mit seiner Mutter besucht hatte. In Kalifornien sind Prophetie und Medialität lernbar. Dennis hat diese angeblich medialen Beratungsverfahren von Experten übernommen und verspricht sich wie seine Lehrmeister durch die himmlische Herkunft ihrer Ratschläge im Meer der zahllosen Berater und Psychologen beim ratsuchenden Publikum einen Zuwachs an Vertrauen. Dass er in anderen gerade durch dieses Verfahren noch grössere Zweifel weckt, ist für ihn in Sedona keine Erkenntnis von Belang. Zu sehr haben sich die Wahrheitssucher, die nach Sedona pilgern, offenbar schon auf Botschaften aus höheren Sphären eingestimmt. Für die Reise zu den Kraftplätzen von Sedona allerdings will Dennis Jeremiah grundsätzlich aus dem Spiel lassen. Da kann ich ihm nur zustimmen. Ich spreche lieber mit Menschen, die ungeteilt sich selber sind.
Wo die Erde sich selber liebt
Dennis hat im Himalaya und in den Anden seine Talente zum spirituellen Reiseführer entdeckt und wirbt nun in Sedona nicht nur für seine Touren zu den roten Vortex-Felsen, sondern auch für seine weltweiten Touren zu den bekanntesten Vortexes, "Kraftwirbeln", unserer Erde. Weil ich ausser Saison in Sedona weile, besteht die Gruppe, die Dennis an einem strahlenden Spätherbstmorgen durch die roten Felsen führt, nur aus mir. Unterwegs zum ersten Vortex erklärt mir Dennis die Funktion dieser Kraftorte. "Vortex ist ein Ort, an dem die Erde sich selber liebt."

In und mit dem Vortex kann ich also zu innerer Harmonie und kosmischer Liebe finden. Denn im Vortex ist jedes Element in einer Art urtümlichen Ganzheit mit jedem Element harmonisch verbunden. Der Wirbel, die Spirale, ist die Urform der Bewegung. Wenn ich selber den Wirbel in mir entdecke, finde ich zurück in die Urharmonie. Allerdings - meint Dennis warnend - wer mit negativer Grundhaltung sich einem Vortex nähert, wird in negative innere Erlebnisse gestossen. Denn ein Vortex wirkt wie ein Verstärker oder ein Vergrösserungslas. Er wirft uns auf unsere eigenen Gefühle zurück. Wer zum Beispiel den kräftigsten Vortex dieser Erde, den Mount Everest, mit Kriegermentalität zu bezwingen sucht, der wird wahrscheinlich vom Berg bezwungen. Jedenfalls wird er nicht erleben,wieviel sanfte Energie ihn durchfliesst.

Sandwirbel am roten Berg
So angeleitet steigen wir gelassen, massvoll im Schritt, ruhig im Geist vom Autoparkplatz zu den ersten Stufen des Bellrocks, des glockenförmigen Berges hinauf. Nach einem kleinen Tour d'horizon auf die anderen von hier aus sichtbaren Felskuppen und Kraftorte heisst mich Dennis, das Bild der vor mir liegenden runden, roten Felskuppe in mich aufzunehmen. Dann spüre ich zuerst mit geschlossenen Augen den Kräften nach, die mich am Fuss des Berges sitzend bis in alle Zellen hinein durchfliessen und versuche, diese Kräfte zu hören oder zu sehen. Manche Menschen, erklärt Dennis, sehen an dieser Stelle Wellenbewegungen, sie spüren Vibrationen, sie sehen Strahlenspiralen, oder sie hören sanfte Klänge. Ich sehe - kaum dass ich die Augen schliesse - sandfarbige Körner von einem sanften Wind bewegt vor mir kreisen und vorbeiziehen. Vielleicht hätte Dennis mir gar nicht zu erklären brauchen, was andere an diesem Ort in ihren Meditationen erleben. Das Stichwort "Vortex", "Wirbel" ist Inspiration genug und führt die Seele in die vorgezeichnete Richtung.

Einmal in meine inneren farbigen Wirbel getaucht weist mich die ruhige Stimme des spirutellen Begleiters an, nun meine innere Energie mit dem Bild des roten Berges, das ich in mich aufnahm, zu verbinden und zu spüren, wie meine Wirbel zu einem Teil des grossen Wirbels werden, der im roten Felsen kreist. "Traue deiner eigenen Empfindung. Spüre, wie Licht und Energie durch deine Zellen fliesst. Und nun bewegst du dich und die Energie in dir zur Energie des Vortex. Du fühlst dich im Zentrum des Vortex. In diesem Zentrum: dort ist viele Liebe. Dort liebt die Erde sich selbst. Für viele Menschen ein aufstellendes Gefühl, für andere ein beruhigendes Gefühl. Trau deinen Gefühlen, auch wenn du etwas fühlst, das du nicht erwartet hast. Gehe bis zu deiner DNA. Sauge diese Energie in dich. Lass diese Energie in dich hinein."

Leider hat mich die ruhige Stimme des Begleiters nicht bis in die Mitte des Bellrocks geführt. Zu sehr bleibe ich am inneren Bild des sanft sich bewegenden Sandes haften. Aber dieses Bild weitet sich aus zur Erfahrung einer grenzenlos sanften Harmonie. Alles ist ungebrochene Bewegung. Und alles in mir gleicht dem Reigen oder dem Tanz der Sandkörner vor meinem inneren Auge. Ist das die Erde, die sich selber liebt? Ist das die Urharmonie, die wir Menschen damals verloren, als die Paradiesespforte hinter uns ins Schloss fiel? Wie ich mich aus meinen inneren Bildern löse, scheint die Morgensonne doppelt freundlich in die rote Bergwände und grüsst das Kreuz die Heiligkreuzkirche vor ihrer roten Felsenwand noch einmal so freundlich herüber zu den beiden momentanen spirituellen Weggefährten am Fusse des Bellrocks.

Die Liebe im Kreuz
Am Sonntag sitze ich lange Zeit in der modernen Heilig-Kreuz-Kappelle. Die ganze Kirche ist im Grunde nur ein einziges, hochaufgerichtetes Kreuz, an das sich ein sich in die Höhe schwingender, auf elementarste Linien redizierter Raum legt. Nur Kreuz ist die Kirche, und nur Kreuz ist die Kirche als Gemeinschaft. Dies sucht ein Text beim Eingang dem Besucher einzuflüstern. Aber blosse Texte sind hilflose Meditationsbegleiter. Ich könnte mich, das spüre ich, mit der Kraft in diesem Kreuz weit besser verbinden als mit der Spirale im Vortex. Auch in diesem Kreuz steckt Liebe. Und auch diese Liebe könnte mich durchdringen bis in die innerste Zelle hinein. Zudem wäre diese Kraft, so scheint mir, nicht nur eine mythsiche Urharmonie, die wir vor Vorzeiten verloren. Sie wäre göttliche Liebe mitten in einer gebrochenen und von Problemen geplagten Welt. Eigentlich wäre eine Kreuzesmeditation analog der Bellrockübung meine stimmige Antwort auf die Begegnung mit den roten Felsen, ein Einswerden mit der Liebe im Kreuz, die überdies das Geheimnis der roten Felsen nicht zudeckt oder gar verbietet. Die Kreuz-Kapelle steht mitten in der roten Felsenlandschaft. Hinter ihr leuchtet wieder eine dieser phänomenalen roten Wände im Licht des Nachmittags in ungebrochner Kraft. Die Kraft im Kreuz muss die Kraft im Felsen nicht ausstechen. Aber die Kraft im Kreuz könnte mir helfen, eine Liebe und einen Frieden zu erleben, der nicht wie ein schöner Traum aus märchenhaften Vorzeiten mit den ersten neuen Enttäuschungen verfliegt.
Die Kirche als Vortex?
Ueberdies - manche Freundinnen und Freunde der komischen Kräfte in Sedona behaupten, die Kreuz-Kapelle stehe am fünften in Sedona spürbaren Vortex. Natürlich - die Kraft im Kreuz ist nicht ein gewöhnlicher Vortex, sondern ein Vortex mit umgekehrten Vorzeichen. Die Vorstellung vom Licht- und Energie-Wirbel ist, dies zeigt mir ein Besuch im wahrscheinlich ältesten New Age-Zentrum von Sedona, in der Rainbow-RayFocus-Kirche beim Flugplatz-Vortex, das direkte Kind der Lichtsäule, die in der I Am-Bewegung seit vielen Jahren schon die Erfahrung des inneren Aufstiegs anzeigt. Ich werde im I Am-Zentrum zum inneren Aufstieg oder zur eigenen Auffahrt angeleitet, indem ich mich in meiner Vorstellung von einer Lichtsäule umhüllt sehe, die mich wie ein Kanal oder ein Lift nach oben hebt. Auch die Wirbel in den roten Felsen sind noch spirituelle Auffahrtskanäle. Sie sollen - das erklären Kollegen von Dennis - in erster Linie dem spirituellen Aufstieg dienen. Im Kreuz aber muss ich nicht mit kosmischen Energien von der Erde zum Himmel emporsteigen. Im Kreuz senkt sich der Himmel zur Erde. Im Kreuz feiert der Glaube den Abstieg Gottes in die tiefsten Niederungen dieser Welt. Ich könnte die Kraft im Kreuz einen Vortex nennen, in dem mich die Kraft des Abstiegs umfängt. Trotzdem - wenn sich Anleitung fände, würde ich wahrscheinlich vor den roten Felsen von Sedona das grosse Kreuz als stärksten Vortex erleben. Wenn ich das nächste Mal nach Sedona komme, engagiere ich mir wieder einen spirituellen Führer, aber diesmal setze ich mich mit ihm nicht mehr an den Fuss des Bellrocks, sondern in die Kirche von heiligen Kreuz.
Die kosmische Familie
Nur nebenbei bemerkt: Die Vortex-Tours werden zum Teil auch von spirituellen Begleitern angeboten, die zur Gemeinschaft des Gabriel von Sedona gehören. Weil ich mich für alles interessierte, was sich spirituell in Sedona entfaltet, versuchte ich, auch die Gemeinschaft Gabriels kennen zu lernen. Gabriel hat aber allen Grund, äusserst vorsichtig zu sein. Journalisten hatten sich in seiner Gemeinschaft eingeschleust und anschliessend dem Fernsehpublikum ihre Erkenntnisse vorgelegt. Diese Reportage stellte die kosmische Familie, wie sich die Gemeinschaft um Gabriel nennt, in eine Linie mit anderen sektenähnlichen Gruppierungen. Spirituell engagierte, aber an keine Gemeinschaft gebundene Einwohner von Sedona, mit denen ich ins Gespräch kam, teilen diese Einschätzung.der kosmischen Familie. Sie lasten Gabriel ein krankhaftes Selbstbewusstsein an. Er soll sich gleichzeitig als Inkarnation von Jesus, Franz von Assisi und George Washington verstehen. Seine Gemeinschaft sieht in ihm schlichtweg den einzigen, wahren Channel der Gegenwart. Er trenne, behaupten die Kritiker, nach seinem Empfinden die zu ihm findenden Paare und verfüge über Frauen seiner Anhänger wie ein Haremsfürst. Allerdings - ausstiegswillige Mitglieder der Gemeinschaft seien bisher an ihrem Austritt nicht gehindert worden.

Ich konnte dieses düstere Bild der Gemeinschaft trotz mehrmaligem Versuchen nicht in konkreten Begegnungen überprüfen. Heilige Schriften der Gemeinschaft durfte ich mir zwar in ihrem Buchladen erstehen , wo mir das Personal auch auf alle meine spirituellen Fragen bereitwillig Auskunft erteilte. Zur einer Begegnung mit der Gemeinschaft oder gar mit ihrem Propheten durfte es nicht kommen. Nach langen telefonischen Vorgesprächen, nach einer als Vorbedingung verlangten bescheidenen Vergabung meinerseits, nach einem ebenfalls von mir als Vorbedigung verlangten Studium einer der äusserst umfangreichen durch Gabriel empfangenen himmlischen Botschaften, nach einer schriftlichen Erklärung, in der ich auf jede Verwendung von Tonbandaufnahmen, Videoaufnahmen, Kameras während meines Besuchs verzichte, vermittelt mir endlich ein deutsches Mitglied der Gemeinschaft, ein ehemaliger Umweltfreak und langjähriger Anhänger anderer alternativer Kommunen, einen Besuch in der Gemeinschaft.

Aber der sogenannte Besuch entpuppt sich als freundlicher Morgensparziergang über das Baugelände des zukünftigen Gemeinschaftszentrums ausserhalb von Sedona. Ich lerne den Gärtner der Gemeinschaft kennen, zwei Hunde, ein paar Hühner und dürfte - wenn ich wollte - das Gemüse photographieren, das die Gemeinschaft auf ihrem zukünftigen Bauplatz vorderhand noch anbaut. Kurz - die Hühner der Gemeinschaft durfte ich kennen lernen, die Menschen nicht. Immerhin - auch diese Angst spricht ihre Sprache. Offensichtlich versammeln sich zwischen den roten Felsen von Sedona nicht nur spirituelle Wahrheitssucher, geschäftstüchtige spirituelle Reiseleiter und New Age-Zentren. Manchmal werden junge Wahrheitssucher auch so gekonnt in die Energiewirbel der roten Felsen hineingeführt, dass ihr sprituelles Abenteuer in einer umstrittenen Gemeinschaft endet. Manche Gottsucher und spirtituellen Touristen tauchen in Sedona tiefer ins eigene Empfinden. Und manche empfinden, wenn sie ihr Empfinden entdecken möchten, plötzlich genau das, was eine Gemeinschaft empfindet, die sich um einen einzigartigen Propheten schart.

Georg Schmid, 1999
Letzte Aenderung 1999, © gs 1999, Infostelle 2000
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