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Charismatik in der Landeskirche Teil II
aus: Informationsblatt Nr.3+4/1996

Neben dem charismatischen Heilungsdienst (Infoblatt 2/96) erfreut sich auch der Befreiungsdienst, der charismatische Exorzismus, in landeskirchlichen Kreisen zunehmender Beliebtheit. In diesem Sinne tätige Pfarrer berichten davon, dass sie einerseits mit einer zunehmenden Zahl von Ratsuchenden konfrontiert werden, die sich selbst als besessen wahrnehmen. Andererseits stelle die Uebernahme charismatischer Positionen und Praktiken eine Belebung in ihrem Dienst dar. Es ist so kein Wunder, dass der Fragenkreis um Exorzismus und Dämonologie, der Lehre über die Dämonen, allenthalben diskutiert wird. Der folgende Text versteht sich als Beitrag zu dieser Diskussion.

Inhalt
Dämonen und Besessenheit: Die verschiedenen Positionen
1. Das aufgeklärte Christentum rechnet nicht mit der Existenz von Dämonen und der Möglichkeit der Besessenheit. In den neutestamentlichen Berichten, die eine solche darstellen, sieht es eine psychopathologische Symptomatik, die in neutestamentlicher Zeit dem Z eitgeist entsprechend als Wirkung böser Geister gedeutet und entsprechend behandelt wurde, heute aber mit psychiatrischen Methoden sachgerechter angegangen werden kann.

Argumentatorisch kann das aufgeklärte Christentum darauf verweisen, dass der Glaube an Dämonen und Besessenheit in der Zeit des Neuen Testamentes ein allgemeiner und kaum bestrittener war, dass Jesus stets vom jeweiligen Weltbild seiner Zeit ausging (er hat sich nirgendwo als wissenschaftlicher Aufklärer betätigt) und dass die Thematik der Besessenheit im Alten Testament praktisch fehlt, was ihre Zeitgebundenheit deutlich dokumentiert.

 

2. Die traditionelle katholische Theologie kennt den Exorzismus und ordnet ihm zwei strikt eingeschränkte Funktionen zu. Als Taufexorzismus dient er der Absage des Christ-Werdenden an den Satan, aus dessen Herrschaftsbereich jener nun austritt. Andererseits kommt der Exorzismus zum Einsatz bei ganz seltenen, medizinisch und psychologisch nicht mehr klärbaren Fällen, die bestimmte Kriterien der Wirksamkeit von Dämonen erfüllen, z.B. das Auftreten paranormaler Phänomene wie das Sprechen in nie erlernten Sprachen oder das Vorkommen übernatürlicher Körperkräfte. Der eigentliche Exorzismus darf nur von bestimmten Priestern ausgeübt werden, die dazu noch für jeden Einzefall vom zuständigen Bischof ermächtigt sein müssen. Die so geübten Exorzismen entwickeln sich oft zu langwierigen, sich manchmal über Jahre hinziehenden "Kämpfen" mit einer wechselnden Zahl von Dämonen verschiedenster Identität.

Die Einschränkungen des katholischen Exorzismus betonen den Ausnahmecharakter, der der Besessenheit in katholischer Sicht zukommt: Sie ist sehr selten.

 

3. Die pietistische Auffassung des Exorzismus und der Besessenheit ist von der katholischen Vorstellung wesentlich geprägt, zu zeigen etwa an der berühmten durch Johann Christoph Blumhardt an Gottliebin Dittus geübten Dämonenaustreibung (vgl. Münch s. 16f.).

Im Fall Dittus, der von reichlich paranormalen Phänomenen (z.B. Spukerscheinungen wie Klopfen u.ä.) begleitet wird, tritt Blumhardt nur sehr zögerlich in Aktion. Er muss vom zuständigen Arzt zum Exorzismus förmlich herausgefordert werden, worauf sich der "Kampf" um Gottliebin Dittus dann über zwei Jahre hinzieht.

Wie für die katholische Lehre ist für den Pietismus Besessenheit möglich und durch Exorzismus zu bekämpfen, aber eine seltene Ausnahme.

 

4. Für die Reformatoren Zwingli und Calvin ist ein Befreiungsdienst kein Thema. Sie halten dafür, dass die Bibel nirgendwo davon spricht, dass Christen besessen sein können. Alle im Neuen Testament erwähnten Fälle von Besessenheit beziehen sich auf Nichtchristen.

Wohl die Mehrheit heutiger Protestanten, die mit der Existenz von Dämonen rechnet, schliesst sich dieser Auffassung an (vgl. etwa Nitsche/Peters). Mit Besessenheit ist zu rechnen auf dem Missionsfeld, keinesfalls unter Christen. Das Erfülltsein des Christen mit dem Heiligen Geist schliesst, so die Annahme, die gleichzeitige Gegenwart eines Dämons aus. Ein Befreiungsdienst unter Christen ist damit gegenstandslos, es fehlt dafür auch jeder biblische Auftrag.

Viele Vertreter dieser Auffassung schliessen aber nicht aus, dass ein Christ, obwohl nicht besessen, so doch von Dämonen belästigt sein kann. Der Fachbegriff für diese Vorstellung lautet denn auch: dämonische Belastung. Diese dämonische Belastung ist aber nicht mit einem Exorzismus zu bekämpfen, sondern mit der Behebung der Ursache, die zu einer solchen führte (durch das Vernichten okkulter Artikel oder das Bekennen von Sünden).

Die genannte Position hat biblisch gesehen, will man mit der Existenz von Dämonen rechnen, wohl den besseren argumentatorischen Stand als die charismatische Vorstellung zum Thema. Dieser Sachverhalt ist für letztere auch ein grosses, mittlerweise hunderte gedruckter Seiten füllendes Problem.

 

5. Für die charismatische Vorstellung zum Themenkreis Exorzismus und Besessenheit ist es nicht fraglich, dass auch Christinnen und Christen von Dämonen besessen sein können. Argumentatorisch wird hierbei, da das Neue Testament solches nicht vorsieht, auf die sogenannte "christliche Erfahrung" abgestützt, die faktische zweite Offenbarungsquelle der charismatischen Theologie, die davon ausgeht, dass alle Lehren, die sich einerseits in der Praxis bewähren und andererseits der Bibel nicht widersprechen, als christlich gelten können. Nach Ansicht der charismatischen Befreiungsdienst-Experten sind in der Frage der möglichen Besessenheit von Christen beide Bedingungen gegeben. Ihre Gegner bestreiten beides (und das Konzept der "christlichen Erfahrung" als quasi zweiter Offenbarungsquelle grundsätzlich).

Besessenheit in charismatischer Sicht: Diagnose
Betrachtet man die Listen mit Symptomen der Besessenheit, die charismatische Autoren zur Diagnose verwenden, fällt ein weiterer gravierender Unterschied etwa zur katholischen Vorstellung von Besessenheit auf. Während die traditionelle katholische Theologie gerade durch die geforderte Symptomatik das Phänomen Besessenheit sehr restriktiv diagnostiziert, es werden hier ja paranormale Phänomene gefordert, sind die charismatischen Experten im Gegensatz dazu in der Zuschreibung einer Besessenheit oder Dämonisierung äusserst grosszügig.

Genannt werden an Anzeichen einer Besessenheit etwa: (folgende Zusammenstellung nach: Edwards, s. 15; Kraft, s. 119ff.; Prince, s. 28ff.; Wimber, s.124)

a) Abhängigkeiten, etwa von Alkohol, aber auch Esssucht,

b) Zwanghaftes sexuelles Fehlverhalten: Masturbation, Ehebruch/Unzucht, Homosexualität

c) Zwanghaftes sonstiges Fehlverhalten, z.B. Lügen

d) Negative Gefühle wie Zorn, Angst und Depression

e) okkulte Betätigung

f) Organische Krankheiten, die im Heilungsdienst sich nicht erfolgreich behandeln lassen

(a-f nach allen vier Listen, zuzüglich werden in einzelnen Listen genannt:)

g) Fremde Religionen/Glaubensformen (nach Edwards, Kraft und Prince). Derek Prince: "Es gibt keine falsche Religion, die nicht einen Dämon hätte".

h) Negative Einstellungen dem charismatischen Glauben gegenüber:

Zweifel (nach Edwards, Kraft und Prince), Unglaube (nach Kraft und Prince), Kritik (nach Edwards und Kraft), Rationalisierung = der Wunsch, Glaubenssätze auch intellektuell zu verstehen (nach Edwards und Kraft), "Körperliche Verkrampfungen, die besonders auftreten, wenn die Kraft des Heiligen Geistes gegenwärtig ist wie in Anbetungsgottesdiensten und Gebetstreffen" (nach Wimber, verfasst 1986 acht Jahre vor dem Toronto-Segen, ein Zitat, welches deutlich macht, wie schnell charismatische Lehren angesichts neuer "christlicher Erfahrungen" umgestossen werden können).

Aetiologie
Ebenso breit gestreut wie die Symptome sind die möglichen Ursachen einer Besessenheit oder Dämonisierung. Genannt werden etwa:

a) Okkulte und esoterische Beschäftigung, z.B. Spiritismus, Wahrsagen u.a., wobei blosses Dabei-Sein für eine Dämonisierung durchaus reicht.

b) Sünden wie Drogenkonsum oder sexuelles Fehlverhalten, wobei sich hier Aetiologie und Symptomatik verwischen.

c) Vererbung; Hat sich ein Vorfahr okkult betätigt (dazu zählt z.B. die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge), kann der Nachkomme besessen sein.

d) Flüche; Christen können durch einen Fluch dritter dämonisiert werden.

Die sehr weite Fassung von möglichen Symptomen und insbesondere von denkbaren Ursachen lässt es potentiell zu, praktisch jeden Menschen als besessen zu beschreiben (insbesondere das Argument des Fluches ist hier zu nennen: Ein solcher kann natürlich immer vorliegen). Hier zeigt sich die Differenz zwischen der charismatischen und der katholisch/pietistischen Vorstellung von Besessenheit mit aller Deutlichkeit. Geht es den katholischen und pietistischen Theologien darum, Besessenheit bewusst als Ausnahmesituation zu fassen, will die charismatische Lehre die Diagnose der Dämonisierung so niederschwellig wie möglich halten, um sie bei Problemen, die sich charismatischer Seelsorge gegenüber als überraschend hartnäckig erweisen, jederzeit in Erwägung ziehen zu können. Leitgebend ist auch hier die "christliche Erfahrung": Es finden sich zu jedem grösseren oder kleineren Problem Betroffene, die ihre Problematik als Besessenheit wahrnehmen und auf eine entsprechende Behandlung zumindest vorübergehend positiv reagieren.

Therapie
Der Befreiungsdienst, der charismatische Exorzismus, dient dazu, die besessene, dämonisierte Person vom dämonischen Einfluss zu befreien, indem der Dämon ausgetrieben wird. Das Vorgehen gliedert sich in verschiedene Schritte:

a) Vorbereitung: Der Befreiende oder das Befreiungsdienst-Team bereitet sich durch Gebet auf seinen Einsatz vor.

b) Zu Beginn des Befreiungsdienstes fordert die exorzierende Person die Dämonen heraus, dies um sicherzugehen, dass wirklich eine Besessenheitsproblematik vorliegt. Dies kann geschehen, indem der Exorzist der zu befreienden Person in die Augen blickt und die Dämonen anspricht. Die Dämonen werden aufgefordert, ihren Namen zu nennen, was sie unter Benutzung der Stimme des zu Befreienden tun.

c) Ausflüchte seitens des zu Befreienden wie "Es gibt gar keine Dämonen" werden als durch die Dämonen eingeflösste Lügen zurückgewiesen.

d) Nun geht es darum, die Hierarchie der Dämonen zu erkennen. Die sich meldenden Dämonen (üblicherweise bekommt man es beim charismatischen Exorzismus mit einer Mehrzahl böser Geister zu tun) werden danach befragt, welcher von ihnen der Anführer ist.

e) Die Dämonen werden nun mit dem Anführer "zusammengebunden", um sie quasi als Paket austreiben zu können. Ansonsten müsste jeder einzelne Dämon exorziert werden.

f) Jetzt folgt die eigentliche Exorzierung. Die Dämonen werden im Namen Jesu ausgetrieben.

g) Der von den Dämonen befreite Raum in der Seele der befreiten Person wird mit Segnungen aufgefüllt, um eine Rückkehr der Dämonen zu erschweren.

 

Grundsätzlich wird der Dialog des Exorzisten mit den Dämonen auf das in charismatischer Sicht absolut Notwendige, die Frage nach dem Namen und der Hierarchie, beschränkt. Längere Gespräche oder gar eigentliche theologische Disputationen mit den Dämonen, wie sie aus dokumentierten katholischen Exorzismen bekannt sind, gelten im charismatischen Befreiungsdienst als unerwünscht.

Anfragen aus kritischer Sicht
Die charismatische Befreiungsdienst-Lehre und -Praxis gibt zu einigen Fragen Anlass:

- Werden Berichte von Menschen, die charismatische Exorzismen in Anspruch genommen haben, daraufhin überprüft, ob der Befreiungsbemühung Erfolg beschieden war in dem Sinne, dass die ratsuchende Person sich nachher besser fühlte, so ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Während manche Menschen davon berichten, dass sie im Anschluss an einen Befreiungsdienst tatsächlich sich erleichtert fühlten, erleben andere keinen Erfolg. Manche ziehen sich darauf resigniert aus den charismatischen Gemeinschaften zurück (wodurch den Gemeinschaften das negative Feedback erspart wird), andere suchen sich einen charismatischen Exorzisten, der über eine "grössere Salbung" und damit eine grössere Macht über die Dämonen verfügt als der gescheiterte Befreiungsdiener. Die biblisch gesehen fragliche und landeskirchlich unerwünschte Salbungstheologie ergibt sich bis zu einem gewissen Masse aus der Anlage des charismatischen Befreiungsdienstes selbst, als eine Form der "christlichen Erfahrung".

- Im schlechtesten Falle kann der Befreiungsdienst zu einer allgemeinen Dämonisierung des Weltbildes führen, die mit der Gewichtung der Dämonen-Thematik in der Bibel nichts mehr zu tun hat. Intensive befreiungsdienstliche Tätigkeit kann die Perspektiven des christlichen Glaubens durchaus in der Weise verzerren, dass ein Christ, eine Christin sich in dauerndem Kampf mit dämonischen Wesen stehend sieht. Aus der Beratungspraxis sind Fälle wohlbekannt, wo diese Dämonenfurcht eigentlich paranoide Züge annimmt. Auch die charismatischen Leiter sind nicht ganz frei von der Gefahr einer allmählichen Verzerrung des Weltbildes, so interpretiert es der Befreiungsdienst-Experte Don Basham (Basham, s.161f.) als direkten Angriff Satans, wenn ein Olivenglas aus dem Kühlschrank beim Oeffnen desselben seiner Tochter auf den Fuss fällt, während C. Peter Wagner (Wagner, s.62) in seinem Schlafzimmer von einem "grünäugigen Monster" verfolgt wird. Die Bibel weiss weder von einem olivengläserwerfenden Satan noch von grünäugigen Monstern zu berichten.

- Auf dem Gebiet der charismatischen Lehre führt diese Gefahr der Dämonisierung des Weltbildes ab und an zu Lehren, die fernab biblischer Grundlagen zu stehen kommen. Schon Wagners Monster-Sichtung setzt sich über die Tatsache hinweg, dass die Dämonen in der Bibel nie fürs menschliche Auge sichtbar sind. Sie wirken ausschliesslich durch die Person, die sie besetzen. Für Spukgestalten schottischer oder anderer Provenienz ist im biblischen Weltbild kein Platz. Einen Schritt weiter gehen Autoren wie der englische Befreiungsdienst-Experte Peter Horrobin, der die Besessenheitsvorstellung unbesehen ins Alte Testament einträgt und so zu überraschenden, aber gänzlich unbiblischen Schlussfolgerungen kommt: So hätten sich, nach Horrobin, Adam und Eva dem Geist der Rebellion geöffnet, welcher sie dann zum Essen der verbotenen Frucht getrieben hätte (Horrobin s.67ff.). Aus dem Sündenfall wird so die Ur-Besessenheit. Die Folgen eines solchen Ansatzes für die Theologie sind natürlich enorm.

- Die Besessenheitsvorstellung dient durchaus öfter, wie in der Beratungspraxis deutlich wird, einer angenehmen Entschuldung von persönlichen Fehlleistungen. Die Verantwortung für eigene Fehler wird auf den Dämon übertragen, der einen angeblich gegen den eigenen Willen getrieben hat, und den man erst noch aufgrund eines Fluches, also ohne jede eigene Mitwirkung, getragen hatte. Als Beispiel wäre etwa der Ehemann zu nennen, ein Musterbild ehelicher Treue, der ein aussereheliches Ereignis, ihm selbst gänzlich zuwider, unter Einfluss eines Dämons nicht vermeiden kann. Nach Austreibung desselben ist der Ehemann wieder der alte, Verantwortung fürs Geschehene trug er keine.

- Die Besessenheitsvorstellung lagert hier nicht nur Verantwortung, sondern auch Kausalitäten aus. Dass Fehlleistungen allenfalls ihre Gründe hatten, die im Sinne der Vermeidung einer Wiederholung behoben werden müssten, kann leicht ausser Blick geraten. So mag ein Exorzismus durchaus eine adäquatere Behandlung eines Problems verhindern. Nahe liegt eine solche Annahme bei denjenigen Charismatikern, die jedwelche psychische Problematik auf Dämonisierung zurückführen und jede Form der Psychotherapie konsequenterweise ablehnen (zu nennen etwa Wolfhard Margies von der Gemeinde auf dem Weg, Berlin).

- Eine weitere, auch empirisch beobachtbare Gefahr der charismatischen Betonung der Dämonologie besteht in der möglichen Abschottung des charismatischen Glaubensentwurfes gegenüber Kritik. Wenn Zweifel, Kritik und der Wunsch nach intellektueller Begründung von Glaubensaussagen dämonisch gewirkt sein können, wenn aus demjenigen, der das charismatische Lehrgebäude hinterfragt, mithin ein Dämon sprechen könnte, braucht man Anfragen und Kritik gar nicht mehr ernstzunehmen. Sie erledigen sich als dämonischer Herkunft von selbst. Der Einsatz solcher Abschottungsmechanismen gegen vernunftgeleitete kritische Anfragen ist hochproblematisch deshalb, weil unter Zuhilfenahme solcher Argumentationsfiguren sich jede noch so absurde Lehre unwiderlegbar begründen liesse (es ist kein Zufall, dass die meisten Sekten vergleichbare Kritik-Bewältigungs-Mechanismen kennen).

Befreiungsdienst in der Landeskirche?
1. Aus obigen oder anderen Ueberlegungen heraus ist die Einführung eines Befreiungsdienstes in die reformierte Landeskirche aus der Sicht einer grossen Mehrheit ihrer Theologinnen und Theologen kein Postulat.

2. Als pluralistische Kirche mag die reformierte Kirche aber dafür offen sein, dass charismatisch orientierte Pfarrer mit charismatisch orientierten Ratsuchenden nach deren Wünschen verfahren.

3. In diesem Falle ist m.E. aber zu beachten, dass der Befreiungsdienst erst dann stattfindet, wenn alle anderen notwendigen Massnahmen (auf psychiatrischem und seelsorgerlichem Gebiet) getroffen sind. Nur so besteht die Gewähr, dass der Befreiungsdienst nicht an die Stelle dringend nötiger Behandlung tritt und diese damit verhindert.

4. Jedes Diagnostizieren von Dämonisierung bei Menschen, welche an eine solche nicht glauben, ist in einer pluralistischen Kirche inakzeptabel. Die den Charismatikern gewährte Toleranz darf von ihnen auch eingefordert werden.

5. Von Charismatikern, die auch reformiert und landeskirchlich sein wollen, darf angenommen werden, dass sie Auswüchse der Dämonologie wie die Dämonisierung von Kritikern zurückweisen.

6. Die Einbettung des Befreiungsdienstes in eine Seelsorge-Beziehung ist zur Vermeidung von Missständen unerlässlich. Ein-Abend-Veranstaltungen mit freischaffenden Befreiungsdienst-Experten und Wanderexorzisten sind im landeskirchlichen Bereich deshalb sicher unerwünscht.

7. Wünschenswert wären im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion klärende Stellungnahmen der Kantonalkirchen im Sinne einer Grenzziehung zwischen den im Rahmen des Pluralismus akzeptablen und den missbräuchlichen oder von der reformatorischen Tradition zu weit entfernten Praktiken und Lehrelementen. Die gegenwärtige Unklarheit in diesem Bereich lässt manche Kirchenpflege völlig auf sich selbst gestellt im Regen stehen. Auf eine Selbstregulation der charismatischen Bewegung zu hoffen scheint mir illusorisch angesichts des in der Bewegung gegenwärtig unverkennbaren Trends hin zu schärferer und schrillerer Verkündigung, der besonnene Charismatiker leider zunehmend minorisiert.

Literatur:
- Don Basham, Befreie uns vom Bösen, Metzingen 2. Aufl. 1984

- John Edwards, Anleitung zur Befreiung, Remscheid o.J.

- Peter Horrobin, Healing Through Deliverance, Chichester 1991

- Charles H. Kraft, Frei von dunklen Schatten, Buchs 1995

- Alo Münch, Johann Christoph Blumhardt, Giessen 7. Aufl. 1986

- Wolfhard Margies, Heilung durch sein Wort, Urbach o.J.

- Walter Nitsche/Benedikt Peters, Dämonische Verstrickungen, Berneck 2. Aufl. 1989

- Derek Prince, Biblische Grundlagen für den Befreiungsdienst, Solingen o.J.

- C. Peter Wagner, Das offensive Gebet, Wiesbaden 1992

- John Wimber/Kevin Springer, Heilung in der Kraft des Geistes, Wiesbaden 1987

Georg Otto Schmid, 1996
Letzte Aenderung 1996, © gos 1996, Infostelle 2000
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