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Sufismus

 

Sufismus ist die Mystik des Islams. Der Sufi will den Koran nicht nur äußerlich verstehen und sein Leben nach ihm richten, sondern dessen "innere" Seite entdecken und dadurch die Hingabe (= Islam) an Gott vollständig erfüllen. Das heißt, dem Sufi genügen das Erfüllen der islamischen Pflichten (Die fünf Säulen des Islams) und das Halten des Gesetzes (Schari'a) nicht. Er sucht das unmittelbare Erleben Gottes, das ihn in die Einheit mit Gott führt. Der Prophet Mohammed war stets das Vorbild und wurde als der erste "Sufi" betrachtet, der ein gänzlich von Gott durchdrungenes Leben führte. Sufismus ist eine unüberschaubar mannigfaltige Bewegung ist. In der mehr als 1000jährigen Geschichte haben sich unzählige Orden und Bruderschaften gebildet, die alle ihre eigenen Methoden entwickelt haben.

Herkunft des Wortes: Sufismus leitet sich höchstwahrscheinlich von dem arabischen Wort "suf" (Wolle) ab. "suf" wurde das weiße Wollkleid genannt, das die ersten Mystiker als Zeichen der Demut trugen. Eine andere Möglichkeit ist auch die Herleitung von arab. "safu" (Reinheit), da die Sufis die spirituelle Reinheit erstreben.

 

Abriss der Geschichte des Sufismus

Durch die rasante Ausbreitung des Islams zur Zeit der ersten Kalifen häufte sich in deren Händen ein solcher Reichtum an, dass in den islamischen Metropolen gewisse Dekadenzerscheinungen auftraten. Um dem drohenden Verlust der islamischen Idealen entgegenzuwirken, tauchten ab dem 8. Jh. die ersten asketischen Gemeinschaften auf, die als Vorläufer der Sufis in Armut lebten, über Koranverse predigten und in Wollgewändern umhergingen. Als erster Sufi und Gründungsvater der Bewegung, der von den späteren Meistern anerkannt wird, ist Hasan al-Basri (640-728) zu nennen, der eine erste Schule in Basra (Irak) gründete, und von dem der Spruch überliefert wird: "Wer Gott kennt, der liebt Ihn; wer die Welt kennt, der entsagt ihr."

Auf die Strenge der ersten Generation folgte im 9. Jh. eine Zeit der spirituellen Emotion, in der die Erkenntnis von der Einheit des Seins heranreifte. Die Mystiker formulierten die ersten Lehrschriften, so dass eine noch lose Sufi-Doktrin entstand, in der die Sufis ihre Erfahrungen über das Auslöschen des Ichs, der Ekstase und über das Fortleben in Gott beschrieben. (Eine herausragende Figur jener Zeit war der Sufi-Meister Al-Junayd [gest. 910]), der die gesamte bestehende Sufi-Literatur systematisierte und eine einflußreiche Philosophie der "Auslöschung in Gott" entwickelte, in der er die Existenz in der göttlichen Einheit beschrieb: "Gott läßt den Menschen sich selber sterben (fana'), um in ihm leben zu können.") Neben den Vertretern eines gemäßigten Sufismus, die von den islamischen Herrschern einigermaßen toleriert wurden, entwickelte sich eine Richtung heraus, die man die "Trunkenen Sufis" nannte, und die durch ihre ekstatischen Sprüche und provozierenden Äußerungen das religiöse "Normal"-Empfinden eines Moslems schockierte. Einer ihrer Exponenten war Al-Hallaj, der 922 wegen Gotteslästerung hingerichtet wurde. Er lehrte die "Einheit der Substanz", die ihn zu Behauptungen, wie die folgende brachte: "Ich bin der geworden, den ich liebe; der, den ich liebe, ist ich geworden. Wir sind zwei Geister, in einem Körper verschmolzen."

In den folgenden Jahrhunderten (10.&endash;12. Jh.) begannen sich vermehrt Bruderschaften und Orden zu bilden, die sich v.a. in den Methoden, wie die Einheit mit Gott erlangt wird, unterschieden. Und nach einer eher schöpferischen Periode richtete sich nun die Konzentration auf die Ausformulierung des sufischen Denkens. Durch die Trunkenen Sufis und falschen Derwische (arm, persisches Wort für Bettelmönch, Sufi), die das Volk durch Zaubertricks irreführten und ausbeuteten, war die ohnehin ständig gegen den Häresieverdacht kämpfende Bewegung noch mehr in Verruf geraten. In zahlreichen Abhandlungen (sog. Kitab), die die gesamte Lehre untersuchten und selbst Definitionen der mystischen Zustände enthielten, zeigte sich das Bestreben um Orthodoxie bis in die Einzelheiten. Man wollte den juristischen Autoritäten zeigen, dass der Sufismus mit den fundamentalen Prinzipien des Islams völlig übereinstimmt. Eine berühmte Abhandlung schrieb Abu Bakr al-Kalabadhi (gest. 1000) mit dem bezeichnenden Titel "Buch der Informationen über die Doktrin der Männer des Sufismus". Das Werk umfaßt 75 Kapitel und belegt mittels unzähliger Definitionen die Rechtmäßigkeit der Lehren der Sufis.

In der darauf folgenden Zeit (12 und 13.Jh.) wurde der Sufismus dank der apologetischen Schriften der Vorgänger allgemein anerkannt und verbreitete sich im ganzen islamischen Reich. Es war ein goldenes Zeitalter für den Sufismus mit einer blühenden Dichtkunst. Besonders zu nennen ist hier der persische Dichter und Mystiker Dschalalu`d-din Rumi (1207&endash;1273), der in Konya (Türkei) lebte und den Orden Maulawiyya gründete. Ein Orden der vor allem den samaÞ (Gesang und Tanz) pflegt und darum auch die "Bruderschaft der wirbelnden Derwische" genannt wird. Oder auch den bedeutsamen Schriftsteller und Theologen Mohyaddin Ibn Arabi (1165-1240), der "der größte aller Meister" genannt wird und dem Sufismus noch mehr Ansehen und Tiefe verleihte.

In der Folgezeit bis zum 20. Jh. gab es noch viele tiefsinnige Sufis, die teilweise ganz neue Bruderschaften gründeten oder aus einem bestehenden Orden ausbrachen und einen Seitenzweig desselben bildeten. Im gesamten gibt es über 70 Sufi-Orden. Das "Lexikon des Islam" listet als die bedeutensten und ältesten 32 Orden auf.

 

Wesensmerkmale des Sufismus

Das Ziel des Sufi ist die Vereinigung mit dem Geliebten (Gott). Diese Vereinigung wird als ein Zustand der Reinheit, der Ganzheit oder der Vollkommenheit beschrieben. Um das zu erreichen, muß das Ego, der eigenmächtige Trieb (nafs), bekämpft und überwunden werden. Das zentrale Organ hierfür ist das Herz, welches in Liebe zu Gott entbrennen muß. Das Herz erkennt, dass nur Gott existiert und alle Dinge in ihm bestehen (göttliche Einheit: tawhid). Die Vielfalt der Erscheinungen ist eine Illusion. Es gibt viele verschiedene geistige Pfade (tariqa) zu Gott, doch lassen sie sich grob in zwei Gruppen teilen: 1. Die einen gehen eher einen emotionalen Weg, um die Vereinigung mit Gott zu erlangen. In diesen Orden spielt der SamaÞ(Anhören oder Singen von Sufi-Liedern und das Tanzen in rhythmischen Bewegungen) sowie das Dhikr (Andachtsübung mit Rezitationen des Gottesnamens) eine große Rolle. 2. Andere Orden, die eher intellektuell ausgerichtet sind, vermitteln eine Instruktion, eine Wegleitung zur Erreichung des höchsten Bewußtseins (tawhid), die stärker die Erkenntnisfähigkeit des Menschen anspricht. Ein weiteres Merkmal des Sufismus ist die Art der Methodenvermittlung: Der Schüler (murid = "Strebender") steht in einer engen Verbindung mit dem Meister (murschid = "Führer"), das heißt mit dem Oberhaupt des Ordens (Sheikh). Der Meister gibt portionenweise das notwendige Wissen dem Schüler weiter und begleitet ihn als "Beichtvater" auf seinem ganzen Weg. Das genaue Methoden-Wissen ist in der Regel esoterisch und wird von den Ordensmitgliedern nicht preisgegeben. Der Schüler leistet dem Sheikh, den er als Repräsentant Mohammeds verehrt, unbedingten Gehorsam. Entsprechend wichtig und symbolreich ist der Einweihungsritus. Typisch für den Sufismus ist auch, dass der Ordensmeister in einer Sukzessionreihe steht. Der gegenwärtige Sheikh bildet das letzte Glied einer spirituellen Kette (silsila), die bis zum Gründer zurückreicht. Es gibt Orden, die ihre Traditionskette bis zu Ali (Schwiegersohn des Propheten), Abu Bakr oder Mohammed selbst zurückführen, welche das Wissen um die Vereinigung mit Gott am reinsten kannten.

Der Sufismus gründet in der islamischen Offenbarung. Die Sufis halten das Gesetz, halten sich an die fünf Säulen des Islams und verehren Mohammed als den letzten Propheten.)

 

Neo-Sufismus

Vertreter von neo-sufischen Organisationen sehen keine genetische Verbindung von Sufismus und Islam und behaupten, Sufi sein zu können, ohne Muslim zu sein. Ihrer Meinung nach ist der Sufismus eine uralte Weisheit (Sufismus wird vom griech. Wort Sophia=Weisheit abgeleitet) die den Menschen bereits vor der Zeit der Religionen bekannt war.

 

Sufis im deutschsprachigen Raum

Traditionelle Sufi-Orden im deutschsprachigen Raum:

- Ni'matullahi-Orden (Khaniqahi Ni'matullahi)

- Tidjanyyah-Orden

 

Neosufische Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum:

- Internationaler Sufi-Orden von Hazrat Inayat Khan

- Idries Shah

 

Andreas Frei, 1998


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