«Die Schweiz betet» in Urdorf am 3. Mai 2023

Eine kleine Gruppe gläubiger Christen

Es ist ein wunderschöner warmer Frühlingsabend und ich spaziere zusammen mit meinem Freund durch Urdorf. Wir sind auf dem Weg zur katholischen Kirche Urdorf, einer von zehn Orten in Zürich, (und über 100 in der Schweiz) an denen sich am Mittwochabend die Bewegung «die Schweiz betet» versammelt.

Der Internetseite konnte ich entnehmen, dass das Gebet vor dem Eingang der Pfarrei «Heiliger Bruder Klaus» stattfindet und die drei Organisator*innen sich auf eine zahlreiche Teilnahme freuen. Aufgrund meiner Recherche erwarte ich eine eher kleine Gruppe mit überwiegend älteren Personen. Wir treffen pünktlich vor der Kirche ein und stehen etwas ratlos auf dem leeren Platz. Über der Brüstung der Kirchenmauer hängt ein Banner der Bewegung und da sehen wir, dass in der Kirche drei Personen beieinanderstehen und uns beobachten. Wir öffnen also die Tür und werden sehr freundlich aber mit etwas erstaunten Blicken begrüsst. Wir scheinen hier richtig zu sein. Man erklärt uns, dass die Gruppe bei schönerem Wetter das Gebet jeweils vor der Kirche abhält. Schöner als heute? Die drei – ein etwa 50-jähriger Mann, eine etwas ältere Frau und eine deutlich ältere Dame – stehen um das Weihwasserbecken im Eingangsbereich der Kirche. Darauf stehen drei kleine Laternen mit einem Teelicht und dazwischen etwa neun ausgedruckte Flyer, die man auch auf ihrer Internetseite findet. Da es bereits 17:58 Uhr ist, bleibt keine Zeit sich gegenseitig vorzustellen. Schnell werden uns noch zwei weitere Stühle besorgt.

 Das Rosenkranzgebet

Die Uhr schlägt zur vollen Stunde und der Mann der Runde erklärt, dass das Gebet zum Frieden weltweit und in der Schweiz beitragen soll und die Schweiz damit zum Christentum und insbesondere Jesus Christus zurückfinden soll. Wir alle setzen uns und das Rosenkranzgebet beginnt mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis, dass alle miteinander sprechen. Da weder mein Freund noch ich den Rosenkranz beten können, falten wir lediglich unsere Hände. Alle drei halten einen individuell gestalteten Rosenkranz in den Händen. Die beiden Frauen einen farbigen und der Mann einen gröberen mit Holzperlen. Der Mann ist der Gebetsleiter und führt die Gruppe Perle für Perle während den dreissig Minuten durch das Rosenkranzgebet. Ich erinnere mich noch dunkel an den Ablauf des Gebets, kenne aber abgesehen vom Vaterunser die Worte nicht auswendig. Das scheint jedoch nicht weiter ins Gewicht zu fallen. Die drei beten inbrünstig ihr Gebet mit geschlossenen Augen und wirken dabei wie ein eingespieltes Team. Zweimal verspricht sich der Gebetsleiter, wobei er von der älteren Frau sofort aber nicht unfreundlich darauf aufmerksam gemacht wird. Er lächelt etwas verlegen und spricht weiter. Auch in den Gesangsabschnitten zeigt sich, wie gut die drei aufeinander eingestimmt sind. Zweistimmig singen sie die Strophen. Zwischendurch betritt eine Frau die Kirche, geht an unserer kleinen Gruppe vorbei in das Innere der Kirche. Fünf Augenpaare folgen ihr, ohne vom Gebet abgelenkt zu werden. Etwas nach halb sieben ist das Gebet mit dem letzten Amen zu Ende.

Ein Hoch auf Bruder Klaus und die christliche Schweiz

Zum Schluss gelten einige Worte des Gebets dem Schutzherrn der Bewegung, Bruder Klaus, und bekommt dabei sehr patriotische Noten: «[…] Heiliger Bruder Klaus, erflehe uns allen die opferfrohe Kraft, das Kreuz im Schweizerwappen als heilige Verpflichtung unversehrt in Ehren zu halten. Hilf uns, dass wir uns dieses Zeichens stets würdig zeigen, dass das Kreuz in strahlendem Weiss über den Bergen unserer Heimat leuchte, umloht vom roten Blut unseres Herrn Jesus Christus, in dessen Kreuz und Eid wir christliche Eidgenossen sind. […]»[1]

Der Rosenkranz

Die ältere Frau, welche links neben mir sitzt, fragt mich nach dem Gebet, ob ich nicht wisse, wie man den Rosenkranz bete. Ich verneine und erkläre, dass ich dies jeweils nur bei meiner Grossmutter beobachten konnte, selber aber noch nie gebetet habe. Sie meint freundlich, dass es ja nie zu spät sei und der Mann erwidert, dass er erst mit 37 Jahren dazu gefunden hätte. Sie fragen uns, wie wir auf sie gestossen seien und ich erkläre, dass ich von der Bewegung gelesen habe und mich grundsätzlich für Religionen interessiere. Alle Anwesenden sind sich darin einig, dass Religion und Glaube ein spannendes Themengebiet darstellt und die Frau beginnt sogleich in ihrem Buch nach dem genauen Wortlaut des Rosenkranzgebets zu suchen. Sie erklären uns, wie man das Gebet mithilfe des Rosenkranzes betet, wofür die einzelnen Perlen stehen und der Mann fragt mich daraufhin, ob ich denn einen Rosenkranz besitze. Ich verneine und er bietet sogleich seinen eigenen an, den ich freundlich, aber bestimmt abzulehnen versuche. Er besteht darauf und nachdem auch die anderen beiden Frauen mich dazu animieren und erklären, dass er diese als Hobby selbst herstellt, um sie zu verschenken, nehme ich ihn an. Leider habe er keinen zweiten für meinen Freund dabei, meint der Mann. Sogleich bietet die jüngere der beiden Frauen ihren eigenen an, welchen mein Freund mit mehr Erfolg abzulehnen weiss. Die Frau erklärt, dass sie diesen aus Fatima selbst habe und ich bin sehr erleichtert, dass mein Freund ihn nicht angenommen hat, da sich sein Rosenkranz-Interesse wohl auch nach dem heutigen Tag in Grenzen halten wird. Wie ich aus meiner Recherche weiss, unternimmt die Bewegung auch Fatima-Pilgerfahrten durch die Schweiz, wobei auch Maria ein zentrales Element in ihrer Verehrung einnimmt.

Die Idee hinter «Die Schweiz betet»

Die ältere Frau erklärt uns die Ziele der Bewegung: das Bekenntnis zum Christ-Sein in einer Zeit der Krise und des Kriegs. Der Verein ist in der Corona-Pandemie entstanden und in der ganzen Schweiz aktiv. Das Mittwochabendgebet findet an allen Standorten zur gleichen Zeit statt. Die Initiative ist ursprünglich in Österreich entstanden und breitete sich durch Benjamin Aepli auch in der Schweiz aus. Er ist überzeugt davon, dass die Abwendung vom Christentum der Grund für die Corona-Krise war und nur die Rückkehr zu den christlichen Werten und das gemeinsame Beten den Frieden bringen kann.

Rosenkranzwunder und ihre Kraft

Die ältere Frau erklärt uns, dass sich die Kraft des Glaubens bereits in der Vergangenheit bestätigt habe. So beispielsweise im zweiten Weltkrieg, als die deutschen Panzer vor der Schweiz standen und das Angriffskommando kam – jedoch keiner der Panzer aber starten konnte. Auch soll eine Hand aus Wolken am Himmel erschienen sein, welche an die knorrige Hand von Bruder Klaus, dem Schutzpatron der Gebetsinitiative, erinnert habe. Auf unsere etwas zweifelnden Blicke meint der Mann lächelnd, dass das eben Glaube sei. Ich erinnere mich an weitere solche Rosenkranzwunder, über die ich auf dem Telegram-Kanal von «die Schweiz betet» gelesen habe. So war unter er Überschrift «Der Rosenkranz – stärker als eine Atombombe» ein Video verlinkt («Die Wunder der Jungfrau Maria in Hiroshima und Nagasaki»), in dem die Geschichte eines kleinen Jesuitenordens in Hiroshima erzählt wird, welcher die Explosion der Atombombe überlebt haben soll, da die Jesuiten die Botschaft Fatimas gelebt und täglich den Rosenkranz gebetet haben. Auch von einem Gläubigen in Nagasaki wird berichtet, der dem Tod durch die Atombombe entgehen konnte. Zudem wird im Telegram-Kanal das sogenannte «Rosenkranzwunder von Kiew» aufgeführt, bei dem eine Rakete in einem Familienhaus landete, jedoch nicht explodierte, während die 11-köpfige Familie im Wohnzimmer gemeinsam den Rosenkranz betete. Über die echten Zusammenhänge und Umstände des Bildes wird bis heute spekuliert. Klar darf man an solche Wundererzählungen glauben, ohne dass es jemanden schadet. Das ist Glaube.

Konservativ, politisch und umstritten

Gleichzeitig denke ich aber mit einem etwas unguten Gefühl an den geistlichen Begleiter der Initiative, den emeritierten Churer Weihbischof Marian Eleganti, der in der Corona-Pandemie viel Kritik geerntet hat, indem er erklärte, dass man nur durch den Glauben, durch die Hingabe zu Gott und das Gebet Krieg und Krankheit überstehen könne. Dass das Weihwasser und die Mundkommunion zur Ausbreitung der Corona-Ausbreitung beitragen können, bestritt er, da diese ja heilig seien und Heilung bringen. Die Verbindung der Gebetsinitiative mit dieser in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Person wirft bei mir Fragen auf. Als Gegner von Sterbehilfe, Abtreibung, Leihmutterschaft und Gender-Fragen ist er sehr aktiv. Gewisse erzkonservative Haltungen kommen auch in den Posts auf dem Telegram-Kanal zum Vorschein und lassen die Bestrebung des Initiators, eine Bewegung ohne Politisierung zu schaffen, etwas zweifelhaft dastehen.

Der Ukraine-Krieg als Leitlinie?

Während immer wieder andere Themen des Gebets im Telegram-Kanal genannt werden (Beispiel: «diese Woche wollen wir insbesondere für die zwei nationalen Initiativen zum Schutz des ungeborenen Lebens beten») hat sich seit Kriegsbeginn in der Ukraine das Gebet für ein friedliches Ende des Kriegs verstärkt. Ich frage die ältere Frau daher, was nach dem Ende der Krise, nach Ende des Kriegs mit der Bewegung passieren wird. Auf ihrer Internetseite schreiben sie nämlich, dass die Initiative so lange Bestand haben wird, wie die aktuelle Krise anhält. Die Frau meint, dass dies ursprünglich der Plan war – sie das wöchentliche Gebet aber, wenn möglich, weiterziehen wollen. Daher freue es sie sehr, dass auch junge Leute kommen. Sie seien eine eher kleine Gruppe – meist sie drei und manchmal auch ein paar mehr – wobei in anderen Gemeinden, beispielsweise der ihrer Tochter, sehr viel mehr kämen. Wir verabschieden uns freundlich voneinander und ich frage, ob ich den Flyer mitnehmen darf, worüber sie sich sehr freuen. Ausserdem wären sie sehr erfreut, wenn wir auch das nächste Mal dabei sein könnten. Wir versprechen nichts, halten uns die Möglichkeit offen, bedanken uns und machen uns auf den Weg, um die Abendsonne noch zu geniessen.

Bernadette Jacober, 3. Mai 2023

[1] Aus dem Gebetsflyer: «Die Schweiz betet. La Suisse Prie. La Svizzera Prega. Betet, freie Schweizer, betet!” https://die-schweiz-betet.ch

Lexikoneintrag «Die Schweiz betet»