Ein unerwünschter Gast hinter dem Vorhang – Besuch in der Synagoge der Chabad Lubawitsch Gemeinde in Zürich

Ausgesperrt

Es war ein grauer und kalter Samstagmorgen in Zürich. Dieser Besuch würde sicher anders werden, als ich es von Freikirchen und Moscheen gewohnt war, da war ich mir sicher. Denn schon im Voraus erwies es sich als nicht ganz so einfach, die Gottesdienstzeiten und den Ort herauszufinden. Ich schlenderte durch die Gassen auf der Suche nach der Synagoge der Chabad Lubawitsch Gemeinde. Als ich dort ankam, war aber noch niemand da und auch auf mein Klingeln kam keine Reaktion. Also lief ich durchs Quartier, um nicht auf der Strasse festzufrieren. Da traf ich einige jüdische Familien auf dem Weg in eine andere Synagoge. Diese sagten mir, dass die Chabad Gemeinde erst später die Tür öffnen würde.

Im muffigen Treppenhaus

Trotzdem ging ich nach einer Weile zurück zu Chabad und versuchte es erneut. Diesmal war die Tür zum etwas heruntergekommenen Wohnhaus offen und ich trat ein. Im ersten Stock befand sich eine Tür mit einem Zahlenschloss und einer hebräischen Beschriftung. Also klingelte ich und wartete. Ein älterer Mann mit langem Bart öffnete mir und sah mich verwundert an. Als ich ihm erklärte, dass ich gerne bei einem Gottesdienst zuschauen möchte, wusste er nicht recht was er sagen sollte. Die Tür halb geschlossen sagte er mir, ich müsse auf den Rabbi warten. Also schloss er die Tür wieder und liess mich auf dem Gang stehen. Es roch muffig in dem älteren Gebäude, und von Zeit zu Zeit kamen einige bärtige Männer und gingen in die Synagoge. Die meisten fragten mich, was ich hier machen würde, aber keiner liess mich eintreten.

Ein nicht wirklich begeisterter Rabbi

Endlich kam der Rabbi. Allerdings war dieser nicht wirklich glücklich über meine Anwesenheit. Nächstes Mal solle ich zuerst anrufen und nicht einfach ohne Erlaubnis hierherkommen. Dennoch liess er mich eintreten. Er zeigte mir, wo die Frauen sitzen und wo ich meine Jacke aufhängen soll, und liess mich dann einfach stehen. Nachdem ich einige Minuten etwas seltsam herumgestanden war, kam er zurück und wies mich an, im Frauenteil des Gebetsraumes zu warten. Naja, nicht gerade ein freundlicher Empfang.

Tische im Gebetsraum

So trat ich in den Gebetssaal und war etwas überrascht. Die Fenster waren mit langen weissen Vorhängen verdeckt, auf dem Boden lag ein blauer Teppich und überall waren lange Tischreihen mit goldenen Stühlen aufgestellt. Bewegliche Trennwände mit Vorhängen trennten den kleinen Frauenbereich vom Rest des Raumes. So konnte ich weder den Tora-Schrein sehen, noch die Männer, die bereits eingetroffen waren.

Mit Anzug und Krawatte

Während ich wartete, dass irgendetwas passieren würde, traten mehr und mehr Männer in den grossen Teil des Saales und begrüssten sich. Sie waren in Anzug und Krawatte gekleidet, auch die kleinen Kinder. Das war ein schon sehr modernes Bild, denn die meisten orthodoxen Juden tragen eher Kleidungsstile aus vergangenen Jahrhunderten. Auch die sonst von orthodoxen Juden gern getragenen Hüte sah ich kaum. Die meisten Männer trugen eine Kippa. Viele murmelten Gebete und manchmal begannen einzelne laut zu singen. So dachte ich jedes Mal, dass der offizielle Gottesdienst nun beginnen würde, aber da wurde ich enttäuscht. Eine halbe Stunde nach dem eigentlich angekündigten Gottesdienstbeginn fing es dann trotzdem an. Ich war auch nicht mehr alleine. Eine ältere Frau mit dunkler Perücke sass nun am anderen Ende des Frauenbereiches.

Ist das nun der Anfang?

Es wurden viele Gebete gesprochen, alle Männer murmelten mit einem Buch in der Hand ihre Gebete. Viele bewegten sich dabei leicht vor und zurück. Diese Art von Gebet ist typisch für das orthodoxe Judentum. Dabei trugen die Betenden das jüdische Gebetstuch Tallit, ein weisses Tuch mit schwarzen Streifen, das während des Gebetes über die Schultern gelegt wird.

Ich dachte das wäre der Beginn des Gottesdienstes gewesen, denn zwischendurch wurde immer mal wieder gemeinsam gesungen. Doch es kamen nach und nach immer mehr Männer, Frauen und Kinder dazu. Am Schluss waren es sicher 40-50 Männer, 10 Frauen und einige Kinder. Letztere konnte ich nur teilweise sehen, da viele sich im Männerbereich aufhielten oder draussen vor der Tür sprachen.

Perücken und moderne Kleider

Ständig ging die Tür auf und zu und Kinder kamen herein und gingen wieder hinaus. Die meisten Frauen kümmerte das anscheinend wenig. Als ich mir die Frauen um mich herum etwas genauer ansah, fiel mir auf, dass die älteren alle Perücken trugen. Ob jung oder alt, waren alle in Röcke oder Kleider gekleidet, keine Frau trug Hosen. Aber auch da sah ich Unterschiede zu anderen orthodoxen Frauen, denn die Kleider waren modern, teilweise sogar recht kurz und eng geschnitten.

Lesung mit leisen Gebeten

Als alle Frauen nun aufstanden, tat ich es ihnen gleich. Durch den Vorhang konnte ich nur wage erkennen, dass nun die Tora-Rollen hervorgeholt wurden und einige Männer sich versammelt hatten. Einer nach dem anderen las nun Texte aus der Tora vor. Für mich klang es sehr monoton und die Männer sprachen sehr schnell. Vielleicht klang es aber ja auch nur für mich so, denn ich verstand sowieso kein einziges Wort. Für mich völlig zufällig standen nun die Frauen immer mal wieder auf und setzten sich wieder. Alle beteten aber während der Lesung auch für sich selbst und sprachen leise Gebete.

Ein feierlicher Nicht-Abschluss

Also lauschte ich den hebräischen, durcheinandergesprochenen, leisen Gebeten um mich herum und entdeckte einige Kinder im Männerbereich vor mir. Sie rannten herum und öffneten immer wieder einen der Vorhänge, die den Frauen- und Männerbereich voneinander trennten. So wirklich engagiert wirkten die Männer allerdings nicht beim Versuch, die kichernden Kleinkinder zu stoppen. Irgendwann wurden auch die Tora-Rollen wieder weggeräumt und alle beteten für sich weiter. Zwischendurch sangen die Männer auch ein sehr fröhlich klingendes Lied und klatschten. Die Frauen blieben jedoch stumm wie die Fische. Ich dachte, das wäre nun das Ende gewesen, quasi ein feierlicher Abschluss. Doch dem war nicht so und die gemurmelten Gebete begannen erneut.

Noch lange kein jüdisches ICF

Nach zwei doch sehr langen Stunden endete der Gottesdienst dann doch, wie aus dem Nichts heraus. Ohne grosse Worte wurden einfach die Trennwände zwischen den Frauen und Männern zur Seite geschoben, alle nahmen Platz und liessen sich Essen auftischen. Da ich mich nicht allzu wohl fühlte, ging ich hinaus um meine Jacke zu holen. Wirklich willkommen hatte ich mich nicht wirklich gefühlt, eher als störender Eindringling. Ich dachte Chabad wollte quasi das jüdische ICF sein, das hatte ich zumindest gehört. In einigen Punkten war Chabad, oder zumindest das was ich davon gesehen habe, durchaus Modern unterwegs. Die Kleidung war modern und festlich, sowohl bei den Frauen, als auch bei den Männern. Doch gesehen hatte ich eine konservative, eher abgeschottete Gemeinde, die nicht wirklich an Neulingen interessiert gewirkt hatte. Die herzlichen Begrüssungen, die man bei einem Besuch beim ICF geniessen kann, habe ich vermisst. Genau wie ich auch die bei ICF so typischen Shows und modernen Elemente in der Liturgie bei Chabad gar nicht finden konnte. Das moderne orthodoxe Judentum, das Chabad online versprach, konnte ich in Zürich so nicht antreffen. Also verliess ich die Chabad Synagoge über das muffige Treppenhaus und trat hinaus in die kühle Dezemberluft.

Jasmin Schneider, Dezember 2023

Lexikoneintrag Chabad Switzerland