Lebenskraft am Ende? – Besuch bei der 33. Esoterik-Messe Lebenskraft in Zürich

Vom 6. bis 9. Oktober 2022 fand in Zürich Oerlikon die 33. Esoterik-Messe Lebenskraft statt, die, wie es zurzeit aussieht, die letzte Austragung dieser Veranstaltung gewesen sein wird. Die Lebenskraft wurde im Jahr 1988 von Angelika Meier begründet und über lange Jahre von ihrer Firma Kryon GmbH veranstaltet. Aufs Jahr 2022 hin hat Angelika Meier die Verantwortung für die Lebenskraft weitergegeben an Marco Rossi und seine Firma New Horizon GmbH, welche auch die Wohlfühltage organisiert. Da Marco Rossi nach 2022 keine weiteren Messen vor Ort mehr durchführen will, scheint auch die Geschichte der Lebenskraft zu ihrem Ende gekommen zu sein.

Rückgang der Zahl der Ausstellenden

In der Vorbereitungsphase der Lebenskraft 2022 hat sich dieser Ausgang insofern abgezeichnet, dass Newsletters auf die Möglichkeit hingewiesen haben, auch noch kurzfristig Stände mieten zu können. Die Zahl der Ausstellenden ist mit 61 weiter geschrumpft, dies gegenüber dem Vorjahr, als 84 Anbietende an der Lebenskraft vertreten waren, weitaus deutlicher gegenüber der Situation Mitte der 2010-Jahre, als die Messe noch 141 Stände umfasste (2016). Ein Teil dieser Entwicklung ist zweifellos der zunehmenden Bedeutung von Online-Kongressen im Bereich der Esoterik geschuldet, wie sie auch die Firma New Horizon veranstaltet. Sehr gut denkbar ist deshalb, dass der Lebenskraft ein zweites Leben auf der digitalen Ebene beschieden sein wird.

Strassenpredigt einer Himmelsbotschafterin

Als sich das Relinfo-Team am Freitag, 7. Oktober, um 13.00 vor dem Eingang der Messe Zürich Oerlikon versammelt, wird dort lauthals gepredigt von einer Vertreterin der «Himmelsbotschafter», einer Gruppe von Menschen aus verschiedenen neocharismatischen Freikirchen, die seit einigen Jahren jeweils mit einem Stand an der Lebenskraft präsent sind und dort fürs Publikum prophetische Worte und Gebet um Heilung anbieten. In ihrer Strassenpredigt vor dem Eingang der Lebenskraft ruft die Himmelsbotschafterin aber nicht zu Prophetie oder Heilung auf, sondern zur Bekehrung. Das Publikum, das vorbeigeht, zeigt sich wenig beeindruckt, manchmal fällt ein spöttischer Kommentar, so vom deutschen Esoteriker Nikolaus Petö, der in ein bordeauxfarbenes T-Shirt gekleidet die Bekehrungsaufrufe mit lautstarkem «Halleluja» quittiert. Nikolaus Petö tritt an der Lebenskraft 2022 als «Der Netzwerker mit Herz» auf und wirbt für seine Aktivitäten, so den Neue-Kinder-Kongress, den er seit 2009 veranstaltet. Petö wird uns an der Lebenskraft 2022 noch mehrfach begegnen.

Die Bekehrung der Engel-Expertin

Zum Urgestein der Lebenskraft gehört unter anderem auch ein freikirchennaher Stand, der in früheren Jahren als «Christen aus der Umgebung» angeschrieben war, im Jahr 2022 aber «Jesus allein» heisst. Am Stand von «Jesus allein» wird ältere und neuere erweckliche Literatur angeboten, aber auch das neueste Buch von Doreen Virtue, die eine der renommiertesten Engel-Expertinnen im Bereich der Esoterik war. In den vergangenen Jahrzehnten bereicherte sie den spirituellen Buchmarkt jährlich mit neuen Buchpublikationen zu einem Engel-Thema: 2001 Das Heil-Geheimnis der Engel, 2003 Engel-Gespräche, 2004 Die Heilkraft der Engel, 2004 Engel der Erde, 2004 Neue Engel-Gespräche, 2005 Die Zahlen der Engel, 2006 Erzengel und wie man sie ruft, 2007 Botschaft der Engel, 2007 Engel Notruf, 2008 Medizin der Engel, 2008 Engel-Hilfe für jeden Tag, 2008 Die neuen Engel der Erde, 2008 Wie Schutzengel helfen, 2009 Zeichen der Engel, 2009 Erzengel Michael, 2010 Engel Worte, 2010 Erzengel Raphael, 2011 Der weise Rat unserer Engel, 2012 Maria Königin der Engel, 2014 Erzengel Gabriel, 2014 Nein sagen mit den Engeln der Erde. Ebenso zahlreich sind die Orakelkarten, die Doreen Virtue gemeinsam mit spirituellen Künstlerinnen und Künstlern produziert hat.

In ihrem neusten Werk unter dem Titel: «Von der Engelkönigin zur Königstochter» berichtet Doreen Virtue von ihrem Lebensgang. Virtue ist ursprünglich in einer Gemeinschaft aufgewachsen, welche der Christian Science nahestand, studierte Psychologie und promovierte in Beratungspsychologie. In der Tradition der Christian Science vertrat Doreen Virtue Vorstellungen des Positiven Denkens, welche sie mit der esoterischen Engellehre verband, wie das in einem esoterisch-spirituell geprägten Christentum typisch ist. Lebensprobleme Mitte der 2010er Jahre und finanzielle Schwierigkeiten führten seit 2017 zu einem Umdenken und zur Hinwendung zu einem evangelikalen Christentum. Von den Inhalten ihrer esoterischen Werke distanziert sich Virtue heute, die Rechte liegen allerdings beim Verlag, sodass die Bücher und Orakelkarten immer noch verkauft werden. Virtue betet darum, dass der Vertrieb ihrer Werke eingestellt wird.

Unerwünschte Orakelkarten

Dass diese Gebete bisher keine Erhörung fanden, wird am gegenüberliegenden Stand der Lebenskraft deutlich. Hier verkauft die Esoterik-Buchhandlung Weyermann aus Bern insgesamt elf unterschiedliche Orakelkarten-Sets von Doreen Virtue, zu welchen die Autorin heute schreibt:

«Ich machte Engelskarten mit schönen, lizensierten Bildern von Künstlern und mit schönen Zusagen oder motivierenden Aufforderungen auf jeder Karte. Diese Worte waren vielleicht ‹positiv› und ermutigend, aber sie waren natürlich unbiblisch. Sie weckten falsche Hoffnung (zum Beispiel: ‹Das Schlimmste liegt jetzt hinter dir›, ‹Es wird bald besser werden›) und förderten die Selbstverherrlichung, statt Gott die Ehre zu geben (wie ‹Glaube an dich›, ‹Du verdienst das Beste›, etc.).
Die Booklets zu jedem Kartenset waren genauso übel. Sie enthielten Ermutigungen, zu Engeln zu beten, und falsche Zusicherungen, dass die Karten geistlich ungefährlich wären. Ich entschuldige mich aufrichtig bei jedem, der durch diese Karten in die Irre geführt wurde. Das war nie meine Absicht. Bevor mir Jesus die Augen öffnete und ich anfing, die Bibel zu studieren, glaubte ich ernsthaft an diese Karten und benutzte sie selbst.» (Doreen Virtue, Von der Engelkönigin zur Königstochter, Aßlar 2021, s. 124)

Eines dieser heute von ihrer Autorin unerwünschten, aber am Stand von Weyermann immer noch verkauften Sets heisst «Das Orakel der himmlischen Fülle». Es wurde von Doreen Virtue gemeinsam mit ihrem Sohn Grant verfasst und ist im Jahr 2017 erschienen, muss also eines der letzten Werke von Doreen Virtue für den esoterisch-spirituellen Markt sein. Hier findet sich die Karte «Lass Schuldgefühle los» mit dem Text:

«Wenn du dir gestattest, dein Licht hell strahlen zu lassen, inspirierst du damit andere. Vergib dir selbst für das, was du deiner Meinung nach getan oder nicht getan hast, und vertraue darauf, dass Gott dich bedingungslos liebt, so wie du bist. Lerne aus vergangenen Fehlern und wachse, anstatt dich selbst deswegen zu schelten.» (Doreen Virtue, Grant Virtue: Das Orakel der Himmlischen Fülle, Berlin 2017)

Esoterische Ratespiele

Die Zeit, die bis zum Beginn des traditionellen Live Channelings bleibt, nutzen unsere Mitarbeiterinnen, um verschiedene esoterische Erkenntnismethoden auszuprobieren. Wahrsagende sind diesmal nur sehr sparsam vertreten, verglichen mit der Situation in den früheren Jahrzehnten der Lebenskraft, als jeweils zwei Dutzend Kartenlegende, Handlesende und Hellsehende ihre Dienste anboten. Zu diesen Zeiten war auch der später bekannteste Hellseher der Schweiz an der Lebenskraft anzutreffen, der vor zwei Jahren verstorbene Mike Shiva, den der Schreibende im Jahr 2002 an seinem Stand an der Lebenskraft konsultierte, mit einer Nullnummer als Resultat. Heute, nach 20 Jahren, ist Mike Shiva noch als überlebensgrosse Fotografie am Stand seines Shiva Live.tv präsent.

Mike Shivas Nachfolgende bieten z.B. «Facereading» an, wie die Physiognomie heute neudeutsch genannt wird. Am Stand von Eric Standorp erfährt eine unserer Mitarbeiterinnen, die eher zurückhaltend ist, dass sie ein sensibler Typ sei – eine wahrhaft gewagte Prognose.

Esoterische Spekulationen

Weiter zum Fenster hinaus lehnt sich Michael Komm, der für zehn Franken Rückverbindungen zu eigenen Inkarnationen und denjenigen der Eltern anbietet, welche die jetzige Lebenssituation klären sollen. Er berichtet einer Mitarbeiterin, dass sie sexuell verklemmt sei, was daher rühre, dass ihre Mutter über unzählige Inkarnationen hindurch asexuell gewesen sei. Die Mitarbeiterin erkennt weder sich noch ihre Mutter in dieser Beschreibung wieder. Einer anderen Mitarbeiterin, die mit Kindern nicht viel anfangen kann, prognostiziert Michael Komm, dass sie mit Kindern arbeiten werde. Die danebenstehende Mitarbeiterin, die tatsächlich in pädagogischer Ausbildung ist, erhält keine solche Aussage. Von ihr behauptet Michael Komm, dass sie vor sich eine Mauer errichtet habe, und dass sie an ihren Fingerringen herumspiele, bedeute, dass sie nicht beziehungsfähig sei. Zur vierten Mitarbeiterin meint Michael Komm, zuerst müssten die anderen Mitarbeiterinnen ihre Probleme lösen, damit sie die ihrigen bearbeiten könne.

Esoterische Übergriffe

Möglicherweise wegen des am Freitagnachmittag noch wenig zahlreichen Publikums, vielleicht auch angezogen durch die vier Studentinnen, gesellt sich Nikolaus Petö in seinem bordeauxfarbenen T-Shirt von seinem gleich gegenüberliegenden Stand dazu, klinkt sich aktiv in die Diskussion ein, enerviert sich, weil seine Tipps bei den jungen Frauen nicht auf Gegenliebe stossen und klatscht einer von ihnen beherzt auf ihren Oberschenkel. Ein körperlicher Übergriff gegenüber einer Mitarbeiterin einer Informationsstelle zu Kirchen, Sekten und Religionen – dümmer geht’s wohl kaum mehr. Dass der Übergriff von einer Person kommt, die Kongresse zum Thema Kinder organisiert, macht die Sache umso bedenklicher.

Zwei Medien, unzählige Geistwesen

Weit gesitteter geht es am anschliessenden Live Channeling zu und her. Wie bei diesem Setting üblich sind drei Medien angekündigt: Tanja Konstantin, Ines Sophia Tanner und Simone White. In den Tagen vor der Messe ist zu erfahren, dass Tanja Konstantin absagen musste – ist sie vielleicht von ihren Channelings am Impulstag «Start ins Lichtzeitalter», der am 4. September in Zürich stattfand, mitgenommen – oder vom Bericht unserer Mitarbeiterin Jasmin Schneider?

Psychologin und Medium

Wie dem auch sei, anwesend ist Ines Sophia Tanner, die Psychologie und Religionsgeschichte studiert hat – unter anderem bei Prof. Georg Schmid, dem ehemaligen Leiter von Relinfo – und sowohl eine psychotherapeutische als auch eine mediale Ausbildung vorweisen kann. Ines Sophia Tanner wird von Angelika Meier, der Gründerin der Lebenskraft, als Lebenskraft-Urgestein vorgestellt: sie sei seit 1992 in ihrer eigenen Praxis tätig, aber bereits seit 1989 an der Lebenskraft dabei. Ihre Botschaften erhalte sie in Volltrance, die zu erreichen Ines Sophia Tanner drei vier Minuten benötige, und von einer Vielzahl unterschiedlicher Geistwesen.

Simone White und Merlin

Simone White kommt aus Niederbayern, heisst eigentlich Simone Eckinger, nennt sich aber als Pseudonym mit Nachnamen White und mit zweitem Vornamen Jocelyn, weil dies ihre geistige Zwillingsschwester sei. Simone bemerkt zu Beginn, dass sich Merlin in der Ecke des Raums aufhalte, und ihr erstes Channeling stammt denn auch von dieser Person. Merlin sagt vieles, was so und ähnlich in 34 Jahren Lebenskraft schon oft zu hören war, es sei die Zeit, wo sich alte mystische Welten mit den neuen Welten vermählen, wir Menschen würden die Kraft in uns finden, wenn wir uns auf unser Herz ausrichteten, wenn wir unseren Atem in unseren Herzensraum hineinfliessen lassen: «Das Fühlen ist die Kraft der Neuen Zeit», und, der Klassiker aller Channelings: «Die Antworten sind in euch».

Die Welt würde sich erheben, meint Merlin über Simone White weiter, sie sei sich am Erneuern, wobei sie von Feen, Elfen und Drachen unterstützt werde, und etwas praktischer: «Wenn du dich zur Liebe ausrichtest, kommt die Liebe zu dir».

Das Dunkle: nicht Unlicht, sondern Urgrund

Durch Ines Sophia Tanner melden sich nun die Engel, offenbar als Kollektiv. Auch sie äussern sich zur Weltsituation: «Die Erde ist ein spannungsreicher Schulungsplanet», der Mensch erlebe Verunsicherungen, der Verbindung mit sich selbst und mit den Nächsten dürfe mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden: «Liebe ist die Verbindung».

Während auch die Engel durch Ines Sophia Tanner bis hierher esoterische Allerweltskost auftischen, folgt nun Brisanteres, welches der Populäresoterik einer Christina von Dreien eklatant widerspricht: Die Engel meinen durch Ines Sophia Tanner, dass wir Menschen eine «Brücke zwischen Licht und Dunkel» sein sollten, dass das Dunkle nicht das Schlechte sei, sondern der Urgrund, der trägt, und aus welchem alle Kreativität stammt. In jeder Ecke des Raums würde, so Ines Sophia Tanner, nun ein Engel stehen – ob Merlin seinen Platz in der Ecke inzwischen geräumt oder nun einen Engel auf seinen Knien hat, bleibt offen.

Während Ines Sophia Tanner channelt, steht Simone White jeweils auf und macht Handbewegungen, die mitunter segnend wirken, oft aber auch so aussehen, als würde sie als spirituelle Verkehrspolizistin die Geistwesen durch den Raum dirigieren. Soll sich so die unterschiedliche Belegung der Ecken des Raums erklären, und vielleicht auch die wechselnden Wesen, die sich durch Ines Sophia Tanner melden?

Die Frau mit dem Gesicht

Nun können die rund 50 Anwesenden den Medien und den von ihnen gechannelten Geistwesen Fragen stellen, und wie in den Vorjahren kommen Menschen mit unterschiedlichen, aber oft sehr drängenden und privaten Nöten zum Live Channeling. Die erste Fragerin berichtet, dass sie immer wieder ein Gesicht sehe, im Zimmer, in der Badewanne, aber vor allem auch beim Yoga und bei Gebeten, und fragt, ob das ein Geistwesen sei.

Simone White reagiert channeling-typisch ausweichend: «Die Person, die sich dir zeigt, ist dir sehr nahe. Du spürst ganz allein, dass diese Energie dir bekannt ist. Ist damit die Frage beantwortet?»

Ist sie nicht.

Simone holt weiter aus: «Das Wesen ist dein Begleiter, dein Beschützer auf deinem Weg. Du hast Liebe in dir. Das Wesen möchte dich darin bestärken, dass du gebraucht und in Liebe bist.»

Diesmal ist die Ratsuchende zufrieden: «Das ist so schön, danke!»

Der Mann mit dem Dämon

Als nächstes meldet sich ein Mann, der meint, von einem Dämon verfolgt zu werden, der auch seine Mutter besetzt habe, und fragt, wie er diesen üblen Geist loswerden könne. Die Engel antworten durch Ines Sophia Tanner sehr psychologisch: Das Wesen repräsentiere eine abgespaltene Energie, ein Kumulativ der Ängste, ein Teil von etwas, das nie wirklich leben durfte. Helfen würde es, wenn der Dämon für den Mann seinen Schrecken verlieren würde: «Zeichne ihn, gib ihm einen Namen, steh zu deiner Angst». Dabei könne es Sinn machen, Hilfe anzunehmen: «Suche Menschen auf, die sich mit diesem Thema auskennen».

Die Frau, die nicht von ihrem Ex-Partner lassen kann

Nun streckt eine Frau in der Mitte des Lebens auf, und fragt, ob ein bestimmter Mann wieder auf sie zukommen werde, und was dann daraus würde. Simone antwortet: «Wenn du bewusst in dein Herz fühlst, hast du eine gute Intuition in dir». Wir könnten entscheiden, wie lange wir einen Menschen in unserem Leben haben möchten. Es gehe um den freien Willen, der zu respektieren sei. Und sichtlich angenervt meint sie: «Ich bin nicht hier, um die Fragen aus dem Ego-Bereich zu beantworten».

Die Dame lässt sich von dieser spirituellen Schelte nicht beeindrucken und insistiert, sie komme nicht zum betreffenden Mann durch, weil dieser sie seit einem Jahr blockiert habe.

Simone wird nun deutlicher: «Weisst du, das Loslassen ist ein grosses Thema». Der Moment des Loslassens, Abgebens, Freiseins sei ein wichtiger Moment für die fragende Person. Beide benötigten sie nun einen reinen Blick.

Die Frau hört wiederum nur das, was sie hören möchte: «Also wird er wieder auf mich zukommen?» Simone versucht’s nochmals: «Er wird auf dich zukommen, wenn du es willst. Wichtig ist aber, dass du dich selbst findest. Lass offen, dass das Universum dich ganz neu überraschen möchte. Ist das für dich eine Möglichkeit?» Die Frau hat das Gewünschte abgeholt und ist zufrieden.

Die Frau auf Wohnungssuche

Jetzt ist eine Frau an der Reihe, die aus der Wohnung ausziehen muss, in welcher sie 20 Jahre gewohnt hat. Sie suche seit einem Jahr etwas Neues, fände aber nichts, und wisse mittlerweile nicht mehr, wo ihre Heimat sei. Ines Sophia Tanner beruhigt sie: «Du bist auf der Suche und wirst etwas finden.» Allerdings könne der Weg lange dauern. Sie erhalte einen Eindruck von Waldrand, von Hügeln, von einem rauschenden Bach, von weidenden Kühen und schnatternden Gänsen. Die Frau solle doch ihre Kreise ausweiten: «Schau in das Ländliche hinaus, scheue dich nicht, auch eine weitere Strecke in Kauf zu nehmen. Verzweifle nicht, suche weiter. Öffne den Blick in die Weite. Suche nicht nur im engen Radius.» In etwa sieben bis acht Monaten würde sich etwas Passendes finden, allerdings verstünde sich die Angabe als Zeitraum, nicht als lineare Zeit.

Die Frau, die sich ausgenutzt fühlt

Auf die Frage einer Frau, die eine Person schon länger unterstützt, und sich mittlerweile ausgenutzt vorkommt, geben beide Medien Antwort. Simone White meint, dass es der Frau schwerfalle, eine Entscheidung zu treffen. Es sei wichtig, dass wir aus der Selbstverantwortung heraus handeln würden. Sie solle sich fragen: Hilft ihre Unterstützung dem betreffenden Menschen wirklich? Kommt dieser Mensch dadurch in seine Kraft? Die Antwort würde sich aus dem Herzen von allein gebären.

Durch Ines Sophia Tanner meldet sich nun Erzengel Gabriel: «Du bist ein grosszügiger Mensch, du willst geben». Sie solle aber ihre Grenzen annehmen: «Grenzen sind nichts Negatives, sie geben den Menschen Halt.» Niemand habe das Recht, alles von ihr zu nehmen. Sie könne das geben, was sie geben könne, und müsse sich nicht schlecht fühlen. «Ich, Gabriel, fühle, dass es Zeit ist, eine Grenze zu setzen.» Die Ressourcen würden zur Neige gehen. «Wenn du dich schützest, bist du kein schlechter Mensch». Sie könne zu einem späteren Zeitpunkt wieder geben. «Trau dir zu, auch einmal nein zu sagen. Du darfst nein sagen und du darfst einmal eine Grenze setzen. Du bist dir das auch selbst schuldig, liebe Seele.» Das Publikum ist von der psychotherapeutischen Kompetenz des Erzengels beeindruckt.

Die Frau mit der Doppelfrage

Nun meldet sich eine Frau jenseits der Lebensmitte mit einer Doppelfrage. Zum einen dringe immer wieder jemand in ihre Wohnung ein und würde Dinge mitnehmen, zum anderen frage sie sich, ob sie ihren Freund noch behalten solle. Simone antwortet, dass die Dame Energien spüren würde, Wesenheiten, die sie besuchten, sie habe eine gute Verbindung in andere Welten. Die Partnerschaft müsste sie aber nicht gleich aufgeben, sondern vielleicht eine Zeitlang mehr Distanz pflegen, und die Beziehung neugestalten.

Die Frau, die viel heult

Nachdem zwei Frauen sich nach frisch Verstorbenen erkundigt haben und beide, wie bei Jenseitsfragen üblich, beruhigt wurden, dass für die Jenseitigen alles o.k. ist, streckt eine Frau auf, die meint, sie sei extrem empathisch, vieles tue ihr auf der Seele weh, sie heule viel. Sie habe den Weg zu ihrer Berufung nicht gefunden.

Durch Ines Sophia Tanner meldet sich wieder ein anderes Geistwesen: «Ich bin Engel Amira, eine Seelenschwester von dir». Sie würde die Dame begleiten und beschützen. Ihre Hochsensibilität sei auch eine Gabe, aber diese Gabe müsse wie jede Gabe gepflegt werden. Sie gehöre in eine Schatztruhe, und: «Sie muss nicht immer aus der Schatztruhe hervorspringen, sondern nur, wenn du sie gebrauchen kannst. Sie ist ein Talent, das du bewusst hervornimmst und auch wieder bewusst zurücklegst». Amira gibt auch noch konkretere Tipps, so solle die Dame eine Dusche nehmen nach einem anstrengenden Tag. So könne sie das Belastende wegfliessen lassen. Und weiter: «Es hilft aufzuschreiben, dann ist es nicht mehr in dir.» Hilfreich sei es auch, etwas zu gestalten aus Ton, oder zu singen. Sie habe eine Begabung, mit jungen Menschen und mit Tieren zu arbeiten.

Gefahr atomarer Verseuchung?

Eine Frau stellt vor dem Hintergrund von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine nun eine Frage, die viele betreffe: «Müssen wir fürchten, dass es eine atomare Teilverseuchung gibt?»

Diese Frage mit globalen Konsequenzen wird unter Ines Sophia Tanners Geistwesen offenbar als Chefsache angesehen, denn es meldet sich nun Metatron, der höchste Engel in der jüdischen Mystik und in der esoterischen Tradition: «Ich bin Metatron, ich bin bewusst im Raum». Metatron erklärt: «Der Krieg ist Ausdruck dessen, was unter euch noch fühlbar ist. Die Trennung ist immer noch ein grosser Prozess». Aber die Einheit würde sich trotzdem ausbreiten, auch mit unserer Hilfe: «Wenn du die Liebe in dir spürst, wenn du den Segen in das Äussere gibst, kann die Erde und die Weltpolitik heilen.» Uns Anwesenden drohe keine Gefahr: «Ihr dürft euch in Sicherheit fühlen». Die Sicherheit würden wir im Zuhause und im Herzensraum finden.

Wir sollten nicht alles annehmen, sondern spüren, wo die Grenze ist: «Wo ist der Krieg in dir? Wo fühlst du die Angst und die Unsicherheit?» Wir sollten bewusst in Verbindung mit der geistigen Welt stehen: «Es ist für euch gesorgt. Es wird für jeden einzelnen das Wachstum bringen, das ihr braucht.» Und Metatron wiederholt: «Ihr dürft euch in Sicherheit fühlen». «Schenkt Güte in den Raum, so wird es sich auch aussen zeigen». Hilfreich seien aber nicht nur positive Gedanken, sondern auch konkretes Handeln: Wo Angst sei, sei Enge. Gutes zu tun lenke ab, so kämen wir nicht in die Enge hinein: «Versucht aktiv in eurem Umfeld kleineres Gutes zu tun». Auch Gebet sei hilfreich: «Betet, dass das Lichtvolle siegen möge». Und Metatron beruhigt noch einmal: «Wir sehen es so: Das Lichtvolle wird siegen». Die konkrete Frage, ob es zu einer atomaren Verseuchung kommt, beantwortet Metatron nicht.

Von der Zukunft der Lebenskraft

Obwohl die Medien aufgrund der zahlreichen Fragen bereits eine Viertelstunde überzogen haben, lässt es sich Angelika Meier, die Gründerin und langjährige Leiterin der Lebenskraft nicht nehmen, eine Frage zu stellen, die sie verständlicherweise sehr bewegt: Sie fragt die Medien, ob sie eine Weiterführung der Lebenskraft in physischer Form als sinnvoll ansehen würden. Der neue Veranstalter wolle es nicht mehr machen.

Simone meint, ihre geistige Zwilllingsschwester Jocelyn zeige ihr Kreise und Gemeinschaften. Sie sei für Veranstaltungen wie die Lebenskraft und die Wohlfühltage sehr dankbar. Nun aber komme ein Übergang. Sie sehe eine andere Form von Messe in der Zukunft. Es werde weitergehen, aber es brauche jetzt das Abschliessen des Alten. Neue Ideen und Möglichkeiten würden sich zeigen. Jocelyn beobachtet: «Ihr sitzt jetzt hier auch schon eine sehr lange Zeit», eine treffende Bemerkung nicht nur bezüglich der Überlänge des Live Channelings, sondern auch zu 34 Jahren Geschichte der Lebenskraft. Die Energien der kosmischen Wesen würden die Welt in Zukunft noch stärker formen und sich ein neues Wirkungsfeld suchen.

Ines Sophia Tanner hat eine Engelsbotschaft: Für die Menschen sei es wichtig, einen physischen Ort zu haben, um sich zu sammeln. In Zukunft könnte das aber in kleinerem Rahmen geschehen, öfter, immer wieder mit bestimmten Schwerpunkten. Viele verschiedene Formen könnten so entstehen.

Simone singt

Simone White fordert die Anwesenden nun auf, ihre Hände aufs Herz zu legen. Die neue Zeit sei eine tönende Zeit, deshalb sollten die Anwesenden nun alle mitsingen: «Sagt nicht, ihr könnt nicht singen». Eine opernreif geschulte Gesangsstimme ist denn auch tatsächlich nicht erforderlich, Simone singt monotone Silben vor, und die Anwesenden fallen ein. Dann resümiert sie: «In diesem Augenblick wart ihr eins mit euch selbst».

Auflösung von Seelenerfahrungen aus Inkarnationen mit Michael Komm

Irritiert von den Erfahrungen unserer Mitarbeiterinnen besuchen wir anschliessend ans Live Channeling den Vortrag von Michael Komm, der im Messekatalog etwas kryptisch ausgeschrieben ist als «Auflösungen von Seelenerfahrungen aus Inkarnationen – Rückverb. bis zur 13.» (sic!).

Im Raum angekommen prangt an der Frontseite ein Rollup, das mit krakeliger, kleinräumiger Handschrift ergänzt wurde. So ist im Druck von 30 – 40 Millionen Vorleben die Rede, welche Michael Komm bearbeiten würde, von Hand ist die Zahl aufgerundet zu 300 – 400 Milliarden Vorleben. Offenbar gab’s da ein Upgrade.

Eigenartiges Styling

Michael Komm tritt auf mit einem türkisfarbenen Seidenhemd und Lackschuhen. Was dieses auffällige und im Kontext der Lebenskraft eigenwillige Styling ausdrücken soll, wird uns nicht klar. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Michael Komm einen Tango-Reiseführer publiziert hat. Früher war Komm als Masseur und Physiotherapeut tätig, dann bildete er sich zum Heilpraktiker weiter und entwickelte seine eigene Form der Kinesiologie, die «Universelle Kinesiologie und Energiearbeit», welche Belastungen aus früheren Inkarnationen beheben soll. Dazu sei Michael Komm aufgrund seiner «Inselbegabung» als «göttliches Medium» in der Lage, wie er mehrfach betont.

Werbung auf Youtube

Neben dem handschriftlich korrigierten Rollup befindet sich ein Stuhl für die Klientschaft, die Michael Komm nun vor den Augen des ca. 20 Personen umfassenden Publikums behandeln will. Gleich eingangs macht Komm klar, dass die Personen, welche auf dem Stuhl Platz nehmen, damit der Aufnahme und Publikation der Behandlung auf Youtube zustimmen.

Die Aussicht, in Werbevideos von Michael Komm aufzutauchen, schreckt die Heilungssuchenden nicht ab. Eine Dame nimmt auf dem Stuhl Platz und meint, dass sie Druck spüre, dass etwas passieren werde an der Arbeitsstelle.

Zupackende Beratung

Michael Komm pflegt nicht nur jungen Frauen gegenüber eine deutliche Sprache, sondern auch bei älteren Damen, so meint er zu seiner Klientin, sie sei eine Frau, die nicht bereit gewesen sei, sich beruflich weiterzuentwickeln. Sie sei zu verkopft, würde sich zu viele Illusionen machen. Michael Komm fasst die Dame an ihren Armen an, um ihren Zustand vor seiner Behandlung zu testen. Nun stellt er sich neben sie und macht kreisende Hüftbewegungen, durch welche er Energien ableiten würde.

Nach dieser Behandlung testet Michael Komm wieder die Arme der Frau, sie lassen sich nun angeblich besser bewegen. Vielleicht hilft das Training des ersten Versuchs, vielleicht hat die Dame sich an den Eingriff gewöhnt und lässt ihn eher zu, vielleicht übt Komm mehr Druck aus, als diagnostisches Kriterium scheinen uns solche Manipulationen recht fragwürdig. Wie dem auch sei, Michael Komm wertet die Sache als Erfolg und bittet um die nächste Person.

Sibirische Kälte

Die nächste Dame, auch sie schon deutlich in der zweiten Lebenshälfte angelangt, berichtet mit einem osteuropäischen Akzent von chronischen Schmerzen, welche sie plagen würden. Michael Komm spekuliert nun, ähnlich wie zuvor bei unseren Mitarbeiterinnen, vor sich hin: Er sähe bei der Dame ein Kälte-Thema, sie sei in einem früheren Leben ein Mann gewesen, der sibirische Kälte erlebt habe, er spüre «subtile seelische Russland-Verbindungen».

Nun versteigt sich Michael Komm in hochproblematische Aussagen: «Du warst ein Kriegsverbrecher, warst sehr brutal, weil dich die sibirische Kälte so geformt hat». Diese Bemerkung ist in meinen Augen nicht nur der Dame gegenüber höchst unsensibel, sondern auch eine rassistische Beleidigung der sibirischen Kulturen. Selbstverständlich sind Menschen, welche im sibirischen Klima leben, nicht brutaler als Angehörige anderer Kulturen in anderen Weltgegenden.

Die Guillotine in Kasachstan

Michael Komm spekuliert weiter und redet sich um Kopf und Kragen: Die Dame sei vielleicht in Kasachstan gefangen genommen und dann hingerichtet worden. Der Hinrichtungsart schenkt Komm besondere Aufmerksamkeit. Es sei eine sehr schnelle Methode gewesen, es hätte sich um das Fallbeil gehandelt, um die Guillotine: «Zack, Kopf fällt in die Schale, und tschüss». Ich bin schockiert über die Nonchalance, mit welcher Michael Komm der Dame potenziell belastende Erlebnisse zusagt. Dass Hinrichtungen in Kasachstan vor der Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 2021 durch Erschiessen vollzogen wurden, nicht mit der Guillotine, bleibt da Nebenschauplatz.

Die von ihm angeblich wahrgenommenen Probleme will Michael Komm nun von der Dame ableiten, indem er sie anfasst und seinen unverkennbaren Hüftschwung vortanzt. Ich empfinde das Ganze als eines der fragwürdigsten Erlebnisse in 34 Jahren Lebenskraft.

Ein neuer Stern unter den Spirituellen: Gopal

Am folgenden Tag besuchen wir einen Vortrag unter dem Titel «Die Kraft der Verbindung» von Norbert Uwe Klein alias Gopal. Norbert Klein wurde 1974 in Wiesbaden geboren, wuchs in der Nähe von Gießen auf und studierte Informatik an einer Fachhochschule. In der Folge führte er während acht Jahren IT-Projekte für Firmen durch. Mitte Dreissig besuchte er eine Traumatherapeutin in Erfurt und die Satsang-Lehrerin Adima. Über Adima kam Gopal in Kontakt mit Tibetan Pulsing und der Osho-Bewegung. Daneben besuchte er zahlreiche weitere Meister, so auch Samarpan (heute Soham), von dem Klein seinen Geistnamen «Gopal» erhielt.

Im Jahr 2016 beendete Gopal seine IT-Karriere, liess sich in Traumatherapie-Verfahren ausbilden und begann, im Osho-Zentrum New Dawn in Dresden zu arbeiten. Parallel nahm er seine Vortragstätigkeit auf und entwickelte das «Ehrliche Mitteilen». Seit 2018 ist Gopal Heilpraktiker für Psychotherapie.

Im Jahr 2020 zog Gopal in die Schweiz um und lebt heute in Sarnen, «einem traumhaften Kraftort inmitten der Alpen». Gesetzlich nahm Gopal den Nachnamen seiner Frau an und heisst jetzt Norbert Nanzer-Klein. Menschen, die sich von Gopals «Ehrlichem Mitteilen» angesprochen fühlen, sammeln sich in Lokalen Gruppen, die sich «Lokale Gruppe nach Gopal» nennen. In der Schweiz existieren zurzeit 21 Lokale Gruppen nach Gopal.

Dritter Auftritt von Nikolaus Petö

Dass Gopal zurzeit zu den trendigeren Anbietenden im Bereich der alternativen Spiritualität gehört, wird nicht nur an der Zahl der «Lokalen Gruppen nach Gopal» deutlich, sondern auch durch den Publikumsaufmarsch zu seinem Vortrag. Mit rund 60 Leuten war der Saal gut gefüllt, es handelte sich unter den Veranstaltungen an der Lebenskraft 2022, die wir miterlebten, um die bestbesuchte.

Von diesem Publikumsaufmarsch wollte ein anderer profitieren: Als die Zuhörendenschaft vor dem Vortrag von Gopal in Erwartung des Kommenden versammelt war, aber Gopal den Raum noch nicht betreten hatte, kam Nikolaus Petö hinein, trat nach vorn und fragte, wer denn da nächstens referieren würde. Auf die Antwort einer Anwesenden hin meinte er mit einem Ton, der auf mich herablassend-ironisch wirkte: «Ah, der Gopal…» und machte dann Werbung für seine eigene Veranstaltung. Dabei trug Petö wie am Vortag ein bordeauxfarbenes T-Shirt. Ich kann nur hoffen, dass er mehrere davon besitzt. Petö entwischte gerade noch rechtzeitig, bevor Gopal den Raum betrat.

Gopals «Ehrliches Mitteilen»

Während das Publikum auf Gopal wartete, konnte es sich in einer aufgelegten Broschüre schon über Gopals «Ehrliches Mitteilen» kundig machen. Hier schreibt Gopal: «Ehrliches Mitteilen (kurz: EM) ist eine Kommunikationsmethode, die es dir ermöglicht, in einem geschützten, sicheren Rahmen darüber zu sprechen, wie es dir in diesem Moment gerade geht – welche Körperempfindungen, welche Gefühle, welche Gedanken du hast. Sie wurde ins Leben gerufen von Gopal Norbert Klein.» (Norbert Klein, Glückliche Beziehungen durch Ehrliches Mitteilen, o.V., o.J., s. 2)

Dabei geht es um viel mehr als nur um gewaltfreie Kommunikation: «Durch EM entsteht ein besonderer Kontakt, den du so vielleicht noch nie erlebt hast. Deine Beziehungen zu anderen Menschen werden tiefer und glücklicher.» «EM … führt dazu, dass du in deine Kraft und Gestaltungsfähigkeit kommst.» (Ebd.) «EM trägt … bei zu einem friedlichen Miteinander und zu einer neuen Welt» (s. 3).

Einfaches Rezept

Angesichts dieser weitreichenden Verheissungen, die mit dem Ehrlichen Mitteilen verbunden sind, erstaunt die Einfachheit der Methode: Die Kommunizierenden, es müssen mindestens zwei sein, erhalten nacheinander den gleichen Zeitraum, um sich mitzuteilen. Wer spricht, erhält die gesamte Aufmerksamkeit, und beginnt alle Äusserungen mit einer Floskel, welche die Ebene der Mitteilung benennt: handelt es sich um eine Körperempfindung, beginnt der Satz mit: «Ich spüre…». Soll ein Gefühl ehrlich mitgeteilt werden, startet die sprechende Person mit «Ich fühle…». Gedanken schliesslich fangen an mit «In meinem Kopf ist der Gedanke, dass…» oder «Mein Kopf denkt, dass…».

EM konkret

In seinem «Handbuch Ehrliches Mitteilen», welches Gopal im Jahr 2021 für die unter Corona-Massnahmen-Gegnern und Verschwörungsfans beliebte deutsche Klein-Partei «Die Basis» verfasst hat, bringt Gopal konkrete Beispiele für Ehrliches Mitteilen: Das Kompliment «Mir gefällt das, was du machst», klingt in EM so: «Da ist ein Gefühl von Freude. In meinem Kopf ist der Gedanke, dass es schön ist was du machst.» Die Feststellung «Du nervst mich» lautet im Ehrlichen Mitteilen: «Da ist ein Gefühl von Wut. Mein Kopf denkt, dass du meine Bedürfnisse nicht wahrnimmst», und der Ausruf «Du Arsch!» wird folgendermassen ehrlich mitgeteilt: «Ich fühle Hass in mir». Während die ersten beiden Beispiele durch ihre Umständlichkeit irritieren, scheint mit das letzte mit einer Zuspitzung der Emotionalität verbunden zu sein. Kann ich nicht jemanden mal ein A… schimpfen, ohne ihn gleich hassen zu müssen?

Die Kraft der Verbindung

Nun tritt Gopal ein und beginnt mit seinem Vortrag. Thema ist die Kraft der Verbindung. Diese hätten wir, so meint Gopal, aus den Augen verloren. Auf seinem Rundgang durch die Lebenskraft habe er «viele tolle Sachen» gesehen, aber an den entscheidenden Ort wolle niemand hinschauen. Zu dieser Einschätzung verhält sich der Publikumsaufmarsch etwas sperrig, was auch Gopal bemerkt: «Ich wundere mich, dass es fast voll ist, mutig!». Denn jetzt käme keine «Geschichte zum Konsumieren», sondern «nicht so schöne Nachrichten». Es gäbe eine neue Dimension des Lebens, und diese sei – an der Lebenskraft beinahe unaussprechlich – «nichts Spirituelles», sondern «reine Biologie».

Alles Biologie oder was?

Was nun folgt, erinnert mich eher an populäre Lebensberatungs-Literatur als an den Biologieunterricht: Wir Menschen lebten getrennt, gespalten, auf Distanz. Vielleicht sei da jemand, der sehr erfüllt ist in seiner Partnerschaft, aber meistens sei es nicht so. Dabei benötigten wir dringend eine enge Beziehung zu einem bestimmten Menschen, wobei dies nicht zwingend die Partnerin oder der Partner sein müsse: «Der Mensch, der euch am nächsten ist, kann der Therapeut sein». Von dieser Konstellation hängt nun nach Gopal alles ab: «Was zwischen den nächsten Menschen passiert, ist das, was das Spiel auf der Welt entscheidet». Leider sei diese Kommunikation mit der nächststehenden Person meist blockiert, weil sie nicht ehrlich ist. Das Problem sei das, «was ihr den Menschen nicht sagt, verheimlicht». Gopal selbst habe Geheimnisse nicht nötig: «Ich sag alles, ist alles im Fluss, kein Problem». Mit Heimlichkeiten sei es nicht möglich, vollumfänglich zu kommunizieren.

Irrwege

An diesem Punkt haben einige Anwesende genug gehört und verlassen den Saal. Das ficht Gopal allerdings nicht an: «Ihr könnt jederzeit gehen, wenn ihr es nicht aushaltet, ist o.k. für mich.» Allerdings würde es keinen Sinn machen, nach anderen Wegen zu suchen: «Wir können nicht daran vorbeimeditieren, daran vorbeichanneln». Auch Spiritualität und Suche nach Erleuchtung würden das Problem nicht lösen, sie seien «Versuche, sich daran vorbeizumogeln», genau wie Drogen. Viele seien nicht mal am Punkt zu wissen, dass sie im Bereich der Kommunikation hingucken müssten.

Wie kommt das? Wie kann es sein, dass Menschen, die seit Jahrzehnten auf dem spirituellen Weg sind und Dutzende Ausbildungen absolviert haben, nicht darauf kommen, dass die ehrliche Kommunikation in der nächsten Beziehung so entscheidend ist? Genau wie viele andere Anbietende, die erklären müssen, warum ihre weltenwendenden Weisheiten nicht die globale Aufmerksamkeit erhalten, die sie eigentlich verdienen würden, arbeitet auch Gopal mit Verschwörungstheorien. Heute deutet er sie nur kurz an: Die «herrschende Klasse», «das System» wolle nicht, dass wir da hinschauen würden.

Problematische biologistische Thesen

Nun wird es wiederum biologisch, oder das, was Gopal unter Biologie versteht. Wir Menschen hätten ein Gruppennervensystem: «Deshalb werden wir uns nie in der Einsamkeit wohlfühlen, auch wenn Leute das in der Meditation zu erreichen versuchen, das wird nicht funktionieren.» Höre ich da richtig? Will Gopal anderen Menschen und Kulturen vorschreiben, wo sie sich wohlzufühlen haben und wo nicht? Wo lebte Gopal die letzten Jahrzehnte?

Psychologie und Erleuchtung

Noch schlimmer stünde es, so Gopal, um Psychotherapie und Psychologie. Die Erkenntnisse um die ehrliche Mitteilung in engen Beziehungen würden bekämpft: «Alles, was da hinguckt, wird bekämpft».

Er selbst sei zehn Jahre bei grossen Lehrern und Meistern gewesen. Im Rückblick wisse er, dass er einen vertieften Kontakt gesucht habe: «Erleuchtung hat bei mir nicht funktioniert. Der spirituelle Weg ist komplett gescheitert bei mir.» Es scheitere alles, was Menschen ausserhalb des Kontextes der ehrlichen Kommunikation in nahen Beziehungen versuchten.

Der Weg

«Eigentlich möchte ich nur Kontakt haben, Nähe, wie stelle ich das her?». «Wenn wir das hinbekommen, entspannt sich der Körper, das Energiesystem öffnet sich, der vertikale Kanal öffnet sich automatisch, wir müssen uns nicht eine Sekunde darum kümmern». Wie geschieht das nun? «Es geht darum, dem Partner die Wahrheit zu sagen, das stellt die Verbindung her, das öffnet den Kanal.» Damit sind auch die spirituellen Ziele erreicht: «Dann passiert das Aufwachen als Nebeneffekt».

Es gehe nun im Kern um zwei Emotionen, die nicht kommuniziert würden: Wut und Trauer. Diese müssten mitgeteilt werden. «Wenn ich es schaffe, das zu kommunizieren, ist das Problem erledigt». Nicht nur die Probleme einzelner Menschen könnten gelöst werden, sondern auch diejenigen der ganzen Welt: «Alle Probleme dieses Planeten gehen zurück auf Beziehungsprobleme, Kommunikationsprobleme. Wenn man das den Kindern beibringen würde, eine Generation würde ausreichen, um ein neues System aufzubauen.»

Gopal wirbt immer wieder damit, wie einfach und ökonomisch sein Verfahren doch sei, verglichen mit traditionellen spirituellen Wegen: «Ihr müsst nicht jahrelang meditieren dafür. Im Moment, wo ihr das macht, ist es erledigt».

Reaktion in der Partnerschaft

Eine Frau fragt nach: «Was ist, wenn mein Partner das schlecht verträgt?» Gopal antwortet: «Für euch ist es irrelevant, was der Partner macht. Wenn ihr das macht, werdet ihr transformiert, egal was der Partner macht, ob er bleibt oder weggeht.» Wenn der Partner auf die ehrliche Mitteilung von Wut & Trauer sowie aller Geheimnisse hin sich verabschiedet, ist das für Gopal keine Trennung. Ohne ehrliches Mitteilen könne nicht von einer Beziehung gesprochen werden. «Es ist keine Trennung, weil nichts da war». Deshalb mache es keinen Sinn, sich vor einem Ende der Partnerschaft durch allzu ehrliche Mitteilungen zu fürchten: «Du hast nix zu verlieren, weil nix da ist, nur ein Arrangement».

Partnersuche nach Gopal

Kommt es zum Ende der Partnerschaft, würde es Sinn machen, sich eine Partnerschaft zu suchen, in welcher ehrliches Mitteilen möglich ist: «Ich würde mir jemand suchen, der das auch möchte.» Nicht alle Menschen seien geeignet: «Jetzt können wir es uns aussuchen, ob wir mit sehr gestörten Menschen zu tun haben wollen». Die Fragende solle sich einen Menschen suchen, mit dem sie Austausch haben könne.

Eine ehrliche Mitteilung zum Ehrlichen Mitteilen

Eine Frau, die Ehrliches Mitteilen schon länger praktiziert, wird nun erfrischend ehrlich: «Wenn ich ehrlich mitteile, muss ich oft gähnen. Soll ich das unterdrücken, oder einfach gähnen?» Gopal bleibt in seiner Antwort der Logik von EM treu: «Teile es mit!». Die Frage sei: «Gähn ich dann oder teile ich es einfach mit?». Gopal sagt nicht, wie das tönen würde. Ich stelle es mir so vor: Mein Körper spürt das Bedürfnis in sich, zu gähnen. Ich fühle Langeweile. Mein Kopf denkt, dass Ehrliches Mitteilen unendlich viel verspricht, in der Praxis aber zum Gähnen ist.

Das Publikum, dessen Reihen sich mittlerweile deutlich gelichtet haben, applaudiert höflich und wendet sich anderen Angeboten auf der Lebenskraft zu.

Intransparente Himmelsbotschafter

Als nächstes besuchen wir den Vortrag der «Himmelsbotschafter» zum Thema «Leben im Licht». Am Stand der «Himmelsbotschafter» wurde als Referent der Veranstaltung angekündigt Timon Zurkirchen, genannt Züchel. Aber Züchel war krankheitshalber nicht da, er wurde vertreten durch eine Person, die sich als «Andreas» vorstellte. Nachname wurde keiner genannt. Auch auf Web- und Facebookseite der «Himmelsbotschafter» ist über «Andreas» nichts zu erfahren.

Die beiden Mitarbeiterinnen, die Andreas unterstützen, stellen sich als Damaris und Saskia vor. Sie sind auf der Website der «Himmelsbotschafter» verzeichnet als Damaris Hollenstein und Saskia Merz.

Auch über ihre Gemeindezugehörigkeit geben sich die «Himmelsbotschafter» traditionell eher zugeknöpft. Die Leute stammten aus «verschiedenen Kirchen», war die Antwort in vergangenen Jahren, diesmal liess sich ein «Himmelsbotschafter» entlocken, dass einige Beteiligte zur Hauskirchenbewegung «City Church Network» gehören und dort eine lokale Hauskirche besuchen. Dieselbe Person berichtete davon, 17 Jahre lang homosexuell gelebt zu haben und nun froh zu sein, «da nicht mehr dazuzugehören». Wir hoffen für ihn, dass er nicht in ein psychisches Loch fällt, wenn er wie viele vermeintlich von Homosexualität «Geheilte» oder «Veränderte» feststellt, dass seine Veranlagung immer noch dieselbe ist, und dass er sich dann sowohl als Christ als auch als Homosexueller annehmen kann.

Kerzen, Licht und Dunkelheit

Zu Beginn der Veranstaltung verteilen Andreas und seine beiden Mitarbeiterinnen Rechaud-Kerzen als Symbol des Lichts. Sie brauchen nicht viele zu verteilen, denn das Publikum besteht bloss aus zehn Personen, den Schreibenden und seine Frau mitgerechnet.

Andreas meint, dass er Kerzen möge, zuhause würde jeweils er die Kerzen aufstellen, nicht seine Frau: «Ich liebe den ganzen Kitsch». Wir sollten das Licht in die Finsternis hineinleuchten lassen, es werde ja gesagt: «Licht ist die Nichtpräsenz von Dunkelheit». Aus dem Physikunterricht kenne ich die Formulierung, dass Dunkelheit die Abwesenheit von Licht sei. Das Umgekehrte macht aus meiner Sicht wenig Sinn, auch nicht übertragen auf die Ebene des Glaubens.

Religion als Feindbild

Andreas berichtet nun, wie bei neocharismatischen Veranstaltungen üblich, von seinem Leben, er gibt sein «Zeugnis», wie das intern heisst. Er sei «aufgewachsen in einem religiösen Umfeld» als Sohn eines Pastors. Er habe als Kind in die Kirche mitmüssen, habe sich aber oft gefragt, ob die Kirche gleich Gott sei. Offenbar erlebt Andreas heute das Umfeld seiner Kindheit eher negativ. Jedenfalls trifft dies auf den Begriff «religiös» in den Kreisen der Himmelsbotschafter zu. Auf der Facebook-Seite von Timon Zurkirchen ist als Steckbrief programmatisch zu lesen: «Religion is what happens when the holy spirit has left the building». Offenbar ist Andreas heute der Überzeugung, dass in der Gemeinde seines Vaters der Heilige Geist nicht anzutreffen war, sonst hätte er nicht von einem «religiösen», sondern von einem «gläubigen» oder «christlichen» Umfeld gesprochen. Das esoterische Publikum teilt diese negative Wertung des Begriffs «Religion» weitgehend, verwendet als Eigenbezeichnung aber nicht «Glaube», sondern «Spiritualität» oder «Mystik».

Vom Schreiner zum «Himmelsbotschafter»

Andreas habe, so berichtet er, eine Ausbildung als Schreiner gemacht und sei lange Jahre in diesem Beruf tätig gewesen. Während eines Gottesdienstes habe er gemerkt, dass Gott zu ihm redet: «Ich habe dich gern – Du musst nichts leisten, tun, kreieren, erschaffen. Ich hab dich einfach gern». Dies sei zwar schon 25 Jahre her, aber diese Worte hätten sein Leben geprägt. Heute erlebe er, wie Gott in konkrete Lebenssituationen hineinspreche.

Neocharismatisches Gebet für Spirituelle

Nun betet Andreas, und es wird spürbar, dass er seine Worte auf das esoterische Publikum abgestimmt hat. So betont er etwa, dass dieselbe Kraft, die Jesus wieder lebendig gemacht habe, «auch in uns wirkt», dass wir uns Jesus nähern dürften, mit allem Schmerz, «vielleicht auch mit manchen Vorurteilen», dass wir ihm sagen sollten: «Ja, ich öffne mein Herz», darauf würden Dinge offenbar in unserem Leben, «die sollten sich ändern», dort wo es «Störquellen» gebe in unserem Leben, sollten wir beten, dass diese weichen. «Wenn du sagst, es ist ganz viel Finsternis auch in mir, möchte ich für dich beten, dass Jesus mit seinem Licht hineinleuchtet.»

Enttäuschende Botschaften des Himmels

Nun dürfen die Mitarbeiterinnen ihres Amtes als «Himmelsbotschafter» walten, indem sie die Botschaften, die sie vom Himmel zu vernehmen glauben, weitergeben. Eine Mitarbeiterin meint, sie spüre, dass Gott mit offenen Armen dastehe für die Menschen, die eine Umarmung vom Vater wünschen.

Weiter meint sie: «Vielleicht gibt’s jemanden, der Atembeschwerden hat». Diagnosen der Anwesenden zu «spüren» kommt immer dann gut, wenn das Publikum hinreichend gross ist, dann sind bei Allerweltsleiden wie Atembeschwerden regelmässig Treffer zu verzeichnen. Unter den zehn Menschen, die heute da sind, meldet sich aber niemand.

Die Mitarbeiterin bringt nun den Klassiker der prophetischen Eindrücke: «Ich habe jemanden gesehen mit Selbstmordgedanken». Jesus würde diese Gedanken aber wegnehmen und neues Leben hineinsprechen.

Letzteres war eine sehr tröstliche Aussage. Die Himmelsbotschaften insgesamt aber enttäuschten mich. Zielpublikum der Veranstaltung waren allerdings auch nicht kritische Religionsfachleute, sondern esoterische Menschen, die es gewohnt sind, Phänomene als übernatürlich zu deuten, die ohne Problem immanent erklärt werden könnten, wenn dies erwünscht wäre.

Nun wird «versiegelt»: «Wir versiegeln über deinem Leben und deinem Herzen, dass nichts und niemand es dir nehmen kann.» Bei solchen magisch wirkenden Formeln wird deutlich, wie nahe sich neocharismatische und esoterisch-spirituelle Praxis trotz aller massiven Unterschiede in Fragen der Weltanschauung stehen können.

Engel oder Jesus?

Eine Viertelstunde zu früh beendet Andreas die Veranstaltung, weil er den Vortragsplan offenbar nicht richtig gelesen hat. Das Publikum verlässt bis auf einen Mann den Raum. Der Schreibende und seine Frau bleiben sitzen, weil wir den anschliessenden Vortrag im selben Raum besuchen wollen.

Der zurückgebliebene Mann tritt nach vorn und spricht mit Damaris, einer der beiden Mitarbeiterinnen von Andreas. Dass wir zuhören können, muss sowohl dem Mann als auch Damaris bewusst sein. Sie sprechen in normallauter, manchmal gar lauter Stimme, wir sitzen zwei Stuhlreihen entfernt, ich mache Notizen, für jede anwesende Person sichtbar.

Piero und seine Engelsammlung

Der Mann, nennen wir ihn Piero, berichtet von gesundheitlichen Problemen.

Die Himmelsbotschafterin Damaris meint: «Mein Tipp, lass dich auf Jesus ein».

Piero erwähnt nun, dass nicht nur eine grosse Sammlung an Engelstatuen besitze, sondern auch in direktem Kontakt mit Engeln stehe.

Damaris betont, dass das «nicht ganz dasselbe» sei. Die Engel seien dienstbare Geister. «Jesus will nicht, dass du mit Engeln redest, sondern mit ihm». Weiters sei zu bedenken: «Es gibt gute und schlechte Engel.» und «Der Teufel verkleidet sich als Engel des Lichts». Damaris resümiert: «Wenn du Jesus hast, brauchst du das gar nicht.»

Piero fragt nach, ob er denn in ihrer Sicht gar nicht mit Engeln sprechen solle.

Damaris meint: «Es geht nicht darum: Soll ich mit Engeln reden, sondern es kommt darauf an, dass du Jesus annimmst». «Ich glaube, Jesus klopft bei deinem Leben an und fragt: Piero, mache du mir auf.»

Damaris kommt nun zum Punkt: «Sollen wir zusammen beten, dass du ihm aufmachst, dass du ihm aufmachst und damit die Türe zumachst für das andere, dass du nicht gleichzeitig glaubst an Allah, Buddha?»

Sie selbst sei vor sechs Jahren wiedergeboren, zu einer neuen Schöpfung geworden.

Damaris fragt Piero nochmals, ob sie für ihn beten darf. Er willigt ein.

Übergabegebet und Konsequenzen

Damaris spricht nun ein Übergabegebet und betont in diesem, dass Piero nun nicht mehr mit Engeln reden müsse, sondern mit Jesus sprechen könne, dass er ein Jünger werden solle, dass er die Firma, in welcher er arbeitet, anstecken möge mit Freude.

Zum Abschluss verwendet Damaris eine Formulierung, die wieder grosse Nähe zu magischen Formeln aufweist: «Ich spreche Gesundheit aus über Piero».

Nach dem Gebet meint Damaris, dass Piero seinem Umfeld vom Geschehen berichten solle.

Piero fragt nun nach, ob er am Engelsymposium, das im Rahmen der Lebenskraft am nächsten Tag stattfindet, teilnehmen solle. Das sei doch nicht so schlimm, oder?

Damaris meint «Du, das musst du selber entscheiden. Aber ich hab’s dir ja erklärt, du hast es gehört von mir.»

Piero gibt nach, meint aber, seine Engelsammlung würde er nicht wegwerfen.

Damaris weist darauf hin, dass in der Bibel Zauberbücher und Statuen verbrannt würden. «Überleg dir, was ist dir mehr wert: dein eigenes Leben oder ein paar Statuen?»

Wie sich Piero entscheiden wird, erfahren wir nicht.

Es beginnt die nächste Veranstaltung, in deren Zentrum ebenfalls ein Buch steht, eines, das für Damaris möglicherweise unter die «Zauberbücher» fallen würde.

Das Kenntnis-Buch

Das Kenntnis-Buch oder türkisch Bilgi Kitabı ist ein violetter, 1168 Seiten starker Wälzer im Quart-Format mit Goldschnitt, der Botschaften enthält, welche die türkische Esoterikerin Vedia Bülent Önsü Çorak (geb. 1923) ab dem 1. November 1981 empfangen haben will. Vedia Bülent Çorak sieht sich selbst als Reinkarnation des Sufi-Mystikers Rumi, genannt Mevlana, weshalb sich Bülent Çorak gern selbst als Mevlana bezeichnet. Mevlana greift im Bilgi Kitabı die Weltanschauung der Lichtarbeit auf, nach welcher sich die Menschheit in einem Entwicklungsprozess zu höheren Existenzformen hin befindet. Bei dieser Evolution wird die Menschheit von höheren Wesenheiten und Ausserirdischen unterstützt, deren Verlautbarungen das Kenntnis Buch inhaltlich ausmachen: «Euer Planet ist in diesem letzten Zeitabschnitt Eurer Evolution angelangt. Die Gesandten des Elysischen Reiches sind Uns vom Zentralen System aus behilflich.» (Bilgi Kitabı, s. 233).

Goldenes Zeitalter und steigende Preise

Das Kenntnis Buch soll alle anderen Offenbarungsschriften, die zu ihrer Zeit ihren Wert hatten, ablösen, und das Grundgesetz eines neuen Goldenen Zeitalters sein: «Dieses Buch, das man die liebe Mevlana schreiben lässt, teilt die Erhabenen Befehle UNSERES HERRN, ohne irgendeinen Vermittler, Direkt über den Kanal mit. Dieses Kenntnis Buch lässt man euch als das Universum Grundgesetz schreiben. Durch eine neue Ordnung, die gegründet werden wird, wird das seit Jahrhunderten Erwartete Goldzeitalter gegründet werden. Jetzt ist die Zeit der Ernte der vor Jahrhunderten ausgesäten Samen. Die ganze Universale Ordonnanz lässt man Eurem Planeten durch dieses Kenntnis Buch reflektieren.» (s. 233)

Beim Bilgi Kitabı werden die Auswirkungen der Inflation auf die spirituelle Szene spürbar: Kostete der Wälzer über lange Jahre immer Fr. 100.-, ist der Preis an der Lebenskraft 2022 auf Fr. 120.- angestiegen.

Die Offenbarung der Zukunft

Zum Kenntnis-Buch referiert Karin Borger, die führende Vertreterin der Bewegung ums Bilgi Kitabı in der Schweiz. Sie berichtet davon, dass sie bereits seit 13 Jahren mit dem Kenntnis-Buch arbeite. Sie hält monatlich Vorträge zu Themen aus Sicht des Bilgi Kitabı und gibt Einführungen ins Buch und dessen Philosophie.

Karin Borger meint, dass das Kenntnis-Buch Energien aus der siebenten bis 18. Dimension enthalten würde, und die gültige Offenbarung an die Menschheit für die nächsten 2000 Jahre sei. Dies sei auch der Grund, warum nicht alle Abschnitte des Buches verständlich seien, denn manche Teile richteten sich erst an Lesende in späteren Jahrhunderten. Vor 6000 Jahren sei die damals gültige Offenbarung von Gurus gekommen, vor 4000 Jahren von Mose und der ägyptischen Zivilisation, vor 2000 Jahren von Jesus und Muhammad, die zusammengearbeitet hätten, Jesus mit der Botschaft der Liebe und Muhammad mit der Botschaft der Kenntnis, und nun habe Mevlana mit dem Bilgi Kitabı die gültige Offenbarung für die nächsten 2000 Jahre überbracht. Die Energien der vergangenen Offenbarungen hätten wir in früheren Inkarnationen bereits aufgenommen, damit müssten wir uns in diesem Leben nicht mehr beschäftigen. Einzig adäquate Offenbarung ist heute, so die unausgesprochene Konsequenz von Karin Borgers Ausführungen, das Bilgi Kitabı.

Materie-Blase für 26’000 Jahre, und dann hopp hopp

Die Erde befinde sich, so berichtet Karin Borger, in einer Materie-Blase, die 26’000 Jahre dauere und in welcher Reinkarnation stattfinde. Innerhalb dieses Zyklus sei die Erde schon weit gekommen, nur noch 180 Jahre trennten sie vom Ende dieser Ära. Die Probleme unserer Welt seien Ausdruck dieser nahenden Umbruch-Phase. Am Ende dieser Epoche werde die Erde in die fünfte Dimension aufsteigen. Aber nur ein Teil der Menschheit werde es schaffen, bei diesem Aufstieg dabei zu sein. Wer nicht dabei ist, wird für Milliarden von Jahren weitere Kreise in Materie-Zyklen absolvieren müssen. «Es ist ein Selektionszeitalter, es ist einfach so». Auf die kommenden 180 Jahre und weitere Inkarnationen zu warten, sei riskant, denn die Umstände würden nun immer schwieriger: «Ich rate nicht zu sagen: ‹Ich warte da noch›, sondern hopp hopp hopp! Sonst ist der Zug abgefahren». Es sei «wirklich wirklich wirklich wichtig, an den Energien zu arbeiten, weil das Zeitfenster knapp ist».

Fokussieren aufs Positive

In unserer Zeit würden, so Karin Borger, dunkle Machenschaften ans Licht kommen. Zweifellos nimmt sie damit auf die in esoterischen Kreisen, aber auch weit darüber hinaus grassierenden Verschwörungstheorien Bezug, die schon vor Corona stark zunahmen, durch die Pandemie aber weiter befeuert wurden. Im Gegensatz etwa zu Christina von Dreien, die sich gern ausführlich über die ihrer Ansicht nach aktuellen Verschwörungen auslässt, rät Karin Borger davon ab, sich in diesen Theorien zu verlieren. Stattdessen sollten sich die Menschen lieber aufs Positive fokussieren. Ein Fokus aufs Negative würde Angst triggern. Und das, worauf wir unsere Energie fokussierten, das würde wachsen. Angst würde die Frequenz senken, und es sei wichtig, sich dem nicht hinzugeben. Das Aussen könnten wir nicht beeinflussen, aber wir könnten beeinflussen, wie wir dazu stehen.

Lektüre des Bilgi Kitabı

Vom Publikum wird Karin Borger auf konkurrierende Konzepte hin befragt. Zu Christina von Dreien meint sie, dass ihr alles, was Christina sagt, bekannt sei, und das alles aus derselben Quelle komme. Das Bilgi Kitabı würde detailliert erklären, woher diese Kenntnisse seien.

Das Kenntnis-Buch sei ein Trainings-Buch, das beim Aufstieg helfe. Derselbe Abschnitt könne bei wiederholter Lektüre immer neue Erkenntnisse bringen. Derselbe Satz könne unterschiedliche Bewusstseinsschichten ansprechen.

Das Bilgi Kitabı sei das Tool, das uns höhere Welten gesandt hätten. Jetzt sei er Zeitpunkt, wo Kosmos uns die Verantwortung gibt. Es werde niemand kommen, um uns zu retten.

Die Energie sei an das Buch gekoppelt, was manche spüren könnten, andere nicht. Eine Kopie des Buches, etwa in digitaler Form, würde keine Energie tragen und deshalb sinnlos sein.

Mevlana

Vedia Bülent Önsü Çorak, genannt Mevlana, sei mittlerweile 99 Jahre alt, sähe aber, so berichtet Karin Borger von ihrer jüngsten Reise im Mai nach Istanbul, aus wie 70. Mevlana stamme aus dem Lichtuniversum und hätte schon lange dahin zurückkehren können, sie bleibe aber hier, «um die Energie zu halten, damit die Erde nicht ins Chaos verfällt». Sie halte Vorträge von 12 bis 24 Uhr, bei welchen Karin Borger simultan übersetzen würde. Die Energie sei so hoch, dass sie die zwölf Stunden Übersetzung ohne weiteres durchhalte.

Esoterik als Ein-Generationen-Projekt?

Mevlanas vorgerücktes Alter steht symbolisch für die esoterische Bewegung als Ganzes. Zwar finden sich an der Lebenskraft auch Menschen in der Mitte des Lebens, aber Personen der älteren Generation dominieren klar. Unsere Mitarbeiterinnen, die 23 bis 27 Jahre alt sind, fallen auf, meine Person mit meinen 56 Jahren in keiner Weise. Durch die Coiffeurin von der typischen Frisur befreit und ganz in dunkelrot gekleidet wirke ich wie ein angejahrter Sannyasin. Niemand erkennt mich.

Als die esoterische Bewegung in den Siebziger- und beginnenden Achtzigerjahren noch New Age genannt wurde, erfasste sie vor allem junge Leute. Ums Jahr 2000 herum ergab sich der Eindruck, dass die Esoterik, wie sie nun hiess, in erster Linie Menschen in der Mitte des Lebens interessieren würde. Und im Jahr 2022 finden sich an esoterischen Veranstaltungen, die nun nicht mehr als «esoterisch», sondern als «spirituell» auftreten, vornehmlich Personen im Seniorenalter.

Sind es dieselben Menschen, die in den Siebzigern als junge Erwachsene zu «Aquarius» getanzt und mit dem Millennium ihre Midlife-Crisis erlebt haben, die nun als Seniorinnen und Senioren die möglicherweise letzte Lebenskraft besuchen?

Die nächste Welle?

Deutlich ist jedenfalls der Trend zu bewusst nichtspirituellen, biologistisch oder psychologisch begründeten Lebenshilfe-Angeboten, wie Gopal eines anbietet. Diese Bewegungen wirken auch auf junge Menschen attraktiv. Kommt nach New Age, Esoterik und Spiritualität nun die Bio-Psycho-Welle? Im Moment scheint der Trend in diese Richtung zu gehen.

Georg O. Schmid, 2. November 2022