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Sterben für Gott?

Zur religiösen Dimension der Selbstmordattentate

 

Was kann Menschen bewegen, sich eine Bombe um den Leib zu binden, sich unter die sog. Feinde zu drängen und sich mit ihnen in die Luft zu sprengen? Was führt Menschen dazu, sich am Knüppel eines Flugzeuges in ein Hochhaus zu steuern und so sich selbst mit allen Passagieren und zahllosen anderen unbeteiligten umzubringen? Es fällt uns schwer, die Logik oder Psychologik derart absurder Handlungen auch nur einigermassen zu verstehen. Wahrscheinlich wollen wir diesen Irrsinn auch gar nicht verstehen. Denn unser Verstehen könnte doch schon ein erster Schritt zur Rechtfertigung des schlichtweg Grauenhaften sein.

Wie können wir aber dem schlichtweg Unverstehbaren je Einhalt gebieten? Die Psychologik des Selbstmordattentäters sollte uns doch wenigstens in Deutungsversuchen verstehbar sein. Verstehen heisst in diesem Fall auch den Attentäter dort aufspüren, wo er wirklich steht. Solange wir gar nichts verstehen, bekämpfen wir Phantome. Nur dem in Ansätzen Verstehbaren können wir Einhalt gebieten.

Folgende Deutungsmuster bieten sich als Erklärungsversuche an:

 

1. Religiöser Fanatismus als Opferdrang und Selbstauflösungswille

In einer leidenschaftlichen Hingabe steigert sich eine religiös oder politisch isolierte Gruppe oder Gemeinschaft in immer radikaleren Opferdrang hinein. Fanatismus drängt zur Selbstauflösung. Zuerst opfere ich meiner Gemeinschaft meine Zeit und mein Geld, dann mein Denken, meinen Beruf, meine Zukunft, mein Leben. Das kleine individuelle Ich will sich stufenweise immer radikaler ins grössere göttliche Ein- und Alles oder ins grenzenlos verehrte Kollektiv auflösen. Das freiwillige Opfer des eigenen Lebens ist nur der letzte Schritt auf einem langen Weg konsequenter Selbstauflösung.

 

2. Der Attentäter als Endzeitbote

In der Perspektive mancher dualistisch geprägter Religiosität drängt der gegenwärtige Kampf zwischen Licht und Finsternis auf eine endzeitliche Entscheidung zu. Göttliche und teuflische Mächte treten in unserer Gegenwart zur letzten Schlacht an. In dieser Endzeitschlacht wogt das Kriegsglück noch eine Zeit lang wild hin und her. Eine rein irdische Betrachtungsweise fern von allen apokalyptischen Perspektiven mag diesen Kampf auch als völligen Irrsinn betrachten. Oberflächlich betrachtet steuern die Gotteskämpfer keinem irgendwie vernünftigen Sieg entgegen. Sie opfern sich schlicht für nichts. Erst die apokalyptische Perspektive enthüllt den wahren Sinn des Dramas. Der Selbstmordattentäter ist ein Endzeitkämpfer. Er gleicht den Engeln, die in den letzten Tagen der Weltgeschichte in den Kampf eingreifen. Diese Endzeitperspektive schenkt dem Tod des Selbstmordattentäters unendlichen Sinn. Irgendwie wird das Selbstopfer dem nahen, letzten gottgewollten Ziel dienen.

 

3. Der glückliche Tod der Märtyrer

Durch die religiöse Tradition aller Weltgegenden geistert die Vorstellung, dass der Märtyrer einen verklärten, einen verzückten, einen wunderbaren Tod stirbt. Von den indischen Frauen, die sich in Treue zum verstorbenen Gatten auf den brennenden Scheiterhaufen warfen und hie und da heute nocb werfen, wird dies ebenso behauptet wie von den christlichen Märtyrern seit Stephanus und den islamischen Assassinnen, die im Drogenrausch sich in die Schlacht stürzten: Ueber den Märtyrer geht im Sterben der Himmel auf. Alle Märtyrer sterben glücklich. Die angehenden Attentäter der Hamas lächeln selig in die Kamera. Nicht zuletzt haben auch Islamisten im Iran diesen Glauben an den glücklichen Märtyrer mit allen nur denkbaren Mitteln gestützt. Sonst hätten sie nicht soviele freiwillge kindliche Gotteskämpfer als Kanonenfutter in den unsinnigen Krieg gegen den Irak senden können. Auch die Selbstzmordattentäter der Gegenwart sind sicher vom Glauben an einen wunderbaren, mystisch verklärten Märtyrertod erfüllt.

 

4. Der unsinnige Hass der kollektiv Bedrohten

Auch wenn sich in jeder religiösen Tradition zusammen mit religiösem Fanatismus Selbstaufopferungswille und apokalyptische Vorstellungen ausbreiten können, so findet sich in der islamischen Welt bei radikalen Moslems, bei sog. Islamisten, zur Zeit für solche Ausbrüche religiösen Wahnsinns der beste Nährboden. Keine andere Kultur fühlt sich in ihren radikalen Vertretern durch die moderne Welt und Zivilisation derart in ihren tiefsten Grundsätzen und Ueberzeugungen bedroht, wie der radikale Islam. Amerika und die westliche Welt sind der Teufel, den es im Namen Gottes mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Zudem untersützen die USA einen der Hauptfeinde des radikalen Islam, den Zionistenstaat. Selbstverständlich wird diese Bedrohung durch westliche Zivilisation und Kultur erst dort zum Drama, das in kriegerische Aktionen drängt, wo eine Gruppe oder Gemeinschaft sich diese Bedrohung ständig vor Augen hält und sich zum Lebensnerv werden lässt. Wer sich - durch die Doktrin der Gruppe ständig bestärkt - den Kampf gegen die westliche Welt zum Lebensinhalt macht, muss sich dann nur noch im Kollektiv in Selbstauflösungswünsche, in apoklayptische Perspektiven und in den Glauben an den glücklichen Märtyrertod hineinsteigern. Anschliesend ist er - wenn Führer dies fordern - zum Opfer des eigenen Lebens bereit.

Georg Schmid, 2001


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