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  Zeugen Jehovas Wachtturm-Gesellschaft
  Uebersicht
  Ein Tag im Leben einer Zeugin Jehovas
Der folgende Text schildert einen Tag im Leben der aktiven Zeugin Jehovas Eva Niederhauser aus Zürich. Er wurde unserer Informationsstelle von Herrn Urs Aerni vom Informationsdienst der Zeugen Jehovas zur Verfügung gestellt. Frau Niederhauser berichtet vom Von-Tür-zu-Tür-Pionierdienst und von einer Versammlung im Königreichsaal der Zeugen Jehovas.
Erzähl mal, was Du gestern so gemacht hast
Die an Waghalsigkeit grenzende Originalität der BeeGees weckt mich unsanft aus meinem Morgenschlummer. Tagwache für meinen Mann. Ich muss zwar noch nicht raus, an ein gemütliches, tiefes Weiterschlafen ist jedoch nicht zu denken, da meine hungrigen Katzen dies zu verhindern wüssten. Dennoch kann ich noch etwas länger liegenbleiben. Dies bedarf wohl einer Erklärung, da es doch Ehrensache für eine 'anständige' Ehefrau sein sollte, ihrem Mann das z'Morge zuzubereiten und mit ihm Morgengemeinschaft zu pflegen. Da wir Zeugen Jehovas grundsätzlich vor der Ehe nicht zusammenwohnen, können sich gewisse Alltagsabläufe erst nach der Eheschliessung einstellen. Wenn man nicht mehr 'blutjung' ist (wir sind beispielsweise beide um die 30 Jahre alt), mag dies manchmal Flexibilität und Anpassungsvermögen benötigen. Wir hatten damit jedoch keinerlei Probleme: nach zwei (von nunmehr insgesamt zehn) Ehemonaten, beschlossen wir, ich müsse nicht unbedingt gemeinsam mit Martin aufstehen, da wir ohnehin beide 'Zeit zum Aufwachen' brauchen (in meinem Fall könnte man dies als 'Morgenmuffelei' bezeichnen) und uns gerne in Ruhe auf den vor uns liegenden Tag konzentrieren. Dazu kommt, dass Martin als Hochbaupolier im Gegensatz zu mir als Büroangestellte sehr früh weg muss.

 

Nachdem Martin also gegangen ist, tue ich dasselbe wie er: ich lese bei einer Tasse Kaffee den 'Tagestext' - eine Bibelstelle mit einem kurzen Kommentar, der zum Nachdenken anregt. In dieser ruhigen Morgenstunde, bevor die Hektik des Tages hereinbricht, spreche ich auch gerne ein Gebet und bereite mich auf den Tag vor.

 

Nach 25-minütiger Stassenbahnfahrt durch halb Zürich komme ich etwa um 8.30 Uhr ins Büro, mache mir einen Ueberblick über die heutigen Pendenzen - und lege mit meiner Arbeit los. Um 10.00 Uhr brauche ich eine kurze Pause vom Computer und setze mich mit einer Arbeitskollegin in Richtung Cafeteria ab. Da ich vor einiger Zeit erwähnte, dass ich Zeugin Jehovas bin, möchte sie einige Fragen los werden. Ob es nicht Zeugen Jehovas seien, die von Tür zu Tür gehen, und ob ich dies auch täte, möchte sie wissen. Beides bestätige ich. Es folgt die unvermeidliche Frage: "Muss das denn jeder bei euch machen?" Viele Menschen haben diese Vorstellung, dass wir unter Zwang stehen (was nicht stimmt), oder dass wir eine Gehirnwäsche hinter uns haben (was absurd ist, wenn man bedenkt, woher der Ausdruck stammt und was er besagen sollte). Es ist für jemanden, der unseren Glauben nicht teilt vermutlich schwer nachvollziehbar, dass wir freiwillig und sogar gerne 'predigen'. Um die Frage zu beantworten, erkläre ich: "Nein, es ist jedermanns eigene Entscheidung, ob er von Haus zu Haus geht, um mit den Menschen zu sprechen. Aber da es ein wichtiger Bestandteil unseres persönlichen, aktiven Glaubens ist, tun es die meisten." Wir unterhalten uns noch eine Weile über das Thema, doch schliesslich ist die Pause vorbei und wir müssen zurück an die Arbeit. Sicher wird sich wieder einmal die Gelegenheit für ein solches Gespräch ergeben.

 

Am Mittag möchte mich ein Arbeitskollege zur Fitness-Stunde im Fitnesszentrum des Akademischen Sportvereins überreden, aber ich habe heute keine Zeit. "Ach, Du gehst wieder reiten?" mutmasst er, da er mich als Pferdeliebhaberin kennt und weiss, dass ich regelmässig reite. "Nein, ich habe um 14.30 Uhr eine Verabredung." antworte ich. Er würde es wohl nicht ganz verstehen, wenn ich ihm erklärte, ich hätte mich 'für den Dienst' verabredet.

 

Ich komme um ca. 13.15 Uhr nach Hause und gönne mir eine Weile Ruhe mit einem Sandwich und einem Buch. Ich liebe englische Literatur und verschlinge im Moment gerade 'The Return of the Native' von Thomas Hardy. Dabei kann ich mich herrlich entspannen.

 

Danach bereite ich mich für den Dienst vor. Vor allem überprüfe ich, ob ich alles in der Tasche habe: meine Bibel, einige Zeitschriften und meine persönlichen Notizen, die mir aus verschiedenen Gründen sehr wichtig sind. Einerseits helfen sie mir, dort vorzusprechen, wo ich noch niemanden angetroffen habe, sowie interessierte Personen wieder aufzusuchen. In solchen Fällen möchte ich mich erinnern, welches Thema ich jeweils angesprochen oder welche Zeitschriften ich abgegeben habe. So kann ich an einem Punkt wieder ansetzen, der den Wohnungsinhaber interessiert. Andererseits möchte ich es vermeiden, bei jemandem nochmals zu läuten, der überhaupt kein Interesse hatte, denn dieser würde sich bestimmt belästigt fühlen.

 

Um 14.30 Uhr treffe ich eine 'Schwester' in meinem Alter (wir nennen unsere Mitgläubigen "Brüder" und "Schwestern"), und wir ziehen los. Ich habe eine kleine Karte, auf welcher ein Gebiet von Häusern eingegrenzt ist. In diesem Gebiet versuche ich, nach und nach an jeder Wohnungstüre jemanden anzutreffen. An den ersten vier Türen öffnet niemand. Dann treffen wir eine junge Frau, die aufmerksam zuhört, während ich uns freundlich vorstelle und möglichst rasch zum Thema komme. Ich biete die Zeitschriften 'Der Wachtturm' und 'Erwachet!' an. 'Erwachet!' hat das passende Thema 'Gespräche über Religion'. Ich erwähne den Gedanken, dass respektvolle Gespräche uns helfen, unsere Standpunkte gegenseitig besser kennenzulernen. Dies baut Hemmungen und Vorurteile ab und fördert somit die Toleranz - etwas, das wir in der heutigen Zeit gut gebrauchen können. Die junge Frau stimmt mir da zu und nimmt die Zeitschriften entgegen.

 

Wir treffen noch einige weitere Personen an, die uns bestimmt aber dennoch relativ höflich zu verstehen geben, sie hätten kein Interesse. Selbstverständlich respektieren wir das, verabschieden uns und wünschen jeweils einen schönen Tag. Ein Wohnungsinhaber ist weniger höflich: er lässt uns nicht ausreden sondern schnauzt uns nur an, wir sollten mit diesem 'Sektenmist' verschwinden und knallt uns die Türe vor der Nase zu. Wir sehen uns kurz betroffen an und meine Kollegin meint: "Soviel zum Thema Anstand". Es ist ärgerlich und verletzend, so behandelt zu werden, wenn man doch gar nichts Unrechtes getan hat. Zum Glück sind solche Vorfälle, wiewohl unangenehm, so doch sehr selten. Wir versuchen, es nicht persönlich zu nehmen, und da wir zu zweit sind, lassen wir uns auch nicht so schnell entmutigen. Erfreulicherweise können wir kurz darauf ein langes und interessantes Gespräch mit einer älteren Frau führen, die uns schliesslich sogar auf eine Tasse Tee einlädt. Bevor wir uns verabschieden, können wir einen weiteren Besuch mit ihr vereinbaren, was uns sehr freut.

 

Nach insgesamt zwei Stunden beschliessen wir, uns auf den Heimweg zu machen. Alles in allem haben wir einen sehr schönen Nachmittag verbracht und sind so richtig positiv 'aufgeladen'.

 

Ich muss auf dem Heimweg noch ein paar Sachen einkaufen und komme kurz nach 17.00 Uhr zuhause an. Etwa um 17.30 Uhr wird mein Angetrauter in der Türe stehen und 'Hunger' rufen. Um 18.00 Uhr essen wir zusammen, vorher spricht mein Mann ein kurzes Gebet, um Dank und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Wir nehmen uns gerne Zeit beim Essen und unterhalten uns über den Tag. Ich erzähle auch von den heutigen Erfahrungen im Dienst und stelle erneut fest, dass die Freude an guten Gesprächen schlechte Erfahrungen bei weitem aufwiegt.

 

Da heute Dienstag - ein 'Zusammenkunfts-Tag' - ist, machen wir uns um etwa 19.15 Uhr wieder auf den Weg. Kurz vor 19.30 Uhr sind bereits fast alle in unserem schönen, schlichten 'Königreichssaal' versammelt, und ich fühle mich richtig wohl unter all meinen 'Brüdern und Schwestern'. Die Zusammenkunft beginnt mit Lied und Gebet, dann werden von mehreren getauften Zeugen kurze biblische Ansprachen gehalten. Auch ich habe heute einen Beitrag in Form eines Zwiegespräches vorbereitet, den ich schon gestern mit meiner Partnerin besprochen habe. Er dauert etwa fünf Minuten und handelt von einer biblischen Person des Alten Testaments und ihrer Vorbildwirkung für uns. Kurz nach 21.00 Uhr wird mit Lied und Gebet abgeschlossen. Ich habe heute Abend einige sehr gute biblische Gedanken notiert, denen ich nächstens zuhause mit meiner Bibel nochmals nachgehen möchte.

 

Nach dem Programm unterhalten Martin und ich uns jeweils noch gerne mit unseren Freunden, treffen Abmachungen für den Dienst, vereinbaren gemeinsam Einladungen zum Essen oder Verabredungen fürs Kino oder andere Tätigkeiten. Wir geniessen die entspannte und freundliche Atmosphäre sehr und pflegen gerne die Gemeinschaft mit unseren Mitgläubigen. Auch heute wird es wieder fast 22.00 Uhr bis wir nach Hause kommen.

 

Später im Bett unterhalten Martin und ich uns noch über einige Gedanken aus der Zusammenkunft, aber auch was wir in den nächsten Tagen vorhaben. Am Wochenende soll das Wetter schön sein, in dem Fall können wir endlich eine Fahrradtour machen. Wir freuen uns beide riesig auf den Frühling, wenn die Natur wieder erwacht und aufblüht und die Vögel mit ihrem herrlichen Gesang zurückkehren! Bei einer Fahrradtour oder einer Wanderung durch den Wald kann man die wunderbare Schöpfung in vollen Zügen geniessen. Sonntag Nachmittag könnten wir bei Martins Eltern reinschauen, ich könnte einen Apfelstrudel machen, das geht schnell und ist fein.

 

Martin und ich geniessen diese Zeit gemeinsam sehr. Wir sind noch nicht lange verheiratet und freuen uns, zu zweit zu sein. Zurzeit haben wir noch keine Pläne für Kinder, aber sowas geht ja manchmal schneller, als man meint. Auf jeden Fall ist es uns jetzt wichtig, unsere Beziehung zu vertiefen und zu pflegen, damit sie in Zukunft auch mal eine Hürde überwinden oder einen Sturm überstehen kann. Wir können immer noch viel übereinander erfahren und voneinander lernen. Zum Beispiel ist Martin in einer Familie von Zeugen Jehovas aufgewachsen, ich hingegen wurde römisch-katholisch erzogen und lernte die Bibel erst viel später, vor etwa sechs Jahren, kennen und schätzen. Diese Unterschiede in unseren Lebenserfahrungen sind interessant für uns beide, können aber durchaus auch für Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten sorgen. Auf jeden Fall ist es für uns beide schön und beruhigend zu wissen, dass wir in grundsätzlichen Fragen des Lebens und der Anbetung übereinstimmen. Auch dies wird in unserer Ehe immer für eine enge Bindung zwischen uns sorgen.

 

So, nun wird es Zeit zu schlafen. Bald ist es wieder Mitternacht, und morgen ist ein Arbeitstag. Martin ist bereits so müde, dass er schon während des Gesprächs fast eingeschlafen ist. Na, dann beten wir halt morgen wieder gemeinsam. Morgen Nachmittag habe ich mir nichts Festes vorgenommen - ab und zu mal Ausspannen muss sein, und der Haushalt will auch noch gemacht werden. Heute bin ich müde aber glücklich und habe das Gefühl, einen sehr schönen und sinnvollen Tag verbracht zu haben. All dies bringe ich noch in einem Gebet zum Ausdruck bevor ich endgültig und ohne die sonst gewohnte Nachtlektüre einschlafe. Ich denke noch, hoffentlich habe ich morgen mehr Glück und darf ohne die BeeGees in den Tag starten.

Eva Niederhauser, Zürich, 1999
Letzte Aenderung 1999, © en 1999, Infostelle 2000
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