Verdeckter Besuch bei der Ortsgruppe Urig Ruswil – Hochfrequenztherapie mit Martin Frischknecht

Vor einigen Wochen fing ich mit verschiedensten Recherchearbeiten zur 2021 entstandenen Urig-Bewegung an, da sich bei Relinfo die Nachfragen zu dessen Vereinsnetz mehrten. Doch trotz dem scheinbar immer grösser werdenden Interesse vonseiten Privatpersonen wie auch Medienschaffender, fand ich mich mit einem Mangel an zugänglichen und insbesondere objektiven Informationen konfrontiert – abgesehen von vereinzelten Medienberichten war es mir nur anhand der jeweiligen Ortsgruppen-Homepages möglich, Auskünfte über Urig zu erhalten.

Besonders aufgefallen ist mir dabei die Lokalgruppe Ruswil. Nebst der von mir besuchten Veranstaltung mit Martin Frischknecht bot und bietet die Gruppe auch Vorträge von Andreas Thiel an, der wegen islamophoben Aussagen bereits mehrmals in der öffentlichen Kritik stand.

Urig – Eine Post-Corona-Bewegung

Urig benennt sich nach dem Kanton Uri, wo 2021 der erste Verein in Altdorf gegründet wurde, sowie nach dem deutschen Wort «urig» für «urwüchsig» und «urtümlich». Mittlerweile gestaltet sich die Bewegung in Form eines schweizweiten Netzwerkes, das aus Ortsgruppen in Bern, Dübendorf, Glarus, Schwyz und anderen Standorten besteht. Nach dem Besuch einer zweiteiligen Schulung ist es jemensch möglich, eine neue Urig-Lokalgruppe zu gründen (vgl. Urig Altdorf).

Das gemeinsame Ziel ist der regelmässige Austausch unter den Mitgliedern und das Organisieren von Veranstaltungen vor allem zu Themen der Alternativmedizin und aus dem Bereich der Esoterik – letzteres mit Schwerpunkt auf dem Anbau und Verzehr von natürlichen Lebensmitteln und einer möglichst gesunden Lebensweise. Weiter fordern die Vereine das Recht auf Autonomie gegenüber dem gesellschaftlichen und medialen Mainstream.

Es gibt Hinweise darauf, dass bei Angeboten verschiedener Lokalgruppen verschwörungstheoretische Ansichten geteilt wurden und werden und sich interne Strömungen bilden, die Lehren um baldige apokalyptische Ereignisse mit der Vorstellung verbinden, die eigene Urig-Gruppe sei eine Art Elite für kommende, bessere Zeiten. Dabei bleibt jedoch unklar, inwieweit dies auf die Bewegung im Gesamten zutrifft.

Was den sozialen Aspekt betrifft, so führen alle Vereine auf der jeweiligen Homepage folgende Eigenbeschreibung auf (bei gewissen Seiten lässt sich das Zitat auf umgeschrieben Weise finden, der Inhalt bleibt aber stets derselbe):

Der Verein Urig setzt auf eine lokale und nachhaltige Entwicklung. Er fördert und unterstützt Aktivitäten, die zu mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung führen. Das Ziel ist, den ökonomischen und ökologischen Kreislauf so klein und lokal wie möglich zu halten. Der Verein besteht aus Menschen, die ihren individuellen Weg gehen und gleichzeitig ein Teil einer Gemeinschaft sein möchten. Dabei wollen wir uns unterstützen. Der Verein ist losgelöst von politischen und religiösen Ansichten. Jeder ist willkommen, der sich mit den Werten des Vereins identifizieren kann. Das Lokal der Geschäftsstelle Urig-Ruswil ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen und sich austauschen können. (vgl. Urig Ruswil)

Weiter werden folgende Kernwerte in den Mittelpunkt gestellt (vgl. Urig Ruswil):

  • Regionalität – Nachbarn kennenlernen, Kontakt pflegen, einander unterstützen
  • Geselligkeit pflegen – Begegnungsort schaffen, Jung und Alt zusammenbringen und voneinander lernen
  • Autonomie – Selbstbestimmte Entscheidungen treffen
  • Gesundheit fördern – Natürliche Heilmittel anwenden und gesunde Ernährung herstellen
  • Den Menschen so akzeptieren und respektieren, wie er ist

Die Wichtigkeit dieser Leitprinzipien ist aus dem Wunsch von Urig zu erklären, in der isolierenden Zeit der Coronapandemie eine Nische für gemeinsame Aktivitäten und Treffen darzustellen. Viele Mitglieder stehen den Pandemiemassnahmen und Impfungen im Allgemeinen kritisch gegenüber.

Es bleibt schwierig, verallgemeinernde Aussagen über die gesamte Urig-Bewegung zu treffen – die verschiedenen Homepages sind unterschiedlich gestaltet, geben unterschiedlich viele Informationen preis und bieten meist nicht dieselben Veranstaltungen an.

Der Besuch

Die kostenlose Veranstaltung mit Martin Frischknecht als Vortragender fand am Mittwoch, 23. Februar 2021 in Ruswil statt und hatte die von ihm erfundene Hochfrequenztherapie mit dem Medizingerät «Powertube» zum Thema. Angemeldet hatte ich mich bereits fünf Tage zuvor über die Homepage der Ortsgruppe und direkt nach dem Eintragen in das Doodle wurde ich darüber informiert, dass Treffpunkt und Veranstaltungsort erst einen Tag vor dem Vortrag bekannt gegeben werden. Am Dienstag, dem 22. Februar 2021 erhielt ich dann gesagte Mail vom «Kernteam Urig-Ruswil», welche unter anderem folgende Hinweise beinhaltete:

[…] Wir haben Shuttlebetrieb und Fahrgemeinschaften. Bitte daran halten und keine Alleinfahrten zum Vortragsort. DANKE. Bitte Handy im Auto lassen oder in Schutzhülle mitführen. Wir freuen uns auf schöne gemeinsame Stunden mit Euch. […] Kernteam Urig-Ruswil

Hinfahrt und Vortragsort

Am Vortragstag begegnete ich um 19.00 Uhr am abgemachten Treffpunkt ca. acht Frauen, deren Alter ich zwischen Mitte 20 und Anfang 60 einschätzte. Ich war mir nicht sicher, den richtigen Ort gefunden zu haben und fragte eine der Frauen, ob ich hier richtig sei für den Vortrag von Herrn Frischknecht. Sie bejahte und teilte mich einer kleinen Fahrgemeinschaft zu, mit welcher ich zum eigentlichen, schätzungsweise 10 minütig entfernten Durchführungsort  fuhr. Ob beim Warten am Treffpunkt oder im Auto mit den drei anderen Frauen, man brachte mir nur rege Aufmerksamkeit entgegen. Vereinzelt wurde ich nach meinem Namen gefragt, von wo ich komme und wie ich von der Veranstaltung erfahren habe, abgesehen davon war ich jedoch ganz deutlich ein neues Gesicht in einer bereits bestehenden Gruppe.

Ausgestiegen sind wir dann auf einem Bauernhof. Da ich während der Fahrt mein Handy wie die anderen Anwesenden ausgeschaltet habe, hatte ich vor dem Verlassen des Autos keine Möglichkeit zum Nachschauen der genauen Adresse. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um die auf der Homepage Urig Ruswil angegebene «Geschäftsstelle» handelt.

Nachdem mein Name auf einer Teilnehmerliste durchgestrichen wurde, gelangte ich über eine schmale Treppe in ein offenes Stockwerk, das bis zur Hälfte durch eine Glaswand getrennt war. In der vorderen Raumhälfte befand sich eine kleine Küche, ein Tisch mit verschiedenen Getränken und Snacks und überall grosse Plakate, auf denen unter anderem Mitglieder der Lokalgruppe vorgestellt, neue Ideen für Veranstaltungen gesammelt und «gewichtelt» wurde. Hinter der Glaswand befanden sich mehrere Stuhlreihen, die alle auf eine Beamerleinwand ausgerichtet waren.

Gesamthaft schätze ich die Anzahl der Teilnehmenden auf 50 Personen, die Altersspanne zwischen Mitte 20 und Ende 80. Der Geschlechteranteil war relativ ausgeglichen, wobei viele der Anwesenden Paare zu sein schienen. Es herrschte eine ausgelassene, familiäre Stimmung, die sich auch in den Umarmungen als anscheinend übliche Begrüssungsform widerspiegelte. Eine Atemschutzmaske trug niemand und gelüftet wurde nur in der Pause.

Von geheimen Mächten zur Heilung durch die «Powertube»

Bevor die Veranstaltung um 19.30 Uhr offiziell startete, kam ich mit einem Urig-Mitglied aus einer anderen Lokalgruppe ins Gespräch. Er erklärte mir, dass sich die Bewegung vor allem über den Austausch der verschiedenen Ortsgruppen-«Kernteams» organisiert und dass es auch jene Mitglieder sind, die in Kontakt zur Graswurzle-Bewegung stehen. Die Gruppierungen seien parallel entstanden und vertreten in etwa dieselben Werte und Ziele, weshalb er eine bestehende, rege Kommunikation zwischen den beiden vermute – Genaueres konnte er mir jedoch nicht dazu sagen.

Für ihn sei Urig, so der Mann weiter, zu einer zweiten Familie geworden. Er freue sich immer sehr auf die gemeinsamen Aktivitäten und schätze das herzliche Mit- und Füreinander. Von der Bewegung erfahren habe er an einer Trychler-Demonstration gegen die damals bestehenden Corona Massnahmen, bei welcher ihm «fast die Tränen gekommen sind, weil er endlich Menschen mit derselben Einstellung gefunden hat». Denn mit vielen Personen aus seinem nahen Umfeld hat er sich aufgrund von Meinungsunterschiedlichkeiten bezüglich der Coronapandemie verstritten. Diese wollen nicht einsehen, dass Bill Gates, die Rockefellers, grosse Pharmakonzerne und die 5G-Technologie schuld am Ausbruch der Pandemie sind – schliesslich sei die Viruserkrankung ein Geheimplan der Elite zur Dezimierung der Weltbevölkerung, worüber aufseiten der öffentlich-rechtlichen Medien jedoch gelogen oder gar geschwiegen wird.

Als mit einer Glocke geschwungen wird, machen wir eine Fortsetzung unseres Gesprächs für in der Pause ab und setzen uns auf einen der Stühle. Eine Frau steht auf, begrüsst alle Anwesenden und erkundigt sich nach Urig-Mitgliedern, woraufhin etwa dreiviertel der Personen die Hand hochheben. Anhand einer zweiten Fragerunde entnehme ich, dass davon ungefähr die Hälfte der Lokalgruppe Ruswil angehören. «Ganz egal, ob Mitglied oder nicht, für den Abend sind alle Teil der Bewegung und damit in der Runde willkommen», reagiert die Frau auf die kurze Umfrage. Als letztes fragt sie nach «der Presse», verkneift sich einen Witz über die Medien und stellt dann den Gastvortragenden Martin Frischknecht vor, der mit Frau Katrin und Mutter Myrtha Frischknecht angereist war.

Seinen Vortrag im Nachhinein strukturiert wiederzugeben, ist eine Sache der Unmöglichkeit – ab diesem Zeitpunkt fing Herr Frischknecht nämlich in einem Wahnsinnstempo einen mehrstündigen Monolog an.

Besonderes Augenmerk lag dabei auf der von ihm erfundenen «Powertube», für welche man zwischen 2.100 und 1.750 CHF. (inkl. MwSt.) zahlt (vgl. Swisspowertube). In einem Heft mit dem Titel «powertube. Powertube TENS Therapie Technik», welches am Vortragsabend gratis zur Verfügung stand, wird die Wirkungsweise des Gerätes wie folgt beschrieben:

Die Hochfrequenzen der PowerTube®-TENS-Therapie-Technik haben auf den menschlichen Organismus folgende positive Wirkungen, welche u.a. auch durch Studien der Universität München* durch Prof. Dr. Dr. Parlar gestützt werden:

  • Erzeugung von Antistressproteinen* =Körperenergie wird erhöht
  • molekulare Strukturen werden geordnet
  • positive Wirkung bei Blockaden
  • körpereigene Regenerationskräfte werden mobilisiert
  • Entgiftung (Schwermetalle und Chlorphenole)*
  • Verbesserung des Fettsäure-Oxydationsprozesses*
  • zur Gesundheitsvorsorge und Prävention
  • Erhöhung der Sauerstoffsättigung im Blut (Dunkelfeldmikroskopie)
  • antiseptische Wirkung*

Ein disharmonischer molekularer Zustand der Wasserstruktur H2O im Organismus kann zu Krankheiten, Blockaden und anderen Beschwerden führen. Das PowerTube®-TENS*-Gerät wirkt (durch die Haut) auf die molekulare Zellstruktur ein. Die 3 Grundfrequenzen mit den dazugehörenden Obertonreihen «vibrieren» die Moleküle. Dadurch wird die molekulare Zellstruktur homogenisiert.

Darunter steht geschrieben:

Rechtlicher Hinweis: Die oben aufgeführten Darstellungen und Informationen sind ohne wissenschaftliche Beweise.

Das Zitat gibt die Vortragsweise Martin Frischknechts gut wieder: Er hüpfte von einem Thema zum nächsten, verlor sich immer wieder in Metaphern und persönlichen Erzählungen und warf mit Statistiken und naturwissenschaftlichen Begrifflichkeiten um sich herum. Ein angeblich wissenschaftlicher Beweis für die Wirkungsweise des Medizingeräts folgte dem anderen, wobei er das Zustandekommen der Daten und die genauen Quellenangaben nicht oder nur am Rande erwähnte. Bei mir lösten viele der gezeigten Statistiken und Untersuchungsergebnisse Stirnrunzeln aus – anhand einer Studie mit lediglich sechs Proband:innen zu behaupten, ein Gerät wie die «Powertube» könne Malaria heilen, erfüllt bei weitem nicht die Regeln der Wissenschaft und kann dementsprechend auch nicht als repräsentative Datenlage bezeichnet werden.

Doch nicht nur gegen Malaria kann mit der Powertube vorgegangen werden – im von Frischknecht verfassten Buch «Von der Vision zur Realität. Ein Leben für die Frequenztherapie» sind auf 20 Seiten (!) alle möglichen Krankheiten und die dafür zu behandelnden Körperstellen aufgelistet. Auch aus dem Publikum meldeten sich Personen, die das Gerät bereits besitzen und eingesetzt haben: So erzählte eine junge Frau, sie habe damit die Blutvergiftung der eineinhalbjährigen Tochter sowie ein Virus während ihrer Schwangerschaft behandelt und eine weitere Teilnehmerin berichtete von der schnellen Besserung nach der Blinddarmoperation ihrer Tochter. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass die Powertube nach offiziellen Vorgaben nicht während einer Schwangerschaft verwendet werden darf, was Frischknecht jedoch mit einem Schwenker unter den Teppich kehrte und als unproblematisch einstufte.

Ziemlich am Anfang des Vortrags bat Herr Frischknecht einen Mann aus dem Publikum zu sich nach vorne. Um die stärkende Wirkung der «Powertube» vorzuzeigen, sollte dieser seinen Arm ausstrecken und sich im selben Augenblick abwechselnd den echten und dann wieder einen falschen Namen ausdenken. Frischknecht drückte den Arm wiederholt runter, wobei ihm dies eigenen Angaben nach nur dann gelingen konnte, wenn sich sein «Versuchskaninchen» auf den Falschnamen konzentrierte – wobei er bereits beim ersten Versuch falsch lag. Währen der gesamten Übung musste der Mann seinen Arm senkrecht nach oben ausgestreckt halten, was stark an den Hitlergruss erinnerte. Frischknecht meinte dazu, alle anwesenden Personen «wüssten ja, wie dies gemeint ist» und kam auf die Medien zu sprechen, die ihn immer wieder «fälschlicherweise als rechts einstuften». Er fügte hinzu, dass er durchaus als Rassist bezeichnet werden könne, da für ihn «alle Rassen gleich sind». Ich fragte mich, ob die Übung nicht auch mit einem waagrecht ausgestreckten Arm funktionieren würde und fühlte mich erschrocken darüber, dass niemand sonst von seinen Aussagen irritiert zu sein schien – im Gegenteil: wie ich aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte, zeigte jemand «aus Spass» den Hitlergruss und auch sonst hingen ihm die Leute förmlich an den Lippen.

Wo bleibt ihr Nobelpreis, Herr Frischknecht?

Martin Frischknecht scheint den Bezug zur Realität völlig verloren zu haben. Er selbst sieht sich als «den besten Physiker, Chemiker und Mathematiker» und wissenschaftlich belegte Fakten gleichzeitig als falsch an. Zwar versucht er, der «Powertube» mittels Studienergebnissen und Statistiken einen vernünftigen Anschein zu verpassen, die Beweise verlieren ihre Aussage mit einem zweiten, genaueren Blick jedoch gleich wieder. Könnte das Gerät wirklich das, was sein Erfinder behauptet, hätte dies weltweite Schlagzeilen ausgelöst. Doch in Frischknechts Augen steht der Nobelpreis nur deshalb (noch) nicht in seinem Schrank, weil ansonsten Ärzt:innen sowie Pharmakonzerne Riesenverluste einbüssen würden.

Ich sehe seine Frequenztherapie als hochproblematisch an, weil sie andere, schulmedizinische Behandlungen ausschliesst. Bei Krankheiten wie Krebs, Magersucht und Multiple Sklerose kann eine einseitige Therapierung mit einem solch alternativmedizinischen Gerät schnell tödlich enden.

Was die Urig-Bewegung betrifft, so müsste eine Aktivität ohne einen geladenen Gast besucht und ausführlichere Recherchen getätigt werden, um weitere Aussagen machen zu können. Doch genau Ersteres sagt bereits einiges über die Einstellungen der Lokalgruppe Ruswil aus – einen Herrn Frischknecht lädt man nicht ein, wenn man nicht hinter seinem Tun und Denken stehen könnte.

Ich war froh, als ich wieder zum Treffpunkt gefahren und aus dem Auto aussteigen konnte.

Asia Petrino, 28. Februar 2022

Links

https://www.relinfo.ch/lexikon/theosophie-und-esoterik/esoterik/urig-vereine/
http://www.relinfo.ch/lexikon/theosophie-und-esoterik/esoterik/martin-frischknecht-forst/
https://urig-ruswil.ch/
https://www.urig-altdorf.ch/kalender/
https://swisspowertube.ch/de/
https://www.alpenparlament.com/
https://www.alpenparlament.tv/