Evangelische Informationsstelle: Kirchen - Sekten - Religionen 

Sektenzugehörigkeit als Kündigungsgrund?

 

 

Vor allem Schulbehörden werden in letzter Zeit vor die Frage gestellt, ob einer Lehrerin oder einem Lehrer, der eindeutig zu einer sektenähnlichen Gruppierung gehört, aus dem Schuldienst zu entlassen sei. Ist Sektenzugehörigkeit ein ausreichender Kündungsgrund? Wenn ja, wo bleibt die Religionsfreiheit für Lehrkräfte, ein Grundrecht, das niemandem abgesprochen werden kann? Wenn nein, was sagen wir den besorgten Eltern, denen die Sektenzugehörigkeit der betreffenden Lehrkraft nicht verborgen blieb? Meistens bricht für Schulbehörden das erwähnte Dilemma erst dort auf, wo der Vorwurf der Sektenzugheörigkeit sich noch mit anderen Klagen über die betreffende Lehrperson verbindet, z.B.limitierte Gesprächsbereitschaft, hilfloser Umgang mit kritischen Anfragen, starres Beharren auf nicht allen einsehbaren Regeln und Normen. Zu sog. Sekten finden oft zutiefst unsichere und im Umgang mit anderen allzuschnell bedrohte Menschen. Ihre Sekte verwandelt ihre Unsicherheit in absolute Wahrheit und ideologische Unfehlbarkeit. Es verwundert nicht, wenn dieses Verwandlung von uneingestandener innerer Unsicherheit in nach aussen hin demonstrierte Unfehlbarkeit das Verhältnis zu den Mitmenschen belastet. Kurz: Wie soll eine Schulbehörde reagieren, wenn sich Klagen gegen eine Lehrkraft mit dem Vorwurf der Sektenzugehörigkeit verbindet? Die folgenden Hinweise zum Vorgehen können vielleicht dazu beitragen, eine schwierige Situation zu klären:

1. Der demokratischen Staat garantiert Religionsfreiheit. Sektenzugehörigkeit kann kein Entlassungsgrund sein, auch nicht für Lehrkräfte. Voraussetzung für eine verantwortbaren Einsatz von Sektenmitgliedern im Schulbereich ist aber die mündliche oder schriftliche Zusicherung der Lehrperson, dass sie ihre Stellung weder zur Propaganda für ihre Gruppe noch auf irgendwelche andere Weise zum Vorteil ihrer Gruppe einsetzen wird. Der oft gehörte Einwand, die Katze lasse das Mausen nicht und ein Mitglieder z.B. der Zeugen Jehovas müsse missionieren, jedes Sektenbmitglied müsse, auf die Sekte hin angesprochen, ihre Organistation verteidigen, dieser Einwand überzeugt nur halbwegs. Gerade Sektenmitglieder können zwischen offiziellem Auftrag und praktischem Leben unterscheiden. Was sie theoretisch in allen Lebenslagen zu tun gedenken - Zeugnis abzulegen für ihre Gruppe - können sie im Alltag sehr wohl aus irgendwelchen Gründen und vor sich selbst kaum eingestanden zur Seite schieben. Kurz - Theorie und Alltag klaffen im Sektenleben immer wieder völlig auseinander. Folglich kann auch eine Schulbehörde von einer Lehrkrat Verzicht auf jede Art von Glaubenswerbung verlangen. Was die Verteidigung der eigenen Gruppe auf Anfrage hin betrifft, so empfiehlt sich die Regelung, dass Schulklassen, die z.B. bei ihrer Gymnasiallehrerin Aufskunft über deren sektenähnliche Gruppe erbitten, im gleichen Gesprächsgang oder anschliessend über die entsprechende Gemeisnchaft auch noch von aussenstehender, kritischer Seite informiert werden. Junge Leute sollten generell nie nur dem Propagandabild einer sektenähnlichen Gemeinschaft ausgesetzt werden. Sie haben das Recht, gleichzeitig auch das Gegenbild, zum Beispiel die Erfahrungen ehemaliger Sektenmitglieder, kennen zu lernen. Wenn bewusst beide Seiten der Münze den Jugendlichen vor Augen gestellt werden, kann eine Schulbehörde auch ein Gespräch einer Klasse mit ihrer Lehrerin über deren sektenähnlliche Gemeinschaft verantworten.

2. Das bei Sektenmitgliedern nicht seltene schwierige soziale Verhalten kann und darf nicht einfach als Folge und Ausdruck der Sektenzughörigkeit verstanden werden. Natürlich verhärtet die Sektenzugehörigkeit oft eine vorher schon existierende Problemlage. Sekte verwandelt Unsicherheit und Angst in Arroganz. Aber Sekte ist selten die Quelle der Unsicherheit. Die persönlichen Schwierigkeiten der Lehrperson müssten fairerweise als persönliche Probleme angegangen und nicht der Sekte angelastet werden. Wie aber können persönliche Probleme als persönliche Probleme behandelt werden, wenn das Sektenmitglied es sich zur Tugend machte, alle persönlichen Schwierigkeiten im Nu in religiöse oder ideologische Unfehlbarkeit zu verwandeln? Wir müssten versuchen, hinter der arroganten Unfehlbarkeit des Sektierers den zutiefst unsicheren und verletzten Menschen zu sehen. Wenn uns dies gelingt und wenn sich die betreffende Lehrperson auch in ihrer Unsicherheit ansprechen lässt, dann ist das Tor zu einem neuen, menschlicheren Verhalten offen. Fast unlösbar wird ein Konflikt zwischen Behörde und Lehrperson nur, wenn sich die umstrittene Lehrkraf hinter ihrer in der Sekte neugewonnenen ideologischen Unfehlbarkeit und persönlichen Unverletzbarkeit verschanzt: Dann ist eine weitere verheissungsvolle Zusammenarbeit kaum mehr möglich.

3. Die generelle Entlassung aller Sektenmitglieder aus öffentlichem Dienst würde eine derartige Progromstimmung schüren, dass wir von einem neuen Kreuzzug gegen die Ketzer der Gegewart sprechen müssten. In allen Ketzerkreuzzügen aber sind am Ende - wie damals in Südfrankreich - die Sektenjägern die grössere Gefahr für die menschliche Gesellschaft als die Sektierer. In aller Kritik gegenüber Sekten, empfiehlt sich ein nicht nur überzeugtes, sondern auch öffentlich hörbares Nein gegenüber aller Sektenjägerei.

 

Georg Schmid, 1998


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