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  Die zerquetschten Läuse des Andrew Cohen
Bemerkungen zu André van der Braak, "Liegestütz zur Erleuchtung. Lehrjahre bei einem amerikanischen Guru", Edition Spuren, Winterthur 2004
Während 11 Jahren hat André van der Braak in der Gemeinschaft des amerikanischen Satsang Meisters Andrew Cohen - ein Schüler des indischen Meisters Sri Poonja - alle Höhen und Tiefen einer Guru-Mystik durchlebt. Nun schildert er - nach einem langen, schmerzhaften Abschied von der sein ganzes Denken und Fühlen bestimmenden Gemeinschaft und von seinem über alles geliebten Meister - ohne Rachegefühle und ohne Schönfärberei, frappierend offene und einfühlsam seine Erfahrungen und hinterlässt mit seinem Erfahrungsbericht im Leser mehr als nur Betroffenheit. Wie kann ein intelligenter, religiös sensibler, idealistisch gesinnter junger Europäer in eine Meisterbindung rutschen, die ihn am Ende Dinge sagen und tun lässt, die allem widersprechen, was er in seinem Inneren spürt? Und wie kommt es, dass seine grenzenlose Liebe zum Meister vom Meister immer offenkundiger nicht beantwortet, sondern eigensüchtig ausgenutzt wird? Ist der Meister beziehungsunfähig? Spielt er nur mit seinen Jüngern? Und weshalb treibt der Meister mit seinen Schülern diese beinah sadistischen Spielchen? Immer wieder werden Schüler nicht nur zurechtgewiesen oder abgekanzelt, sondern vom Meister und der Gruppe gemeinsam moralisch erledigt, "wie eine Laus zerquetscht". Kann es der Meister nicht dulden, dass sich irgendjemand seiner Erleuchtungsstufe und seiner Vollkommenheit annähert? Muss er deshalb gerade die besten seiner Schüler mit ihren angeblichen Fehlern konfrontieren? Vielleicht - das lässt die Schilderung hie und da vermuten - ist alles nur Folge einer riesigen Deformation professionelle, die den Meister und die Schüler schicksalhaft verändert. Der Meister, von den Schülern dauernd angehimmelt, rutscht in Allmachtsgefühle und Vollkommenheitswahn. Der Schüler, der mit schrecklicher Regelmässigkeit Phasen der Busse und der Selbstbezichtigung durchleiden musste, gewöhnt sich an seine Rolle als zerquetschte Laus. Oder vielleicht ist das Ganze eine Folge einer verfehlten Inkulturation. Vielleicht kann die im Osten übliche kritiklose Meister-Schülerbeziehung in der westlichen Welt ausgelebt nur faschistisch ausarten. Der Meister steuert mit allen Mitteln im Schüler die Ichlosigkeit, den Tod des Ego, das Anatta, das Absolute, die Ganzheit, das Eine, die Erleuchtung an. Aber der westliche Schüler kann und darf sich von seinem Ich und dessen Kritikfähigkeit nicht verabschieden. Das scheinbar überwundene Ich gerät andernfalls völlig ausser Kontrolle und macht am Ende mit dem scheinbar ichlosen Schüler, was es will. Ichlosigkeit ist für den westlichen Menschen ehrlicherweise keine Option. Vom Meister gilt dasselbe. Weil er angeblich andauernd im Erleuchtungszustand lebt und sich definitiv von seinem Ich verabschiedet hat, lebt er völlig unbelehrbar, ich-besessen, nur noch seinen Intuitionen ausgeliefert. Ist die ganze Meister-Schüler-Gemeinschaft vielleicht sogar ein einziger grosser Versuch, Kind zu bleiben und nie erwachsen zu werden? Van der Braak berührt in seiner Erzählung auch hie und da diese Dimension einer Meister-Schüler-Spiritualität. Der Meister spielt Vollkommenheit und der Schüler bleibt ewig unvollkommen, hilfsbedürftiges Kind. Das Buch "Liegestütz zur Erleuchtung" ist eine wahre Fundgrube für alle Menschen, die sich für Mystik und Spiritualität interessieren und die auch schon erkannt haben, wie rasch spirituelle Aufbrüche in Hörigkeit gleiten. Van der Braak schreibt ebenso anschaulich wie reflektiert. Zu den eindrücklichsten Passagen gehören die vielen Gespräche mit dem Meister und mit anderen Schülern, in denen sich für den Leser die ganze Dramatik dieser sich verirrenden spirituellen Pfade enthüllt. Trotzdem - van der Braak bereut die elf Jahre bei Andrew Cohen nicht. Er empfiehlt dem Leser auch nicht, jeden spirituellen Aufbruch zu fürchten. Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. Spiritualität war schon immer ein Abenteuer mit unsicherem Ausgang. Aber er mahnt zu rechtzeitigem Ausstieg, wenn die Spiritualität abgleitet. Ob aber spirituell bewegte und in ihren Meister verliebte Menschen noch rechtzeitig merken, dass es Zeit wäre, die Beziehung zum Meister und zu seiner Gruppe zu lösen? Menschen, die ständig gegen ihr Ich angehen müssen, verlieren jeden Sinn für das, was ihnen gut tut und was ihnen schadet. Sie lassen sich schlagen und küssen noch die Hand, die sie schlägt. Der eindrückliche Erfahrungsbericht von van der Braak zeigt überdeutlich, wie schwierig sich ein Ausstieg gestaltet. Am Ende des Buches scheint van der Braak aber überzeugt zu sein, dass sich mit etwas Vorsicht und mit dem klaren Wissen um die Gefahren spiritueller Hörigkeit die Probleme, denen sich van der Braak ausgeliefert hat, weitgehend vermeiden lassen. Wenn sich da der Verfasser nur nicht selber täuscht! Was geschieht z.B. mit den Menschen, die so lange zerquetschte Laus spielten, dass sie zu keinem eigenen Gedanken und Gefühl mehr fähig sind? Werden sie je wieder zu einem gesunden Ich finden? Und was geschieht mit dem Meister, der sich immer hemmungsloser in seinen Vollkommenheitswahn hineinsteigerte? Auch sein Ich ist zerstört. Ist dieses durch Allmachtserfahrung zerstörte Ich irgendwie noch zu retten? Der vorliegende dramatische und ergreifende Bericht über eine Meister-Schüler-Beziehung deckt Probleme auf, die der Verfasser nur ansatzweise reflektiert.
Georg Schmid, 2004
Letzte Aenderung 2004, © gs 2004, Infostelle 2000
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