Systemfehler: Einlass-Stopp bei Post-Corona Vortragsreihe in Thun

Neugierig beobachte ich die Mitfahrenden in meinem nur mässig gefüllten Bus zum KKThun. Nicht ahnend, was mich nur wenige Minuten später vor dem Eingang des Kultur- und Kongresszentrums erwarten wird: eine Menschenmasse. Mehrere hunderte Personen stehen ungeordnet vor dem Eingang. Das Foyer ist bereits gefüllt und es scheint als würde eine Einlasskontrolle stattfinden.

Wir alle möchten in den Saal, um Vorträge von Prof. Dr. Stefan Hockertz, Dr. med. Daniel Beutler  und  Dipl. Phys. Philippe Marti zu hören. Ersterer wurde in Deutschland angeblich enteignet und lebt seither in der Schweiz. Der Thuner Mediziner Daniel Beutler sollte über das Gute, das Schlechte und das Hässliche von Corona referieren während der Gymnasiallehrer Philippe Marti über die Grenzen der Wissenschaft sprechen wollte. Der Event wurde mit voller Unterstützung von Christian Oesch, dem Präsidenten des Schweizerischen Vereins WIR, in diversen Telegram Kanälen beworben.

Während ich warte sticht mir ein Plakat der FBS (Freiheitliche Bewegung Schweiz) ins Auge. Es wird für die Volksinitiative „Bargeld ist Freiheit“ geworben. Es laufen mehrere Leute mit Klemmbrettern durch die Masse, um Unterschriften zu sammeln. Mutmasslich für ein Initiative, welche auf einem Plakat neben jenem der FBS beworben wird. Dort wird aufgerufen, für die „Giacometti-Initative“ zu unterschreiben. Die angesprochene Menschenmasse, in der ich mich nun auch befinde, setzt sich vorwiegend aus Personen zwischen 40 und 60 Jahren zusammen. Einige waren etwas älter und jünger. Sie treten selbstbewusst auf, vielleicht weil sie „unter sich“ sind?

Nur wenige Personen wirkten wie Leute, die ausserhalb oder am Rande der gesellschaftlichen Normen leben würden. Jedoch konnte ich nicht übersehen, dass es Besucher mit „Anti-Covid-Gesetz“-Ansteckern auf ihren Jacken oder „NO 5G“-Aufdrucken auf ihren Rucksäcken gab.

Zu meinen Beobachtungen muss ergänzend hinzugefügt werden, dass lediglich jene Personen beschrieben werden können, die, wie ich, vor dem Eingang auf den Zutritt zur Vortragsreihe warteten. Wer alles schon drin war, konnte ich nicht beobachten – und das sollte auch so bleiben. Nachdem 700 Menschen der Einlass gewährt wurde, wurde er geschlossen. Es wurden Personen bevorzugt, welche sich zuvor für den Event angemeldet hatten. Wirklich kontrolliert wurde die Voranmeldung nicht, weshalb ich vermute, dass sich auch viele ohne Anmeldung hineingeschlichen haben. Nicht nur ich war vom Andrang überrascht: eine Dame vor mir fragte, ob sie hier richtig sei bei „dem Corona Zeug“.

Nach dem Einlass-Stop standen noch ca. 300 Personen vor dem Eingang. Einige beschwerten sich lautstark; verlangten von der Security die Feuerschutzverordnung, welche den Veranstaltungsort zur Schliessung der Tore nach 700 Personen zwang, zu missachten. Die Sicherheitsbeamten erklärten, dass dies nicht die Schuld des Kulturzentrums sei, sondern jene des Veranstalters. Dieser habe nach 700 Anmeldungen die Gäste nicht informiert, wodurch sich schlussendlich über 1200 Personen angemeldet haben sollen. Hinzu kamen Besucher wie ich, die ohne Voranmeldung auftauchten.

Ich hörte mich um und versuchte die Stimmung etwas einzufangen. Neben der allgemeinen Verärgerung über das Missmanagement gab es auch emotional enttäuschte Stimmen. Leute, die „ihn jetzt endlich mal in Person“ hätten erleben wollen. Andere beschwerten sich lediglich über die lange Anreise aus Fribourg oder Bern. Interessant war das von einigen aufgebrachte Verständnis. „Es wäre ja gut, dass es einen solchen Andrang gäbe.“

Ein sympathisch wirkender Mann neben mir, vermutlich etwa Mitte 60, hob gegenüber seiner Gesprächspartnerin hervor, dass der Andrang sicherlich auch damit zusammenhänge, dass jemand lokales spreche. Er fügte hinzu, dass er selbst ja eigentlich neutral sei, die hier besprochenen Dinge aber Themen seien, die „jeden interessieren“.

Die Worte dieses Mannes sind meines Erachtens sinnbildlich für einen grossen Teil der Post-Corona Bewegungen. Sie erklären Erfolgsgeheimnis und Gefahr dieser Bewegungen zugleich.

Sowohl die geografische Nähe mit all den lokalen Komponenten, als auch die emotionale Nähe mit der Behandlung von alltäglichen Problemen, bilden einen einfachen Einstieg.

Aufgrund meiner Beobachtungen wage ich die These, dass sich nur ein kleiner Teil der am KKThun erschienen Personen bewusst ist, welche Ideologien mitunter in diesen Bewegungen vertreten werden. Formate wie dieses ermöglichen es allerdings, dass Leute, die sich Gedanken zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation machen, sehr früh in Kontakt mit einer Bewegung treten, welche im schlimmsten Fall persönliche und gesellschaftliche Gefahren mit sich bringen kann.

Dinge zu hinterfragen, ist eine Errungenschaft, die von Gemeinschaften der Post-Corona-Bewegungen schamlos ausgenutzt wird. Wenn selbst im überschaubaren Thun eine Menschenmasse von über 1000 Personen auftaucht, um sich deren fragwürdiges Gedankengut anzuhören, ist dies ein Grund zur Vorsicht. Was an diesem Vortrag wirklich gesagt wurde, müssen wir uns wohl zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Kanal von „TransitionTV“ ansehen, einem von Christof Pfluger begründeten und mit Verschwörungserzählungen gespickten alternativen Nachrichtenkanal.

Trotz leicht zynischen Untertons konnte ich den Abend aber doch noch mit einem positiven Gedanken abschliessen. Denn ist es nicht ironisch, dass Post-Corona-Gemeinschaften, die Staatenverweigerern eine Plattform geben, die Politikerinnen und Politiker bedingungslos für unfähig erklären und die als Gegenpol des Mainstreams zur Umstrukturierung ganzer Systeme aufrufen, nicht einmal in der Lage sind 1000 Anmeldungen zu bewerkstelligen?

Eine nichts sagende, subjektive Momentaufnahme; aber irgendwie bezeichnend – hoffentlich.