«Religion ist wichtiger als Liebe» – Besuche bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Frankfurt und Gießen

Ein Sonntag voller Nächstenliebe

Es war ein sonniger Sonntagmorgen und so ging ich zu Fuss zur Ahmadiyya Mosche in Gießen. Unterwegs entdeckte ich eine evangelische Freikirche, die wohl recht beliebt war, denn viele Menschen strömten hinein. Vor dem Tor kniete ein älterer Mann und bettelte um etwas Geld. All die FreikirchlerInnen zogen an ihm vorbei und blickten auf ihn herunter. Keiner half ihm oder gab ihm etwas, von wegen «Nächstenliebe». Aber diese interessante Beobachtung nur am Rande, denn in diesem Erfahrungsbericht geht es um ein Gespräch mit einem Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Frankfurt und dem Besuch der Ahmadiyya Moschee in Gießen, die zufällig einen Tag der offenen Tür veranstalteten.

Treffen mit dem Imam in Frankfurt

Klein aber renovierungsbedürftig
Die Nuur Moschee der Ahmadiyya Gemeinde in Frankfurt hatte ich mir etwas grösser vorgestellt. Mitten in einem Wohnquartier wurde sie von den meisten Einfamilienhäusern an Grösse leicht übertroffen. Begrüsst wurde ich sehr freundlich vom Imam der Gemeinde. Er war relativ jung, so um die 30, und bot mir auch gleich Getränke und Snacks an. Allem voran Datteln, denn der Ramadan war gerade erst zu Ende gegangen. Das Büro indem ich mich befand war schlicht und schon seit einiger Zeit nicht mehr renoviert worden. Das würden sie allerdings gerade in Angriff nehmen erklärte der Imam mir. Hinter seinem Schreibtisch standen Bücherregale voll von Übersetzungen des Korans in verschiedenen Sprachen, ausschliesslich Übersetzungen der Ahmadiyya, Bücher mit Hadithen und die Schriften von Mirza Ghulam Ahmad, dem Gründer und Messias der Ahmadiyya Bewegung. Der Imam setze sich hinter seinen Schreibtisch, von mir getrennt durch eine Plexiglaswand und so begann unser Gespräch.

Der Messias und die letzte Offenbarung Gottes
Der Imam erzählt mir von der Ahmadiyya und wie sie in Pakistan seit ihrer Gründung verfolgt und getötet werden. Der Grund dafür sei, dass alle anderen Muslime, die Ahmadiyya nicht als Muslime anerkennen würden. Die Ahmadiyya glaubt, dass Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908) geboren in Indien, der im Koran verheissene Messias sei. Die anderen Muslime würden ihn als Lügner bezeichnen und nicht anerkennen. Der Prophet Muhammad hatte den Messias im Koran prophezeit, er würde dann kommen wenn der Islam nur noch ein Wort und die Menschen keine richtigen Muslime mehr sein würden. Diese Zeit sei bereits gekommen und  Mirza Ghulam Ahmad sei dieser Messias. Denn er brachte die letzte Offenbarung Gottes und somit auch den Glauben zurück in die Welt.

Jesus in Indien
Der Imam erklärte mir, dass die Christen und auch die Muslime eine falsche Vorstellung von Jesus hätten. Dieser sei nämliche nur ein Prophet gewesen und starb keineswegs am Kreuz. In Wahrheit sei er am Kreuz nur ohnmächtig geworden, seine Jünger hätten ihn heruntergenommen und dann gesund gepflegt. Danach sei er, das würden mehrere Quellen beweisen, nach Indien gegangen und dort auch gestorben und begraben.

Religion ist wichtiger als Liebe
Die meisten Muslime seien vom wahren Glauben abgefallen und würden den Islam nur noch nach Aussen hin praktizieren. Sie würden die Gebetsbewegungen machen aber nicht mit dem Herz bei der Sache sein. Viele Muslime sind laut dem Imam also keine richtigen Muslime mehr, aber sie sind nicht die einzigen die vom Glauben abgefallen sind. Der Imam erklärte mir nämlich auch warum ein Ahmadiyya Muslim keine Ehe mit einem anderen Muslim oder einem Christen eingehen sollte. Dass die Ehe mit einem/einer SunnitIn oder SchiitIn nicht funktioniert liegt an deren Verleugnung des Messias und somit der Grundsätze der Ahmadiyya. Laut dem Koran ist es Muslimen eigentlich erlaubt eine Christin zu heiraten, dass sei aber laut dem Imam nicht in Ordnung. Begründung ist, dass die Christen heutzutage keine richtigen Christen mehr seien. Christen und andere Muslime hätten ihre Religion und ihre Heiligen Bücher über die Jahrhunderte verändert und verfälscht, so sei deren Kern verloren gegangen. «Religion ist wichtiger als Liebe», damit erklärte der Imam, dass ein Ahmadiyya Muslim nicht mit jemandem ausserhalb der Ahmadiyya in einer Ehe glücklich werden könnte.

Quantität statt Qualität
Die Ahmadiyya sieht es als ihre Aufgabe den Islam zu verbreiten und zu erklären. Der Imam erzählte, dass sie viel Jugend- und Sozialarbeit leisten und versuchen Menschen für ihren Glauben zu begeistern. Die Ahmadiyya baut sehr viele Moscheen überall auf der Welt und so auch in Deutschland. Diese sind meist sehr schlicht und oft schmucklos gebaut. Das sei Absicht, so der Imam, weil der Zweck der Moschee viel wichtiger sei als die Gestaltung.

Einheit unter dem Kalifen
An der Spitze der Ahmadiyya Gemeinde steht ein Kalif. Dieser wird von Gott geleitet und so gilt was er sagt. Jeder Muslim kann dem Kalifen einen Brief schreiben oder ihn um Rat fragen. Am Ende gibt es aber nur eine gültige Meinung. Der Imam erklärte, egal wo auf der Welt ich in eine Ahmadiyya Moschee gehen würde, alle Imame würden mir die selben Antworten geben. Ich fragte ob es nur eine einzige Art gäbe den Koran zu übersetzen und zu lesen oder ob sie verschiedene Übersetzungen zu Rate ziehen würden. Er sagte, dass sie ausschliesslich ihre eigene Übersetzung des Korans verwenden würden.

Offen für alle
Die Moscheen der Ahmadiyya seien immer offen für alle Menschen. Der Imam sagte mir, dass es gut sein könne, dass ich als Nicht-Muslima bei anderen Moscheen nicht willkommen sei. Die Ahmadiyya sei eben keine politische Gemeinschaft, sondern eine rein religiöse. So würden sie ausschliesslich durch Spenden finanziert werden unabhängig von irgendwelchen Staaten. Dabei verwies er auf die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion), die von der Türkei mitfinanziert wird. Der Imam betonte besonders, dass es mit der Ahmadiyya noch nie irgendwelche Probleme gab, auch keinen Extremismus oder Gewalt. Die Frauen seien in ihrer Gemeinde auch viel selbstständiger als in allen anderen muslimischen Gemeinden. Sie hätten ihre eigene Organisation die nur dem Kalifen selbst unterstellt sei. Diese Freiheiten für Frauen gäbe es nur bei der Ahmadiyya.

Das Nachmittagsgebet
Wahrscheinlich hätte unser Gespräch noch viel länger dauern können, doch dann war es Zeit für das Nachmittagsgebet. Der Imam sagte mir ich könne gerne zuschauen und ich war etwas irritiert als er mir sagte, ich müsse in der Moschee kein Kopftuch tragen. Ich tat es aber trotzdem, einfach weil es mir respektvoller vorkam. Viele Menschen waren nicht in der Moschee, nur drei ältere Männer. Der Raum war karg und sehr klein. Die Wände waren weiss, komplett schmucklos und an einer Wand befand sich ein Milchglasfenster. Nicht gerade eine besinnliche Atmosphäre. Der Boden war mit Teppich ausgelegt, doch jeder der betenden hatte zusätzlich seinen eigenen Teppich dabei. Das Gebet wurde still verrichtet, also konnte ich nur zusehen wie die Bewegungen des Gebetes ausgeführt wurden.

Vier Mal beten reicht
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m Anschluss erklärte mir der Imam, dass die Bewegungen das Gebet intensivieren sollen. Er erklärte mir auch, dass jetzt im Sommer das Nachtgebet sehr spät gebetet wird, deshalb würden sie die Gebete 4 und 5 zusammennehmen, so dass es nicht zu spät würde. Dann wollte ich aber doch noch wissen, wo denn die Frauen beten können, denn der Raum der Moschee war doch sehr klein. In einem anderen Gebäude gäbe es einen Raum nur für Frauen, quasi eine Frauenmoschee, erklärte der Imam. Mit moderner Technik würde dann der Imam auch dort übertragen. Doch jetzt während Corona brauchten die Männer mehr Platz, also würden die Frauen momentan Zuhause beten. Natürlich würden diese freiwillig verzichten.

Der Abschied kam und der Imam gab mir viele verschiedene Bücher der Ahmadiyya mit, darunter eine Ahmadiyya Koran Übersetzung und auch «Jesus in Indien».

Tag der offenen Tür in Gießen

Bin ich hier richtig?
Als ich bei der Bait-us-Samad Moschee in Gießen ankam, war ich zuerst etwas verwirrt, denn ausser mir sah ich keine anderen Menschen oder irgendein Plakat, dass den Tag der offenen Tür bewarb.  Ich ging einmal um die relativ neu aussehende Moschee herum und traf dann auf einen der Mitglieder, der mich gleich zu den Frauen schickte. Es gab eine strickte Geschlechtertrennung am Besuchstag, die Männer waren im Erdgeschoss und die Frauen im ersten Stock der Moschee.

Der Ahmadiyya Islam
Ich wurde herzlich begrüsst, ausser mir war auch keine andere Besucherin da. Ich wurde in den Hauptgebetsraum der Moschee geführt, der modern und schlicht eingerichtet war. An den Wänden hatten sie mehrere Banner aufgebaut, die Auskunft über die fünf Säulen des Islams, den Messias der Ahmadiyya und über die Kalifen gaben. Die Frauen waren sehr offen und erklärten mir die fünf Säulen des Islams und sprachen über ihren Messias. Sie sagten einiges, dass ich schon vom Imam gehört hatte, wie der Messias gekommen sei und den wahren Glauben zurückgebracht hatte.

Konservativ und doch frei
Ein Umstand der mich bereits in Frankfurt irritierte war, dass ich auch diesmal in der Moschee kein Kopftuch tragen sollte. Die Frauen mit denen ich sprach trugen nämlich alle Kopftuch, waren hoch gebildet, hatten jedoch allesamt auch sehr konservative Einstellungen. Die Frauen führten mich dann in ein kleineres Nebenzimmer, wo ein paar Stühle und kleine Snacks bereitstanden. Nun sprachen die Frauen sehr offen zu mir. Eine Beziehung vor der Ehe zum Beispiel wäre undenkbar für sie gewesen, auch jemanden ausserhalb der Ahmadiyya zu heiraten wäre nicht möglich. Eine der Frauen sagte, ihr Mann sei ein Deutscher, der jedoch konvertiert sei. Anders wäre es auch gar nicht möglich gewesen. Sie betonten auch wieder, wie viele Rechte die Frauen in der Ahmadiyya hätten, wie sonst in keiner anderen Religion.

Als ich wieder ging hatten sich doch einige Eindrücke bestätigt, die ich bereits in Frankfurt gesammelt hatte, andere waren jedoch nochmals relativiert worden.

Meine Beobachtungen

Unbedeckt in der Moschee
Die beiden Besuche bei der Ahmadiyya waren sehr interessant und ich habe viele offene Menschen kennengelernt, die ihren Glauben lieben und auch bereit sind darüber zu diskutieren. Zuerst war ich sehr verwundert darüber, dass ich in der Moschee kein Kopftuch tragen sollte. Wenn ich eine Kirche betrete trage ich ja auch keinen Minirock und ein Mann sollte auch seine Mütze abnehmen. Genauso wird von mir in einer Moschee normalerweise erwartet, dass ich meine Haare bedecke. Es ist eine frage des Respektes in einem Gotteshauses. In keiner anderen Moschee in der ich bereits war, wurde mir jemals gesagt ich müsse keines tragen. Um so seltsamer erschien es mir das von einem Imam zu hören, aber auch von Kopftuchtragenden Frauen. Vielleicht will die Ahmadiyya dadurch offener auftreten als andere Muslimische Gemeinden, doch das ist jetzt nur Spekulation.

Fünf Mal beten ist zu umständlich
Ein weiterer Punkt der mich irritiert hat war, dass die Ahmadiyya offensichtlich zwei der fünf täglichen Gebete zusammennehmen. Der Grund dafür, welcher mir der Imam nannte, ist Bequemlichkeit. Schiiten legen einige Gebete zusammen, das war mir auch bekannt. Die Ahmadiyya versteht sich aber als sunnitisch und dort ist es keinesfalls erlaubt nur aus Bequemlichkeit  zwei Gebete zusammenzulegen. Warum die Ahmadiyya das trotzdem tut, kann ich nicht genau sagen. Wieder wäre meine naheliegendste Erklärung, dass sie attraktiv, offen und flexible wirken wollen. Was jedoch nicht ganz dazu passt, dass sie ja den Glauben zurückbringen wollen von dem die anderen Muslime abgefallen seien.

Geschlechterrollen
Der Imam erklärte mir auch, dass die Frauen in der Pandemie freiwillig darauf verzichtet hätten in der Moschee zu beten, damit die Männer mehr Platz hätten, also 2 Jahre lang. Das kam mir doch sehr seltsam vor und so machte ich auch darüber Nachforschungen. Ja es stimmt, dass Frauen im Islam nicht dazu verpflichtet sind in der Moschee zu beten, Männer schon. Trotzdem muss es den Frauen möglich sein auch in einer Moschee beten zu können. Es ist schon sehr patriarchalisch die Frauen aus der Moschee zu verdrängen. Dazu kommt noch diese strenge Geschlechterteilung am Besuchstag, an dem ich übrigens keinerlei Möglichkeiten hatte mich mit Männern zu unterhalten. All diese Erlebnisse haben doch ein sehr konservativ patriarchales Bild vermittelt, auch wenn der Imam und auch die Frauen immer wieder zu betonen versuchten, dass die Frauen in der Ahmadiyya mehr Rechte und Freiheiten haben würden als in jeder anderen Religionsgemeinschaft der Welt.

Jasmin Schneider, Mai 2022

Lexikoneintrag zur Ahmadiyya Muslim Jamaat