Ruqya im Islam

Der Exorzismus von Dschinn (ğinn, jinn, djinn) wird im Islam als «al-’azm» oder «ruqya» bezeichnet. Einen Exorzisten nennt man «raqi».

Seit den ersten Tagen des Islams ist der Exorzismus (Ruqya) Teil islamischer Gesellschaften.

Der Glaube an Dschinn ist im Volksislam tief verankert. Bei vermeintlich unerklärlichen Krankheiten oder psychischen Problemen glauben einige Menschen, dass sie von Dschinn besessen wurden. Oft glauben Betroffene, dass sie einen Dschinn gestört oder verärgert haben und sie deshalb von ihm nun bestrafft werden.

Wesen und Schöpfung

Dschinn sind laut Koran eine eigene Schöpfungsart. Allah erschuf die Dschinn aus rauchlosem Feuer, nach den Engeln und noch vor den Menschen. Unter ihnen gibt es auch Gläubige und Ungläubige, böse und gute Dschinn. Einige Autoren im Islam sagen, dass ein Prophet namens Yusuf zu den Dschinn gesandt wurde, andere sagen, dass es siebzig Apostel waren oder auch nur Prediger. Die voradamitischen Dschinn wurden von vierzig (oder zweiundsiebzig) Königen regiert, der letzte soll auch die ägyptischen Pyramiden erbaut haben.
Dschinn bestehen aus Feuer und das fliesst auch durch ihre adern. Werden sie verletzt, verbrennt ihr eigenes Feuer sie zu Asche. Die Menschen glauben, dass Dschinn Jahrhunderte alt werden können. Böse Dschinn werden jedoch auch getötet durch Sternschnuppen, andere Dschinn oder gar durch Menschen. Dschinn essen und trinken und kennen Fortpflanzung, teilweise auch mit Menschen. Auch wenn es im Koran nicht erwähnt wird, glauben viele MuslimInnen, dass Dschinn Menschen besetzen und verrückt machen können.

Iblis

Ein besonderer Dschinn war Azazil. Islamische Autoren sind sich jedoch nicht ganz einig ob er ein Dschinn oder Engel war. Je nach Quelle sei er bei den Engeln aufgewachsen oder erst später zu den Engeln gestossen, jedoch war er der König der Engel für einige Zeit. Als Gott Adam erschuf und sich die Engel vor ihm niederknien sollten, weigerte sich Azazil. Gott bestraffte ihn und verwandelte in einen Schaitan, der nun Iblis genannt wurde. Dieser hatte fünf Söhne: Tir (verursacht Verluste, Verletzungen, Schwierigkeiten), Al-A`war (verführt zu Ausschweifungen), Sut (flüstert Lügen ein), Dasim (sät Zwietracht zwischen Mann und Frau) und Zalambur (richtet Unheil an verkehrsreichen Orten an). Iblis hat sich zum Ziel gemacht sich an Gott zu rächen und die Menschen zum Bösen zu verführen.

Arten von Dschinn

Es gibt verschiedene Arten von Dschinn, die schwächsten werden Dschann genannt, darauf folgen Dschinn, Schaitan, `Ifrit und Marid. Letztere sind die mächtigsten unter den Dschinn, Schaitane werden auch Teufel genannt und Dschann sind verwandelte Dschinn. Es gobt jedoch noch weitere Kategorien , die bei Besessenheit auch andere Symptome auslösen.
Dschinn können die Gestalt von Tieren annehmen. Wobei es drei Lebensräume für Dschinn gibt: Erde, Wasser, Luft. Es gibt vierzig Heere von Dschinn, aus je 6 Millionen Individuen. Es gibt drei Arten von Dschinn, die einen haben Flügel, andere sind Schlangen und Hunde und letztere bewegen sich wie Menschen. Aus diesem Grund hat der Prophet Muhammad angeordnet, dass Schlangen und Skorpione zuerst aufgefordert werden müssen ein Haus zu verlassen, bevor sie getötet werden dürfen. Ausser sie stören das Gebet, dann können sie gleich getötet werden.

ṭayyār

Flieger, auf Arabisch “ṭayyār” genannt, besitzen Flügel und können schnell übers Land fliegen und können in Menschen ein- und austreten wie es ihnen beliebt. Diese Dschinn verursachen Zungenreden auch ohne, dass der Koran rezitiert wird. Dazu kommen plötzliche Stimmungsschwankungen ohne jeglichen Grund, die Betroffenen haben einen aufgeblähten Bauch, ein gerötetes Gesicht, sowie Schmerzen und erhöhte Temperatur im Rücken.

Sayyār

Als Geher, auf Arabisch “sayyār”, werden alle flugunfähigen Dschinn genannt, meist in Hunde oder Schlangengestalt, aber auch al Affen, Schweine, Katzen oder Esel. Sie besessen in der Regel die Beine eines Menschen. Sie sind hartnäckig und können über Stunden mit dem behandelnden Raqi diskutieren. Sayyār leben in Löchern, Spalten, Höhlen und in Badezimmern. Sie reagieren nicht sofort auf die Koranrezitationen, wie die ṭayyār.

‘Āmir

Die Bewohner, auf Arabisch “ ‘Āmir”, wohnen mit Menschen zusammen, je nach Religion der Familie. Im Badezimmer kommen jedoch auch nicht-muslimische Dschinn in muslimischen Haushalten vor. In der Regel zeigen sich ‘Āmir als Schlangen, Igel oder Hunde.

Qarīn

Ein qarīn ist ein Gefährte, der dem Menschen zur Seite steht. Jeder Mensch hat seinen eigenen qarīn, der sowohl gut als auch böse sein kann. Ein Mensch muss also nicht unbedingt direkt besessen sein, um von einem bösen Dschinn gequält zu werden.

Ġūl

Ein Ġūl bringt Menschen vom Weg ab und ermordet sie oder treibt sie in den Wahnsinn. Ein Ġūl kann auch Kopfschmerzen auslösen oder eine Fatamorgana erzeugen. Im Volksglauben sind Ġūl kannibalische Wesen, im Englisch und Französisch ghoul oder goule. Diese Version gräbt nachts Leichen aus, um sie zu verspeisen.

Einer der Gründe für einen Dschinn einen Menschen zu berühren ist Liebe. Oftmals handelt es sich um eine einseitige Liebe eines Dschinns zu einem Menschen, manchmal wird diese jedoch auch erwidert. Dschinn und Menschen können ohne weiteres zusammen Kinder zeugen, wenn gleich es von gelehrten nicht gern gesehen wird. Dschinn sollen nicht als Ausrede eines unehelichen Kinds benutzt werden. Für Dschinn geht es jedoch oftmals nur um sexuelle Befriedigung, die auch gegen den Willen des betroffenen Menschen erreicht wird. Gründe dafür, dass sich ein Dschinn in einen Menschen verliebt ist oft der mangelnde Anstand des Menschen. Frauen sind dabei, so der Volksmund, deutlich stärker betroffen als Männer. Frauen sind gefährdet wenn sie ohne den Gottesnamen zu nennen ihre Kleider ablegen, das Badezimmer ohne Schutzformel betreten oder zu lange vor dem Spiegel verweilen, sich Schminken oder Tanzen.

Ein anderer Grund für eine Dschinn sich in das Leben eines Menschen einzumischen ist ein Fehlverhalten des Menschen gegenüber einem Dschinn. Letzterem muss nicht unbedingt bewusst sein, dass der Mensch auch unabsichtlich gehandelt haben könnte.

Ein weiterer Grund für einen Dschinn einen Menschen zu berühren oder besetzten ist schlicht reine Bosheit. Das geht aber nur wenn der Mensch stark erregt ist, grosse Angst hat, sich Gelüsten hingibt oder stark unachtsam ist. Die Unterlassung frommer Formeln kann auch ein Grund sein.

Ein Dschinn kann einen Menschen auf verschiedene Arten beeinflussen. Als “waswasa” wird das Einflüstern bezeichnet, bei dem der Dschinn einem Menschen ins Ohr flüstert und ihn irreleiten oder zu bösem zu verführen versucht. Dies geschieht aber nur durch Allahs Einwilligung. Es ist eine Prüfung für den Menschen, mental aber auch materiell. Besonders aufrichtige Menschen werden von Allah hart geprüft.
Auch eine Einflussnahme von aussen ist der Böse Blick, der aus Neid entsteht. Die ersten Sünden, Iblis der sich weigerte vor Adam zu knien und Kain der Abel erschlug, sie gehen beide auf Neid zurück. Der Böse Blick kann verschiedenste Symptome auslösen und sogar zum Tod der Person führen.
“Mass“ meint, dass eine Person von einem Dschinn berührt wurde oder mit einem solchen in Kontakt gekommen ist. Es ist jedoch ein externer Einfluss eines Dschinns und keine Besessenheit. Diese Berührung mit einem bösen Dschinn kann Unglück verursachen, der Betroffene kann seinen Besitz verlieren, seine Familie oder selbst schwer erkranken. Mass kann auch einen Anfall einer Krankheit (zum Beispiel Epilepsie) nach sich ziehen oder Wahnsinn auslösen.

Bei “labs” handelt es sich um einen internen Einfluss eines Dschinns auf einen Menschen. Ein böser Dschinn dringt dabei in einen Menschen ein und kann somit unter anderem auch Epilepsie auslösen. Betroffene verlieren die Kontrolle über ihre Schritte, werden verwirrt, können nicht mehr richtig sprechen oder reden wirres Zeugs, ihre Gedanken und Handlungen werden von einem Dschinn kontrolliert.

Anzeichen im Schlaf/Traum
• Schlaflosigkeit
• Albträume
• Das Erscheinen von Tieren in Träumen (Hunde, Schlangen, Löwen,…)
• Lachen, weinen oder Schreien im Traum
• Stöhnen und Seufzen im Traum
• Schlafwandeln
• Im Traum von hoch oben herabfallen
• Im Traum auf einem Friedhof, Müllplatz oder einem verlassenen Weg sein
• Das Sehen von Menschen mit seltsamen Merkmalen (übergross, sehr klein oder seltsame Hautfarben)
• Das Sehen von Phantomen
• Häufige sexuelle Träume
• …

Anzeichen im Wachzustand
• Ständige Kopfschmerzen
• Widerwille gegen Gebet, Gottesgedenken und alle frommen Handlungen
• Zerstreutheit
• Apathie, Faulheit
• Epilepsie
• Unerklärliche Schmerzen in einem Körperteil
• Taubheitsgefühl in den Gliedern (nimmt beim Hören des Korans zu)
• Enge in der Brust
• Das Spüren einer Präsenz obwohl niemand da ist
• Blaue Felcken
• Schmerzen im Harntrakt
• Verkrampfungen der Gebärmutter, unregelmässiger Zyklus und verstärkte Blutung
• Das Spüren von Stimulationen und unangenehmen Bewegungen im Genitalbereich
• Angst vor der Eheschließung
• Einbildung einer Potenzschwäche beim Mann, Lustlosigkeit bei der Frau
• Vernachlässigung des Haushaltes bei Frauen
• Verweigerung des Geschlechtsverkehres bei Frauen

Vor der Behandlung

Der Raqi, der die Ruqya vornimmt, kann kein beliebiger Muslim sein. Er muss einen starken Glauben haben und ein besonders frommes Leben führen. Verheiratet zu sein hilft dabei ein frommeres Leben zu leben. Ausserdem müssen die Absichten des Ruqi während der Behandlung stets rein sein.

Für eine Ruqya muss der Raum entsprechend vorbereitet werden. Es dürfen keine Bilder von Lebewesen oder Statuen den Raum schmücken und es dürfen keine Hunde anwesend sein.

Frauen und Männer müssen islamisch korrekt bekleidet sein, Frauen mit Hijab und evt. Niqab. Ausserdem dürfen Frauen kein Parfüm tragen und müssen in Begleitung eines Mahram (männlicher Verwandter oder Ehemann) behandelt werden. Männer dürfen weder Seide noch Goldschmuck tragen und alle Beteiligten sollten zur Vorbereitung Wudu (kleine Waschung) machen. Auch mental müssen die Patienten vorbereitet sein und ihre Sünden bereuen. Gebete und Spenden können schon vor einer Ruqya helfen. Zudem müssen die Patienten fest an Allah glauben und an die Heilung durch den Koran.

Erst wenn diese Vorbereitungen getroffen wurden beginnt der Raqi mit der Anamnese. Er befragt den Patienten bzw. die Patientin nach deren körperlichen, psychischen und mentalen Zuständen und nach ihren Träumen. Ein guter Raqi sollte bei der Anamnese auch psychische und physische Krankheiten erkennen und so Fehldiagnosen vermeiden. Mit den Fragen versucht der Raqi auch Rang, Religionszugehörigkeit und den Grund des Eindringens des Dschinn zu erfahren.

Bevor die eigentliche Behandlung beginnen kann, muss der Ruqi noch einige Schutzvorkehrungen treffen. Um das Haus zu schützen ruft er drei Mal den Gebetsruf, liesst drei Mal Sure 99 liest und spricht in jede Ecke des Hauses mit der Absicht der Absicherung des Ortes den Thronvers (2:255) spricht95, dann wird der Vers noch einmal in Richtung Decke gesprochen und zuletzt noch einmal in Richtung Boden

Die Behandlung – Ruqya

Der Raqi legt nun seine Hand auf den Kopf seines Patientens und spricht Du’a (Bittgebet) oder beginnt mit Versen des Korans. Handelt es sich bei der Patientin um eine Frau darf der Raqi sie nicht berühren und muss zwei Meter von ihr entfernt sein. Der Raqi zitiert nun einige Koranverse und wiederholt sie. Bei dieser Rezitation kann der Patient oder die Patientin reagieren und muss immer auf Arabisch erfolgen. Körperteile können sich versteifen, das Gesicht verzogen werden. Andere Reaktionen sind Taubheitsgefühle, Ohnmacht, epileptische Anfälle, Hitze oder Müdigkeit. Der Dschinn kann auch anfangen zu sprechen oder Tierlaute von sich geben.
Diese Reaktionen helfen dem Raqi seine Anamnese zu bestätigen oder zu ergänzen. Nicht alle Patienten reagieren jedoch sofort, bei manchen dauert es bis zu einigen Monaten. Spricht der Dschinn mit dem Raqi versucht dieser ihn dazu zubringen zum Islam zu konvertieren. Der Patientin oder die Patientin muss vom Raqi allerdings vorher gewarnt werden, dass Dschinn zu 95% lügen und Zwietracht zwischen Raqi und PatientIn sähen wird.
Der Raqi kann, neben dem Versuch den Dschinn zu überreden, auch einige Hilfsmittel verwenden. Dazu gehören Ruqyawasser, verschiedene Öle, Rosenwasser und mehr. Der Raqi darf seinen Patienten auch schlagen. Bei Frauen muss er dies allerdings mit einem Handtuch tun, um sie nicht zu berühren.

Nach der Behandlung

Wenn der Dschinn nicht aus dem Körper gewichen ist, muss der/die PatientIn eine Ruya-Therapie machen, die der Ruqi verschreibt. Wenn der Dschinn weg ist, sollte sich der/die PatientIn befreit fühlen und die Symptome sollten innerhalb eines Monats verschwinden. Ansonsten passt der Ruqi den therapieplan nochmals an.

Wie bei Exorzismen anderer Religionen gibt es auch zur Ruqya Berichte zu problematischen Verläufen. So tauchen Fälle in den Medien auf, bei denen ein Ruqi wegen Betrugs oder sexueller Nötigung angeklagt wurde. Es finden sich auch Anklagen wegen Folter und Totschlags, da einige Ruqis Dschinn mit Gewalt auszutreiben versuchten. Ausserdem wurden psychische Krankheiten nicht richtig behandelt.

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