Traditioneller Sikhismus

Der Name Sikhismus ist ein westlicher Begriff, der hauptsächlich von den Briten im 19. Jahrhundert geprägt wurde. Die Anhänger dieser Religion nennen sich selbst Sikhi, was von dem Punjabi-Wort sikhna (lernen) kommt. Sikhi bezieht sich auf einen Weg des Lernens. Die gesamte Sikh-Gemeinschaft ist als Panth bekannt, was von dem Sanskrit-Wort pantha (Weg) abgeleitet ist. (Mandair, 2013: 3)

Die meisten Sikhs leben im indischen Bundesstaat Punjab. Obwohl sie in Indien immer noch eine Minderheit darstellen, sind die Sikhs in hohen Regierungs- und Wirtschaftspositionen vertreten. (Mandair, 2013: 2)

Der Sikhismus entstand im 15. Jahrhundert n.Chr. in der Punjab Region, im heutigen Indien und Pakistan. Gegründet würde die Religion von Guru Nanak (1469-1539), dem neun andere Gurus nachfolgten.

Die zehn Gurus

  1. Guru Nanak (1469-1539)
  2. Guru Angad Dev (1539-1552)
  3. Guru Amar Das (1552-1574)
  4. Guru Ram Das (1574-1581)
  5. Guru Arjan (1581-1606)
  6. Guru Hargobind (1606-1644)
  7. Guru Har Rai (1944-1661)
  8. Guru Hari Krishan (1661-1664)
  9. Guru Tegh Bahadur (1664-1675)
  10. Guru Gobind Singh (1675-1708)

Guru Nanak und die Anfänge des Sikhismus

Guru Nanak wurde 1469 in Punjab geboren und wuchs in der hinduistischen Tradition auf. Seine Familie gehörte zu einer der höheren Kasten in der indischen Gesellschaft, den Kshatriya.

Guru Nanak gehört zur Sant-Tradition in Nordindien und wurde als solcher von den Gedanken Kabirs beeinflusst. Guru Nanak gründete den heute grössten dieser Sant Panths und führte ihn von den Sant Ursprüngen weg. (Grewal, 2009) Als Guru Nanak noch ein Junge war hörte er eine göttliche Offenbarung und wollte sein Leben danach dem barmherzigen Gott widmen. Seine Vorstellung von einem einzigen transzendenten, nicht fassbaren Gott, stand im Gegensatz zu den vielen hinduistischen Gottheiten die in seiner Familie verehrt wurden. (Liesche, 2017) Schon früh lehnte sich Guru Nanak gegen das Kastensystem und die Ungerechtigkeiten auf. Seine Schwester Bibi Nanki soll die erste gewesen sein, die ihn als Guru verehrt hatte. Im Gründungsjahr des Sikhismus 1496 beginnt die eigentliche Lehre Guru Nanak`s. Enthüllt wurde ihm das Wort von der ewigen souveränen Realität «Akal Purkh». 1504 erbaute Guru Nanak den ersten Gurdwara (Gebetsstätte) in Kartarpur (Punjab), welches zum ersten Zentrum des Sikhismus wurde. (Rennhofer, 2021: 2-3)

Guru Nanak soll daraufhin weit gereist sein, angeblich sogar bis Mekka und Medina. Zusammen mit einem muslimischen Lautenspieler und einem hinduistischen Bauer soll er Gedichte und Hymnen verfasst haben. Guru Nanak versuchte die verfeindeten Hindus und Muslime in seiner Heimat miteinander zu versöhnen. Wie bereits zuvor der Islam, lehnte auch die junge Religion von Guru Nanak das indische Kastensystem ab, was ihr viele Anhänger bescherte. (Liesche, 2017)

Guru Angad Dev und die Heilige Schrift

Guru Nanak starb 1539 und Guru Angad Dev wurde zu seinem Nachfolger. Er setzte sich besonders für die Fixierung der Punjabi-Schrift Gurmukhi ein. Zudem sammelte er die Hymnen von Guru Nanak und ergänzte sie durch seine eigenen. Das war die Entstehung der Heiligen Schrift der Sikhs, des Gurū Granth Sāhib. Mit der eigenen Sprache und Schrift konnten sich die Sikhs auch gegenüber den Muslimen (Arabisch) und den Hindus (Sanskrit) abgrenzen. (Rennhofer, 2021: 5-6)

Guru Amar Das und das Martyrium des Guru Arjan

Unter dem dritten Guru Amar wurden Pilgerzentren eingerichtet, Feiertage und Rituale festgelegt und vieles institutionalisiert. Der Goldene Tempel in Amritsar wurde vom vierten Guru Ram Das erbaut. Dort ruht auch ein Exemplar des Heiligen Buches, des Gurū Granth Sāhib, welches unter dem fünften Guru Arjan vollendet wurde. Zu dieser Zeit distanzierte sich der Sikhismus zunehmend vom Hinduismus und vom Islam. Vermehrt konvertierten damals auch Muslime zum Sikhismus, was den Moghul-Kaiser Jehangir um seine Autorität bangen liess. Deshalb wurde Guru Arjan 1606 zu Tode gefoltert. Damit entstand das Ideal des Märtyrers im Sikhismus und die Transformation der jungen Religionsgemeinschaft in einen Kriegerbund.

Guru Hargobind, Guru Gobind Singh und der Kriegerbund

Der sechste Guru Hargobind rüstete die Sikhs mit Waffen aus. Diese Entwicklung hin von einer zuerst pazifistischen Religion zu einem stolzen Kriegerbund war erst mit dem zehnten Guru Gobind Singh abgeschlossen. Er führte neue Rituale und Eide ein, wie auch die fünf Symbole der Sikhs. (Liesche, 2017) Nach dem Tode des zehnten Gurus wurde das Gurū Granth Sāhib zum Guru erklärt.

Politische Unruhen im 19. und 20. Jahrhundert

Mit dem Heiligen Buch als neuen Guru im 18. Jahrhundert begannen auch die politischen Auseinandersetzungen im Sikhismus. Zuerst arbeiteten die Sikhs mit der britischen Kolonialmacht zusammen. (Liesche, 2017) Nach dem ersten Weltkrieg wurde 1920 das Shiromani Gurdwara Parbandhak Committee (SGPC) gegründet, das sich zu einer Art religiösem Parlament entwickelte. Seit 1925 ist es auch das offizielle Aufsichtsorgan für die Gurdwaras. In den 1940er und 50er Jahren erliess das Komitee verschiedene Richtlinien für eine einheitliche Sikh-Praxis. (Rennhofer, 2021: 4-5) In den nächsten Jahrzehnten folgten Sikh-Terrorismus und Unabhängigkeitsbewegungen, was 1984 zur Erstürmung des Goldenen Tempels in Amritsar führte. Daraufhin ermordeten zwei ihrer Sikhi Leibwächter die indische Premierministerin Indira Ghandi (1917-1984), was weitere Racheakte gegen die Sikhs nach sich zog (Liesche, 2017).

Im Sikhismus glauben die Menschen an einen einzigen Gott (Chilana, 2005: 109) und verehren zehn Gurus. Jeder von ihnen hat dazu beigetragen, den Weg des Sikhi und die Philosophie, genannt Gurmat, weiterzuentwickeln. Alle diese Gurus haben ihr Wissen in Form von Gedichten und Hymnen weitergegeben. Sie wurden in zwei Schlüsselschriften niedergeschrieben, dem Adi Granth und dem Dasam Granth. Das Adi Granth hat einen besonderen Status, der durch seinen Ehrentitel Gurū Granth Sāhib gekennzeichnet ist. Dieses Buch und sein Einfluss sind der Grund, warum der Sikhismus auch als «Religion des Buches» bezeichnet wird.  (Mandair, 2013: 3)

In der Vorstellung der Sikhs ist jeder Mensch ein Sikh, der an ein unsterbliches Wesen, die zehn Gurus und an den Gurū Granth Sāhib glaubt und den Lehren der Gurus und keiner anderen Religion folgt. (Baumann, 2019: 15)

Sangat, Pangat, Langar

Sangat ist die Gemeinschaft aller Gläubigen die sich zum Gebet im Gurdwara treffen. Dabei spielen Kasten, Herkunft, Hautfarbe, Alter oder Geschlecht keine Rolle. Die Menschen sitzen gleichberechtigt nebeneinander auf dem Boden (Pangat) um gemeinsam zu Essen. Damit dies funktionieren kann gibt jeder das was er kann, sei es Geld oder Arbeitskraft. (Rennhofer, 2021: 3)

Naam Japo, Kirat Karo, Wand Chakko
Naam Japo ist die Allgegenwärtigkeit Gottes. Die Menschen sollen sich vergegenwärtigen, dass Akal Purkh (Gott) immer da ist und sie ihm gedenken sollen. Ein Leben ohne Akal Purkh kann keinen Frieden bringen. (Rennhofer, 2021: 4)
Kirat Karo ist dabei ein weiteres Fundament des Glaubens, eine aufrechte Lebensführung und einen ehrlich erworbenen Verdienst. Askese ist im Gegensatz zum Hinduismus nicht erstrebenswert. Auch Reichtum wird nicht als Sünde gesehen solange er ehrlich erworben wurde. (Rennhofer, 2021: 4)

Wand Chakko bildet einen weiteren wichtigen Teil des Glaubens. Es geht darum, dass Reichtum nicht egoistisch gebraucht werden sollte. Sikhs sollen ihren Reichtum mit sozial schwächeren Menschen teilen und diese unterstützen. (Rennhofer, 2021: 4)

Das Ziel der Sikhs ist es eins mit Gott zu werden, was vollen Einsatz von jedem Gläubigen und die Gnade Gottes verlangt. (Gächter, 2010: 215)

Es gibt keinen bestimmten Heiligen Wochentag im Sikhismus. In der Diaspora, auch in der Schweiz, treffen sich Sikhs allerdings meist an Sonntagen im Gurdwara. Das hat eigentlich nur praktische und organisatorische Gründe. (Baumann, 2019: 83-84)

Symbole

Keshas: (ungeschorenes Haar und Bärte) Haare zu schneiden ist aus Respekt vor der Schöpfung verboten.
Kangha: (ein Kamm) Er ist ein Zeichen für Sauberkeit.
Kara: (ein Stahlarmband, dass um das rechte Handgelenk getragen wird) Dies ist ein Symbol für die unzerstörbare Verbindung zu Gott.
Kachahra: (ein Paar Shorts, die nicht über die Knie gehen) Diese Unterhose soll sexuelle Mässigung unterstützen.
Kirpan: (ein Schwert oder Dolch) Ein Symbol dafür die Unschuldigen und Schwachen zu verteidigen.

Viele männliche Sikhs tragen Turbane (Dastar), die als Kronen der Spiritualität verstanden werden und welche die langen Haare bedecken. (Gächter, 2010: 216) Frauen tragen meist eher ein Kopftuch (Dupatta) als einen Turban. (Baumann, 2019: 54) Das Schwert ist ein Symbol für die Verpflichtung zur Gerechtigkeit und sollte zur Selbstverteidigung verwendet werden, niemals um jemanden anzugreifen. (Chilana, 2005: 109)

Gebete

Der Tag eines Sikh beginnt mit einem Morgengebet, dem Mūl Mantra. Dabei wird ein Mantra zitiert und einige Hymnen gesungen. Am Abend wird dann erneut gebetet.  Vor und nach jeder wichtigen Tat oder Ritual wird ein kurzes Gebet gesprochen und bei Familienfeiern rezitiert jemand, meist ein älteres männliches Familienmitglied, das Vāhigurū. (Gächter, 2010: 215)

Gurdwara Sri Hari Mandir in Amritsar

Vorleser, genannt Granthi, führen tägliche Gebete in allen Tempeln aus, vor allem am Morgen und Abend. Jeder der einen Sikh Tempel betritt, muss seine Schuhe ausziehen und das Haupt bedecken. (Chilana, 2005: 109) Der Tempel hat bewusst vier Türen in den vier Himmelsrichtungen. Es soll die Gleichheit aller Menschen symbolisieren, alle vier Kasten sollen eintreten können. Ausserdem soll es Menschen aus allen Religionen gestattet sein, aus der von ihrer Religion verlangten Seite einzutreten. (Baumann, 2019: 14-15)

Nam Karan – Namensgebung

Einige Sikhs flüstern dem Neugeborenen das Mūl Mantra ins Ohr, das ist die erste religiöse Handlung zu Beginn eines Lebens. Sobald die Mutter nach der Geburt dazu im Stande ist, begibt sich die Familie zum Gurdwara, um Gott zu danken und dem Kind seinen Namen zu geben.  Zuerst beten Familie und Freunde für das Kind und bitten, dass Gott es beschützen möge. Danach wird das Gurū Granth Sāhib an einer zufälligen Stelle geöffnet. Der erste Buchstabe der ersten Hymne auf der offenen linken Seite legt fest mit welchem Buchstaben der Name des Kindes beginnen soll. Sikhs tun dies, weil das Kind seinen Namen durch das Wort des Guru und so auch von Gott erhalten soll. Vornamen werden bei den Sikh für Mädchen und Jungen gleich verwendet, das Geschlecht ist nur am Zweitnamen Singh (Löwe) für Männer und Kaur (Prinzessin) für Frauen erkennbar. Nach der Namensgebung applaudieren die Anwesenden und bringen dem Gurū Granth Sāhib ein Mahl (prasād) dar, das anschliessend unter den Anwesenden geteilt wird. Traditionell überreichen die Eltern dem Gurdwara ein rumala, vier teure Stoffe, in welches das Gurū Granth Sāhib gewickelt werden kann, wenn es nicht gelesen wird. (Gächter, 2010: 215-2016)

Amrit Sanskar– Taufe

Wenn Kinder alt genug sind, um die Lehren des Sikhismus zu verstehen, meist mit 14 Jahren, werden sie durch ein Ritual Teil der Gemeinschaft. Diese Initiation wird amrit sanskār genannt und geht auf den zehnten Guru zurück. Die Taufe wird meist frühmorgens nach dem Gebet durchgeführt. Da es im Sikhismus keine Priester gibt, braucht es fünf Männer aus der Gemeinde für das Ritual. Die Täuflinge müssen vor Beginn baden und sich die Haare waschen, keinerlei Schmuck umlegen und die fünf Symbole der Sikhs bei sich tragen. Einer der fünf Männer erklärt den Täuflingen den Sikhismus und fragt, ob sie dazu bereit sind, sich taufen zu lassen. Danach setzen sich die fünf Männer um eine Stahlwanne, gefüllt mit Wasser und Würfelzucker. Sie singen fünf Hymnen und rühren dann das Wasser nach dem Vorbild des zehnten Gurus mit einem zweischneidigen Schwert um. Danach erheben sich die fünf, halten die Wanne hoch und beten über dem Wasser der Unsterblichkeit, dass sie soeben bereitet haben. Jeder Täufling trinkt dann davon und reinigt sich so von allem Bösen. Sie rezitieren: «Vāhigurū jī kā khālsā!  Vāhigurū jī kī fateh!» (Khālsā gehört dem wundervollen Herrn! Der Sieg gehört dem wundervollen Herrn!). Danach werden die Augen der Täuflinge fünfmal mit dem amrit, dem Zuckerwasser, bespritzt und fünfmal mit dem Wasser übergossen. Die fünf Männer beten nun das Mūl Mantra und die frisch Getauften wiederholen es. Die Regeln der Sikh werden den jungen Männern und Frauen erklärt, sie müssen täglich beten, die fünf Symbole tragen und die vier Sünden vermeiden: Haare schneiden, Fleisch essen, welches nach muslimischen Regeln geschlachtet wurde (halāl), Ehebruch begehen und Tabak rauchen. Wer eine dieser Sünden begeht, muss dies eingestehen, um Vergebung bitten und im Anschluss neu getauft werden. Nach diesen Erklärungen folgen weitere Gebete und das Teilen eines Mahls (prasād).

Die Sikhs die sich diesem Ritual unterziehen sind Mitglieder der Khālsā, machen aber insgesamt nur etwa 15% aller Sikhs weltweit aus. Die meisten folgen zwar den Regeln, wurden aber nie offiziell aufgenommen. Sie werden Keshdhari genannt und gehören im weiteren Sinne auch zur Khālsā. Einige Sikhs glauben zwar, folgen den Regeln der Sikhs aber nicht, diese gehören nicht dazu und werden Sahajdhari genannt. (Gächter, 2010: 216-217)

Anand Sanskar – Verlobung und Hochzeit

Die Verlobung (kurmai) ist bei den Sikhs optional, wird aber doch immer wieder gefeiert. Normalerweise findet diese direkt am Hochzeitstag statt, kann aber auch früher gefeiert werden. Dazu geht das Paar mit seinen Familien in den Gurdwara oder zum Bräutigam nach Hause. Es werden Gebete gesprochen und Hymnen gesungen. Im Anschluss schenkt die Familie der Braut dem Bräutigam Früchte, Süssigkeiten, evtl. einen Ring, ein Stahlarmband (karā) und einen Dolch (kirpān). Die Braut erhält Süssigkeiten und Kleidung. Während der Feier schwenken Verwandte Geld über dem Kopf des Bräutigams, ein Symbol für Wohlstand. Dieses Geld wird später an die Armen gespendet. (Gächter, 2010: 217)

Die Hochzeit (anand kāraj) findet an einem Morgen im Gurdwara statt. Es kann auch im Haus der Braut stattfinden, solange ein Gurū Granth Sāhib da ist. Die Hochzeitsliturgie wurde 1909 festgelegt, beinhaltet aber Hymnen des vierten Guru Ram Das. Das Brautpaar sitzt bei der Zeremonie vor dem Heiligen Buch, die Familie um sie herum. Dem Brautpaar wird erklärt, was eine Sikh-Hochzeit bedeutet und welche Pflichten sie von nun an haben werden. Sie sollen ein Herz und eine Seele sein, sich lieben, verstehen und Kompromisse eingehen. Im Anschluss legt der Vater der Braut das eine Ende eines langen Schals auf die Schulter des Bräutigams und das andere Ende in die Hand seiner Tochter, um sie so symbolisch an den Bräutigam zu übergeben. Die Hochzeitsgäste singen einige Hymnen, während das Brautpaar im Uhrzeigersinn um das Gurū Granth Sāhib herumgeht und aus Ehrerbietung mit der Stirn den Boden berührt. Die Brautleute sprechen während der ganzen Zeremonie nicht miteinander und verbeugen sich stattdessen als Zeichen, dass sie einverstanden sind. Danach werden weitere Gebete gesprochen, Lieder gesungen und karāh prasād gegessen, heilige Süssigkeiten. Damit endet der religiöse Teil der Hochzeit. Je nach Ethnie und Region der Brautleute werden andere Traditionen noch miteinbezogen. (Gächter, 2010: 217-218)

Antam Sanskar – Tod und Bestattung

Die Sikhs glauben an eine Wiedergeburt und hoffen, nach dem Tod davon erlöst zu werden durch die Gnade Gottes, und mit ihm wieder eins zu sein. Nach dem Tod einer Person wird der Körper gewaschen und frisch eingekleidet, dabei dürfen die fünf Symbole der Sikhs nicht fehlen. Es werden einige Gebete gesprochen, bevor der Körper kremiert wird. Der Tote wird auf einen Scheiterhaufen gelegt und ein naher Verwandter entzündet ihn. Die Anwesenden singen Hymnen, und wenn der Scheiterhaufen in vollen Flammen steht, singen alle zusammen das Kīrtan Sohilā (Lied des Feierlichen Andenkens). Am Ende wird ein Bittgebet gesprochen und die übriggebliebenen Knochen und die Asche werden in einem Fluss verstreut oder in der Nähe der Kremation begraben. Je nach Region gibt es auch andere Formen der Bestattung, auch ohne Kremierung. Die Trauergemeinde geht dann im Anschluss nach Hause oder in den Gurdwara, um zu beten. Die Trauerphase der Familie endet, wenn das Gurū Granth Sāhib einmal ganz gelesen wurde, etwa am zehnten Trauertag. Es gibt keine Grabsteine oder Gedenktafeln. Am Jahrestag des Todes kommt die Familie jedoch oft zusammen im Gurdwara und bereiten ein langar zu, ein Essen zur Erinnerung an den Verstorbenen. (Gächter, 2010: 218-2019)

In den Heiligen Schriften sind Männer und Frauen immer gleichgestellt, haben dieselben Rechte und Pflichten und die gleichen Chancen auf Erlösung. Das ist jedoch ein Ideal, welches auch im Sikhismus bis heute nicht erreicht wurde. Die meisten Sikhs leben im patriarchischen System von Punjab und tragen diese Strukturen auch weiter. Der Mann wird ins Zentrum gestellt und ungeschriebene Gesetzte gebieten es Frauen, Rituale nur zuhause abzuhalten und alle öffentlichen Rituale den Männern zu überlassen. Krishan Kaur Khalsa war 1980 die erste Frau, die Kīrtan im goldenen Tempel in Amritsar durchführen durfte und das auch nur in einem Nebenraum. 2004 wurde dann mit Bibi Jagir Kaur die erste Frau zur Präsidentin des Shiromani Gurdwara Parbandhak Committee (SGPC) gewählt, der höchsten Instanz für Sikh-Institutionen.

Die Rituale im Sikhismus sind nur theoretisch unabhängig vom Geschlecht. In Realität werden sie für Männer meist viel grösser gefeiert als für Frauen. Männer geniessen fast überall Privilegien. (Gächter, 2010: 219-220) Frauen ist es bei vielen Ritualen nicht gestattet, aktiv teilzunehmen, sondern haben die Rolle von Zuschauerinnen. So ist es einer Tochter beispielsweise bei der Beerdigung ihrer Eltern nicht gestattet, das Feuer der Kremation zu entzünden. (Singh, 2000:65-66)

Wie im Hinduismus so ist es auch im Sikhismus besser für eine Frau, wenn sie vor ihrem Mann stirbt. Wenn sie zur Witwe wird, soll sie in Trauer leben, in Schwarz und Weiss gekleidet. Stirbt jedoch sie zuerst, wird sie wie eine Braut behandelt, die geduldig im Himmel auf ihren Mann wartet. (Singh, 2000: 63)

All diese Diskriminierungen für Frauen in den Sikh-Gesellschaften widersprechen den Lehren von Guru Nanak. Heute erkämpfen sich die Frauen langsam ihre Rechte zurück und berufen sich dabei auf den Ursprung der Sikhs. (Singh, 2000: 67)

Geschichte

Im Zweiten Weltkrieg kämpften einige Sikhs unter den Briten in Afrika und gerieten dort in deutsche Gefangenschaft. Als sich die Deutschen zurückzogen, wurden diese nach Frankreich verlegt und flohen zum Teil in die Schweiz. Dort landeten sie in einem Quarantänelager in Solothurn. In den 1960er Jahren lebten nur etwa 30 Sikhs in der Schweiz, die meisten davon arbeiteten bei der UNO. 1984 kamen dann einige Flüchtlinge nach der Operation Blue Star hinzu. Dabei kam es in Flüchtlingsunterkünften immer wieder zu Problemen, auch weil es Sikhs verboten ist, Fleisch zu essen, dass muslimisch geschlachtet wurde. (Baumann, 2019: 26)

Exemplare des Gurū Granth Sāhib gab es in der Schweiz schon ab 1970, eines in Winterthur und eines in Baden. Für Asylsuchende war die Religionsausübung jedoch schwierig und sie hatten keinen Zugriff auf das Heilige Buch. Eine grössere Gruppe von Sikhs lebte in den 1980er Jahren in Basel und so konnten sie 1988 einen eigenen Gurū Granth Sāhib erwerben. (Baumann, 2019: 26-27)

In Basel gab es ab 1988 an wechselnden Orten in Privatwohnhäusern kleinere Gurdwara. Ab 1991 bildeten Gurdwaras wechselnd in Bern, Muri und Utzingen. 1993 bis 2003 existierte ein ständiger Gurdwara in Roggwil (BE). Bereits ab 1993 gründeten die Sikhs in der Schweiz ihren ersten Verein, der sich jedoch 1999 aufspaltete. Ab 2001 wurde damit begonnen, eigene Gurdwaras zu bauen. (Baumann, 2019: 27-28)

Der erste neu gebaute Gurdwara konnte 2006 in Langenthal eröffnet werden und der zweite 2015 in Däniken. Es gibt noch weitere provisorische Gurdwara in Bassersdorf bei Zürich und einen in Genf. (Baumann, 2019: 27-30)

Konflikte

Turbane gibt es auch in anderen Religionen und Kulturen, so auch im Islam. Der Prophet Muhammad wird häufig mit einem Turban dargestellt, und so werden Sikhs immer wieder mit Muslimen verwechselt. Sikhs werden mitunter als Islamisten und Extremisten beschimpft und angepöbelt. Ausserdem gab es immer wieder Diskussionen über Ausweisbilder, da manche Institutionen von Sikh Männern verlangt hatten, ihre Turbane abzulegen.  (Baumann, 2019: 107)

Auch immer wieder problematisch ist es für Sikhs am Arbeitsplatz. In vielen Branchen ist es nicht erwünscht, einen Turban zu tragen, und so müssen sich Sikh Männer häufig zwischen Religion und Arbeit entscheiden. Viele Sikhs in der Schweiz schneiden sich daher die Haare und stutzen die Bärte, um gute Jobs zu bekommen. (Baumann, 2019: 107-108)

In der Schweiz müssen Sikh Männer beim Motorradfahren einen Helm tragen, trotz Turban. Dies hat das Bundesgericht entschieden, da die Haare nicht zu entblössen braucht, wer den Helm nicht in der Öffentlichkeit an und ablegen muss. (Baumann, 2019: 108-109)

Bei Polizei- und Flughafenkontrollen kommt es auch immer wieder zu Problemen, wenn Sikhs gebeten werden, ihre Turbane abzulegen. Sie sind für die Sikhs nicht einfach ein Kleidungsstück das man ablegen kann wann man will, es ist eine Demütigung. Auch der Ritualdolch (Kirpan) wird immer wieder zum Problem bei Polizeikontrollen. Aus Sicherheitsgründen tragen die meisten Sikhs den Dolch verdeckt unter der Kleidung, trotzdem werden sie ab und zu verhaftet mit dem Vorwurf verdeckte Waffen mit sich zu führen. (Baumann, 2019: 109.110)

Ein weiteres Problem der Sikhs in der Schweiz ist, dass sie nicht sehr bekannt sind. Sie werden öfters mit Islamisten verwechselt oder für Hindus gehalten. Sie gelten in der Schweiz meist nicht offiziell als eigenständige Religion, sondern werden unter «andere Religionen» eingeordnet. (Baumann, 2019: 113)

Die Sikhs in der Schweiz leben sehr individuell und sind sich untereinander uneinig. In den 1980er Jahren haben die verschiedenen Gruppen sich zerstritten und halten noch heute an dieser Trennung fest. Deshalb ist es schwierig, sich geschlossen zu formieren. (Baumann, 2019: 114)

In der Schweiz gibt es nicht viele Granthis und diese werden immer älter. Die allermeisten Sikhs aus der zweiten Generation können die Schrift Gurmukhi nicht mehr lesen und beherrschen auch die Kunst des Vorlesens nicht. Folglich wird es für die Sikhs in der Schweiz immer schwieriger, alle ihre Rituale durchzuführen. (Baumann, 2019: 114)

weltweit ca. 27 Millionen

Schweiz: ca. 500-1’000

Baumann, 2019: Baumann, Christoph Peter (2019): Sikh-Religion in der Schweiz, INFOREL, Basel.

Chilana, 2005: Chilana, Rajwant Singh (2005): Sikhism: Building a Basic Collection on Sikh Religion and Culture. Reference & User Services Quarterly, vol. 45, no. 2, American Library Association, S. 108–16.

Gächter, 2010: Gächter, Othmar (2010): Sikhism: An Indian Religion in Addition to Hinduism and Islam, Anthropos 105, no. 1, S. 213–22.

Grewal, 2009: Grewal, J.S. (2009): The Sikhs. Ideology, Institutions, and Identity, Oxford University Press, New Delhi.

Mandair, 2013: Mandair, Arvind-Pal Singh (2013): Sikhism. A Guide for the Perplexed, Bloomsburry Academic, London.

Liesche , 2017: Liesche, Sabine (2017): Vom Ursprung des Sikhismus bis zum Traum von Khalistan, REMID Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V., (https://www.remid.de/blog/2017/03/vom-ursprung-des-sikhismus-bis-zum-traum-von-khalistan/, zugegriffen am 23.03.2022).

Rennhofer, 2021: Rennhofer, Martina (2021): Frauen im Sikhismus. Rolle, Status und gegenwärtiges Selbstverständnis, in, Bechmann, Ulrike / Reiss, Wolfram (Hg.): Anwendungsorientierte Religionswissenschaft. Beiträge zu gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen, Band 13, S.1-60.

Singh, 2000: Singh, Nikky-Guninder Kaur (2000): Why Did I Not Light the Fire? The Refeminization of Ritual in Sikhism, in: Journal of Feminist Studies in Religion 16, no. 1, S. 63–85.

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