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  Okkultismus - Protest oder dunkle Mystik?
Wissenschaft und Magie
Seit ihren Anfängen in der griechischen Philosophie pfadet sich Wissenschaft einen Weg der möglichst rationalen Erkenntnis und der möglichst präzisen Unterscheidung durch das verwirrende Dickicht der Wirklichkeit. Wissenschaft stellt damit hohe Ansprüche an sich selbst. Sie spricht so weit wie möglich in klar definierten Begriffen und müht sich um eine möglichst differenzierte Weltbetrachtung, die unterscheidet, wo Unterscheidung sich dem geübten Erkennen aufdrängt, und die nur verbindet, was vernünftigerweise zusammengehört. Die Kunst rationaler Unterscheidung wird auch von der christlichen Theologie, jener Adoptiv-Tochter westlicher Wissenschaftlichkeit, seit Jahrhunderten gepflegt. Wissenschaft stellt aber auch hohe Ansprüche an die Wirklichkeit, die sie erforscht. Sie erwartet von der Wirklichkeit, dass sie vernünftig einsehbar, in Begriffen erfassbar und in ihren Grundstrukturen rational durchsichtig sei. Wer diesem doppelten Anspruch ans eigene Erkennen und an die ihn umgebende Wirklichkeit nachgeht, lebt zuletzt in einer Welt, in der jedes Ding wenigstens in den Augen der Wissenschaft an seinen ihm gebührenden Platz rückt. Jedes Hier und Dort, jedes Oben und Unten, jedes Vorher und Nachher, jede Ursache und jede Folge fügen sich jetzt in eine nicht restlos durchschaubare, aber doch in ihren Grundlinien einleuchtende Weltordnung.
Vorbei sind die Zeiten des Magie, die geheimnisvoll alles mit allem verband, die die ganze Welt von Geistwesen oder ansprechbaren geheimnisvollen Kräften erfüllt sah. Magie erkannte intuitiv Zusammenhänge, wo der wissenschaftliche Geist später nur mitleidig lächelte. Die Sonne geht in der Zeit der Wissenchaft nicht mehr auf, weil ein Priester ihr opfert. Und die Krankheit verlässt einen Patienten nicht mehr, weil ein Medizinmann mit ihr spricht. War Magie zuerst ein Gespräch der Seele mit der Seele in allen Dingen, und dann, wenn die Wesenheiten sich gar widerborstig zeigten und dem sanften Zureden des Magiers nicht gehorchen wollten, ein mit Kraftworten gespickter Disput, so erschliesst sich nun dem wissenschaftlich geschulten Geist eine weitgehend apersonale, kühle Wirklichkeit, frei von allen sanften oder widerborstigen Wesenheiten. Wie die Geisterfreude des Magiers sich mit einer von Wesenheiten erfüllten Welt verband, so verbindet sich nun die Vernunft des Wissenschaftlers mit einer grundsätzlich vernünftigen Welt.
Okkultismus - die Magie der Neuzeit
Okkultismus ist in seiner Grundlinie die Rückkehr des modernen Geistes in die vorwissenschaftliche Weltsicht der Magie. Okkultisten sind irgendwie immer wissenschaftsverdrossen. Sie versuchten, in der ihnen vorgezeigten vernünftigen Welt zu leben. Aber dieser Versuch misslang. Nun führen sie ihre Intuition und ihr Erkenntnisdrang zurück in die Gefilde magischer Weltsicht und intuitiver Weltdeutung. Das heisst nicht, dass der Okkultismus ein direkter Erbe der originalen, vorwissenschaftlichen Magie ist. Wer nach Jahrhunderten eingeschulter Rationalität wieder in magische Welten taucht, taucht mehr in die in seiner Seele verborgene Magie als in die Magie der heidnischen Vorfahren. Er bleibt in mancher Hinsicht ein moderner Geist, auch wenn die moderne Vernunft ihm bleiern anhängt und er alle moderne Vernünftelei so rasch wie möglich wegzaubern möchte. Er bleibt ein Mensch seiner modernen Zeit, auch wenn er jetzt altheidnische Rituale imitiert und magische Formen flüstert. Oft ist er gar ein so rettungslos der wissenschaftlichen Systematik verhafteter Geist, dass er seine neue Magie zur detailierten Pseudowissenschaft aufpoliert, zu einer ausgefeilten und durchorganisierten Geheimniskrämerei, zu einer irrationalen Schwester der modernen Wissenschaft und der rational reflektierenden Theologie. Dieses quasiwissenschaftliche Gehabe mancher Okkultisten zeigt aber nur die tiefe Problematik moderner Magiesuche. Okkultisten haben alles Vertrauen in die vernünftig geordnete Welt der wissenschaftlich geschulten Vernunft verloren. Die Welt ist nicht so, wie die Wissenschaft sie haben und beschreiben möchte. Sie ist nicht vernünftige Ordnung. Sie ist bodenloses Chaos. Und der Mensch ist nicht so, wie ihn schon die Griechen und Römer sahen, ein animal rationale, ein vernunftbegabtes Lebewesen. Der Mensch ist ein Bündel irrationaler Kräfte, ein Abgrund wirrer Empfindungen und Triebe. Die Vernunft ist einerseits bloss die manierlich geordnete Schauseite des menschlichen Geistes, nur die Geschäftsauslage, aber nicht das sich dahinter verbergende Geschäft, und anderseits nur die nette Fassade der uns umgebenden Wirklichkeit, nur die Fronseite der Häuserreihe, nicht ihr Hinterhof. Die Rückseite sieht hier und dort völlig anders aus. Allein die moderne Vernunft, meint der Okkultist, weigert sich, in den Hinterhof zu steigen und die Rückseite des Geistes und die Rückseite aller Dinge zu betrachten. Deshalb schlägt er, der Okkultist, einen der modernen Vernunft widersprechenden Weg ein. Er bahnt sich einen Weg durch alle Hinterhöfe der Wirklichkeit und schaut der Rückseite aller Dinge in einer seltsamen Verbindung von Ehrfucht, Lüsternheit und Entsetzen tapfer ins Gesicht. Ja noch viel mehr - er pflegt zum Teil die rückseitige Weltbetrachtung mit einer Inbrunst , die jedem Philosophen in seiner Bemühung um die vernünftige Welt wohl anstehen würde. Nicht jeder Wissenschaftler pflegt seinen Beruf so leidenschaftlich wie der Okkultist als Berufung. Die meisten Okkultisten, auch wenn das gute Geschäft mit den faszinierenden Schrecken den einen und anderen lockt, fühlen sich als Berufene und überzeugen alle jene, die jeder Berufung mehr trauen als jedem Beruf. Das Schattenreich ruft. Die Rückseite aller Dinge will beachtet werden. Die irrationale und dunkle Seite der Wirklichkeit fordert ihr Recht. Der Okkultist hat ihren Ruf vernommen und opfert den Schatten, was den Schatten gebührt: Zuerst seine Freizeit, seine Imagination und Phantasie, dann seine wissenschaftliche und oft auch seine persönliche Reputation, hie und da sogar auch seine bisherigen Beziehungen und seinen angelernten Beruf. Okkultisten sind immer Outsider in der modernen Welt, gerade auch dort, wo sie eine wackere Schar von Adepten um sich sammeln. Am Rande der modernen Gesellschaft aber ist das Leben kein Sonntagsspaziergang. Da lebt es sich gefährlich. Manchmal opfert der Okkultist den ihn bedrängenden Schatten vorübergehend oder unwiderruflich sogar die Klarheit seines Bewusstseins und damit auch Fähigkeit zu vernünftiger Kommunikation. Hie und da kommunizieren Okkultisten nur noch mit ihren eigenen Schatten. Der Okkultist wird eins mit der Rückseite aller Dinge. Er ist - wie er selber gerne sagt - "Gott geworden." Der Aussenstehende aber steht vor einem zu Gott gwordenen Menschen, den dieses Gottsein völlig überfordert. Mit seiner Gottwerdung verlässt der Okkultist den Raum kommunikationstauglicher Mitmenschlichkeit und verliert sich in der Einsamkeit eines gnadenlosen Wahns.
Protestokkultismus
Auch wenn der Protestokkultismus nur an die Schwelle zum okkulten Schattenreich führt und in den Schulungen der eigentlichen okkulten Zirkel langsam erstickt, so verdient er als Anfängerokkultismus doch unsere besondere Beachtung. Der Pervertierung des Christlichen und der Umkehrung aller Moral fehlt oberflächlich betrachtet in der Kirchenmüdigkeit und der weitherum herrschenden permissiven Moral der Gegenwart sozusagen das Feindbild, gegen das der Protestokkultismus nur allzugerne antreten möchte. Trotzdem - auch die permissivste Werteskala und die kaum mehr sichtbaren Normen können noch als Toleranzgesäusel, als liberaler Selbstbetrug und als Flucht des Menschen vor seinem wahren wilden, anarchischen Menschsein verstanden werden. Gerade eine Umwertung der kaum mehr sichtbaren Werte hat ihren besonderen, die liberale Gesellschaft enthüllenden Reiz. Gerade in der diffusen Moralität der Gegenwart wird der Protestokkultist zum Propheten, der einer verlogen braven Gesellschaft das anarchsiche Spiegelbild vor Augen hält. Wie wenn Christlichkeit und bürgerliche Moral austauschbare Begriffe wären, dient dabei die Umwertung alles Christlichen der Unwertung alles Bürgerlichen und Braven. Das umkehrte Kreuz, das rückwärts buchstabierte Unser Vater und satanistische Symbole schenken dem jungen Möchtegernsatanisten die Möglichkeit, seiner Umgebung Angst einzujagen und damit auch besonderen Respekt einzufordern. Wer Furcht einflösst, wird wahrgenommen. Und wer Tabus bricht, findet sich selbst. Schliesst sich der Möchtegernsatanist dann einer satanistischen Gruppe an, so weisen ihm Ekelübungen, die ihm helfen sollen, genau das zu tun, was er bisher verabscheute, den Weg in eine Freiheit, in der alle Bande anerzogener Moral und bürgerlicher Ordentlichkeit zerrissen werden. Alkohol und andere Drogen helfen dem Adepten, den eigenen Ekel auszublenden. Rauschhaft wird die erste und von Crowley meisterhaft formulierte satanistische Regel eigene Erfahrung: Tu was du willst, das ist das einzige Gesetz. Dass diese Anarchie sogleich in bedingungslose Hörigkeit gegenüber den Leitern des Kultes mündet, gründet nicht nur in den Allmachtsgelüsten der Kultführer, sondern auch in den Ohnmachtserfahrungen des Adepten. Ein von allen anerzogenen und bisher vertrauten Werten und Vorstellungen entblösstes und in seinem bewusst unterdrückten Ekel seiner inneren Führung entrissenes Ich wird willenlos verformbar. Die völlig Freien werden zu willigen Opfern allmachtshungriger Magie und sadistisch gefärbter Verfügungsfreude.
"Tantrischer" Okkultismus
Der Protest gegen eine zu hell und rational gezeichnete Welt und gegen eine heuchlerisch ordentliche Moral verliert dort zuerst seine Leidenschaft und anschliessend auch sein Recht, wo es ihm nur gelingt, am Gegenteil zur modernen Weltsicht festzuhalten. Alle ausgefeilteren okkulten Rituale und Vorstellungen führen über den blossen Protest hinaus. Sie lieben die Nacht nicht, weil sie dem Tag widerspricht. Sie versuchen Tag und Nacht miteinander zu versöhnen und zu verbinden. Sie dienen nicht dem Chaos, um die Ordnung zu vergessen. Sie möchten Chaos und Ordnung, Vernunft und Unvernunft, Gott und Gegengott, Engel und Dämon zu einer neuen, lebendigen und überzeugenden Einheit verbinden. Sie denken nicht kämpferisch dualistisch, sondern versöhnlich pantheistisch und tantrisch. Nicht zufällig inspiriert sich ein Teil des westlichen Okkultismus am indischen Tantra. Man will hier wie die drüben in jene Einheit finden, in der allein Gott erschaut und eigene Göttlichkeit erlebt werden kann. Erst wenn der Tantriker die Einheit der Gegensätze erschaut, erkennt er auch das Wesen des eigenen Geistes und das Wesen dieser Welt.
Im 19. Jahrhundert entfaltet sich nicht zuletzt als Reaktion auf die aufblühende Wissenschaftsgläubigkeit eine eigentliche Liebe zu einem immer offenkundiger tantrisch erlebten Schattenreich, d.h. zu einem Initiationsweg, in dem sich Gegensätze, die das Wachbewusstsein nie zusammenfügen kann, zu einer einzigen Erfahrung verbinden. Licht und Finsternis, Gott und Gegengott, Wahn und Wirklichkeit, Liebe und Tod, Himmel und Erde, Niedriges und Hohes, Ekel und Ehrfurcht, Traum und Realität, Mannsein und Frausein, Sexualität und Heiligkeit, Askese und Lust, Sünde und Moral, Harmonie und Entsetzen erwarten den Wanderer durchs Reich der Schatten als geheimnisvoll gebündelte Erfahrung. Das Wachbewusstsein und die offiziellen Religionen trennen und ordnen, Okkultisten verbinden. Okkultisten wandern durch das Reich der Mitternachtssonne, des schwarzen Lichts. Alle Unterscheidungen des Wachbewusstseins und der offiziellen Religion, Kultur und Moral lösen sich in den Ahnungen, Hoffnungen, Ritualen und drogennahen Trancen der okkulten Zirkel auf.
Vom Protestokkultismus zum tantrischen Okkultismus
Auch tantristischer Okkultismus beginnt zumeist als Protest. Die Lust zu Schattenreisen wird vor allem dort intensiv gespürt, wo die offzielle Wissenschaftsgläubigkeit als blinde Vernünftelei, die offizielle Religion als Vergewaltigung der eigenen Seele und die offzielle Moral als dünnhäutige Heuchelei verstanden wird. Der aufbrechende Okkultismus tritt im Namen seines "wahren Menschen" in allen Bereichen der modernen Zivilisation gegen einen Menschen an, der sich über sein eigenens wirkliches Menschsein hinweglügt. Die Heuchelei der offiziellen Kultur schenkt seiner "Okkultur" nicht nur Zielrichtung, sondern die nie ermüdende kämpferische Energie und den unverhüllten Willen zur Perversion, d.h. zur Umkehrung dessen, was in der offiziellen Kultur als Norm, als Ideal, als Wert oder gar als heilig gilt. Diese Ummoral - beispielhaft präsent in den okkulten Ekelübungen: Ich mache bewusst das, wovor ich mich als gesitteter Mensch ekle - und diese Umkehrreligion - beispielhaft präsent in der in der sog. schwarzen Messe inszenierten Perversion des katholischen Sakramentes - sind aber nur selten Selbstzweck. Es geht nur vordergründig darum, den Gott der Christen durch Satan, den Gegenspieler Gottes, ebenbürtig zu ersetzen. Auch sexuelle Perversion soll in der okkulten Unmoral nicht zur Dauernorm erhoben werden. Der Okkultist will zuletzt immer verbinden, was die offizielle Kultur und Moral trennen. Sein Gott ist nicht der Satan der Christen, sondern eine Macht, die teuflische Dynamik und göttliche Erhabenheit und Weisheit miteinander verbindet. Okkultistische Zirkel und Organisationen entwerfen - nicht selten von Freimaurerei, Rosenkreuzertum, Theosophie und Anthroposophie inspiriert - Einweihungspfade, die vom Adepten fast endlose spirituelle Schulung verlangen. Die Freude am wilden jugendlichen Protest müsste nun, wäre sie noch vorhanden, in der symbolbeladenen und theoriereichen Geheimniskrämerei der okkultistischen Zirkel völlig ersticken.
Okkultismus = Satanismus?
Dass das Schattenreich der Okkultisten sich deutlich vom Himmel eines bibelfernen, radikal dualistisch denkenden Christentums unterscheidet und in weiten Bereichen in den Augen dieser dualitisch-gläubigen Christlichkeit eher der Hölle als dem Himmel gleicht, kann niemanden verwundern. Heisst dies aber schon, dass alle okkulten Schattenwanderer als Satanisten angesprochen werden dürfen? Einzelne nennen sich in provokativem Stolz "Satanisten" und betonen aber gleichzeitig, dass ihr Gott nicht der einseitig schwarze, dämonische Satan der Christen, sondern der Gott oder die Göttin schlechthin sei, das Ineinander von dämonischer und göttlicher Energie. Andere Okkultisten sprechen ihre göttliche Wesenheit nie als Satan an und fühlen sich völlig missverstanden, wenn andere sie satanistisch deuten. Sie sehen sich als eine etwas dunklere Variante theosopischer, freimauererischer oder rosenkreuzerisches Spiritualität. Wieder andere sehen sich selbst zwar als Satanisten, sprechen aber andere Satanisten nur als Pseudosatanisten an, weil ihnen deren Verständnis des Satans doch zu dürftig, zu harmlos und zu bieder scheint. Kurz - was unbestritten als echter Satanist gelten darf, ist im Einzelfall nicht leicht auszumachen. Als Okkultisten aber dürfen alle gelten, die von erfahrenen Reiseleitern geführt ins Reich jener Schatten aufbrechen, in der sich alles im Bewusstsein Unvereinbare zu geheimnisvoller Einheit verbindet.
Georg Schmid, 2001
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