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  Zeugen Jehovas Wachtturm-Gesellschaft
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  Zeugen Jehovas
Charakteristika
Name "Jehovas Zeugen"
Die Bezeichnung "Jehova" als Gottesname findet sich bereits im spätmittelalterlichen Christentum. Sie ist vermutlich aus einem Irrtum über die hebräische Schreibweise entstanden. In der hebräischen Schrift existieren ursprünglich nur Konsonanten und keine Vokale. Der heilige Gottesname im Alten Testament "Jahwe" würde vom hebräischen in unser Alphabet übertragen etwa "JHWH" lauten. In der jüdischen Tradition wird für "JHWH" aber immer "Adonaj" gelesen. Aus diesem Grund wurden in der späteren Vokalisierung des hebräischen Textes die zu "Adonaj" passenden Vokale zu den ursprünglichen Konsonanten "JHWH" geschrieben, um zu unterstreichen, dass hier "Adonaj" zu lesen sei. Aus Unkenntnis dieses im jüdischen Glauben wichtigen Zusammenhangs entstand im Spätmittelalter im christlichen Bereich der falsche Name "Jehova". Die Zeugen Jehovas halten bis heute an diesem Namen fest, sowohl in Bezug auf ihre offizielle Bezeichnung als auch in ihrer eigenen Bibelübersetzung. Ihrer Ansicht nach ist der Gottesname "Jehova" in vorchristlicher Zeit im jüdischen Sprachgebrauch gang und gäbe gewesen.
Das Ende der Zeiten
Neben alttestamentlichen Versatzstücken (siehe auch das Blutaufnahmeverbot) spielen vor allem eschatologische Bibelstellen, solche also, die von einer Ablösung der bestehenden Weltordnung durch die "Königsherrschaft Gottes" handeln, eine entscheidende Rolle. Diese Ablösung wird in einem dramatischen Endkampf stattfinden, der legendären Endzeitschlacht von Harmagedon, von der im Neuen Testament (Offb. 16,16) die Rede ist. In der mythologischen Sprache der Offenbarung wird in diesem Endkampf Gott gegen den Satan kämpfen. Gott wird als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen, der Satan wird vernichtet und unter dem wiedergekehrten Christus wird ein tausendjähriges Reich ("Millenium") mit paradiesischen Zuständen Einzug halten.

Das Spezifische am Umgang mit dieser Lehre bei den Zeugen Jehovas ist neben dem konkretistischen Verständnis dieser Enzeitmythologie das Spekulieren mit ganz konkreten, datierbaren Prophezeiungen, wann das Ende dieser Weltordnung eintreten soll. Im Laufe der Geschichte der Zeugen tauchten immer wieder verschiedene Daten auf, mit denen der Anbruch des neuen Zeitalters der göttlichen Herrschaft verbunden war. Weil das Erwartete nie wirklich eintraf, wurde das Datum immer wieder verschoben und zum Teil mit neuen Details versehen.

Übersicht über prophezeite Weltenden
1799: Der Beginn der letzten Tage

1874: Der Beginn der zweiten Gegenwart Christi (Parusie)

1878: Der Beginn der Ausübung der vollen Herrschergewalt Christi

1914: bis heute verbindliches Datum für Beginn der unsichtbaren Gegenwart und himmlischen Thronbesteigung Christi

1918: grosse Bedrängnis für "Namenchristen"

1925: Jubeljahr der Auferweckung von alttestamentlichen Gestalten (Abraham, Isaak, David)

1975: Anbruch des siebten Jahrtausends der Menschheitsgeschichte als Sabbat-Jahrtausend; letztes offizielles Datum

1914 - das bis heute entscheidende Datum
Die Prophezeiung genau datierbarer Endzeitereignisse der Zeugen Jehovas enstammt der adventistischen Tradition. Dabei spielt das alttestamentliche Buch Daniel eine wichtige Rolle. Die dort erwähnte Zeitspanne von "sieben Zeiten" (Dan. 4, 29) steht für die Zeit von der Zerstörung Jerusalems, die von den Zeugen fälschlicherweise auf das Jahr 607 v.Chr. datiert wird, bis zum Ende der "Zeiten der Heiden", also bis zur erwarteten Gottesherrschaft. Die sieben Zeiten werden als sieben Jahre zu je 360 Tagen verstanden. Das ergibt im ganzen 2520 Tage. Aber die Rechnung geht noch weiter: Der symbolische Ausdruck des Alten Testaments "ein Tag für ein Jahr" wird wörtlich verstanden, so dass aus 2520 Tagen 2520 Jahre werden, die von 607 v.Chr. bis 1914 n.Chr. dauern. So kommen die Zeugen auf ihr grundlegendes Datum 1914. Damals habe Jehova seinem Sohn, Jesus Christus, die Herrschaft über die Menschheit übergeben. Seit diesem Jahr herrsche Christus unischtbar im Himmel.

Die Frage stellt sich, warum sich trotzdem noch soviel Böses auf der Welt ereignet. Das liegt gemäss dem Glauben der Zeugen daran, dass Christus nach seiner Inthronisation Satan und seine Diener aus dem Himmel auf die Erde geworfen hat, wo sie nun in Form von Regierungen, Religionen und Kirchen ihr Unwesen treiben.

Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft
Die Verkündigung eines nahe bevorstehenden Endes dieser Welt machte einen grossen Teil des Erfolgs der Zeugen Jehovas aus. Sie lehnen zwar offiziell die Lehre von einer Hölle als Ort der ungläubig Verstorbenen ab, gehen aber doch von einer zweiteiligen Errettung durch Christus aus. So baut man einerseits auf eine "himmlische Hoffnung für die kleine Herde" von exakt 144 000 Menschen, die als "Gesalbte" oder als "Brautklasse" bezeichnet werden. Diese Zahl 144 000 wird dem neutestamentlichen Buch Offenbarung (Kap.7) entnommen. Anderseits existiert eine "irdische Paradieses-Hoffnung" für eine zahlenmässig nicht begrenzte Menge von Menschen. Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Klassen scheint aber Voraussetzung dafür zu sein, beim endzeitlichen Harmagedon von der Vernichtung verschont zu bleiben. Das erklärt den grossen Zulauf, den die Organisation jeweils unmittelbar nach Verkündigung eines nahe bevorstehenden Endes zu verzeichnen hat.
Mit dem Wachtturm unterwegs
Als Medien der Verkündigung stehen der Organisation in erster Linie ihre Anhänger zur Verfügung, die in genau registrierten wöchentlichen Zeiteinsätzen ihrer Missionstätigkeit auf der Strasse und von Haustür zu Haustür nachkommen. Über die geleistete Zeugenarbeit wird genau Buch geführt. Die Vereinigung führt Statistiken über die weltweite Stundenzahl der geleisteteten Zeugendienste. Für diesen Dienst werden die Zeugen geschult. Unter anderem durch ein Handbuch, das in kasuistischer Art und Weise mögliche Einwände gegen ein Gespräch mit den Zeugen Jehovas aufführt und so für beinahe jede erdenkbare Situation neue Anknüpfungspunkte mit den Gesprächsunwilligen vorschlägt. So sollen beispielsweise Zeugen, die auf Angehörige jüdischen Glaubens treffen, die Frage nach dem Leiden in der Welt, insbesondere des Holocausts im Zweiten Weltkrieg aufwerfen, um damit bei ihrem Gegenüber ein Abklemmen des Gesprächs zu verhindern.

Selten werden Zeugen bei ihrem Missionsdienst ohne ihre Zeitschrift "Der Wachtturm" angetroffen, der als direktes, weltweites, in über 120 Sprachen übersetztes Sprachrohr der Organisation eingesetzt wird.

...und wenn das Ende ausbleibt?
Bei all den offensichtlich fehlgeschlagenen Prophezeiungen und Irrtümern besteht ein Erklärungsbedarf dafür, wie es der leitenden Körperschaft gelingt, ihre Anhänger bei der Stange zu halten. Dies geschieht mit Hilfe von verschiedenen Strategien: einerseits durch abschwächende Uminterpratation: "Der Herr gibt Daten, um sein Volk zu ermutigen". Oder: "Die Leute haben in ihrem Übereifer zu viel in die nur vermuteten Daten hineingelesen." Anderseits durch Unsichtbarerklärung der prophezeiten Ereignisse: "Im Jahr 1914 hat Christuts tatsächlich wie prophezeit seine Herrschaft angetreten - aber eben unsichtbar!" Eine weitere Strategie ist die Lehre vom "helleren Licht", wonach Jehova seinem "treuen und verständigen Sklaven" nicht die ganze Offenbarung auf einmal, sondern in immer wieder helleren und klareren Umrissen zeigt. Hat ein vorhergesagtes Ereignis nicht wie erwartet stattgefunden, war das Licht offensichtlich noch nicht hell genung.
Die gegenwärtige Weltordnung
Die andere Seite der Medaille dieser erhofften kommenden Zeit ist die gegenwärtige Weltordnung die gemäss dem Glauben der Zeugen unter der Herrschaft des Satans steht. Aus diesem Grund gehen sie zu allem, was mit Politik zu tun hat, auf Distanz. Mitgliedschaft in politischen Ämtern, Parteien, Gewerkschaften und ähnlichem ist tabu. Auch die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen kam bis vor kurzem nicht in Frage. Jeder Militätdienst wird strikt abgelehnt. Erst seit 1996 können sich die Zeugen Jehovas die Leistung eines zivilen Ersatzdienstes vorstellen. Anfang 1998 scheint allerdings die absolute Wahl-Enthaltsamkeit aufgelockert zu werden. Bei sogenannt "nicht politischen Wahlen" wie der Wahl zum Klassensprecher, bei Elternvereinigungen und so weiter sollen die Zeugen ein aktives und passives Wahlrecht erhalten.
Neuere Tendenzen
Ganz allgemein scheint sich bei den Zeugen langsam aber sicher ein neues Verhältnis zu dieser Weltordnung abzuzeichnen. Das zeigt sich auch daran, dass keine neuen Endzeitdaten mehr errechnet werden. Wenn dies aber bis anhin der zentrale Punkt der Verkündigung war, was erzählen die Zeugen den Leuten auf der Strasse und an der Haustüre dann? Immer mehr werden aktuelle Fragen der Politik und Gesellschaft aufgenommen: Aids, Drogen, Arbeitslosigkeit und so weiter. Fragestellungen, die umstritten sind und meist bestimmte Wert- und Moralvorstellungen beinhalten. Hier scheint der neuere Ansatzpunkt der Zeugen zu liegen. Es scheint zumindest so, dass die Gesellschaft ihr Image von der "Endzeitsekte" abstreift und sich mehr und mehr als "moralische Alternative" in dieser Gesellschaft versteht. Nicht mehr die totale Abschottung scheint die Devise zu sein, sondern eine vorsichtige Annäherung - eine schwierige Gratwanderung, wenn man bedenkt, dass die Welt gemäss zentralen Glaubenssätzen der Zeugen immer noch unter satanischer Herrschaft steht.
Andere religiöse Gruppierungen
Keine Annäherung oder Auflockerung hingegen scheint es zu den etablierten Kirchen und anderen religiösen Gruppen zu geben. Immer noch wird die kirchliche Lehre der Dreieinigkeit als unbiblisch verworfen, was mit ein Grund dafür ist, dass die christliche Kirche wie auch alle anderen Religionen als "Babylon, die Grosse" bezeichnet werden. Ebenso werden kirchliche Feste wie Weihnachten und Ostern wegen ihrer heidnischen Wurzeln abgelehnt. Auch auf private Feiern wie Geburtstag, Muttertag etc. wird verzichtet. Als Rituale kennen die Zeugen nur die Taufe von Erwachsenen (keine Kinder!) und eine spezielle Form des Abendmahls, das "Gedächtnismahl". Dieses wird einmal im Jahr gefeiert am Tag des jüdischen Passah und nur von einer Minderheit eingenommen. Das religiöse Leben der Zeugen spielt sich in erster Linie bei ihren Zusammenkünften, die 3- bis 5-mal pro Woche in ihrem Versammlungsraum, dem "Königreichsaal" stattfinden, ab.
Organisation
Die Organisationsform wird von Jehovas Zeugen selber als "theokratisch" bezeichnet. Das heisst nichts anderes als dass die Watch Tower Society vom im Himmel herrschenden Christus und somit in Form ihrer Leitenden Körperschaft von Jehova Gott als offiziellen Mitteilungskanal erwählt wurde. Die Gesellschaft ist somit Statthalter Jehovas auf Erden, was ihrem Vorstand praktisch absolute Macht verleiht. Wer sich der Gesellschaft widersetzt beispielsweise durch Hinterfragen dieser absolutistischen Führungsgewalt oder in anderen Fragen der Lehre und Praxis, wie sie bis ins Detail vorgegeben sind, widersetzt sich Jehova. Waren es zu Beginn der Geschichte vor allem die ersten zwei Präsidenten, die dieser "Theokratie" Gestalt verliehen, ist es ab 1975/76 die Weltzentrale in Brooklyn (New York) in Form der "Leitenden Körperschaft" bestehend aus 10 Mitgliedern. Eine Stufe weiter unten in der Hierarchie stehen die einzelnen Länder ("Zweige"), deren Leitung den Zweigkomitees anvertraut ist (für die Schweiz in Thun, für Deutschland in Selters und für Österreich in Wien). Bezirke, Kreise und schliesslich die Ortsversammlungen bilden die Basis in den einzelnen Ländern.
Umgang mit Aussteigern
Besonders problematisch ist der Umgang der Organisation mit Aussteigern, im Jargon der Zeugen "Abtrünige" genannt. Wer sich nicht an die Weisungen der Zentrale hält und sich auch nicht in einem Gespräch wieder den rechten Weg weisen lässt, gegen den wird ein internes Rechtsverfahren eingeleitet und anschliessend ausgeschlossen ("Gemeinschaftsentzug"). Besonders empfindlich reagiert die Gesellschaft, wenn ihre Anhänger mit Ehemaligen in Kontakt treten. Auch dies gilt als schweres, ausschlusswürdiges Verbrechen. Ganz gleich ob freiwillig oder unfreiwillig - wer als Abtrüniger gilt, wird gemieden, ja eigentlich als inexistent erklärt.
Hanspeter Mathys, 1998
Letzte Aenderung 1998, © hpm 1998, Infostelle 2000
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