Heino Fankhauser lebt – Verdeckter Besuch beim Ciné12 Stammtisch in Thun

Plötzlich fixiert er mich mit eisernem Blick und fragt mich: «Bist du geimpft?». Als ich sage, dass mir noch die Booster-Impfung fehle, erklärt er: «Gut, dann bist du noch zu retten.»

Vor nicht allzu langer Zeit wäre mir mehr als nur ein Schmunzeln entglitten, wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich mich bald mit einer Gruppe Menschen treffen würde, denen ich meine dritte Covid-19 Impfung verschweigen muss, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Alles beginnt mit dem Auftrag, einen Lexikoneintrag über ein bekanntes Gesicht der rechtsesoterischen und verschwörungsideologischen Szene der Schweiz zu schreiben: Heino Fankhauser.

Fankhauser machte sich besonders in den Jahren 2014-2018 einen Namen. In dieser Zeit bot er auf dem Youtube-Kanal[1] «ciné12tv» verschiedenen esoterischen, verschwörungsideologischen und rechten RednerInnen eine Plattform. Er selbst verbreitete auf diesem und anderen Kanälen seine kruden Vorstellungen über die Welt, bis er 2018 seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit ankündigte[2]. Es tauchen nach seinem Verschwinden noch zwei Videos auf «ciné12tv» auf, in denen er zu sehen bzw. zu hören ist.

Auf dem Telegramkanal «CINE12 news» wird fast täglich gepostet, jedoch geht nicht eindeutig hervor, ob Fankhauser der Verantwortliche für den gesamten dort platzierten Inhalt ist.

Um einen Lexikonartikel zu verfassen, war mir die Informationslage über die aktuelle Lebenssituation Fankhausers zu dünn. Ich wollte mehr erfahren. Ich stieß auf die Information, dass angeblich jeden Dienstag ein Ciné12 Stammtisch in Thun stattfindet. Vielleicht könnte ich ja dort mehr über Heino Fankhauser hören. Ich schrieb eine E-Mail via Kontaktformular auf der Ciné12 Website, auf die mir niemand antwortete. Auf der Website steht: «Alle sind herzlich willkommen und eingeladen!». Also beschloss ich, einfach hinzufahren.

Im Hinterzimmer

Es ist ein trüber Dienstag, als ich mich in mein Auto setze und die Adresse eines Lokals in Thun bei Google Maps eingebe.

Ich komme in dem gutbürgerlichen Restaurant an, dessen Adresse ich einem alten Eintrag der Ciné12 Facebook-Seite entnommen habe und frage eine Bedienung, ob ich hier richtig für den Ciné12 Stammtisch sei. Sie mustert mich erstaunt, zeigt mir dann jedoch freundlich den Weg. Der Stammtisch trifft sich nämlich nicht an einem normalen Tisch im Restaurant, sondern im Keller der Gaststätte. Durch mehrere Räume hindurch führt mich die Bedienung in einen kleinen Saal, den ich optisch irgendwo zwischen Partykeller und Tagungsraum verorte.

Es ist noch niemand da. Ein wenig erleichtert gehe ich wieder nach oben, da mich in der Zwischenzeit doch ein mulmiges Gefühl beschlichen hat. Wenn die Teilnehmenden ähnliche Überzeugungen wie Fankhauser haben, werde ich in dem Keller auf Menschen treffen, die den Schweizer Staat für eine Firma halten und in der Pandemie eine weitere, von der «Elite» ausgedachte, Geschichte sehen, um die Bevölkerung gefügig zu machen. «Schlafschaf»[3] würde ich in diesen Kreisen vermutlich genannt werden: Jemand der es nicht schafft, die «wahren» Zusammenhänge der Welt zu erkennen.

Nachdem ich circa 15 Minuten an der Bar verweilt habe, begebe ich mich erneut in den Keller. Die Tür ist verschlossen und ich höre Stimmen dahinter. Ich atme tief durch, öffne die Tür und sehe vor mir: Heino Fankhauser!

Zusammen mit drei anderen Personen sitzt er am Ende der langen Tafel, die den Raum fast vollständig ausfüllt. Ich stelle mich kurz vor und frage, ob ich am Stammtisch teilnehmen darf. Die Anwesenden bejahen und ich setze mich hin. Sie sehen mich einigermaßen irritiert an bis Fankhauser das Wort ergreift. Er sieht ungepflegt aus, man riecht ihn durch den ganzen Raum. Er scheint so zu leben, wie er es in seinen Videos behauptet[4]: Abseits des Systems.

Heino fragt mich, wie ich auf den Stammtisch gestoßen bin und ob ich mich dafür interessiere, was hier so besprochen wird. Ich habe das Gefühl, durch meine Recherche relativ gut das sagen zu können, was erwartet wird und er wirkt mir gegenüber wohlgesonnen. Plötzlich fixiert er mich mit eisernem Blick und fragt mich: «Bist du geimpft?». Als ich sage, dass mir noch die Booster-Impfung fehle, erklärt er: «Gut, dann bist du noch zu retten.» Er beginnt, mir zu erklären, dass ich offensichtlich Glück gehabt habe: Meine Wangen seien noch rosig. Aber ich dürfe mich auf keinen Fall boostern lassen, das sei die schlimmste Impfung von allen. Ich muss dabei an ein auf dem Ciné12 Telegram Kanal geteiltes Video denken, in dem ein junger Mann behauptet, er habe unter einem Mikroskop Würmer im Blut geimpfter Personen entdeckt.

Weitere Menschen betreten den Raum, denen ich mich erneut vorstelle. Es wird mir berichtet, dass diese Gruppe sich in einer relativ unveränderten Zusammensetzung seit Jahren trifft und sie es nicht gewohnt seien, neue Gesichter zu sehen. Außer mir sind vier Frauen und vier Männer im Raum. Ich schätze, dass die jüngste Teilnehmerin Ende 20 ist und der älteste Teilnehmer Mitte 50. Die Bedienung kommt in den Kellerraum und bedient uns dort, die meisten bestellen etwas zu essen. Es werden ausschließlich alkoholfreie Getränke bestellt.

Alles Heuchler – außer Heino?

Das zaghafte Gespräch, das entsteht, hat die Dynamik einer Lehrstunde mit Heino. Kritik an ihm oder gegenseitiges Korrigieren findet nicht statt.

Meist spricht Heino monologartig und erklärt gewisse «Zusammenhänge». Beispielsweise führt er aus, dass das Wegfallen einiger Covid-19 Maßnahmen in dieser Woche keine Freiheit bedeute, sondern nur dafür sorge, dass der Widerstand schwinde, weil alles wieder bequem würde. Insofern sei auch dieser Schritt reine Taktik der Elite. Die meisten Menschen seien zu schwach, um tatsächlich zu rebellieren und den kriegsähnlichen Zustand zu erkennen, in dem wir uns befänden. Die anderen Stammtischgäste fragen sich auch, wie viele nach «der Pandemie» noch aktiv sein werden.

Mir scheint, als wäre ihm diese Unterscheidung in starke und schwache Menschen sehr wichtig. Er tätigt mehrfach ähnliche Aussagen, in denen er unter anderem diejenigen verurteilt, die sich nicht vom System ablösen und immer noch dessen «Sklave» seien. Dabei scheint er zu vergessen, dass die meisten anderen im Raum – ihren eigenen Aussagen nach zu beurteilen – einem festen Job nachgehen und durch ihr soziales Netz in «das System» eingebunden sind. Für mich strahlen die anderen Teilnehmenden Unbehagen aus, wenn Heino solche harschen Aussagen trifft. Er bezeichnet alle, die zu viel Wert auf materielle Güter legen – und damit auch ein Dach über dem Kopf und eine feste Adresse besitzen – als Heuchler.

Zaghaftes Misstrauen

Als Heino und ein paar andere nach draußen zum Rauchen gehen, wende ich mich zwei Frauen zu, die außer mir mit Sicherheit die jüngsten Teilnehmerinnen sind. Ich spreche mit ihnen über Kinder, eines der Lieblingsthemen Fankhausers. Sie scheinen sich auch dafür zu interessieren, vor allem für den Druck, dem Kinder heutzutage ausgesetzt seien.

Die eine Frau kritisiert, dass man Kinder so abstrakt rechnen und denken lasse. Damit würden sie den Bezug zur Wirklichkeit verlieren und vergessen, was wirklich wichtig im Leben sei.

Ich frage mich, wie es um den wissenschaftlichen Fortschritt bestellt wäre, hätte man bei niemandem abstraktes Denken und Rechenvermögen gefördert, sondern, wie die Frau vorschlägt, ausschließlich Äpfel und Bananen zusammengezählt.

Nach Fankhausers eigenen Aussagen existieren um ihn herum eine oder mehrere Gemeinschaften, die ihre Kinder zuhause nach ihren eigenen Vorstellungen unterrichten. Ich frage deshalb vorsichtig ein wenig in diese Richtung nach, aber die Frauen lassen sich keine Informationen entlocken.

Fragen kommen allerdings nicht nur von meiner Seite: Die beiden interessieren sich sehr dafür, was ich mache, für mein Studium und wie ich auf Cine12 gestoßen bin. Es klingt durch, dass es sie schon etwas verwundert, dass ich mich den ganzen Weg von Bern auf den Weg gemacht habe. In Bern gebe es schließlich auch einige Bewegungen, sogar unter Studierenden, wie mir die eine Frau sagt. Dass die beiden vermutlich ahnen, dass ich mein Interesse nur vorgebe, wird besonders am Ende des Stammtischs deutlich. Sie fragen mich, ob ich vielleicht eine Seminararbeit oder so etwas im Rahmen meines Studiums schreiben würde. Bis zu diesem Zeitpunkt werden jedoch noch einige weitere Themen besprochen, bzw. wird von Heino zu verschiedenen Themen referiert.

Esoterischer Umsturz oder Desillusion?

Heino stellt im Verlauf des Abends immer wieder esoterische und spirituelle Bezüge her. So sagt er zum Beispiel, dass viele Menschen die wahren Zusammenhänge der Welt nicht erkennen würden, aber man die Wahrheit letztendlich in sich selbst finden müsse. Man solle in seinem Innern beginnen, wenn man das System verändern wolle. Die Verbindung solcher esoterischen Sehnsüchte mit politischen Umsturzphantasien ist charakteristisch für rechte Esoterik[5]. Heino erklärt, dass man anhand mehrerer Geschehnisse erkennen könne, dass ein neues Zeitalter bevorstehe. Unter anderem macht er das am «plötzlichen» Auftreten bestimmter Akteure fest, die vor der Pandemie keine Rolle gespielt hätten. Diese seien maßgeblich an der Implementierung einer Weltregierung beteiligt, die nun langsam voranschreite. Anschließend gibt er fast wörtlich einen Beitrag von Christina von Dreien aus dem März 2021[6] wieder: Das Coronavirus sei ein Instrument der Elite, das den Menschen Angst machen und sie somit gefügig für ihre Pläne machen soll. Corona heiße nichts anderes als Krone, man setze mit der inszenierten Pandemie dem bösen Plan der Elite die Krone auf. Es sei definitiv die Einleitung eines neuen Zeitalters zu erkennen und diese schwere Krise der Menschheit sei nur ein Indikator dafür, dass man ganz kurz vor einer großen Veränderung stehe.

Der Glaubenssatz, dass eine schlechte Situation einem Machtwechsel vorangeht, wird von Fankhauser seit Jahren vertreten. Dabei bezieht er sich immer auf einen aktuellen Missstand, der dann den großen Umbruch einleiten soll.

Ich frage mich, wie Fankhauser es schafft, seit Jahren diesem Glaubenssatz treu zu bleiben, wenn er sich nie bewahrheitet. 2018 sagt er zum Beispiel, dass die Elite, unter anderem viele Menschen in Regierungsämtern, auf dem Weg in das Gefängnis von Guantanamo seien. «Operation Gitmo» nennt er diese Unternehmung. Man habe Angela Merkel schon seit Wochen nicht gesehen[7]. Beim Stammtisch prophezeit er, dass spätestens 2030 ein neues Zeitalter beginne und stellt damit Bezüge zur Verschwörungserzählung der «New World Order» her.

Bei mir entsteht der Eindruck, dass Fankhauser seine Enttäuschung über das fehlende Eintreten einer wirklich neuen Welt durch den Hass an den «Heuchlern» entlädt, die den angeblichen Ernst der Situation nicht erkennen wollen.Die anderen Teilnehmenden schließen sich seinem Schimpfen über untätige und uneinsichtige Menschen an. Besonders scharf verurteilen sie meine Generation, die doch alle Informationen zur Verfügung habe, aber trotzdem nur den Mainstream konsumiere. Es handle sich um die mit Abstand dümmste Generation von allen.

Mir erscheint die ganze Situation skurril: Acht Personen, an der Spitze Fankhauser, der aussieht, als hätte er seit Tagen nicht geduscht, sprechen von dem Umsturz bestehender Verhältnisse. Sie sehen sich offensichtlich als besonders einzigartig an, eine Eigenschaft, die bei Menschen mit einer starken Verschwörungsmentalität intensiv ausgeprägt ist[8].

Die Mutter aller Verschwörungen

Im Verlauf des Abends greift Fankhauser einige weitere Verschwörungserzählungen auf, wie beispielsweise den systematischen rituellen Missbrauch von Kindern durch Personen in Machtpositionen. Er erklärt unter anderem, dass es das Römische Reich nicht gegeben habe und dass das Bundeshaus in Bern niemals 1894-1902 erbaut worden sein könne – damals habe es in der Schweiz schließlich lediglich Bauern gegeben.

Sein letzter Monolog hebt die Verbindung der verschiedenen Elemente seines Verschwörungsglaubens auf ein mir bisher unbekanntes Niveau an: Die Erde sei erstens eine Scheibe und zweitens würden wir in Midgard leben. Die Welt sehe in Wahrheit so aus, wie es in den nordischen Religionen beschrieben worden sei. Er gerät regelrecht in Rage, als er von der Existenz eines Firmaments berichtet und davon, dass alles was wir nicht sehen, göttlicher Natur sei. Es existiere kein Weltraum, um uns herum sei einfach ein großes Nichts, nur göttliche Energie.

Der Abend neigt sich dem Ende zu und Heino ist sehr daran interessiert, weiter mit mir in Kontakt zu bleiben. Als er vorschlägt, mich in einen E-Mail-Verteiler aufzunehmen, gibt eine Frau zu bedenken, dass dort eigentlich nur Menschen aufgenommen werden, für die jemand bürgen kann. So entkomme ich der Situation, Daten von mir angeben zu müssen.

Ein Rätsel lüftet sich jedoch noch, bevor der Abend zu Ende ist: Heino lädt mich ein, den Telegram-Kanal von Ciné12 zu verfolgen. Er poste dort fast täglich etwas. Somit wäre auch geklärt, dass Fankhauser für mindestens die Mehrheit der geteilten Inhalte auf dem Telegram Kanal ist, was weiter Aufschluss über seinen Verschwörungsglauben liefern kann.

Man verabschiedet sich und ich bin heilfroh, als ich wieder in meinem Auto sitze und diese Parallelgesellschafft verlassen kann.

22.02.2022, Julia Sulzmann

Quellen

[1] Ciné12tv. YouTube. 

[2] Fankhauser, H. & Würtenberger, B. Jenseits des Systems. FreeSpirit-TV Schweiz. YouTube. 06.05.2018 , siehe Infobox

[3] Nocun, K. & Lamberty, P. (2020). Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Lübbe. S.30

[4] Fankhauser, H. & Valentina. (2020). Valentina & Heino zum aktuellen Weltgeschehen (LIVE). YouTube. 17.09.2020

[5] Pöhlmann, M. (2021). Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Herder. S. 38

[6] https://christinavondreien.ch/news/newsletter/corona-als-chance, 26.03.2021

[7] Fankhauser, H. & Würtenberger, B. Jenseits des Systems. FreeSpirit-TV Schweiz. YouTube. 06.05.2018

[8] Nocun, K. & Lamberty, P. (2020). Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Lübbe. S.31

Lexikoneintrag Heino Fankhauser