Sabbat-Schule und Präsenzkontrolle – Besuch eines Sabbatgottesdienstes der Siebenten-Tags-Adventisten in Marburg

Sabbat wie Zuhause

So früh musste ich schon lange nicht mehr aufstehen, um zu einem Gottesdienst zu gehen. Es war kurz vor halb zehn Uhr an einem Samstagmorgen, Sabbat, wie es die Adventisten nennen. Viele Gottesdienstbesucher waren schon da, doch einige Familien trudelten noch ein und begrüssten einander herzlich. Alle Mitglieder schienen sich sehr gut zu kennen und jede Abwesenheit wurde auch gleich bemerkt. So fiel ich sofort auf und wurde von einer Frau im mittleren Alter begrüsst und ausgefragt, was ich hier denn mache und von welcher Gemeinde ich kommen würde.
Viele Stühle standen in Reihen vor einem Podest, das mit Zimmerpflanzen geschmückt war. In der Mitte befand sich ein Rednerpult und der ganze Boden war mit einem grünen Teppich ausgelegt. Hohe Fenster liessen viel Licht und Luft in den Raum. Neben dem Podest stand ein Klavier und an der Wand hing ein grosses Kreuz. Der ganze Raum erinnerte mich mehr an ein gemütliches Wohnzimmer als an einen Kirchenraum.

Alles in Gottes Hand

«Morning has broken, like the first morning…» – Die Klaviermusik brachte alle zum Schweigen und der Gottesdienst konnte beginnen mit Hosea 2:20-22:
«An jenem Tage will ich einen Bund für sie schliessen mit den Tieren auf dem Felde, mit den Vögeln unter dem Himmel und mit dem Gewürm des Erdbodens und will Bogen, Schwert und Rüstung im Lande zerbrechen und will sie sicher wohnen lassen. Ich will dich mir verloben auf ewig, ich will dich mir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ich will dich mir verloben in Treue, und du wirst den HERRN erkennen.» (Lutherbibel, 2017)
Während der ältere, sehr aufgeweckte Mann die Bibelstelle vorlas, musste ich mich konzentrieren, um alles zu verstehen. Im hinteren Teil der Kirche sprachen einige Kinder sehr laut durcheinander. Doch der Redner auf dem Podest sprach davon, dass wir den Glauben daran nicht verlieren sollen, dass Gott in dieser Welt immer noch der Handelnde sei.

Spenden für die Mission

Es waren sehr viele Menschen im Gottesdienst, trotz der frühen Stunde. Viele ältere Leute, aber auch Familien mit Kindern. Sie alle erhoben sich nun und sangen gemeinsam ein deutsches Kirchenlied, dessen Text praktischerweise an die Wand projiziert wurde. Als sich alle wieder gesetzt hatten, wurden zwei Kindern Körbe in die Hand gedrückt und sie gingen durch alle Reihen um Spenden für die Mission einzusammeln. Der Redner kündigte an, dass zu einem späteren Zeitpunkt nochmals Spenden eingesammelt werden würden, dann für die eigene Gemeinde. Trotzdem dankte der Redner Gott schon mal für die erste Spendenrunde.

In der Sabbat-Schule

«Kommt herbei von nah und fern…» Im Anschluss an das nächste Kirchenlied begann der eigentliche Gottesdienst, so dachte ich zumindest. Doch zuerst sollten wir uns alle in zwei Klassen aufteilen und Bibelgespräche über die heutige Lektüre führen, die Familiengeschichte von Josef. Die nette Frau, die mich zu Anfang begrüsst hatte, drückte mir ein Studienheft zur Bibel in die Hand, damit ich schon mal reinschauen konnte. Alle Menschen in der Gruppe hatten ihre eigene Bibel dabei und der Redner von vorhin fungierte jetzt als Lehrer. Gelesen wurde zuerst 1.Mose 37:1-11. Der «Lehrer» fragte dann in die Runde, was sie von Josef denken. Josef sei selbstherrlich und verhasst, weil er vom Vater bevorzugt würde, so die Antworten. Darauf sagte der «Lehrer», dass Gott Gutes bewirken könne, auch in verfahrenen Situationen. Wie in einem Unterricht ging es weiter und der «Lehrer» stellte immer mehr Fragen an seine eifrigen Schüler. Es ging dabei zuerst darum, seine Kinder alle gleich zu lieben und keinen zu bevorzugen. Dann auch um die eigenen Schwächen und dass Gott diese zu Stärken machen könne. Schlecht über andere Menschen zu reden, würde auch negative Folgen für uns haben. Negative Gedanken hätten ja bereits negative Konsequenzen. Dazu fragte der «Lehrer» nach passenden Beispielen aus der Bibel. Ich kam mir vor wie in der Schule.

Die Suppe im Haar

Nun lasen wir weitere Teile, in denen es um die Gefühle von Josefs Brüder ging. Die Frage, die der «Lehrer» dann stellte, war, wie wir denn mit schlechten Gefühlen umgehen können. Ein jüngerer Mann antworte darauf, dass er sich dann mehrmals am Tag für eine Stunde ins Gebet zurückziehe. Eine interessante Lösung. Einige weitere Bibelstellen wurden zu Rate gezogen und die Gruppe kam zum Schluss, dass Vertrauen auf Gott, Durchhalten mit Gottes Hilfe und der Blick aufs grosse Ganze unabdingbar seien, um mit negativen Gefühlen umzugehen. Das alles würde nur funktionieren, wenn man Gott miteinbeziehe. Denn Gott sehe immer das Positive in uns und wir sollen nicht das Haar in der Suppe suchen. Da musste ich schmunzeln und dachte mir: «Suche nicht das Haar in der Suppe, sondern die Suppe im Haar.»

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Nun kam ein organisatorischer Teil, indem zuerst allen Mitgliedern gratuliert wurde, die in der letzten Woche Geburtstag hatten. Der Redner kündigte an, dass ab heute nach dem Gottesdienst endlich der «Potluck» wieder stattfinden würde. Das sei ein gemeinsames Essen, bei dem jeder etwas mitbrachte, erklärte mir die ältere Dame neben mir freundlich. Ausserdem würde die Kirchgemeinde nach dem Gottesdienst darüber abstimmen, ob der Gottesdienstbeginn eine halbe Stunde später sein soll. Es folgten weitere Ankündigungen zu Taufen und einem Gemeindeausflug in einen Tierpark, bevor noch einmal Geld für die Gemeinde eingesammelt wurde. Danach erhoben sich alle von ihren Plätzen, um für die Anliegen der Gemeinde und die abwesenden «Geschwister» zu beten. Es wurde genau registriert, wer nicht zum Gottesdienst erschienen war, jeder wurde namentlich erwähnt und ein Grund für die Abwesenheit genannt.

Gott nicht hinterfragen

Der Prediger war ein älterer Mann, aus einer anderen Gemeinde stammend und nur als Vertretung hier. Er begann mit Matthäus 20:1-17 «Von den Arbeitern im Weinberg». Die göttliche Ordnung sei nicht immer einfach zu begreifen, weshalb sie anhand von Alltagsgeschichten erklärt wurde, so der Prediger. Doch was sei nun Recht und wer entschiede, was Recht ist?
Jesus hatte gesagt so sei das Reich Gottes, wie in der Geschichte vom Weinberg beschrieben. Es gäbe verschiedene Wege in den Himmel, durch das Einhalten der Gebote oder durch das Recht Gottes und seine Einschätzung. Der Mensch sollte nicht nur seine Pflichten erfüllen, sondern auch den Sinn dahinter verstehen. Am Ende sei Gott der Souverän und er alleine würde entscheiden. Wer seien wir denn um Gott zu hinterfragen? Wir alle müssten Gottes Souveränität akzeptieren. Dabei sollten wir nicht neidisch auf andere sein, denn Gott würde uns alle einzeln begleiten und führen. Gott gäbe uns allen genau das, was wir persönlich brauchten, also sollten wir zufrieden sein. Der Prediger verwies auf das Johannes Evangelium, wo Petrus von Jesus gefragt wird, was ihn denn Johannes angehe. Petrus solle allein auf Jesus schauen und zufrieden sein. So sollten auch wir anderen handeln. Wir alle würden das Reich Gottes nicht verdienen, dorthin zu gelangen sie ein Akt der Gnade Gottes und genau auf uns abgestimmt. Es sei irrelevant wie lange jemand schon Christ ist, jeder würde ins Reich Gottes eintreten, denn der Himmel sei ein Geschenk Gottes. Gott wolle, dass wir zu ihm kommen und auf ihn vertrauen.

Unlucky potluck

«Komm atmet auf ihr sollt leben» – Mit diesem Lied endete die Predigt. Im Anschluss folgte ein Dankgebet und ein weiteres Lied: «Geht hin, ihr Gesegneten». Danach folgte die Abstimmung wegen des Gottesdienstbeginns und im Anschluss das «Potluck». Die ältere Dame neben mir beschwerte sich, dass dies jedoch nirgends vorher angekündigt worden sei und sie nun nichts dabeihatte. Anscheinend ging es fast allen so, weshalb nur eine einzige Person etwas dabeihatte.
Die Menschen strömten nun langsam aus der Kirche und ein junger Mann hielt mich auf. Er erzählte von ihrem Bibelkreis und lud mich herzlich dazu ein. Ich lehnte dankend ab und trat nach zweieinhalb Stunden Gottesdienst heraus in die Sonne.

Jasmin Schneider, Juni 2022

Lexikoneintrag Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten