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  Toronto-Segen
  Uebersicht
  Der Toronto-Segen
Fassung ohne Anmerkungen, weiterführende Hinweise und Literaturangaben. Diese siehe in der vollständigen Fassung.
1 Entstehung
Der Toronto-Segen im engeren Sinne fand seinen Ursprung in der Airport Vineyard Gemeinde in Toronto (Kanada) am 20. Januar 1994 im Rahmen einer Veranstaltungsreihe mit Randy Clark, dem Vineyard-Prediger aus St. Louis, USA. Randy Clark und der Hauptpastor der Airport Vineyard Toronto, John Arnott, gelten seither als die eigentlichen Väter des Toronto-Segens. Beeinflusst ist die Bewegung nach Angaben von Guy Chevreau, dem Toronto Segen-Vordenker, vom umstrittenen Heilungsprediger Benny Hinn, vom südafrikanischen Evangelisten Rodney Howard-Browne und vom argentinischen Assemblies of God-Prediger Claudio Freidzon. Tatsächlich ist aber der ursprüngliche Satz der Manifestationen schon bei John Wimber, dem Gründer der Vineyard-Bewegung, zu finden, einen Toronto-Segen-ähnlichen Gottesdienst erlebte die Vineyard schon Muttertag 1981. Wimber meint denn auch: "Nearly everything we've seen (falling, weeping, laughing, shaking) has been seen before, not only in our own memory, but in revivals all over the world."
2 Die Manifestationen
Herausstechendes Merkmal des Toronto Segens sind die sogenannten "Manifestationen des Heiligen Geistes", die im Rahmen der Veranstaltungen der Bewegung auftreten. Zu beobachten sind im einzelnen:

- Zum Teil stundenlanges, hysterisch wirkendes Lachen der Gottesdienstteilnehmer, welches sich in keiner Weise durch den Fortgang der Veranstaltung bekümmern lässt. Diese Manifestation findet sich bereits im Dienst von Wimber, trat dann bei Veranstaltungen Rodney Howard-Brownes auf und ist mittlerweile zum typischen Kennzeichen des Toronto-Segens avanciert.

- Zittern und Schütteln des Körpers.

- Diverse Zuckungen. Bei beiden Manifestationen scheint für den Aussenstehenden der Übergang zwischen Manifestation und Dyskinese ein fliessender.

- Umfallen und anschliessendes z.T. stundenlanges Liegenbleiben ("Ruhen im Geiste"). Diese Manifestation ist auch bei Benny Hinns Veranstaltungen zu beobachten.

- Weinen, gesteigert bis zu lautem Heulen.

- "Trunkenheit im Geiste", u.U. tagelang anhaltender Zustand geistiger Absenz, z.T. verbunden mit Merkmalen, die ansonsten als Folge alkoholischer lntoxikation auftreten: stammelndes Sprechen, taumelnder Gang usw.

 

Zu diesen ursprünglichen Manifestationen, die bezeichnenderweise alle schon bei Wimber belegt sind, treten im Laufe des Toronto-Segens neue Phänomene hinzu:

- "Das Brüllen des Löwen" eine neuere Manifestation , ein löwenartiges Gebrüll, bei welchem Jesus als der "Löwe Juda" aus dem Gottesdienstteilnehmer herausbrüllen soll. Zum "brüllenden Löwen" wären allerdings auch andere biblische Bezüge denkbar.

- Weitere Tierlaute (Röhren eines Hirsches oder Zischen einer Schlange u.a.), z.T. verbunden mit einer Imitation der typischen Verhaltensweise der betreffenden Tiere. In der Stiftung Schleife ist z.B. ein Fall einer Person, die sich unter dem Einfluss des Toronto-Segens wie ein Huhn gebärdet hat und sich entsprechend vernehmen liess, bekannt geworden. Biblische Ableitungen dieser neueren Tierlaute werden nicht mehr versucht. Manche grundsätzlichen Befürworter des Toronto-Segens sehen hier die Grenze zum Dämonischen überschritten.

- "Uebernatürliches Gebären", das Einnehmen einer Gebärhaltung samt dazugehörigen Bewegungen und Lauten, das (auch bei Männern auftretend) insbesondere die "Geburt" einer neuen Gabe oder einer neuen Beauftragung beim Gebärenden anzeigen soll.

3 Die Verbreitung
Bis 1995 hat sich der Toronto-Segen mit seinen Manifestationen beinahe weltweit verbreitet. Die Ausbreitung geschieht über Gemeindeleiter, die Veranstaltungen der Airport Vineyard Toronto besuchen, die Manifestationen selbst erleben und dann in ihre Heimgemeinde zurückkehren, worauf dort, ohne dass eine spezielle Schulung oder Vorbereitung notwendig wäre, ebenfalls die charakteristischen Geschehnisse auftreten. Die Ausbreitung des Toronto-Segens geschieht mithin weniger nach dem Paradigma der Mission als vielmehr nach dem einer Grippewelle.
4 Der Toronto-Segen in der Schweiz
In der Schweiz ist der Toronto-Segen von zwei verschiedenen, miteinander nicht in Zusammenarbeit stehenden Organisationen aufgetreten: Die Vineyard Bern kennt die Manifestationen seit Mai 1994. Pfr. Gerhard Keller, Reithalle und Stiftung Schleife Winterthur, besuchte Toronto im Oktober 1994 (und besorgte die deutsche Edition von Chevreaus Buch).
5 Interpretationen des Toronto-Segens
5.1 "Normale" Erweckung?
Theologische Verteidiger des Toronto-Segens, allen voran Guy Chevreau, nehmen gerne auf die Tatsache Bezug, dass Toronto-ähnliche Manifestationen schon früher als Begleiterscheinungen grosser Erweckungen aufgetreten sind, wie Chevreau das für die amerikanische Erweckungsbewegung nachweist. Ausser Blick gerät aber eine gravierende Bedeutungsverschiebung der Manifestationen. Während im Rahmen der Erweckungsbewegung der Heilige Geist durch die Botschaft die Erweckung wirkte und die Manifestationen quasi nebenbei auftraten, wird die Toronto-Erweckung durch die Manifestationen des Heiligen Geistes gewirkt. Ein Erweckter mit Manifestationen war früher die Ausnahme. Den Toronto-Segen erfahren hat nur, wer Manifestationen erlebt.
5.2 Peak Experience
Nach Abraham Maslow könnte das Erleben des Toronto-Segens als Peak Experience, als religiöses Schlüsselerlebnis gedeutet werden. Diese Deutung liegt für manche Biographien von Toronto-Segen-Beteiligten sehr nahe, bei anderen, den "Konsumisten", eher fern.
5.3 Das Prinzip des Gamaliel
Die Heilsarmee vertrat, zumindest in Grossbritannien, dem Toronto-Segen gegenüber das Prinzip des Gamaliel: Wenn der Segen nicht von Gott wäre, würde er, so die Meinung, mit der Zeit vergehen, wenn er von Gott wäre, wäre es unklug, sich ihm zu widersetzen. Der weitere Verlauf der Ereignisse, das Aufhören des Toronto-Segens, trifft bei Anwendung des Gamaliel-Prinzips ein deutliches Urteil.
5.4 Endzeitliche Verführung?
Der charismatischen Bewegung gegenüber kritisch eingestellte evangelikale Christen beurteilten den Toronto-Segen z.T. zurückhaltend, z.T. klar ablehnend. Chrischona-Studienleiter Reinhard Frische erinnert daran, dass "das neue Testament nicht die Verzückung vieler, sondern die selbstlose Liebe als die massgebende Manifestation des Heiligen Geistes" betont: eine Dämonisierung der Toronto-Ereignisse im Gefolge der Berliner Erklärung des Gnadauer Verbandes von 1909 (Pfingstlerische Manifestationen sind "von unten") weist Frische allerdings zurück. Weiter geht hier STH-Dozent Prof. Dr. Erich Mauerhofer; er wertet den Toronto-Segen in einer persönlichen Stellungnahme unter dem Titel "Toronto-Segen: Erweckung oder fromm getarnte Verführung?" als "eine endzeitliche Täuschung, vor der wir dringend warnen müssen".
5.5 Sektiererisches Ritual?
Von ganz anderer Warte aus warnt der Zürcher Journalist und Sektenexperte Hugo Stamm im "Tages-Anzeiger" vom 16. Mai 1995 vor den Toronto-Segen-Veranstaltungen. Er wertet das Auftreten der Manifestationen als "RituaI", welches sektiererische Merkmale trage. Denn die "religiösen Führer" hätten keine Kontrolle über die Auswirkungen der Ereignisse auf die Psyche der Beteiligten, was zu Depressionen und Psychosen führen könne. Einzelfälle zum Beleg der erwähnten Gefahren nennt Stamm keine, die angesprochenen "sektiererischen Merkmale" treffen z.B. durchaus auch auf ein Pop-Konzert zu (Massensuggestion, Trance-ähnliche Zustände des Einzelnen, keine Nacharbeit, keine Kontrolle usw.).
5.6 Psychische Phänomene?
Verschiedene Kommentatoren, z.B. EZW Referent Reinhard Hempelmann, machen darauf aufmerksam, dass den Toronto Manifestationen vergleichbare Geschehnisse auch andernorts, z.B. im Rahmen von psychotherapeutischen Gruppenveranstaltungen, auftreten. Das Spezifische des Toronto-Segens ist mithin nicht das Erlebnis als solches, sondern seine Interpretation im Rahmen eines charismatischen Christentums. Eine psychisch befreiende Kraft des Toronto-Segens, von Toronto-Vertretern in ihren Zeugnissen vielfach geschildert, ist in diesem Sinne sicher plausibel.
5.7 Stärkung statt Ausbreitung
Im Rahmen der Dritten Welle stellt der Toronto-Segen eine deutliche Wende dar (einzelne Vertreter sprechen vorn Toronto Segen gar als von einer "Vierten Welle"): Legte die Dritte Welle noch alles Gewicht auf die Evangelisation, auf die Ausbreitung des Christentums, so gerät dieser Aspekt nun in den Hintergrund. Wichtig wird das persönliche Erleben des Christen, die Vertiefung und Stärkung seines Glaubens. In ihrer Zielsetzung kehrt die Dritte Welle via Toronto-Segen damit wieder zur Pfingstbewegung zurück.
5.8 Christlicher Konsumismus
Damit ist die grundlegende Problematik des Toronto-Segens angesprochen: Er fügt sich mit seiner Ausrichtung auf persönliches, spektakuläres Erleben und mit seinen den zunehmenden Gemeindetourismus noch überbietenden Pilgerfahrten nach Toronto nahtlos in den Konsumismus der Postmoderne ein. Ob diese Anpassung an den Zeitgeist mit dem neutestamentlichen Ideal einer verbindlichen, oft unspektakulären und manchmal durch Durststrecken führenden Mitarbeit in einer Gemeinde verträglich ist, muss diskutiert werden. Im Gefolge des Toronto-Segens da und dort aufgetretene Gemeindespaltungen weisen darauf hin, dass diese Frage wohl bedacht sein will.
6. Trennungen
Für die Vineyard-Leitung, insbesondere für John Wimber, der sich erst hinter den Toronto-Segen gestellt hat, wurden die sich zunehmend von biblischen Vorbildern entfernenden Manifestationen zum Problem. Wimber drängte auf eine Prüfung und Zurückweisung der krassesten Manifestationen. Diese Anweisung führte zu einer Trennung der Toronto-Gemeinde von der Vineyard-Bewegung. Im Rahmen der Vineyard-Gemeinden erscheint der Toronto-Segen seither in stark gemilderter Form, was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, dass sich der Toronto-Segen nach Aussage der Vineyard Bern als missionarisch hinderlich erwiesen hat.
7 Toronto und die Folgen
Nach dem sang- und klanglosen Verschwinden des Toronto-Segens stellt sich die Frage nach dessen bleibender Wirkung. Eine systematische Erhebung dieser Frage wird erst aus grösserer zeitlicher Distanz möglich sein, schon jetzt aber lassen sich folgende Punkte plausibel machen:

- Der Toronto-Segen stellt bis zu einem gewissen Grade die logische Konsequenz des wimberschen pneumatologischen Ansatzes dar, der die Wirkung des Heiligen Geistes (auch) an äusserlich sichtbaren Geschehnissen abzulesen versucht. Es erstaunt insofern nicht, dass der Toronto-Segen in der Vineyard-Bewegung nur quantitativ, nicht aber qualitativ neu ist.

- Der Toronto-Segen spies sich aus einer durch wimbersche Ansätze evozierten allgemeinen Erwartungshaltung gegenüber konkreten Geistwirkungen. Diese Erwartungshaltung ist heute, wie Nachfolge-"Blessings" wie Pensacola zeigen, keineswegs erloschen .

- Die Indifferenz der Toronto-Erfahrung gegenüber dem theologischen Hintergrund des Erlebenden (der Toronto-Segen kann durchaus auch von Nichtchristen erlebt werden) verwischt das Anliegen Wimbers nach solider Theologie, nach "gesunder Lehre" insofern, dass auch Gemeinschaften mit schrillster und schrägster Verkündigung dieselbe "Erquickung" erleben können und damit als vom Heiligen Geist approbiert erscheinen. Es ist so kein Zufall, dass Wimbers erste Kritik am Blessing eine vermehrte Konzentration auf Lehrfragen anmahnte.

- Das Abflauen des Segens wurde auf zwei verschiedenen Wegen bearbeitet. Während die Vineyard bis zu einem gewissen Grade ihr pneumatologisches Interesse verlor und sich mit dem "Servant Evangelism" der Nachfolge zuwandte, gerät die an den Rand der charismatischen Szene gedrückte TACF in den Sog der Prophetenbewegung, die ihrerseits von der Vineyard abgespalten sich im Moment einschneidender eschatologischer Erwartungen befleissigt.

- Dem in charismatischen Kreisen, aber auch anderswo grassierenden Gemeinde-Tourismus und -Konsumismus der "circulating saints" hat der Toronto-Segen einen weiteren Damm gebrochen: Dorthin zu gehen, wo der Segen Gottes im Moment am stärksten wirkt, dies hat der Toronto-Segen bis weit in traditionelle Denominationen hinein salonfähig gemacht. Das Publikum hat die Botschaft verstanden und wird sich entsprechend einrichten.

Georg Otto Schmid, 1998
Letzte Aenderung 1998, © gos 1998, Infostelle 2000
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