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Fünf Jahre Hexenmuseum - ein Besuch

 

 

Seit April 2009 existiert im aargauischen Auenstein, unmittelbar an der Aare gelegen, das einzige Hexenmuseum im deutschen Sprachraum, begründet von Wicca Meier-Spring und ihrem Mann Christoph, genannt Biba, Meier. Wicca Meier, geboren als Nicole Wicca Karin Spring, wuchs in einer Familie auf, die sich der um 1950 in England begründeten Wicca-Bewegung verbunden fühlte und ihrer Tochter deshalb den Namen der Bewegung als Vornamen mitgab. "Wicca" ist ein altenglisches Wort mit der Bedeutung "Hexer, Zauberer". Neben der männlichen Form "wicca" stand im Altenglischen ein Femininum, "wicce", aus welchem sich das neuenglische Wort "witch" für Hexe entwickelt hat. In der heutigen Wicca-Bewegung wird der männliche Terminus "wicca" für beide Geschlechter verwendet. Beruflich bildete sich Wicca Meier nach KV-Lehre und Berufsmatur an diversen esoterischen Instituten weiter, so am Arthur Findlay College, der weltweit führenden spiritualistischen Ausbildungsstätte in Stansted in England, oder bei Stewart und Janet Farrar in Irland. Im Jahr 2012 absolvierte Wicca Meier eine Ausbildung in Museumsmanagement am Weiterbildungszentrum der Freien Universität Berlin. Über ein spezifisches Fachstudium zu den Themen ihres Museums, etwa in Geschichte, Religionswissenschaft oder Volkskunde, verfügt Wicca Meier nicht. Wicca Meier ist in diesen Bereichen überzeugte Autodidaktin und betont unserer Stelle gegenüber, ein Fachbuch in zwei Nächten durchackern zu können. Und in der Tat, wer das Hexenmuseum im April 2014 mit dem Zustand nach der Eröffnung 2009 vergleicht, kann auf Schritt und Tritt Resultate von Wicca Meiers intensiver Lektüre erkennen.
In der Leitung des Hexenmuseums wird Wicca Meier unterstützt von ihrem Mann Christoph, dessen Rufname "Biba" kein Geistname aus der Wicca-Bewegung, sondern ein Spitzname unter Fussballerkollegen darstellt. Biba Meier ist hauptberuflich im Informatikbereich tätig.
Das Museum wird mitgetragen von einem Förderverein, der rund 100 Mitglieder zählt.
Wicca Meier kann bei Bedarf von fachlicher Beratung durch die Museumsvereinigungen profitieren, denen das Hexenmuseum angeschlossen ist. Ein eigener wissenschaftlicher Beirat fürs Hexenmuseum, der etwa historische, religionswissenschaftliche und volkskundliche Fachpersonen umfassen würde, existiert nicht.

 

Besucherzahl

Fürs Jahr 2013 konnte das Hexenmuseum eine Besucherzahl von knapp 4000 Personen verzeichnen. Die Besucherfrequenz des Museums ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, vor allem aufgrund ausländischer Touristen, die sich fürs Museum interessieren, wobei insbesondere Reisende aus Russland das Hexenmuseum gern und häufig aufsuchen. Unter inländischen Personen entwickelt sich die Besucherzahl zur Zeit offenbar eher horizontal. Um auch für Zweit- und Drittbesuche interessant zu sein, führt Wicca Meier regelmässig Spezialausstellungen zu Themen aus dem Umfeld von Hexentum, Magie und Spiritismus durch. Zudem machen Meiers bei Museums-Werbeaktionen mit, so letztes Jahr (2013) bei einem Angebot an Vereine, Museen gratis zu besuchen. Das Hexenmuseum suchten rund 40 Vereine mit insgesamt 500 Mitgliedern auf (die bei der Zahl von knapp 4000 Besuchern fürs Jahr 2013 berücksichtigt sind).

 

Der Stammbaum der Wicca-Bewegung, der keiner ist

Wer das Hexenmuseum, das in etwa die Grösse einer Arztpraxis aufweist und in unterschiedliche Räume zu einzelnen Themen aufgeteilt ist, trifft zuerst auf den Kassenbereich. An der Wand rechts daneben befindet sich eines der Highlights des Hexenmuseums, eine baumförmige Darstellung der führenden Exponenten der Wiccabewegung, von ihrem Gründer Gerald Gardner über den Propagator Alex Sanders und dessen Frau Maxine Morris zu Janet Farrar, ihrem verstorbenen Mann Stewart Farrar und ihrem heutigen Partner Gavin Bone, zu den feministisch engagierten Wicca-Vertreterinnen Zsuzsanna Budapest und Starhawk, und zur führenden US-amerikanischen Wicca-Autorin Silver RavenWolf. Besonders spannend ist die Tatsache, dass Wicca Meier den Grossteil der abgebildeten Personen persönlich kennt und deshalb Interessantes von ihnen zu berichten weiss. Hilfreich ist auch die Darstellung: Die versammelte Prominenz der Wiccabewegung wird durch die baumförmige Struktur in ihrer historischen Nähe und Distanz untereinander präsentiert, wer von einer anderen Person gelernt hat, befindet sich am selben Ast wie diese. Obschon diese aus Besuchersicht löbliche Eigenschaft sehr an einen Stammbaum erinnert, besteht Wicca Meier darauf, dass ihre Darstellung der Wiccabewegung keine Genealogie darstelle.
Unter der Wicca-Prominenz findet sich auch ein Bild von Wicca und Biba Meier. Ich stutze und frage nach, warum Wicca und Biba die einzigen Personen aus der Schweiz sind, die Aufnahme in die Darstellung gefunden haben. Wicca Meier meint zur Erklärung dieses Sachverhalts, dass sie die einzige Hexe in der Schweiz sei, die öffentlich zur Wicca-Bewegung stehe. Mir fallen Wilhelm Haas in Luzern und Monika Maag vom Hexenladen Des Balances in Zürich ein, die beide öfters Medien gegenüber Auskünfte zu Hexen- und Magiethemen gegeben haben. Wilhelm Haas sei eklektisch, meint Wicca Meier darauf - ein Argument, das auf mich angesichts des betonten Eklektizismus der Wicca-Bewegung etwas eigenartig wirkt - und Monika Maag würde sie nicht kennen. Ganz offensichtlich ist Wicca Meier mit der internationalen Szene vertrauter als mit der hiesigen.

 

Volksmagie

Als erstes suchen wir den grössten der Ausstellungsräume des Hexenmuseums auf. Rechterhand findet sich hier eine Sammlung von diversen Exponaten aus der Volksmagie vergangener Jahrhunderte, Objekte aus der magischen Tradition der Zauberbücher des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch Stücke, die von magischen Vorstellungen im kirchlichen Kontext zeugen, etwa Osterkohle. Bei vielen dieser Objekte möchte ich mehr erfahren, etwa über den zeitlichen und örtlichen Hintergrund: Aus welchem Zeitraum stammt die Tradition, Osterkohle zu sammeln? Fand sich der Brauch eher in ländlichem oder in urbanem Milieu? War er mit bestimmten konfessionellen Vorstellungen und/oder Riten verbunden? Gibt es historische Zusammenhänge mit anderen volksmagischen Bräuchen aus der Osterzeit, etwa mit dem Karfreitagsei? Leider erfahre ich zu alledem nichts. Ein Katalog mit weiterführenden Angaben zu den Exponaten ist in Planung, existiert aber noch nicht.

 

Gott und Göttin

Eine der originellsten Ideen der Wicca-Bewegung ist ihr Gottesbild. Sie vertritt einen synkretistischen, geschlechtspolaren Dyotheismus (Zweigottglauben). Die Gründer der Wicca-Bewegung waren, z.T. direkt, z.T. über die romantisch-neuheidnisch-okkulte Szene des England des 19. Jahrhunderts, mit tantrischen Vorstellungen aus dem Hinduismus in Kontakt gekommen. Die dort gelehrte grundlegende Bipolarität des Göttlichen anhand der Geschlechterdualität fand so in die Wicca-Bewegung Eingang, allerdings in einer polytheistisch gewendeten Form: Das Göttliche wird in zwei Personen gesehen, als weibliche Göttin und als männlicher Gott, die in den verschiedenen Göttinnen und Göttern der klassischen polytheistischen Religionen ihre Ausgestaltung finden. Dabei rechnet die Wicca-Bewegung traditionell mit einen historischen Prozess von einem als ursprünglich postulierten Ur-Dyotheismus hin zur Vielzahl an Göttinnen und Göttern in den einzelnen historischen Religionen. Kein Zufall ist sicher, dass sich diese Ur-Dyotheismus-Theorie im selben Zeitraum entwickelte wie die damalige religionswissenschaftliche Ur-Monotheismus-Theorie. Letztere gilt heute zu Recht als überholt. Dem Empfinden der klassischen polytheistischen Religionen kommt die Ur-Monotheismus-These allerdings näher als die Ur-Dyotheismus-Vorstellung der Wicca-Bewegung, insofern philosophisch interessierte klassische Polytheisten hinter ihrer Göttervielzahl eher ein einheitliches Göttliches als deren zwei vermuteten. Wie dem auch sei, die Wicca-Bewegung jedenfalls sieht in den unterschiedlichen Göttinnen der diversen polytheistischen Religionen letztlich die eine Göttin, in den verschiedenen männlichen Göttern den einen Gott. Die historischen Ausformungen gelten als einzelne Aspekte der Göttin, des Gottes, und werden berücksichtigt, wenn der entsprechende Aspekt gefragt ist. So wird etwa Venus für einen Liebeszauber angerufen, Lakshmi gegen Geldsorgen, Nike zur Lösung von Problemen, Isis zur Förderung der Fruchtbarkeit, und Kali als Abwehr gegen Angriffe. So finden sich auf Altären von modernen Hexen griechische, römische, ägyptische, germanische, keltische und hinduistische Gottheiten in bunter Mischung. Die Zuordnung der Aspekte orientiert sich zum Teil an den Funktionen der jeweiligen Gottheiten in ihren historischen religiösen Systemen. Zum Teil werden die Gottheiten aber auch recht frei mit neuem Sinn gefüllt.
In dieser Konstellation liegt für ein Hexenmuseum eine Chance, aber auch eine Gefahr. Die Gottheiten polytheistischer Religionen sind meist sehr gut darstellbar, etwa in Form der bronzierten Kunststofffiguren, die bei Amazon für wenig Geld bestellt werden können. Im Gruppenraum unserer Infostelle befindet sich praktisch die ganze Serie, sehr zur Freude der uns besuchenden Schul- und Konfklassen, die ihr mythologisches Wissen testen können. Auch Wicca Meier führt eine Auswahl dieser Figuren.
Die dieser Situation innewohnende Gefahr möchte ich an einem Beispiel zeigen, am Kommentar zu einer Replik einer Statuette aus Knossos auf Kreta, aus spätminoischer Zeit um ca. 1600 v.Chr. stammend, die eine weibliche Figur mit Schlangen in ihren Händen zeigt und in der Literatur meist als Schlangengöttin bezeichnet wird. Über den historischen Hintergrund dieser Figur ist wenig bekannt, es ist nicht mal sicher, ob die Statue wirklich eine Göttin zeigt, oder ob sie nicht vielmehr eine Priesterin darstellt. Im Hexenmuseum weiss man mehr: Die Schlangengöttin sei von 6000 bis 1600 v. Chr. verehrt worden, sie hätte ihren eigenen Palast in Knossos gehabt (gemeint wohl der Palast, in welchem die Figur gefunden wurde), sie sei die Göttin der Trance und der Traumzeit gewesen, die Schlangen stünden für Regeneration etc. etc. Alle diese Angaben würden mich nicht stören, wenn sie eingeleitet würden mit: "Historisch ist wenig bekannt. In der heutigen Hexenbewegung steht die Figur der Schlangengöttin resp. -Priesterin aber für..." Denn selbstverständlich steht es den modernen Hexen frei, archäologische Funde mit neuem Sinn zu füllen. Ein kreativer Umgang mit Artefakten versunkener Kulturen ist in jeder Hinsicht legitim, wenn er als solches deklariert ist. Wenn moderne Neuinterpretationen aber als historische Fakten ausgegeben werden, fühle ich mich genasführt. Und ich frage mich unwillkürlich, welche Informationen im Hexenmuseum, die ich nicht so einfach überprüfen kann wie die Angaben zur minoischen Schlangenfigur, ebenfalls eher Interpretation als Faktum darstellen. Deshalb wäre es ein grosser Wunsch meinerseits an die weitere Entwicklung des Hexenmuseums, dass die beiden unterschiedlichen Ebenen, die historische Faktenlage einerseits und ihre Interpretation durch moderne Hexen andererseits, deutlicher differenziert würden.

 

Die Jahresfeste der Wicca-Bewegung

Neben den Schaukasten mit den verschiedenen Gottheiten befindet sich an der Wand sich eine Abbildung, die auf ein wesentliches Element der modernen Wicca-Bewegung hinweist: es handelt sich um eine Darstellung des Jahreskreises mit den acht Festen, welche von der Mehrheit der heutigen Hexen gefeiert werden. Der Jahresfest-Zyklus führt drei typische Eigenheiten der Wicca-Bewegung vor Augen: ihren Naturmystizismus, ihre Eurozentrik und ihre Konstruiertheit. Die Jahresfeste wollen den Zyklus der Natur abbilden. Gott und Göttin zeigen sich in der Natur, deren Werden und Vergehen ist der Ort, wo für Hexen das Göttliche besonders spürbar wird. Die Wicca-Bewegung erweist sich hier als Kind der romantischen Naturauffassung des 19. Jahrhunderts. Die Zuordnung der einzelnen Feste zum Lauf der Natur passt aber nur für das Europa (und das Nordamerika) der gemässigten Zone. Die Wicca-Bewegung ist denn auch auf den westlichen Kulturkreis begrenzt. Den konstruierten Charakter der Wicca-Bewegung betont die quasi geometrische Aufteilung des Jahres in acht praktisch gleich grosse Abschnitte. Zwar hat ein Teil der Wicca-Jahresfeste durchaus historische Wurzeln. Sie entstammen aber verschiedenen Traditionen und Religionen und wurden von den Gründern der Wicca-Bewegung im England des 20. Jahrhunderts bewusst so zusammengestellt, dass sich ein rundes Bild ergibt. Die Festkalender der historisch gewachsenen Religionen weisen nie eine geometrisch derart ausgewogene Struktur auf.
Ritualmasken zu manchen der Jahresfeste finden sich in einer Vitrine nebenan, etwa eine Beltane-May-Day-Maske von Ralph Harvey vom Order of Artemis in England, in welchem Wicca Meier selbst eingeweiht wurde. Beltane ist das Fest der Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai. An Mittsommer am 21. Juni zum Einsatz kommen Litha-Ritualmasken, wie ebenfalls eine gezeigt wird. Spannend sind auch die Gegenstände aus Wicca Meiers eigener Tätigkeit als Hexe des dritten Grades, als Hohepriesterin, so ihre Hohepriesterinnen-Krone, ihr Hohepriesterinnen-Stab und ihr "Book of Shadows", ihr persönliches Ritualbuch.

 

Divinationsraum

Deutlich kleiner als der Raum mit Volksmagie, Gottheiten-Statuetten und Jahresfest-Kreis nimmt sich der Divinationsraum aus, der den verschiedenen Wahrsagemethoden gewidmet ist. Er enthält aber spannende Objekte, etwa Orakel-Tassen fürs typisch englische Schwarztee-Orakel, Kristallkugeln, ein Scrying Mirror (Schwarzspiegel) und eine Palmistry-(Handlese)-Vorlagenhand. Daneben finden sich Wahrsagekarten-Raritäten, etwa die Gypsy Queen Fortune Telling Cards aus den USA von 1920, oder der kleinste Tarot der Welt, nebst weiteren Produkten für Tarot-Fans wie Tarot-Würfel und Tarot-Armband. Die Beschriftung der Objekte ist gegenüber dem Stand unmittelbar nach der Gründung des Museums deutlich verbessert worden. So bleibt die Frage der Wirksamkeit von Divination nun offen - vor fünf Jahren wurde diese noch wie selbstverständlich vorausgesetzt, was mir etwa im Bezug auf Besuche von Schulklassen höchst problematisch schien. Wer Schülerinnen und Schülern beibringt, dass Wahrsagen funktioniert, muss nicht erstaunt sein, wenn die jungen Leute dann auch Problematisches ausprobieren, und noch weniger, wenn Fälle von Menschen publik werden, die in völlige Abhängigkeit von einem Medium geraten und über Jahre finanziell ausgebeutet worden sind. Heute formuliert Wicca Meier weit zurückhaltender: ob an den diversen dargestellten Wahrsagemethoden "etwas dran ist" oder nicht, bleibt jetzt, wie es sich für ein Museum ja auch gehört, offen.
Zum Thema Divination zeigt Wicca Meier auch Buchraritäten, die das Herz des Büchersammlers höher schlagen lassen, etwa "The Sybil Leek Book of Fortune Telling" der bekannten englischen Okkultistin Sybil Leek, oder "Vater Bernhards neues Orakelbüchlein zur geselligen und einsamen Unterhaltung in langen Winterabenden", Berlin 1843.

 

Hexenwahn damals und heute

Nach einem Zimmer, das verschiedene Kräuter zeigt, die moderne Hexen für ihre Tinkturen und Räucherungen verwenden, gelange ich in den Raum, der ein besonderes Anliegen von Wicca Meier präsentiert, die Aufarbeitung des frühneuzeitlichen Hexenwahns des 15.-18. Jahrhunderts. Ich bin kein besonderer Kenner der Geschichte des Hexenwahns, weshalb ich die Details nicht überprüfen kann. Insgesamt scheint mir die Darstellung aber historisch solide und korrekt. Die krassen Fehlurteile, die zu diesem Thema unter manchen modernen Hexen kursieren, bleiben jedenfalls aussen vor. Im Gegenteil, Wicca Meier stellt mit historischen Zeugnissen und mit erschütternden Zahlen nach, wie eine kollektive Panik vor Schwarzer Magie, die über die Jahrhunderte immer wieder aufbrach, Zehntausende von Menschenleben gefordert hat. Und sie zeigt auf, wie rationaler denkende Menschen versucht haben, diesem Wahn zu wehren. Dabei wird deutlich, dass der Hexenwahn ist ein wichtiges Thema ist, das ähnlich wie andere dunkle Kapitel der Menschheitsgeschichte immer wieder erinnert werden sollte, und ich frage mich, ob dafür nicht ein eigenes Museum sinnvoll wäre.
Denn mir stellt sich im Hexenmuseum in Auenstein die Frage des Kontextes: Muss die Besucherschaft des Hexenmuseums, so frage ich mich, nicht zwangsläufig annehmen, dass die Opfer des Hexenwahns im Wesentlichen diejenigen Inhalte vertreten haben, die in den anderen Räumen präsentiert werden, dass sie z.B. die Jahresfeste der Wicca-Bewegung gefeiert und polytheistische Götter verehrt haben? Widersprochen wird einem solchen Eindruck nach meiner Beobachtung nirgendwo. Dies wäre aber ein grosses Missverständnis. Die überwältigende Mehrheit der Opfer des Hexenwahns waren ja nicht Kräuterfrauen vom Waldesrand, an die wir gerne denken, wenn wir das Wort Hexenverfolgung hören, - und schon gar nicht heimliche Anhänger einer über Jahrhunderte im Verborgenen existiert haben sollenden "alten Religion" - sondern Menschen wie du und ich, die aus Neid und Missgunst angezeigt und dann unter der Folter gezwungen wurden, sich satanistischer und schwarzmagischer Umtriebe zu bezichtigen. Diese Menschen, die nichts anderes sein wollten als fromme oder auch weniger fromme Christinnen und Christen, und mit Magie nichts am Hut hatten, werden durch die Anlage des Hexenmuseums in einen Zusammenhang gestellt, der ihnen fern gestanden hätte. Aus Respekt vor diesen Opfern würde ich mir hier eine deutliche Differenzierung wünschen.
Mindestens ebenso wichtig schiene mir eine andere Information: der Hinweis auf die Gegenwartsrelevanz des Themas. Zwar wird das Waterboarding als moderne Foltermethode erwähnt. Waterboarding, so übel es ist, stellt aber bei weitem nicht die schlimmste moderne Parallele zum frühneuzeitlichen Hexenwahn dar. Denn auch in unserer Zeit werden immer wieder Menschen umgebracht, weil sie des Schadenszaubers, der Schwarzen Magie verdächtigt werden. Hexenwahn ist kein Phänomen aus dunkler Vergangenheit, sondern tägliche Realität. Ich habe mal eine Schätzung gelesen, dass im 20. Jahrhundert weltweit mehr Menschen als vermeintliche Schwarzmagier getötet wurden als während des gesamten europäischen Hexenwahns. Wie weit das stimmt, weiss ich nicht. Aber warum erfahre ich darüber im Hexenmuseum nichts? Weshalb wird die Gegenwartsrelevanz des Themas aussen vor gelassen?
Ich frage mich, ob der Grund vielleicht darin liegt, dass eine wesentliche Voraussetzung für Hexenwahn der Glaube an Magie ist. Nur wer glaubt, dass Magie funktioniert, hält Schadenszauber für möglich, und kann dann auf die Idee kommen, dessen vermeintlichen Urheber verfolgen zu wollen. In den vergangenen gut zwanzig Jahren Tätigkeit auf unserer Stelle wurde ich von Hunderten Menschen kontaktiert, die sich durch Schwarze Magie geschädigt fühlten. Viele forderten, dass die vermuteten Verursacher der magischen Schädigung bestraft werden müssten. Denn warum sollte, so lautete jeweils die Überlegung, Körperverletzung mit Hand oder Waffe strafbar sein, durch Magie aber nicht? Zum Glück sind diese Gedanken hierzulande auf Einzelpersonen beschränkt. Würden sie um sich greifen, wie das in anderen Weltgegenden der Fall ist, könnte es schnell gefährlich werden. Der beste Schutz gegen Hexenwahn ist deshalb die grundsätzliche Infragestellung des Glaubens an Magie, etwa durch Aufweis der archaischen Denkstrukturen und der psychischen Mechanismen, die zu magischen Vorstellungen führen können. Wer Hexenwahn verhindern will, muss die Magie entzaubern. Und dazu ist eine praktizierende Hexe vielleicht die falsche Person.

 

Sonderausstellung Spuk

Zum Zeitpunkt unseres Besuchs sind Meiers dabei, eine Sonderausstellung zum Thema Spuk einzurichten. Eine bereits angebrachte Schautafel präsentiert mögliche Erklärungen für Spukberichte: 1. Geister von Verstorbenen, 2. Unbewusste Verursachung durch Menschen, 3. Synchronizität (in Anlehnung an die These C.G. Jungs), 4. Halluzinationen. Wicca Meier versucht nicht, ihrem Publikum eine dieser Varianten vorzugeben, was ich sehr positiv bemerke. Für mich fehlen aber zwei Erklärungen, die nach meiner Erfahrung oft die nächstliegenden sind: 5. Bewusste Verursachung durch Menschen (nicht selten durch Teenager in Konfliktsituationen), 6. narrative resp. literarische Kreation, z.B. zur Beeinflussung von Angehörigen, oder aber zu Werbezwecken im Tourismusbereich.

 

Kann das Hexenmuseum empfohlen werden?

Nach meinem letzten Besuch vor fünf Jahren musste ich Schulklassen von einem Besuch des Hexenmuseums abraten, weil es Wahrsagen als wirksam darstellte und auch ansonsten von wissenschaftlichen Standards weit entfernt war. Inzwischen hat Wicca Meier viele Mängel behoben und eine objektivere Sichtweise eingeführt, so dass meines Erachtens einem Besuch durch Schulklassen nichts entgegensteht. Ich würde Lehrkräften aber ans Herz legen wollen, im Unterricht begleitend diejenigen Punkte zu thematisieren, die im Hexenmuseum (noch) fehlen: die Gegenwartsrelevanz des Hexenwahns und, als Prävention gegen die Angst vor Schwarzer Magie, alternative Erklärungen für magische Vorstellungen.

 

 

Georg Otto Schmid, 2014


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