Christina von Dreien droht mit zweitem, «schlimmerem» Lockdown

Bei einem Tagesseminar im provisorischen Nationalratssaal, der Halle 2.2 der BernExpo in Bern, am Samstag, 15. August 2020 hat Christina von Dreien intensiv vor einem aus ihrer Sicht bevorstehenden zweiten, «schlimmeren» und «verrückteren» Lockdown gewarnt, bei welchem «mehr geschlossen» sein wird und «andere verrückte Dinge» laufen werden. Ihrem Publikum hat sie zugesagt, dabei unter besonderem Schutz der «geistigen Welt» zu stehen.

Christina von Dreien GmbH

Christina von Dreien ist auch der Name einer Firma, der «Christina von Dreien GmbH», die als Event-Agentur für die Tagesseminare von Christina von Dreien auftritt und auch für den Anlass vom 15. August in Bern verantwortlich zeichnete. Die Anmeldung fürs Tagesseminar vom 15. August wurde von der Firma beantwortet mit dem Hinweis, die Veranstaltung würde «nur durchgeführt, wenn sich genügend Gäste angemeldet haben». Christina von Dreien kommt, so der Eindruck, nur, wenn es sich auch lohnt.

Der Eintrittspreis fürs Tagesseminar betrug stolze Fr. 180.- für Personen über 22 Jahre. Rund 200 Menschen dieser Altersgruppe waren bereit, diese Summe zu bezahlen, dazu kamen ca. 20 jüngere Leute, die einen reduzierten Betrag von Fr. 120.- entrichteten oder als Kinder unter 16 Jahren gratis teilnehmen konnten. Alles in allem dürfte der Anlass einen Umsatz von gegen Fr. 40’000.- erbracht haben. Christina von Dreien scheint tatsächlich auch ein Geschäft zu sein.

Christina von Dreien auf Uriellas Pfaden

Erika Bertschinger, geb. Gessler (1929-2019), besser bekannt unter ihrem Geistnamen Uriella, war berüchtigt für ihre apokalyptischen Botschaften. Über die Jahre hin prophezeite sie ihrer Anhängerschaft und der Öffentlichkeit stets neue, angeblich kurz bevorstehende Krisen und Katastrophen und nannte dafür auch konkrete Zeiträume. Ein Türchen aber liess Uriella jeweils offen: Vielleicht würden sich die erwarteten Schrecknisse abwenden lassen, wenn ihr Orden Fiat Lux genug beten und meditieren würde. Nach Verstreichen der Termine schrieb sich Uriella das Ausbleiben der Ereignisse jeweils als Verdienst ihrer eigenen Verkündigung und des Engagements ihres Ordens gut.

Christina von Dreien scheint nun ebenfalls diesen Pfad beschreiten zu wollen, wie am 15. August deutlich wurde. Während des Tagesseminars kam sie immer wieder darauf zurück, dass sie mit einem im Herbst bevorstehenden zweiten Lockdown rechnet, der «schlimmer» ausfallen würde als der erste, weil «mehr geschlossen» sein würde und «andere verrückte Dinge» passieren würden. Diesen zweiten Lockdown halte sie für «hoch wahrscheinlich», «Wunder» seien hingegen möglich, z.B. dann, wenn ihre Fans durch Meditation den Lockdown verhindern würden.

Auf den ersten Blick scheint sich Christina von Dreien damit in eine Win-win-Situation gebracht zu haben: Kommt ein zweiter Lockdown, hat sie recht gehabt. Kommt er nicht, ist das ihr Verdienst.

Allerdings droht Christina von Dreien dieselbe Gefahr wie Uriella: Wer immer wieder vor Krisen und Katastrophen warnt, die dann aber wegen des eigenen Engagements verhindert werden, verliert zwar nicht an Glaubwürdigkeit, aber an Relevanz: Wieso sollte sich das Publikum stets neue apokalyptische Botschaften anhören, wenn die angekündigten Geschehnisse dann doch ausbleiben? So hat sich Uriellas Anhängerschaft bei jedem ereignislosen Endzeittermin reduziert. Schreitet Christina von Dreien auf diesem Weg weiter, wird es ihr auch so gehen.

Dualistisches Weltbild

Von esoterisch-spiritueller Seite wird Christina von Dreien vorgeworfen, ein wenig differenziertes, scharf dualistisches Weltbild zu vertreten, das mehr mit mittelalterlicher Volksreligion gemein habe als mit der theosophisch-esoterischen Bewegung.

Das Tagesseminar vom 15. August war, dies das mindeste, nicht geeignet, diese Vorwürfe zu entkräften. Immer wieder thematisierte Christina von Dreien ihre verschwörungstheoretische Weltsicht von den üblen Beherrschern der Erde, welche die Menschheit wie Tiere behandelten und am Erwachen hindern wollten. Diesen gegenüber stünden die Erwachten, zu denen Christina von Dreien ihr Publikum rechnete, welche die Pioniere einer neuen, besseren Zeit wären. «Am Ende wird alles gut», bestimmt zwanzig Mal wiederholte Christina von Dreien diese Hoffnung.

Wer «noch nicht erwacht» ist – damit meint Christina von Dreien Menschen, die ihre Verschwörungstheorien nicht teilen – der «schläft» oder befindet sich gar in «Vollnarkose». Eine derart massive sprachliche Abwertung Andersdenkender ist im Bereich der Esoterik sonst nicht üblich und erinnert an problematische Zeiten der Religionsgeschichte.

Mit der Zimmerpflanze sprechen

In der bevorstehenden schwierigen Zeit würde, so Christina von Dreien, der Kontakt zu Naturwesen helfen. Solche seien in jeder lebenden Pflanze zugegen, in jedem Baum, aber auch in jeder Zimmerpflanze. Wer mit Naturwesen zuhause kommuniziere, sei für die kommenden Probleme besser gerüstet, indem er sich eine «kleine Oase der heilen Welt» aufbaue.

Auch Wasser würde Naturwesen enthalten, ein paar Minuten mit dem Wasser zu sprechen, würde dessen Geschmack verändern. Meerjungfrauen würden ebenfalls existieren.

Elitarismus

Immer wieder hob Christina von Dreien während des Tagesseminars die Bedeutung ihres Publikums hervor. So werde es auch während des kommenden zweiten Lockdowns unter besonderem Schutz stehen: «Da wir bewusster sind, können wir davon ausgehen, dass wir unter einem höheren Schutz stehen. Denn die Welt braucht uns noch.»

Hier liegt möglicherweise – neben dem Angebot eines sehr überschaubar strukturierten Weltbilds, das die Komplexität der Realität ungemein reduziert – ein Teil der Faszination Christinas von Dreien. Wer sich ihr anschliesst, gehört zu den von der geistigen Welt beschützten «Erwachten», und damit gewissermassen zur Elite der Menschheit.

Fake News

Christina von Dreien wird gelegentlich für die Verbreitung von Fake News kritisiert. In der Tat gibt sie manches von sich, was kaum glaubhaft ist, so behauptete sie am Tagesseminar vom 15. August, es sei möglich, durch entsprechendes Bewusstsein amputierte Gliedmassen nachwachsen zu lassen, und nahm auf eine Person Bezug, die angeblich ihren abgetrennten Arm regenerieren liess: «Wir können Körperteile durch Gedanken und Gefühle nachwachsen lassen. Wir müssen es uns nur zutrauen».

Solche Ideen haben mehr als nur einen schalen Beigeschmack, weil sie ja implizieren, dass Menschen, die mit Amputationen konfrontiert sind, selbst schuld sind, wenn sich ihr Körper nicht wieder ergänzt.

Positives Denken und Imagination als Weg zu einer «heilen Welt»

Ihr Publikum forderte Christina von Dreien auf, sich während fünf bis zehn Minuten pro Tag die «heile Welt» der Zukunft vorzustellen. Diese Vorstellung würde dann «ins Feld gehen» und dadurch allmählich zur Wirklichkeit werden. Je mehr Menschen bei dieser Imagination mitwirkten, desto eher würde sich die «heile Welt» realisieren.

Irgendeine Aufforderung, konkret gegen Missstände tätig zu werden, sich z.B. bei einer Aktion zu engagieren, war am Tagesseminar vom 15. August nicht zu vernehmen.

Ein Lied einer hochumstrittenen Person im provisorischen Nationalratssaal

Am Ende der Veranstaltung wurde, wie bei den Tagesseminaren Christinas von Dreien üblich, getanzt. Dazu wurden vier Lieder abgespielt, darunter eines von Xavier Naidoo, der sich selbst als Rassisten bezeichnet hat, Thesen der Reichsbürger und rechtslastige Verschwörungstheorien vertrat und u.a. wegen flüchtlingsfeindlicher Aussagen seine Engagements in der Öffentlichkeit verlor. Dass Christina von Dreien ein Lied einer solchen Person im provisorischen Nationalratssaal abspielen liess, empfinde ich als zutiefst beschämend.

Georg O. Schmid, 16. August 2020