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  NAK Neuapostolische Kirche
  Uebersicht
  Besuch in einem neuapostolischen Gottesdienst
Nicht fröhlich anteilnehmende Stimmen, nicht einladend begrüssende Gemeindeglieder empfangen den eintretenden Abendgottesdienstbesucher (wie dies in Freikirchen sonst meistens der Fall ist); eine fast leere Empfangshalle und unendliche Ruhe breiten sich vor ihm aus. Wortlos stehen beim Eingang zwei in Anzüge gekleidete Herren. Nur mit gedämpfter Stimme grüssend überreichen sie den Eintreffenden ein Singbuch. In der geräumigen, schlicht möblierten Kirche haben sich bereits über 100 Leute eingefunden. Sie sitzen alle wohlgekleidet, Männer in Anzug und Krawatte, Frauen in Bluse und Jupe, stumm auf den kargbepolsterten Holzbänken.
Ein abrupter Beginn
Der Gottesdienst beginnt mit dem raschen Einzug von fünf Männern, auf deren Eintreten hin die Gemeindeglieder sich umgehend erheben. Während sich vier der fünf Männer seitlich vom Altar setzen, geht der fünfte auf den Altar zu und begrüsst die Gemeindeglieder. In einem langen einleitenden Gebet dankt er zuerst dafür, dass viele sich hier in der Kirche einfinden durften, um Gottes Wort direkt zu vernehmen, bittet Gott um Geleit für all jene, die nicht die Möglichkeit hatten, sich einzufinden, und leistet schliesslich Fürbitte für solche, die sich von der Gemeinschaft entfernt hatten. Das Gebet wird mit einem klaren, unmissverständlich das Gesagte unterstützenden "Amen" durch die gesamte Gemeinde geschlossen, worauf sich alle wieder anweisungslos setzen. Nach einer kurzen Überleitung wird ein Lied gesungen, zu welchem sich alle wieder offenbar gewohnheitsmässig erheben.
Eine ernste Predigt
Der "von Gott für diesen Abend vorgesehene Predigttext" wird von einem der vier neben dem Altar sitzenden Männer gelesen. Es handelt sich dabei um einen Text über Versuchungen. Der Priester erklärt dazu, dass die Versuchungen in der momentan herrschenden "Endzeit" noch schlimmer seien als je zuvor und man deshalb wie noch nie auf der Hut sein müsse. Er wolle nun vor allem eine Versuchung herausgreifen, von der er wisse, dass sie unter den Gemeindegliedern besonders verbreitet sei. Viele haben Mühe damit, dass sie immer wieder Fehler machen und einfach nicht perfekt werden können. Dies veranlasse sie dann dazu, aufgeben zu wollen. Man habe das Gefühl, das Angestrebte ja sowieso nie erreichen zu können, warum dann noch weiter daran arbeiten? Das Aufgeben-Wollen sei aber genau eine dieser schlimmen Versuchungen; es gilt, sich ihr entgegenzustellen, ihr standzuhalten und sich nicht entmutigen zu lassen. Auch auf das Ende der Predigt folgt jenes unmissverständlich unterstützende einhellige "Amen".
Das Wichtigste noch einmal
Sofort erhebt sich ein Herr, stellt sich in der Mitte der Kirche auf ein portables Podest und bewegt mit einem Handzeichen etwa einen Drittel der Gemeindeglieder dazu, aufzustehen und sich ihm zuzuwenden. Nun zum Chor formiert, singen sie ein Lied. Nachdem sie sich wieder gesetzt haben, fordert der Prediger einen der vier vorne Sitzenden auf, sich zum Rednerpult zu begeben und den Teilnehmenden sein "Herz zu eröffnen". In einer kurzen Nachpredigt fasst jener noch einmal zusammen, was er aus der vorangegangenen Predigt in erster Linie mit in die Woche hineinnehmen wird, und rundet seine Ausführungen ab mit Gedanken aus der letzten Predigt und Worten aus kürzlich gesungenen Liedern, die ihn bewegt haben. Auch diese Worte werden mit einem heftigen "Amen" quittiert.
Am Ende wie am Anfang
Zum Schluss folgt eine Abendmahlsfeier im katholischen Rahmen und dann ein Schlussgebet, in welchem darum gebittet wird, dass sich die Gemeindeglieder des Gesagten auch in der kommenden Woche noch erinnern werden, kranke Gemeindeglieder wieder gesund werden und solche, denen Arbeitslosigkeit droht,. bewahrt, und schon arbeitslos gewordene wieder angestellt werden dürfen. Gemeinsam wird schliesslich das "Vater unser" gesprochen, wobei jedes Wort, jede Betonung und jede Pause mit verblüffender Genauigkeit gleich artikuliert werden. Nach den Wünschen um eine gute Woche verschwinden die meisten Gemeindeglieder so wortlos, wie sie hereingekommen sind.
Schlussbemerkung
Die enorme Organisation des Gottesdienstes beeindruckt. Sie regelt alles, vom Aufstehen und Absitzen über das Einverständnis mit dem Gesagten im gemeinsamen "Amen" bis hin zu den persönlichen Gedanken zur Predigt, die einer stellvertretend für alle äussert. Sicherlich vermag sie damit unumstössliche Geborgenheit zu vermitteln, doch das individuelle Sich-ansprechen-Lassen und weiterbringende In-Frage-Stellen verunmöglicht sie gänzlich. Beeindruckend ist auch die den beiden Predigten zu entnehmende Ernsthaftigkeit in der Nachfolge Jesu. Leider scheint dabei aber die Freude an einem Leben mit Jesus durch den Ernst der Lage - die momentan herrschende Endzeit - gänzlich in den Hintergrund gedrängt zu werden. Man wird das Gefühl nicht los, dass Glauben nur noch mit Erfüllen und traurigerweise nichts mehr mit Erfüllung zu tun zu haben scheint.
Alain Bertallo, 1995
Letzte Aenderung 1995, © ab 1995, Infostelle 2000
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