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Islamismus und Gewalt

Merkmale kompromissloser Religion

 

 

Islamismus, d.h. radikaler, zeitgenössischer Islam, ist wie jede Form radikaler Religiosität leidenschaftlicher Einsatz für das, was er als Willen Gottes erkennt. D.h. nicht, dass diese leidenschaftliche Hingabe ans gottgewollte Ziel auch zu einem kompromisslosen, gewaltätigen Engagement führt. Die grosse Mehrheit nicht nur der Moslems, sondern auch der islamistisch gesinnten Moslems zumal in der westlichen Welt verwirft den Einsatz kriegerischer oder gar terroristischer Mittel. Die radikale Minderheit aber propagiert die kompromisslose Hingabe. Menschliche Rücksichten und Opfer wiegen hier wenig, wenn es darum geht, den vermeintlichen Auftrag Gottes zu erfüllen. Solche kompromissloses Engagement ist nur verständlich auf dem Hintergrund einer dualistische Deutung der Welt. Gottes Freunde und Feinde stehen sich in unterbittlichem Kampf gegenüber. Vor allem die USA (und Israel als deren "Kolonie") gelten als Erzfeind und Welt des Teufels schlechthin. Islamisten protestieren und kämpfen vor allem aber auch gegen die Freunde Amerikas und die Verräter im Islam. Sie sehen sich durch Säkularisierung und Moderne, der Gegenwart allenthalben bedroht. Weil für sie heute alles in Frage steht, sind sie bereit, im Kampf für die gute Sache Gottes alles zu wagen.

 

Islamismus - kein Einzelfall

Jede Religion kann sich radikalisieren, wenn wirklich oder vemeintlich die höchsten Werte des Glaubens bedroht werden. Die Geschichte des Christentums, des Buddhismus und des Hinduismus kennen alle auf ihre Weise zahlreiche grosse und kleine Kapitel radikal kämpferischer Gesinnung. Der sog. "Heilige Krieg" ist keine Erfindung oder gar ein Monopol des Islams. Der Begriff "Heiliger Krieg" findet sich zwar im Koran. Die Sache aber begegnet in den Grundlinien in allen Religionen.

 

Grundsätzlichen Gewaltlosigkeit aller Religionen?

Eine heute beliebte und immer wieder neu beschworene Theorie verkündet, alle Religionen seien grundsätzlich tolerant und gewaltfrei. Nur entsetzliche Missverständnisse hätten die edlen Grundsätze des Anfangs später ins Gegenteil verkehrt. Diese Theorie, so gut gemeint sie ist, tirfft nicht die historische Wirklichkeit. Manche religiösen Aufbrüche verbinden sich schon in den ersten Anfängen mit Krieg und Gewalt. Und manche religiöse Bewegungen verwandeln sich über Nacht aus humanitären Bewegungen in kriegerische Gemeinschaften. Totalitäre Neigungen, der Wunsch, mit Gewalt Gottes Willen in dieser Welt durchzusetzen, geistern in schwierigen Zeiten durch manches religiöse Gemüt.

Jede Religion verfügt aber auch über innere und äussere Barrieren, die ihr verbieten, ihren totalitären Neigungen blindlings nachzugeben. So weiss grundsätzlich jede Religion, dass sie Gott über die Gläubigen verfügt, aber nicht die Gläubigen über Gott. Gott ist und bleibt in der noch durch keinen Wahn getrübten Perspektive der Gott aller Menschen.

Dieses Wissen verhindert zusammen mit anderen Barrieren ein unghemmtes Aufflackern kriegerischer Stimmung im religiösen Geist. Hie und da werden aber alle Barrieren durch widrige Umstände und radikale Doktrin abgebaut oder durchbrochen. Da wird Gott plötzlich exklusiv zum Gott der eigenen Gruppe. Wo dies geschieht, nimmt das Drama des religiösen Fanatismus ungehindert seinen Lauf. Wir versuchen im Folgenden ein paar Stadien auf dem Weg in den radikalen Islam nachzuzeichnen.

 

Die traditionelle Einheit von Religion und Staat

Der Islam Mohammeds verpflichtet die Gläubigen grundsätzlich zur Toleranz gegenüber den Schriftbesitztern, d.h. Juden und Christen, und zum Kampf gegen Heiden, d.h. Polytheisten. Der Moslem selbst aber will bei aller Toleranz gegenüber den Schriftbesitzern schon in der Frühzeit des Islams wo immer möglich in einem islamischen Staat leben. Die gesellschaftliche Grundordnung soll sich an den durch Mohammed offenbarten göttlichen Willen halten. Diese Einheit von Religion und Staat, von göttlichem Gesetz und politischer Ordnung, anzustreben und zu erhalten, ist für den Islam über viele Generationen von Moslems hinweg heiligste Pflicht und Ausdruck ungebrochenen Gehorsams.

 

Moslems ohne islamischen Staat

Nachdem schon in den ersten Jahrhunderten der islamischen Geschichte Debatten über die rechte Auslegung dieser göttlichen Ordnung und vor allem auch über die gottgewollte Nachfolge des Propheten aufgebrochen waren, wird es in der Neuzeit immer schwieriger, die gottgewollte Einheit von göttlichem Willen und gesellschaftlicher Ordnung zu erhalten. Zuerst hinterlassen die europäischen Kolonialmächte, dann die Ausbreitung westlichen modernen, demokratischen Gedankengutes und westlichen Lebensstiles ihre tiefen Spuren in der islamischen Welt. Die Scharia, das kanonisch-islamische Recht, wird in weiten Teilen der islamischen Welt durch modernes Recht ersetzt. Moslems leben immer öfter in einer grundsätzlich nicht mehr durch göttliches Gesetz gestalteten Welt. Umso hemmungsloser breiten sich westliche Sitten und Werte auch unter Moslems aus. Wo bleibt nun der Gehorsam des Moslems gegenüber dem göttlichen Gesetz? Lässt Gott mit sich handeln? Ist Glaube teilbar? Ist Allah kompromissbereit?

 

Bedrohte Inseln des Glaubens

Dass westliche Zivilisation Moslems in ihren Grundwerten nicht nur verunsichert, sondern bedroht, erahnt jeder, der spürt, wieviel Halt der tradierte Islam verunsicherten Zeitgenossen schenkt. Kaum eine Religion schweisst ihre Gläubigen so intensiv zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen, wie der konservative Islam mitten in der modernen Welt. Der konservative Islam baut mitten in der modernen Welt Gegenwelten, eine Art Inseln für Gläubige mitten in einem Meer des Unglaubens. Auf diesen Inseln oder in diesen Ghettos lodert der Islam noch nicht in islamistischer Leidenschaft. Der Hass und der Kampf gegenüber der westlichen Welt lodern erst dort auf, wo diese Inseln vom Meer überschwemmt werden, wo der Moslem sich in seiner Identität bedroht fühlt. Islamismus ist konservativer Islam, der seinen Boden unter den Füssen verliert. Oder noch pointierter formuliert: Islamischer Fundamentalismus ist Islam, der spürt, dass seine Fundamente wanken. Auch dieser bedrohte Islam müsste nun genau besehen nicht zu gewalttätigem Islamismus verkommen, falls sich noch Barrieren fänden, die ihm helfen, den alten Weg traditioneller Mässigung nicht aus den Augen zu verlieren. Aber gerade diese Barrieren durchbricht der bedrohte Islam oft schon, bevor er weiss, was er tut.

 

Durchbrochene Barrieren

Die radikalen Neigungen des Christentums wurden und werden seit der Zeit der Aufklärung nicht zuletzt auch durch die Kraft des Zweifels an den Grundlagen und durch die kritische Betrachtung seiner Geschichte zurückgebunden. Wer sich so offen zum Wert des Zweifels auch am eigenen Glauben bekennt, wie das moderne neuzeitliche Christentum, kann nur zögerlich oder gezwungenermassen radikalen Neigungen innerhalb der eigenen Kirche nachgeben. Der Islam kennt diese aufgeklärte Liebe zum Zweifel auch am eigenen Glauben noch nicht. Eine kritische Untersuchung der Anfänge des Islams verbietet der Respekt gegenüber dem Propheten und das noch an manchen Orten gültige Verbot, das jede Beleidigung des Propheten unter Strafe stellt.

Die wesentlichste Barriere gegenüber jedem Ausbruch radikalen Glaubens, der Respekt vor der Glaubensfreiheit jeder Person, hat der Islam genau besehen in seinem Verbot des Abfalls vom Islam bereits selbst schon zu einem Teil durchlöchert. Was nützt die gute koranische Regel "Es gibt keinen Zwang im Glauben" (Koran, 2:256), wenn Moslems unter Drohung verboten wird, dem Islam abzuschwören? Bleibt noch als letzte und hilfreichste Barriere gegenüber jedem Auflodern des religiösen Fanatismus das Wissen um den Gott, der bildlos und jenseits aller Vorstellungen nie der Gott dieser oder jener Menschen, sondern der Gott aller Menschen ist. Die Grösse und Souveränität Gottes, die kaum eine Religion je so intensiv erlebt und bezeugt hat wie der Islam, wäre genau besehen das grösste Hindernis auf dem Weg in religiöse Exzesse und Glaubenskriege. Genau dieses Hindernis wird nun aber im radikalen Islam in seiner dualistischen Deutung der Welt durchbrochen. Im Hass auf die USA und die westliche Welt zerbricht das Wissen um den Gott aller Menschen. Gott verbindet sich in den Vorstellungen einiger Gläubiger exklusiv mit ihrer Gemeinschaft. Die Gegner werden zu Teufelsknechten oder zum Teufel schlechthin. Hat die Ideologie einer religiösen Gemeinschaft einmal die Welt derart dualistisch aufgespalten, dann steht einem kompromisslosen Kampf für die Sache Gottes nichts mehr im Weg.

Georg Schmid, 2001


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